Gehalten bis zum letzten Tag – KZ Stutthof, ein fast unbekanntes Konzentrationslager und Außenlager bei Danzig.
Ungefähr 35 km östlich von Danzig geht die beschauliche flussdurchzogene Marschlandschaft des Danziger Werders allmählich in die bewaldete, sandige Frische Nehrung über, rechter Hand vom Haff, links von der Ostsee umspült. Ein Naturparadies, dieses behagliche Feriengebiet um Stutthof, das vor dem 1. September 1939 gerade noch zum Freistaat Danzig gehörte. Ob der geruhsamen Schönheit dieses Ortes hatte man an der Straße nach Kahlberg ein Altenheim errichtet, malerisch an einer Lichtung gelegen. Eine unglaublich friedliche, stille Gegend ist das, auch heute noch. Doch die Idylle trügt, denn es wurde ein Ort des Grauens, ein Platz unvorstellbarer Leiden. Bereits Mitte August 1939 rückte ein SS-Trupp mit einer Gruppe von etwa 500 Danziger Gefängnisinsassen an und begann die inzwischen geräumte Altenheimanlage in ein Lager zu verwandeln. Sie errichteten Baracken, zäunten das Gelände ein und trafen organisatorische Vorbereitungen.
Konzentrationslager Stutthof ab 1936
Schon ab 1936 hatten die Nationalsozialisten in der damals nicht zum Deutschen Reich gehörigen Freien Stadt Danzig begonnen Listen zu erstellen mit „unerwünschten polnischen Elementen“, die im Konfliktfalle zu internieren wären. Sie waren so gut vorbereitet, dass bereits am ersten Kriegstag Rollkommandos die ersten 1500 Danziger verhafteten. Schon am 2. September wurden die ersten 150 Danziger Juden nach Stutthof gebracht, viele Polen der Region folgten, später wurden auch Polen aus dem ganzen Ostseeraum und aus Warschau nach Stutthof deportiert, sowie in den Folgejahren vor allem ab 1942 Sowjets, Norweger, Franzosen, Holländer, Belgier, Tschechen, Litauer, Letten, Dänen sowie Sinti und Roma.
In der ersten Zeit gab es verhältnismäßig wenig jüdische Häftlinge, die Mehrzahl waren Polen, denn bis zum November 1941 galt Stutthof als Zivilgefangenenlager, wurde dann SS-Sonderlager und erst nach einem Besuch Himmlers im Januar 1942 offiziell zum staatlichen KZ erklärt. Der Status des Lagers war für den Häftling dabei vollkommen egal, in Stutthof wurde zu allen Zeiten gestorben, vom ersten bis zum letzten Tag. Von den mehreren Hundert Danziger Juden, die Mitte September 1939 eingeliefert wurden, starben die meisten binnen weniger Wochen und das Passahfest 1940 wurde für die jüdischen Lagerinsassen zu einer unvorstellbaren Passion. Das Lager Stutthof platzte bald aus allen Nähten und wurde bis 1945 ständig weiter ausgebaut. Anfang 1943 wurde direkt neben dem alten Lager ein neues mit einem Elektrozaun gesichertes Lager errichtet, das 25.000 Häftlinge fassen sollte und nie ganz fertig wurde. Die SS stellte Lagerpersonal und Wachmannschaften, (3000 SS-Leute waren im Laufe der Jahre in Stutthof stationiert) dazu kam noch ukrainische Hilfspolizei. Der Kern der Wachmannschaften war aus dem Danziger SS-Trupp hervorgegangen, der im Sommer 1939 das Lager errichtet hatte, der damalige Anführer Hauptsturmführer Max Pauly wurde bis 1942 erster Lagerkommandant.
Zum Lager gehörten eine Reihe von Satellitenlagern, die über ganz Ost- und Westpreußen verteilt waren. Die größten Außenlager waren in Thorn und Elbing mit je ungefähr 5000 jüdischen Frauen als Gefangene, in Stutthof selbst waren Anfang 1942 durchschnittlich 3000 Häftlinge, 1944 schon 8000 und am Ende über 20.000. Zusammen mit den über 100 Außenkommandos belief sich die Häftlingszahl damals auf über 52.000, davon waren über 33.000 Frauen (26.000 der 29.000 Juden waren Frauen).
Transporte ungarischer Juden ins KZ Stutthof
Gegen Ende 1944 nahmen die Häftlingszahlen sprunghaft zu, ganze Transporte ungarischer Jüdinnen (20.-30.000) kamen an, immer mehr wurden über See aus Lagern evakuiert, die vom Vormarsch der Sowjetunion bedroht waren, vor allem aus dem Baltikum und da besonders aus Riga, Kaunas und Schaulen, auch aus Auschwitz kamen immer wieder Transporte an. Entsprechend veränderte sich die Häftlingszusammensetzung dramatisch, Ende 1944 waren mindestens 70% der Häftlinge Juden. Die Überfüllung des Lagers war gigantisch. Stutthof war in erster Linie Arbeitslager. Die meisten Häftlinge arbeiteten als Sklaven in SS-eigenen Betreiben wie den Deutschen Ausrüstungswerken (DAW) direkt neben dem Lager, in Lagerwerkstätten, in anderen Betrieben und Werken, in den Ziegeleien der Umgebung, sowie in der Landwirtschaft.
Die hohe Sterblichkeitsrate war nicht Resultat organisierter, industrialisierter Ausrottung, sondern Ergebnis der miserablen hygienischen Zustände, der katastrophalen Unterbringung und der völlig unzureichenden Ernährung. So war es dann kein Wunder, dass es schon im Winter 1942/43 zu einer ersten großen Typhus-Epidemie kam, der bald eine Fleckfiber-Epidemie, sowie eine weiter Typhusepidemie folgten. Da halfen auch nicht die zwei- bis vierwöchigen Quarantänen für neuankommende Transporte. Eine Versorgung der Erkrankten fand überhaupt nur soweit statt, wie sie ein Ausbreiten der Epidemien verhinderte, Juden durften ohnehin nicht behandelt werden, die halb verhungerten Kranken hatten keine Chance. Die vielen Erschießungen, auch mit der eigens entwickelten Genickschussanlage und unsägliche Misshandlungen taten ihr übriges. Kranke und völlig entkräftete Insassen wurden im Krankenrevier mit Gift- oder Benzinspritzen getötet.
Im Frühjahr 1944 wurde eine Gaskammer gebaut, die einerseits der Entlausung von Bekleidung diente und ab dem Sommer auch zum Vergasen von Menschen genutzt wurde. Die Stutthofer Gaskammer war allerdings klein, ihre Kapazität reichte nicht aus, so wurden immer wieder Häftlinge in besonders abgedichteten Eisenbahnwaggons der ins Lager führenden Kleinbahn vergast.
Die militärische Situation verschlechterte sich seit Sommer 1944 ständig, mit dem russischen Großangriff im Januar 1945 setzte Chaos und Desorganisation ein, da Ostpreußen nicht rechtzeitig evakuiert worden war. Auf ein Telefonat des Danziger Gauleiters Forster mit Goebbels vom 22. Februar gab dieser den Räumungsbefehl an den Kommandanten, wegen der Gefahr eines Aufstandes der Häftlinge. Am 25. Januar, als die Russen nur noch wenige km entfernt waren, befahl Kommandant Paul-Werner Hoppe die Evakuierung des Lagers ins Reich. Nur Kranke und solche Häftlinge, die für die Lagerauflösung gebraucht wurden, sollten bleiben. Wahrscheinlich waren noch etwa 47.000 Häftlinge (davon 35.000 Juden) im Lager. Es wurden Marschkolonnen von je 1000-1500 Häftlingen gebildet, die durch die kaschubische Schweiz Richtung Lauenburg marschierten. Zwischen den Kolonnen lagen jeweils 7 km, beaufsichtigt wurde jede der Kolonnen von 40 Wachmännern. Halb verhungert, völlig unzureichend bekleidet, viele ohne Schuhe, kaum Verpflegung (für zwei Tage) bei bitterer Kälte und Schnee. Auf sieben Tage war der Marsch angesetzt, dauerte aber 10 Tage, wer nicht mehr weiter konnte, marschunfähig war, wurde erbarmungslos erschlagen oder erschossen (mindestens 700). Die letzten Kolonnen stolperten über die Leichen aus den vorangehenden. Niemand weiß, wie viele es waren auf diesen Todesmärschen, niemand weiß, wie viele starben. Man kann nur annehmen, dass es ungefähr 10.000 waren, von denen mehr als die Hälfte starb.
Sowjetische Truppen befreiten die Überlebenden im März 1945 in Pommern. Tausende wurden schon Mitte Januar 1945 nach Osten Richtung Königsberg geschickt, wahrscheinlich zum Ausbau der „Festung“, was im einsetzenden Chaos nicht mehr möglich war, die Stadt stand kurz vor der ersten Einschließung. In diesen bitterkalten Wintertagen mit Schneestürmen und klirrendem Frost von manchmal mehr als -20 Grad lagerten die Häftlinge schutzlos im offenen Gelände, niemand weiß, wie viele erfroren. Dennoch, immer größer wurde ihre Zahl, denn Tausende wurden aus den zahlreichen über Ostpreußen verteilten Außenlagern vor der heranrückenden Roten Armee hierher gejagt. Von hier aus wurden die Häftlinge nach Palmnicken getrieben, erbarmungslos wurde jeder strauchelnde oder entkräftete Häftling erschossen oder erschlagen. Eine Blutspur markierte den Leidensweg, Tausende starben. Im Palmnicken wurden die Häftlinge ins Bernsteinwerk an der Ostsee getrieben. Am 31. Januar wurden am Strand unzählige jüdische Häftlinge von der SS massakriert, Hunderte wurden mit Maschinengewehrfeuer in die Ostsee gehetzt, andere im Hof der Bernsteinfabrik abgeknallt, nicht viel mehr als ein Dutzend überlebte.
Todesmärsche
Immer noch war eine große Zahl von Häftlingen im seit April 1945 von allen Landverbindungen abgeschnittenen Lager, es können Tausende (vielleicht sogar 10.000) gewesen sein, hauptsächlich Jüdinnen. Ende April, am 25. oder 27.4. begann unter ständigen sowjetischen Luftangriffen die Evakuierung über See (ca. 5000) in 5 kleinen Barkassen Richtung Schleswig-Holstein, nach Flensburg und größtenteils in die Neustädter Bucht. Viele, man nimmt an noch einmal 3000, Häftlinge starben auf diesem letzten Weg, ein Teil davon vor Kiel, als einen Tag vor Ankunft der Briten das Schiff sank. In der Neustädter Bucht spielte sich das letzte große Drama ab. Die Kapitäne der mit anderen KZ-Häftlingen schon restlos überfüllten dort auf Reede ankernden, ständigen Luftangriffen ausgesetzten Schiffe (darunter die Cap Arkona) weigerten sich noch mehr Menschen an Bord zu nehmen. Viele der Verzweifelten gelangten mit letzter Kraft an den Strand, wo noch einmal 400 von der SS erschossen wurden. Währenddessen ging das Leiden im Hauptlager Stutthof weiter; bis zum bitteren Ende, bis zum letzten Tag dieser tausend Jahre blieb es in deutscher Hand. Früher hatte die wasserumschlossene Lage Fluchtversuche aussichtslos gemacht, jetzt hinderte sie die Rote Armee am Vorgehen: Im Norden die Ostsee, im Westen die Weichsel mit dem Weichseldelta, im Süden die Nogat, im Osten das Frische Haff.
Kriegsende, Befreiung, Gedenkstätte
Erst nach der Kapitulation (am 9.5. Mitternacht vom Kommandanten der 3. Wachkompanie Paul Ehle verkündet) marschierte eine Einheit der Roten Armee am 10.5. ein und befreite die kleine Zahl der 120 überlebenden Häftlinge (mit Nebenlagern einige Hundert).
Der erste Kommandant Hauptsturmführer Max Pauly wurde 1946 in Hameln hingerichtet, nach dem er im Hamburger Curio-Haus-Prozeß vom 18.3. bis 5.5. zum Tode verurteilt worden war. Der zweite Kommandant Sturmbannführer Paul Werner Hoppe wurde 1957 in Bochum zu neun Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Von den 110.-120.000 Häftlingen, die das Lager durchlaufen hatten, starben mindestens 65.000, vielleicht sogar 80.000. Von den über 50.000 Juden, die nach Stutthof gebracht worden waren, starben fast alle.
Autorin: Brigitte Jäger-Dabek
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Bergau, Martin: Todesmarsch zur Bernsteinküste. Dass Massaker an den Juden im ostpreußischen Palmnicken im Januar 1945. Zeitzeugen erinnern sich, Universitätsverlag Winter Heidelberg, 2006.
Gutman, Israel / Eberhard Jäckel / Peter Longerich (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. München 1998.
Orth, Karin: Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Hamburg 1999.
Sofsky, Wolfgang: Die Ordnung des Terrors – Das Konzentrationslager, Frankfurt a.M. 1993.
Website des Museums / Gedenkstätte.
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