Chełmno nad Nerem, eine kleine 350-Seelen-Gemeinde im Herzen Polens. Während der Besetzung durch das Deutsche Reich zwischen 1940 und 1945 auch als Kulmhof am Ner bekannt. Im Wald nordwestlich der Gemeinde, die damals noch eine eigenständige Stadt war, vergruben die Nazis relativ gut versteckt vor unliebsamer Augen Beobachtung die Leichen ihrer Opfer, Menschen, die sie im Vernichtungslager Kulmhof bzw. Chelmno ermordet hatten. Es war das erste nationalsozialistische Vernichtungslager.
Geschichte
Während die Errichtung anderer Vernichtungslager vom Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 – 1945) von oben angeordnet wurde, kam die Initiative für den Bau Chelmnos von den zuständigen Kräften vor Ort. Im Juli 1941 richtete SS-Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Rolf-Heinz Höppner (1910 – 1998), der Führer des Leitabschnitts des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS in Posen war, einen Aktenvermerk an SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906 – 1962), in dem er anregte, nicht arbeitsfähige Juden „durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen“. Dies geschah wohl in Einklang mit dem Gauleiter des Warthegau und glühender Nationalsozialist Arthur Greiser (1897-1946), der schon viele der im Wartheland lebenden Juden und auch Polen ins Generalgouvernement im Osten Polens vertrieben hatte, um deutschstämmige Bürger aus der Sowjetunion, die sogenannten „Volksdeutschen“ im Reichsgau anzusiedeln. Im Herbst erbat auch Greiser, nicht arbeitsfähige Juden mittels eines Gaswagens ermorden zu dürfen. Ein Gaswagen oder wie die Nazis es euphemistisch nannten ein „Spezialwagen“ oder „Sonderwagen“, ein „Sonderfahrzeug“, „S-Wagen“ oder „Entlausungswagen“ war ein Lastkraftwagen, der so umgebaut worden war, dass die Dieselabgase, die vornehmlich aus Kohlenmonoxid bestanden, entweder ins Innere des Kastenaufbaus oder eine Gaskammer umgeleitet wurden. Chelmno verfügte über keine Gaskammern und der Gaswagen war somit Mordwaffe und Tatort zugleich.
Eichmann wiederum gilt als Architekt des Holocaust und stellte seine Pläne zur „Endlösung der Judenfrage“ auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 den Vertretern der verschiedenen am Holocaust beteiligten Organe des NS-Regimes vor. Dies geschah auf eine Einladung des Chefs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS Reinhard Heydrich (1904 – 1942), der den Befehl hierzu von Reichsmarschall Hermann Göring (1893 – 1946) erhalten hatte. Heydrich fiel Ende Mai 1942 einem Attentat zum Opfer und wurde damit Namenspate für die „Aktion Reinhardt“. Diese bezeichnete den Betrieb der vier einzig auf die Vernichtung von Menschenleben ausgerichteten Vernichtungslager Belzec, Sobibor, Kulmhof bzw. Chelmno, und Treblinka.
Wie auch in Auschwitz entstand das Vernichtungslager aus bereits bestehenden Gebäuden. Das sogenannte „Schlossgelände“ umfasste ein unbewohntes Gutshaus mit einem Park und einem Kornspeicher sowie Teile einer daran angrenzenden Gärtnerei und wurde durch einen Bretterzaun als Sichtschutz nach außen abgeschirmt. Daneben existierte ein Nebenlager im Wald, in dem die Leichen vergraben wurden. Schon im Oktober und November kamen die Angehörigen des Sonderkommandos an und nahmen am 8. Dezember 1941 (über einen Monat vor der Wannseekonferenz) ihre Arbeit, also die Vernichtung von Menschenleben, auf. Damit war Chelmno – wohl nicht zuletzt wegen des Ansinnens Höppners und Greisers – das erste Vernichtungslager, in dem aktiv Menschen ermordet wurden.
Die Opfer: polnische Juden, Sinti und Roma
Dies betraf folglich zunächst die jüdische Bevölkerung aus den benachbarten Amtsbezirken Dąbie, Koło, Kłodawa, Sompolno, Babiak und Kowale Pańskie, aber auch Roma aus dem österreichischen Burgenland. Wie in anderen Vernichtungslagern erzählte man den ankommenden Häftlingen, sie seien in einem Übergangslager zum Arbeitslager und müssten sich nun waschen, was die Kooperation der Gefangenen und den reibungslosen Ablauf des Massenmords sicherstellen sollte. Die Ermordeten wurden, bevor sie im Waldlager verscharrt wurden, von Zwangsarbeitern auf Wertsachen durchsucht. Auch die Zwangsarbeiter brachte man irgendwann um und ersetzte sie durch neue Arbeitskräfte aus den ankommenden Transporten.
Das Kommando hatte zunächst SS-Hauptsturmführer Herbert Lange (1909-1945) inne. Er und die Offiziere bewohnten das Gutshaus; die Mannschaften waren anders als in anderen Lagern außerhalb im Ort selbst untergebracht. Wie die meisten leitenden SS-Offiziere in den Vernichtungslagern war auch Lange zuvor bei der „Aktion T4“ dabei gewesen und hatte im Rahmen des „Euthanasie“-Programms, wie die Nazis die systematische Ermordung Behinderter euphemistisch nannten, Menschen aus Pflegeeinrichtungen und andere behinderte und schwerkranke Menschen ermordet. Die „Aktion T4“, die wegen des Widerstands aus der deutschen Bevölkerung abgebrochen wurde, war so etwas wie der Testlauf für die Vernichtung der Juden Europas. Hier hatten die Nazis ausprobiert, wie sie Menschen am effektivsten ermorden konnten.
Kriegsende und Vertuschung
Man schätzt heute, dass in Chelmno etwas über 150.000 Menschen ermordet wurden, hauptsächlich Juden. SS-Standartenführer Paul Blobel (1894 – 1951) testete im Sommer 1942 aus, wie effektiv es war, die Leichen zu verbrennen und die Knochen zu zerkleinern. Versuche, die den Nazis im Zuge der „Sonderaktion 1005“, der Beseitigung ihrer Spuren vor dem Eintreffen der Roten Armee, zugutekamen. Im Rahmen dieser Aktion wurden auch die Leichen hier exhumiert und verbrannt, als man das Lager im April 1943 auflöste und dabei auch die ursprünglichen Bauten, also das „Schloss“ sprengte.
Greiser lud die Männer, die im Lager Menschen ermordet hatten, zum Abschluss auf sein Gut ein, belohnte sie mit einem Geldgeschenk und lobte sie gegenüber Himmler in einem Schreiben mit den Worten, sie hätten „treu und brav und in jeder Beziehung konsequent die ihnen übertragene schwere Pflicht erfüllt“.
Doch im April 1944 kehrte das Sonderkommando zurück und errichtete auf dem Gelände von Chelmno zwei Baracken und zwei in Gruben eingemauerte Erdöfen, in denen es Juden, die aus dem Ghetto Litzmannstadt deportiert worden und in Chelmno in Gaswagen ermordet worden waren, verbrannte. Es wurden die Gaswagen fuhren dabei zur schnelleren „Abwicklung“ direkt an die Gruben heran. So starben im Sommer 1944 noch einmal 7.176 Juden aus Litzmannstadt in Chelmno. Ab dem 15. Juli dann deportierte man auch die Menschen aus dem Ghetto Litzmannstadt nach Auschwitz. Alles, was von den Verbrechen hätte zeugen können, wurde endgültig vernichtet, einschließlich der letzten verbleibenden Arbeitshäftlinge. Diese hatten sogar noch einen Aufstand versucht, wurden aber in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1945 im Speicher verbrannt.
Täterverfolgung und Gedenkstätte
Nur wenige der Täter wurden nach dem Krieg strafrechtlich belangt. Herbert Lange war am 20. April 1945 bei Bernau gefallen. Sein Nachfolger als Lagerkommandant, Hans Bothmann (1911 – 1946) hatte am 4. April 1946 in Heide (Holstein) Suizid begangen, indem er sich erhängt hatte. Paul Blobel hatte man bereits wegen anderer Verbrechen exekutiert. Die leitenden Mitarbeiter der Staatspolizeistelle Litzmannstadt verurteilte man zu Haftstrafen. Höppner lieferte Deutschland 1947 nach Polen aus, wo er am 15. März 1949 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Er wurde 1957 im Zuge der polnischen großen Amnestie entlassen und starb 1998 in einem Altersheim in Köln. Arthur Greiser kam nicht so glimpflich davon. Er wurde am 9. Juli 1946 zum Tode verurteilt und am 21. Juli 1946 gehängt. Ernst Kendzia (1894 – 1950), den Greiser mit der Organisation des Lagers betraut hatte, richtete man am 4. November 1950 im Zuchthaus Waldheim hin.
Autorin: Martina Meier
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Gutman, Israel / Eberhard Jäckel / Peter Longerich (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. München 1998.
Herbert, Ulrich / Karin Orth / Christoph Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Frankfurt/M 2002.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999.
Krakowski, Shmuel: „Das Todeslager Chelmno / Kulmhof – Der Beginn der ,Endlösung’“, Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
Rückerl, Adalbert (Hrsg.): „Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno“, München 1977 (dtv 2904).
Website der Gedenkstätte