Hermann Göring: Flieger, Morphinist und Kriegsverbrecher. Der Mann neben Hitler.
Und an den einen Herrn Hermann Göring, des Führers treuen Folger, wiedergeboren aus dem Führer im Jahr, Arsch vom Arsch, Dummheit von Dummheit, wahrer NS vom wahren NS, nicht gezeugt, nicht geschaffen, sondern berufen, eines Wesens mit dem Führer; durch ihn ist alles neu geschaffen für uns Deutsche, und um unseres Heiles willen ist er Politiker geworden.
Heinrich Böll, „NS – Credo“, (Satire von 1938).
Von Schöpfer zu Schöpfer: In seinen „Erinnerungen eines Soldaten“ schrieb Generaloberst Heinz Guderian (Panzertruppe) über Reichsmarschall Hermann Göring (Luftwaffe): „Er war ein rücksichtsloser, reichlich formloser Mann, der anfänglich eine beachtliche Tatkraft entwickelte, aber nachdem er die junge deutsche Luftwaffe aus der Taufe gehoben hatte, erlag er den Verlockungen der neu gewonnenen Macht, wandte sich feudalen Allüren zu, sammelte Orden, Edelsteine und Antiquitäten und gab sich Genüssen der Tafel hin“ (siehe, Wer war Hermann Göring, Wolfgang Paul, Bechtle Verlag 1983, Seite 207 ). Zuvor lässt Wolfgang Paul auf Seite 10 seines obengenannten Buches Carl J. Burckhardt zu Wort kommen, der über Göring äußerte, an ihm habe er „Leidenschaft, mächtigen Appetit aufs Leben“, bemerkt „das breite sichtbare Leben, nackt wie aus Spielen kindlicher Phantasie, wie bei allen im Pubertätsalter stehengebliebenen Tätern, Hemmungslosigkeit bis zum Bösen, aber keine natürliche Bosheit, keine kleinliche Rachsucht, unter anderem auch Verstand, in Augenblicken scharfe, kräftige Verstandeshandlung“. Und 1940 brachte Robert Vansittart ein Buch mit dem Titel: „Goering – Germany´s most Dangerous Man“ heraus. Darin beurteilte der Autor Göring als „pathologisch…völlig verantwortungslos, und viel gefährlicher als Hitler“.
Nach dieser ersten einführenden Vorrede zur Figur des „Dicken“ sei der Versuch unternommen, sie nachfolgend umfassender zu textieren.
Beginnen wir die Lebensabschnittsbeschreibung des Hermann Göring mit der Nennung seines Geburtsdatums; es war der 12. Januar 1893, während eines Kuraufenthaltes seiner Mutter Franziska Göring (geb. Tiefenbrunn) in Rosenheim. Sein Vater, Heinrich Göring, war ein promovierter Jurist und Kolonialbeamter. Er diente von 1885 bis 1890 als erster Reichskommissar in Deutsch – Südwest – Afrika sowie zwischen 1892 und 1895 als Ministerresident für Haiti und für die Dominikanische Republik. In seinen Kindertagen galt er als schwierig, dominierend, rauflustig, geradezu kriegerisch (siehe Militär & Geschichte extra, Sonderheft 17, Göring und die Luftwaffe, Oberstleutnant Dr. Horst Potempa, Seite 15).
Pikant: Mit Hermann erhielt der Neugeborene (12 Pfund) den Vornamen eines langjährigen deutschnational gesinnten, aber halbjüdischen (NS-Sprachgebrauch) Freundes der Familie; Dr. Epenstein. Mit Duldung ihres Mannes sollte Frau Göring 15 Jahre mit dem Namensgeber liiert sein – bis es 1913 zum Bruch kam. Bei einem dauerhafteren Bestand dieses – Mischverhätnisses – wären zumindest Zweifel angebracht, ob der Sohn später so in das Herrschaftsgefüge des Dritten Reiches hinein gepasst hätte und er darin die Rolle hätte spielen können, die man aus den Geschichtsbüchern kennt; hier insbesondere dessen Schuld und Verantwortung bei der Judenvernichtung: Am 31. Juli 1941 unterzeichnete er den Auftrag an Reinhard Heydrich zur Organisation des Völkermordes an den europäischen Juden; Klartext zu deren „Endlösung“.
Doch davor stand eine mäßige Schullaufbahn. In konventionellen Fächern galt er als „Versager“. Nach mehrfachen „Schule wechsle ich“-Spielen (Fürth, Ansbach) wurde Hermann 1905 ins Kadettenhaus Karlsruhe und 1909 in die Hauptkadettenanstalt Berlin – Lichterfelde versetzt. Die schloss er mit Auszeichnung ab. 1913 machte er sogar noch das Abitur. Nochmal die Kurve gekriegt, dürfte man dem künftigen Flieger da zugerufen haben. Auf seinem militärischen Bildungsweg lagen dann noch ein Fähnrichsexamen, (1911) das er er mit Auszeichnung und dem Prädikat „vorzüglich“ abschloss, sowie ein achtmonatiger Kriegsschulkurs, den er nach einem erfolgreichen Offiziersexamen verließ.
Zuerst tat Göring ab 1912 als Fähnrich im 4. Badischen Infanterieregiment „Prinz Wilhelm“ Dienst. Nach kleineren Grenzschlachten erkrankte der Kriegsdienstleistende zu Beginn des „Großen Krieges“ an Gelenkrheumatismus. So wurde der Patient von der Front in ein Krankenhaus verlegt. Dieser Krankenhausaufenthalt sollte sich durchaus als schicksalhaft erweisen, denn hier traf Göring auf den Heeresoffizier und Piloten Bruno Loerzer. Er wusste ihn für die Fliegerei zu begeistern. Vor seiner Genesung verlangte der Leutnant in einem Telegramm an den Kommandeur seines Ersatzbataillons 113 in Donaueschingen die Versetzung zur Freiburger Fliegerausbildungsabteilung. Sie wurde abgelehnt, dennoch dachte der „Deserteur“ nicht daran nach seiner Wiederherstellung nach Donaueschingen zu gehen. Stattdessen begann er sich ab Oktober 1914 zum Beobachter ausbilden zu lassen. Ein dreiwöchiger Kasernenarrest wurde übrigens nie vollstreckt, da beide Herren nicht auffindbar waren (siehe Wer war Hermann Göring, Wolfgang Paul, Bechtle Verlag 1983, Seite 45).
Als Beobachter flog der Geworbene dann mit seinem Werber oft Aufklärungseinsätze. Zum Arsenal des – Emporkömmlings – gehörten jetzt Karte, Kompass, Kamera, Meldeblock und Funkgerät. Nach einer militärisch besonders wichtigen Bildmeldung wurde dem jungen Offizier am 25. März 1915 das Eiserne Kreuz 1. Klasse verliehen, das „zweitklassige“ erwarb er schon in den ersten Kriegswochen. Die Schlachtfelder nur von oben zu beobachten und entsprechende Meldungen abzusetzen genügte dem Mann offenbar auf Dauer nicht. Folglich strebte Göring selbst in das Cockpit eines Jagdflugzeuges und begann in Freiburg eine Pilotenausbildung (Juni – September 1915). Sein erster Luftsieg datiert vom 16. November 1915, am 14. März 1916 schoss Göring seinen ersten Bomber ab. Nach einer Bruchlandung musste der „Neue“ einige Monate (November 1916 – Februar 1917) in verschiedenen Lazaretten zubringen. 1917 wurde der Flieger in den Rang eines Oberleutnants erhoben. Attestiert wurden ihm „Kaltblütigkeit und Energie“. Aber viel wichtiger dürfte gewesen sein: man hat sich den Ruf eines mutigen, draufgängerischen und erfolgreichen Piloten erflogen. Das hatte nicht nur Auswirkungen auf den – Medaillenspiegel – sondern auch auf seine militärische Laufbahn. Mit 25 Jahren bekam der „Ordensfasan“ mit dem Pour le Mérite den höchsten Tapferkeitsorden für Offiziere. Den militärischen Höhepunkt der Weltkriegskarriere (1914 -1918) erlebte Göring sicherlich am 6. Juli 1918. Nach dem Befehl Nr. 178654 des Kommandierenden Generals der Luftstreitkräfte übernahm er das Kommando über das berühmte Richthofen – Geschwader. Zuvor waren Manfred Freiherr von Richthofen (88 Luftsiege) und sein Nachfolger Wilhelm Reinhard gefallen. Bezeichnend welche Worte Freiherr von Richthofen seinen fliegerischen Erben damals hinterlassen hat: „Jagdfliegerei sei eine „Art Menschenjagd“, die besonders geübt werden müsse“ (siehe Geschichte des Luftkrieges 1910 – 1980, Prof. Olaf Groehler, Militärverlag der DDR Berlin 1981, Seite 63). Das haben sie dann auch, vor allem im Zweiten Weltkrieg. Vorneweg Hermann Göring: ab 1935 als Oberbefehlshaber der faschistischen Luftwaffe. Doch bevor das – Kriegstheater – (1939 -1945) zur Aufführung kam, stand als Ouvertüre der spanische Bürgerkrieg (Juli 1936 – Juli 1939) auf dem Kriegs(spiel)plan. Während des Einsatzes der deutschen Legion Condor auf Seiten der Franquisten tauchte erneut der Name Richthofen auf. Es war der Cousin von Manfred von Richthofen; Oberstleutnant Wolfram von Richthofen. Der Verwandte war als Stabschef der Legion Condor für den Luftangriff auf Guernica am 26. April 1937 verantwortlich. Bis heute gilt die Zerstörung der baskischen Stadt als Symbol totaler Luftkriegsführung. Nach diesem Luftangriff bezeichnete die Labour – Abgeordnete Ellen Wilkinson im britischen Unterhaus den Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe als „Mann mit den blutbefleckten Stiefeln“. Ein malerisches Denkmal für die zahlreichen zivilen Opfer wusste Pablo Picasso mit seinem Gemälde „Guernica“ ins Bild zu setzen.
Andererseits stieg W. Freiherr von Richthofen in der Wehrmacht zum Generalfeldmarschall und zum Befehlshaber mehrerer Luftflotten auf. Vielleicht noch interessant in diesem Zusammenhang, die derzeitige Hängung zweier Exponate im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden: Zuerst bekommt der Besucher einen grauen Uniformmantel des einstigen Reichsluftfahrtministers, Hermann Göring zu sehen und in Sichtweite erblickt man ein Gemälde + inklusive Uniformjacke des hochdekorierten und langjährigen (1961 – 1985) Verteidigungsministers der DDR, Armeegeneral Heinz Hoffmann (1910 -1985). Hoffmann nahm als Spanienkämpfer an diesem Bürgerkrieg teil und wurde im Kampf gegen die Franco Putschisten verwundet.
Nach diesem chronologischen Vorgriff kehren wir an dieser Stelle wieder an den Punkt, vor deren Abweichung zurück:
Wie alle damaligen Kriegsteilnehmer schied Göring aus jenem Teilnehmerfeld aus, denn die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, die in den den Zerfall des alten Europa münden sollte, war zu Ende. Er konnte dabei 22 Luftsiege vorweisen. Mit dem Waffenstillstand blieb dem Kommandeur nur noch, sein Geschwader geordnet nach Darmstadt zu überführen, wo es aufgelöst wurde. Im Jahr 1920 nahm Göring, wie es offiziell hieß mit dem „Charakter eines Hauptmanns“ seinen Abschied aus der Reichswehr.
Im Nachkrieg verdingte sich unser Kriegsheld zuerst in in Dänemark und anschließend in Schweden als Militärberater. Er blieb in Schweden und erwarb am 2. August 1919 eine Fluglizenz des Landes und übernahm seitdem Aufträge für die Svenska Lufttrafik. Bei einem dieser Flüge hinderte den zum Chefpiloten aufgestiegenen, schlechtes Wetter daran, wie geplant vom Boden abzuheben und die Reise fortzusetzen. Er musste bleiben. Demnach könnte man man sagen, der Deutsche lernte infolge schlechten Flugwetters mit der Schwedin Carin Freifrau von Kantzow (1888 -1931) seine erste Ehefrau kennen. Das war im Februar 1920. Viele gemeinsame Jahre blieben den Eheleuten nicht, denn die Freifrau starb 1931 an Tuberkulose. Doch man hatte sich offenbar nicht nur menschlich, sondern auch politisch gefunden. Denn von Carin Göring ist folgendes überliefert: Sie schwärmte von Hitler als „Genie voller Liebe zur Wahrheit“ und bezeichnete ihn als „ritterlich“ und als den Einzigen, auf den sie alle Hoffnung setze. Nicht ohne ihr Zutun schrieb sich Herr Göring an der Universität München ein, um ab Winter 1922 Geschichte, Volkswirtschaft und Staatswissenschaften zu studieren. Seine Frau hatte ihn zuvor auf gewisse Bildungsdefizite hingewiesen. Zu einem Abschluss brachte es der Student jedoch nicht.
Der frühe Tod seiner Frau Carin traf Göring sehr. Denn mit ihr hatte er eine schöne, intelligente, stark gefühlsbetonte Frau für sich gewinnen können, die auch vermochte ihrem Mann Kunstverständnis und ästhetisches Stilgefühl zu vermitteln. Die Erweckung des Interesses für die Kunst sollten den „Marschall des Reiches“ zum eifrigen Sammler allerdings auch zum Kunsträuber in den dann besetzten Ländern werden lassen. Am Ende gelang es ihm über 4.000 Kunstobjekte anzuhäufen. Im Archiv des französischen Außenministeriums wurde 2015 eine komplette Liste mit den von Hermann Göring in Carinhall gehorteten Kunstwerken, der sogenannte Göring-Katalog, aufgefunden und veröffentlicht. Sein in der Schorfheide gelegenes Anwesen sollte der Witwer in Andenken an seine erste Frau Carinhall nennen, seine Yacht taufte er auf den Namen Carin II. Als ersten Staatsgast empfing „Bootsmann“ Göring Benito Mussolini. Ferner ließ der Reichsmarschall auf dem Landsitz ein Mausoleum für seine verstorbene Frau errichten. Mit Emmy Sonnemann fuhr Göring 1935 zum zweiten Mal in den Ehehafen ein, Hitler war Trauzeuge. Diese Hochzeit wurde volkstümlich als „Kronprinzenhochzeit“ apostrophiert. Der britische Botschafter Sir Eric Phipps urteilte über diese Trauung: „General Göring scheint den Höhepunkt seiner aufgeblasenen Karriere erreicht zu haben: Ich sehe für ihn und seinen Größenwahn kein höheres Ziel…es sei denn in der Tat das Schlafott“ (siehe Hermann Göring, Richard Overy Machtgier und Eitelkeit, HEYNE Biographien 1986, Seite 66). Um im vorherigen Bild zu bleiben: Die Ehe sollte 1946 mit dem Tod des Gatten „kentern“. Obwohl sie nur als mittelmäßige Schauspielerin galt machte sie der Ministerpräsident Göring 1934 zur Staatsschauspielerin. Oft in Konkurrenz zu Magda Goebbels sollte sie als First Lady des Dritten Reiches fungieren. Die Zweitfrau Görings brachte mit Edda eine Tochter zur Welt. Nach dem Krieg wurde Frau Göring von einer Spruchkammer als Belastete Klasse II eingestuft. Sie durfte 80 – jährig 1973 friedlich in München sterben.
Gehen wir nach diesem Vorgriff erneut in der Zeit zurück:
Erstmals traf Göring Ende 1922 am Rande einer Kundgebung in München auf Adolf Hitler. Der spätere deutsche Reichskanzler mit Migrationshintergrund konnte mit seiner Agitation gegen die Weimarer Republik und gegen das „Versailler Schanddiktat“ bei dem früheren Kampfflieger landen. Folglich bot der – bewegte Mann – dem NSDAP Vorsitzenden seine Dienste an. Dabei stieß der Pour lé Merite Träger tatsächlich nur offene Türen auf. Hitler machte den Newcomer 1923 zum Kommandeur der SA (Sturmabteilung). Hitler nannte die SA einen „verwilderten Haufen“. Göring sah daher seine Aufgabe darin, aus ihr eine „Macht aus elftausend Mann zu machen“ (siehe, Wer war Hermann Göring, Wolfgang Paul, Bechtle Verlag 1983, Seite 73). Als SA – Kommandeur nahm er am 9. November 1923 am Hitlerputsch teil. Bei dessen Niederschlagung durch die bayerische Polizei erlitt der Putschist eine Schussverletzung am Oberschenkel, die zur Quelle seines Morphinismus werden sollte, der ihn für den Rest seines Lebens nicht mehr los ließ – trotz mehrfacher Entziehungskuren und Zwangsjacke. Über die Schwere der Verwundung schrieb Carin Göring vier Tage später in einem Brief: Hermanns Bein ist zerschossen, die Kugel ging quer durch, einen Zentimeter von der Schlagader entfernt (…) (siehe Wolfgang Paul, Wer war Hermann Göring, Bechtle Verlag 1983, Seite 87). Um der Strafverfolgung zu entkommen floh Göring zunächst nach Österreich und anschließend nach Italien. Erst Ende 1927 kehrte er endgültig nach Deutschland zurück, ermöglicht hat sie eine Generalamnestie für politische Straftaten (1925) des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Den präsidialen Schreibtisch verließen 1928, 1932 und 1934 weitere sogenannte Hindenburg-Amnestien.
In Deutschland etablierte sich der Rückkehrer erfolgreich als Vertreter von Zulieferfirmen der Luftfahrtindustrie. Zudem war er bemüht mittels seiner Kontakte in die Wirtschaft und von Freunden, die NSDAP hoffähig zu machen. Dabei lernte er Erhard Milch kennen, der seinerzeit Vorstandsmitglied der Lufthansa war und der wenige Jahre später in das von ihm geleitete Reichsluftfahrtministerium einrücken sollte – als Staatssekretär und Generalinspekteur der Luftwaffe.
Bei den Reichstagswahlen 1928 drängte es „Hitlers erster Paladin“ selbst ins Parlament. Er fragte den Führer und der willigte ein. Somit wurde Göring einer von 12 Abgeordneten der NSDAP (2,8) Prozent). Joseph Goebbels machte mehrfach keinen Hehl daraus, dass er von seinem Parteigenossen nicht viel hielt. So auch 1929, wo er ihn als „Fraktionsekel“ beschrieb. Goebbels: „Dabei ist er so dumm wie Stroh und so faul wie eine Kröte (…)“. Nachdem die NSDAP, sicher auch von der Weltwirtschaftskrise (1929) profitierend, 1932 die Reichstagswahl gewann, wurde das „Fraktionsekel“ am 30. August zum Parlamentspräsidenten gewählt. Und am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler, den er ursprünglich bestenfalls für das Amt des Postministers geeignet hielt zum Reichskanzler. Bei der Regierungsbildung wurde Göring kommissarischer Innenminister. Damit wurde er zum Dienstherren der deutschen Polizei, was nicht folgenlos blieb: 22 von 32 Polizeipräsidenten wurden entlassen und durch Parteigänger der NSDAP ersetzt. Die reguläre Polizei wurde durch 50.000 SA – Leute, sowie durch eine Anzahl von SS – Kameraden und Stahlhelmen verstärkt. Des weiteren geht auf Göring die Gründung der Gestapo und die Errichtung der Konzentrationslager zurück.
Ein weiteres Indiz für Görings Aufstieg war am 5. Mai 1933 seine Berufung zum Reichsluftfahrminister. Am 30. August ernannte Hindenburg den Hauptmann a. D. zum General der Infanterie. Nach dem erfolgreichen Westfeldzug beförderte Hitler am 19. Juli 1940 12 Generale zum Generalfeldmarschall, Göring bekam dabei den eigens für ihn geschaffenen Dienstgrad eines Reichsmarschalls. Diese Titelvergabe rechtfertigte Hitler mit der Begründung, Göring habe „die Voraussetzungen für den Sieg geschaffen“. Ein Jahr später übertrug ihm Hitler per Erlass vom 29. Juni 1941 die Führernachfolge mit allen Vollmachten für den Fall, dass er selbst „seiner Handlungsfähigkeit beraubt“.
Auf der Agenda des Ministers stand nun der Aufbau der Luftwaffe, wobei erwähnt werden muss: Durch die geheimen Militärbeziehungen der Roten Armee mit der Reichswehr in den 20ger Jahren, die eine wesentliche Unterstützung durch den damaligen Chef der Heeresleitung, Generaloberst Hans von Seeckt erfahren haben, wurde schon viel an entsprechenden Vorarbeiten geleistet, woran Göring keinen Anteil hatte. Auf von Seeckts Veranlassung begann der Aufbau einer geheimen Fliegertruppe. Ab 1925 wurde im Flugzentrum Lipezk das fliegerische und technische Kernpotential der künftigen Göringschen Luftwaffe herangebildet – bis Hitler diese Militärkooperation im September 1933 endgültig beendete (siehe Militär & Geschichte extra, Sonderheft 17, Göring und die Luftwaffe, Peter Cronauer Seite 26 – 29 / siehe Selbstmörderische Allianz, Deutsch – russische Militärbeziehungen 1920 – 1941, Prof. Olaf Groehler, Vision Verlag Berlin 1991, Seite 45f.). Wie sein „gepanzerter“ Waffenbruder, Generaloberst Guderian war also auch Reichsmarschall Göring Opfer seiner eigenen wie auch geduldeten Propaganda geworden, wodurch der Eindruck vermittelt werden sollte, sie seien die alleinigen Schöpfer ihrer jeweiligen Waffengattung. Auf einem Fliegerball wiederholte der neue Minister (1933) gegenüber seinen Weltkriegsveteranen jedenfalls seinen Schwur von Aschaffenburg 1918, er werde die neue deutsche Luftwaffe als ihr Scharnhorst begründen, und versprach, bei seiner Ehre, das erste deutsche Jagdgeschwader werde „Richthofen“ heißen (siehe Wer war Hermann Göring, Wolfgang Paul, Bechtle Verlag 1983, Seite 136).
Göring war noch Generaloberst, da machte ihn Hitler 1936 zum Beauftragten des Vierjahresplans.
Als Beauftragter für den Vierjahresplan organisierte er später auch die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Gebiete. Dass dem von ihm mitverantworteten Hungerplan Millionen von Menschen zum Opfer fallen würden, bezeichnete der „Brutale“ als notwendig und erwünscht. Am Anfang stand jedoch eine Denkschrift (1936) des Führers über die Aufgaben des Vierjahresplanes. An deren Abschluss forderte Hitler „Die deutsche Armee muss in 4 Jahren einsatzfähig sein. Die deutsche Wirtschaft muss in 4 Jahren kriegsfähig sein“ (siehe Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1955, Heft 2, Seite 204 – 210). Entgegen der ursprünglichen Kriegs(Zeit)Planung erteilte der Oberste Befehlshaber der Wehrmacht schon nach 3 Jahren seiner Armee den Marschbefehl in den Zweiten Weltkrieg: beginnend mit dem Polenfeldzug am 1. September 1939. Und das obwohl weder Armee noch Wirtschaft zu diesem Zeitpunkt einsatzfähig noch kriegsfähig waren, entsprechende Mängel konnten zunehmend weniger verborgen bleiben. Die Luftwaffe verfügte zum Beispiel schon im Spätherbst 1939 nicht mehr über ausreichende Bombenbestände. Der Generalstabschef Generaloberst Franz Halder betonte, Deutschland fehlten monatlich 600.000 Tonnen Stahl (siehe Clausewitz Spezial, Westfeldzug, Bedingt angriffsbereit, Lukas Grawe, Seite 23f ). Wohl im Wissen darum war Göring der Überzeugung, ein größerer Krieg würde nicht vor frühstens 1942 oder sogar noch später ausbrechen und ihm die Zeit geben, seine Luftwaffe für den nächsten Krieg richtig startfähig, sprich im vollen Umfang gefechtsbereit zu machen. Die Luftwaffe selber erwartete einen Krieg erst gegen Ende der vierziger Jahre (…) (siehe Richard J. Overy, Hermann Göring Machtgier und Eitelkeit, HEYNE Biographien 1986, Seite 284/287).
Ein Kapitel im Polenfeldzug war die Schlacht um Warschau. Hier flog die deutsche Luftwaffe Angriffe auf das Stadtgebiet; in über 1700 Einsätzen warfen die Bomber 560 Tonnen Spreng- und 72 Tonnen Brandbomben ab. In dieser dramatisch – traurigen Episode Warschauer Stadtgeschichte stoßen wir erneut auf den Cousin des „Roten Baron“: Generalmajor Wolfram von Richthofen war es, der Hermann Göring, den Oberbefehlshaber der Luftwaffe am 23. September 1939 um die Genehmigung ersuchte, alle verfügbaren Fliegerkräfte zum Luftangriff auf Warschau zusammenfassen zu können (siehe Der Zweite Weltkrieg Dokumente, Gerhard Förster/Olaf Groehler, Militärverlag der DDR, 3. überarbeite und erweiterte Auflage 1989, Seite 48-49).
Der Krieg ging weiter. Wohl zum ersten Mal zeigte sich in Dünkirchen (1940) das Versagen der deutschen Luftwaffe. Obwohl nach Görings Art vollmundig versprochen, es gelang ihm nicht, das britische Expeditionskorps an der Flucht zu hindern. Ebenso wenig konnten Görings „Himmelskrieger“ in der Luftschlacht um England die Erwartungen erfüllen. Man hatte die Entschlossenheit und das Potenzial des britischen Volkes und der Royal Air Force unterschätzt. Dem britischen Radar maß selbst der deutsche Luftwaffen – Oberbefehlshaber wenig Bedeutung zu. Der britische Historiker Dr. Richard Overy kam zu der Einschätzung: „Bei der Luftschlacht um England stand die Luftwaffe erstmals einem Gegner mit einer gut organisierten Luftverteidigung und einem klaren Konzept der Luftstrategie gegenüber“ (siehe Hermann Göring Machtgier und Eitelkeit, Richard Overy, HEYNE Biographien 1986, Seite 290).
Während der Schlacht um Stalingrad sagte Göring im November 1942 Hitler zu: „Mein Führer! Die Versorgung der 6. Armee in Stalingrad aus der Luft wird von mir persönlich garantiert. Sie können sich darauf verlassen“. Was im Kriegswinter 1941/42 in den Kesseln von Cholm und Demjansk noch per Luftbrücke gelang, sollte in Stalingrad scheitern und sich als „undurchführbar“ erweisen, so unter anderem der Generalstabschef der Luftwaffe, Generaloberst Hans Jeschonnek (1899 – 1943; Suizid). Die Generalstabschefs von Heer und Luftwaffe (Zeitzler, Jeschonnek) waren schon am Tag der Einschließung der Paulus – Armee bei Hitler vorstellig geworden. Dabei erläuterten die Generale, dass die Eingeschlossenen (ca. 250.000 Mann) pro Tag 700 Tonnen Nachschub benötigten, das Minimum seien 500 Tonnen. Bis auf weiteres wies der Führungsstab des Oberbefehlshabers die Luftflotte 4 an, lediglich 300 Tonnen in den Stalingrader Kessel zu fliegen. An manchen Tagen schafften sie gerade 65 Tonnen. Bei Stalingrad büßte die Luftwaffe 500 Transportflugzeuge ein (siehe Clausewitz Spezial Stalingrad, Peter Cronauer, „Eine undurchführbare Aufgabe“, Seite 51). Einen Aufsatz zur „Lage der Luftwaffe 1942 bis Anfang 1943“ ließ der Experte für Luftfahrt und Luftkriegsgeschichte des Zweiten Weltkrieges, Horst Boog (1928 – 2016) so endigen: „Die Luftwaffe reagierte im allgemeinen nur noch auf die Aktionen der Gegner. Die Initiative hatte sie weitgehend verloren. Den Luftrüstungsvorsprung der Alliierten konnte sie nicht mehr aufholen“ (siehe Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Der globale Krieg, Band 6, DVA Stuttgart 1990, Horst Boog, Seite 564).
Die Summe dieser – luftigen – Niederlagen und Misserfolge, Fehlplanungen, das Fehlen einer modernen Luftkriegsstrategie, von einer wirksamen „Reichsverteidigung“ angesichts alliierter Bombenangriffe gar nicht zu reden, dürften zum zunehmenden Ansehensverlust des Reichsmarschalls geführt haben. Seit 1942 ließ er sich mehr und mehr bei Lagebesprechungen vertreten und nahm am Kriegsgeschehen kaum noch Anteil. Bei „Lametta Heini“ rückten stattdessen seine Leidenschaften für die Jagd und für die Kunst (einschließlich deren Raub), garniert mit seinem jeher barock – pompösen Lebensstil in den Mittelpunkt. Als Hitler gegen Ende 1944 die Krise um Görings Führung nicht länger ignorieren konnte, beschränkte er sich lediglich auf strenge Verweise. (…) Als General Guderian Hitler bat Göring aus seinem Amt zu entfernen, antwortete er: „Ich kann aus politischen Gründen nicht das tun, was Sie vorschlagen. Die Partei würde meine Motive niemals verstehen“ (siehe Hermann Göring Machtgier und Eitelkeit, Richard Overy, HEYNE Biographien 1986, Seite 394). Gleichwohl fand der Oberbefehlshaber der Wehrmacht im August 1944 recht deutliche Worte für seinen alten Kämpfer: „Göring! Die Luftwaffe taugt nichts. Sie ist nicht mehr wert, ein selbstständiger Wehrmachtteil zu sein. Das ist ihre Schuld. Sie sind faul“. Zur Befähigung Görings als Oberbefehlshaber der Luftwaffe steht in einem Beitrag von Horst Boog für die Militärgeschichtlichen Mitteilungen (MGM) zu lesen: „Wenn er auch kein systematischer Denker war, so war er doch ein eloquenter Promoter des Luftfahrtgedankens“ (siehe Das Problem der Selbständigkeit der Luftstreitkräfte in Deutschland 1908–1945. Horst Boog in: MGM, 43 (1988), 1, S. 31–60 [Auf]. Von besonderer Qualität dürfte gewesen sein: SS – Offiziere suchten nach Beweisen um die Unfähigkeit des Oberbefehlshabers zu belegen. SS – Chef Himmler verschaffte sich die Kontrolle über die modernsten Waffen der Luftwaffe; Düsen – und Raketenflugzeuge, Flakraketen und die fliegende Bombe V – 1 (siehe Das Problem der Selbständigkeit der Luftstreitkräfte in Deutschland 1908–1945. Horst Boog in: MGM, 43 (1988), 1, S. 31–60 [Auf]).
Zum endgültigen Bruch zwischen den beiden Nazi – Größen kam es erst in den letzten Kriegstagen als ihr Reich längst am Boden lag. Der bis dahin zweite Mann teilte Hitler am 23. April 1945 in einem Telegramm aus Berchtesgaden mit, er betrachte sich für den Fall, dass er (Hitler) weiterhin in Berlin ausharre und bis 22 Uhr keine anderslautende Mitteilung einginge, gemäß der im Juni 1941 per Erlass getroffenen Regelung ab sofort als Nachfolger des Führers mit allen Vollmachten. Der noch lebendige erste Mann interpretierte das Telegramm aber als Putsch. Was folgte, war die Enthebung von allen Ämtern, der Rauswurf aus der NSDAP und die Festsetzung durch ein SS – Kommando; wegen Hochverrat. Martin Bormann, der Leiter der Parteikanzlei hatte dem zuständigen SS – Offizier befohlen, Göring nach Berlin zu schaffen und dort hinzurichten. Jedoch hatte „der größte Arsch des Dritten Reiches“ nochmal Glück mit dem Leben davonzukommen, wenn auch nicht sehr lange wie man weiß. Die Kriegschronik meldet: Der „Eiserne“ begab sich am 7. Mai 1945 unter anderem mit ein paar Tausend Tabletten in US – Kriegsgefangenschaft. In völliger Verkennung der realen Situation in der er sich nunmehr befand, hoffte der Kriegsgefangene wohl, mit den US – Alliierten einen politischen Deal für sich aushandeln zu können. Doch der 280 Pfund Mann besaß keinerlei politische Verfügungsmasse mehr, jedes politisches Gewicht war ihm abhanden gekommen. Am 11. Mai 1945 war für Göring noch ein letztes Interview drin. Danach wartete auf den Herrn die Kriegsgefangenschaft und der vorderste Platz als Hauptangeklagter im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess (1945 -1946). Schlussendlich wurde Göring im Nürnberger Prozess in allen vier Anklagepunkten (Verschwörung gegen den Weltfrieden; Planung, Entfesselung und Durchführung eines Angriffskrieges; Verbrechen gegen das Kriegsrecht; Verbrechen gegen die Menschlichkeit) schuldig gesprochen und zum Tod am Strang verurteilt. Stunden vor dessen Hinrichtung setzte sich der “Reichsoberjunkie“ am 15. Oktober 1946 selbst den letzten Schuss (Zyankali).
Seine Göring – Biografie schließt Overy mit diesem Satz: „Wenn es in der Geschichte Görings eine Moral gibt, dann die, dass die Menschen nicht die Regierungen bekommen, die sie verdienen, sondern dass es gefährlich ist, eine historische Chance mit einer historischen Notwendigkeit zu verwechseln“ (siehe Hermann Göring Macht und Eitelkeit, Richard Overy, HEYNE Biographien 1986, Seite 406).
Autor: René Lindenau
Literatur
Heinrich Fraenkel, Roger Manvell: Hermann Göring. Übersetzt von Hedwig Jolenberg, bearbeitet von Wolfgang Tschechne. Verlag für Literatur und Zeitgeschehen, Hannover 1964. DNB 451329309; NA: Pawlak, Herrsching 1981.
Stefan Martens: Hermann Göring. „Erster Paladin des Führers“ und „Zweiter Mann im Reich“. Schöningh, Paderborn 1985.
Richard Overy: Hermann Göring. Machtgier und Eitelkeit. Heyne, München 1986.
Alfred Kube: Pour le mérite und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich. 2. Auflage. Oldenbourg, München 1987.
Guido Knopp: Göring. Eine Karriere. Goldmann, München 2007.
Göring, ein Psychogramm. Terra X Beitrag.