Moskau und Warschau spinnefeind
Russland ist seit Jahren in bedrängter Wirtschaftslage, nicht nur wegen westlicher Sanktionen für Moskaus Annexion der Krim. Außer Öl und Gas verfügt es über wenig, das es außenwirtschaftlich versilbern könnte. Seine Ende 2011 gestartete Gasleitung „Nord Stream 2“ ist auf den letzten 300 km (von insgesamt 2.100) ins Stocken geraten, nachdem sie bereits Ärger mit den USA, Polen und anderen einbrachte. Polens Premier Mateusz Morawiecki freut es sogar, der in „Nord Stream 2“ ein potentielles Instrument für russische Erpressungen des Westens sieht.
Wie geht es Russland? Am 15. Januar 2020 gab Putin vor beiden Kammern der Föderalversammlung einen Jahresüberblick und rund 60 Minuten (von insgesamt 70) füllte er mit Klagen über die soziale Lage der Bevölkerung, ihre Armut, die Misere von Bildungseinrichtungen aller Stufen, die Rückständigkeit des Gesundheitswesens, die mangelnde Transparenz des politischen Systems etc. Für das Jahr 2020 hat das russische Finanzministerium ein Wachstum des BIP um 2 Prozent eingeplant, dürfte aber glücklich sein, wenn man 0,9% erreicht. Aus Russland macht sich eine Massenemigration auf, deren Umfang das russische Statistikamt (ROSSTAT) schamvoll verschweigt. Laut ihm sind 2018 nur ein paar Hundert Russen nach Tschechien ausgesiedelt, laut tschechischer Fremdenpolizei waren es 38.223! Im September 2019 zählte man rund 37.000 Russen, zudem fliehen Zehntausende Russen alljährlich nach Deutschland, Großbritannien, Spanien, Frankreich und Polen.
Interessant ist, dass es so viele Russen nach Polen zieht. Russland wirft Polen vor, Initiator und Hauptverbreiter von „Russophobie“ zu sein, und dafür die Geschichte zu fälschen: „Die Sowjetarmee hat Polen von den Nazis befreit,, aber dafür keinen Dank geerntet“, „1945 überließ die UdSSR den Polen goßzügig (ščedro) Städte Deutschlands, aber heute hat Polen Russland zum übelsten Feind (zlejšij vrag) verwandelt“ – schreibt der Publizist Georgi Zotov, dessen Reportagen in der Wochenzeitung „Argumenty i fakty“ (AiF) groteske Anklagen sind, wie verleumderisch ehemalige „Freunde“ mit Russland mittlerweile umgehen. Zotovs Neostalinimus ist keine russische Norm, am wenigsten für die mutige „Novaja gazeta“ (Neue Zeitung, NG). Sie publizierte am 24. Dezember 2019 einen detaillierten Report, wie Stalins Geheimpolizei im Herbst 1939 im Wald von Katyn 21.857 polnische Offiziere ermordete und 130.000 Polen in neun KZs inhaftierte. Katyn liegt bei Smolensk, wohin am 10. April 2010 die polnische Staatsspitze unter Präsident Lech Kaczynski flog, um dort zusammen mit russischen Führern unter Putin des Verbrechens von 1939 zu gedenken. Das Flugzeug der Polen stürzte um 8.41 Uhr ab, wobei 96 Menschen, die „Blüte der Nation“, ums Leben kamen. Laut polnischen Umfragen sind mindestens 20 Prozent der Polen überzeugt, dass die Katastrophe von Smolensk ein russischer Anschlag war. Umgekehrt glauben die Russen fest daran, dass Polen seit dem Sturz des Kommunismus 1989 einen „scharf antirussischen außenpolitischen Kurs“ verfolgt und dass sich Polen seit 2015 unter der nationalistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) „gegenüber Russland in einen extrem feindseligen Staat verwandelte“. Ähnlich ablehnend ist Polens Einstellung gegen Russland und dessen Präsidenten, die der polnische Premier Morawiecki zum Jahresende 2019 so formulierte:
„Putin log häufig und immer ganz bewusst, wenn es gegen Polen ging. Zumeist passiert das, wenn Moskau – in der Vergangenheit wie in der Gegenwart – internationalen Druck spürt, den es durch eigene Aktivitäten auslöste“.
Das betrifft Russlands nationalhistorische Selbsteinschätzung. Die besagt erstens, dass allein Russland den „Faschismus“ besiegte – ohne Mitwirkung von „Sowjetvölkern“ oder westlicher „Anti-Hitler-Koalition“. Und zweitens beharrt Russland darauf, dass seine Soldaten, die „Helden der Roten Armee“, ganz Ost- und Südosteuropa „befreit“ haben. Es gilt besonders für Polen, „wo man seit langem und zielstrebig versucht, die entscheidende Rolle der Sowjetunion und der Roten Armee bei der Rettung Polens zu bestreiten“. Was wirklich war, sagte das EU-Parlament am 19. September 2019 in einer Resolution:
„Dass die Republik Polen zuerst von Hitler und zwei Wochen später von Stalin überfallen wurde, (war) eine unmittelbare Folge des Hitler-Stalin-Pakts (…) (Auch hat sich die UdSSR) die unabhängigen Republiken Litauen, Lettland und Estland einverleibt. ( Russland ist) noch immer das größte Opfer des kommunistischen Totalitarismus. (Staat und Politik) lassen nicht nach, die kommunistischen Verbrechen zu verharmlosen und das totalitäre Sowjetregime zu verherrlichen“.
Solche Vorwürfe treffen vor allem Putin, der allein im Dezember 2019 gleich dreimal auf seine heroisierenden Lieblingsthemen zu sprechen kam, wobei er in unglaublicher Wortwahl über die „polnische historische Mythologie“ herzog. Zuerst geschah das vor dem „Kollegium des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation“, wobei er den polnischen Botschafter Józef Lipski (1894-1958), den klugen Diplomat, bis 1939 in Berlin amtierte, postum massiv beschimpfte:
„Abschaum und antisemitisches Schwein (svoloč’, svin’ja antisemitskaja) – anders kann man das nicht sagen. Er hat sich komplett mit Hitler solidarisiert (…) vor allem hat er versprochen, ihm für die Verhöhnung des jüdischen Volks ein Denkmal zu errichten“.
Putins Vorwürfe sind noch nicht einmal halbwahr. Die Sache mit dem Denkmal war ein (schlechter) Scherz, wie Lipski selber in seinem Bericht an Außenminister Józef Beck einräumte. Er hatte sich am 20. September 1938 auf dem Obersalzberg mit Hitler zu einem entspannten Gespräch getroffen, wobei er ihm „ein schönes Denkmal in Warschau“ zusagte, falls er den damals in Europa umlaufenden Plan unterstützte, die Juden nach Madagaskar auszusiedeln. Zudem wussten Lipski und alle Welt, warum ein Hitlerdenkmal unmöglich war: Hitler hatte bereits zu Beginn seiner Herrschaft per „Erlass des Reichskanzlers“ verfügt, dass „zu seinen Lebzeiten“ keine Denkmäler und Gedenktafeln von ihm aufgestellt werden dürften. Diese Details sollte gerade der russische Präsident kennen, aber dessen Umgang mit Geschichte ist mehr als eigenwillig. Über Lipski bemerkte er, dass „gerade solche Leute, die damals Gespräche mit Hitler führten, heute Hand legen an Denkmäler der Soldaten-Befreier, der Rotarmisten, die die Länder Europas und das europäische Volk (evropejskij narod) vom Nazismus befreiten“.
Nach dem Vortrag im Verteidigungsministerium hielt Putin eine Pressekonferenz ab, auf der er erläuterte, dass Russland niemals Polen „okkupiert“ habe; zu dieser Zeit lag Polen bereits in deutscher Hand, und die Sowjetunion nahm lediglich „herrenloses Territorium“ (bezchoznaja territorija). Wenn Polen etwas anderes behauptete, seien das „verlogene Erzählungen“. Im Übrigen habe der Zweite Weltkrieg nicht mit der Besetzung Polens begonnen, sondern bereits am 29. September 1938 mit dem Münchner Abkommen. An diesem war Polen beteiligt, als es sich das ostböhmische „Olsagebiet“ (869 km². 216.000 Einwohner) aneignete.
Der dritte Auftritt Putins ereignete sich in Sank Petersburg beim Gipfeltreffen der SNG (Gemeinschaft unabhängiger Staaten), jener UdSSR-Nachfolgeorganisation, von der noch acht Mitglieder (von einst 15) verblieben. Vor deren Abgesandten verlas Putin endlos „Dokumente“, die seine verquere Geschichtsversion unterstrichen. Ein letztes Wort wird er wohl im Mai äußern, zum „75. Jahrestag des Sieges“, wozu er einen langen Aufsatz ankündigte. Was er sagen könnte, aber nicht sagen wird, hat Georgette Mosbacher, seit 2015 US-Botschafterin in Polen, vorformuliert:
„Lieber Präsident Putin. Hitler und Stalin haben sich verschworen, um den Zweiten Weltkrieg zu beginnen. Das ist eine Tatsache. Polen war das Opfer dieses schrecklichen Konflikts“.
Genau so sagte es der polnische Sejm am 10. Januar 2020 in einer Erklärung, „in der er der UdSSR die Verantwortung für die Auslösung des Zweiten Weltkrieges in Gemeinschaft mit Hitler-Deutschland anlastete“. Das ist Moskau von Anfang an peinlich, was sich schon beim ersten Nürnberger Prozess 1945/46 die deutschen Verteidiger zu nutze machten. Deren „schärfster“ war Alfred Seidl (1911-1993), dessen Plädoyer für Rudolf Hess vom Gericht abgebrochen wurde, weil die Sowjets die Erwähnung des Hitler-Stalin-Pakts nicht zuließen. Daran hält Moskau in gewisser Weise bis zur Gegenwart fest: Wie das Russische Außenministerium (MID) am 22. September 2019 erklärte, war der Pakt ein „erzwungener Schritt“, der den Kriegsausbruch „um fast zwei Jahre verzögerte“ und dann Moskau erlaubte, „den Krieg in für die UdSSR günstigen Regionen zu führen“. Besonders stört das zum Pakt gehörige „Zusatzprotokoll, das die Aufteilung Ost- und Zentraleuropas in Einflusszonen verfügte. Es erlaubte Nazi-Deutschland, am 1. September 1939 Polen zu überfallen. Sowjettruppen betraten polnisches Territorium erst rund zwei Wochen später“.
Diese MID-Erklärung ist sozusagen das Maximum an historischer Korrektheit, die man von Russland erhalten kann, aber nicht von Putin. Dem wird Polens Staatspräsident Andrzej Duda (PiS, *1972) immer ähnlicher. Im Januar 2020 wollte er seine Teilnahme an den israelischen Gedenkfeiern zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz absagen. Warum? Weil Putin als Hauptgast eingeladen worden war, dem Duda ausweichen wollte. Das hat man ihm in Polen als Kapitulation vor dem Russen übel genommen. Der Erfolgsautor Wiktor Mrok (*1957) befand, dass Duda vor Putin „mit Haut und Haaren“ (z kretesem) unterliegt. Warum eigentlich, fragte der Nationalklerikale Abgeordnete Roman Giertych (*1971), wo doch angesichts „unserer internationalen Position“ Putins Aussagen wie „besoffenes Gefasel“ anmuten. Noch schärfer kritisierte der Parlamentarier Radoslav Sikorski (*1963) Putins Politik:
„Noch ein paar Erfolge der nationalistischen Geschichtspolitik und wir werden erfahren, dass die Rote Armee Auschwitz von den Polen befreit hat (że Armia Czerwona wyzwalała Auschwitz od Polaków)“.
Den wohl besten „Verriss“ Putins formulierte der rechtskonservative EU-Parlamentarier Jansuz Korwin-Mikke (*1942):
„Der russische Präsident hat sich lächerlich gemacht, aber ich verstehe dennoch nicht, warum wir so scharf reagieren und uns da hineinziehen lassen. Wir sollten aus diesem Anlass ein Gelächter anstimmen. Ich weiß nicht, wo unser Gespür für Humor geblieben ist“.
Soviel als historisch-politische Einführung in die jüdische Thematik, um die es im Folgenden geht. Ein Unterschied sei kurz erwähnt. In Polen wird der Antisemitismus, wo er auftritt, laut und aggressiv artikuliert, oft verbrämt mit ignoranten Behauptungen („Ghettos wurden von Juden erbaut“). In Russland äußert er sich eher leiser, oft mit Rückgriffen auf altrussische „Volksweisheiten“. Die tauchen mitunter sogar auf Transparenten zu „Siegesfeiern“ am 9. Mai auf, wenn Kinder in Uniformen der Roten Armee gesteckt werden. Das zeigt nebenstehendes Bild: „Schlage die Juden – Rette Russland!“ Die Parole weist in vier Wörtern drei Fehler aus, wie es für die primitive Natur von Antisemiten charakteristisch sein dürfte. Im übrigen heißt „Jude“ im literarischen Russisch „Evrej“, während „žid“ negativ konnotiert ist: „Žid choroš tol’ko v mogile“ (Gut ist der Jude nur im Grab). Oder „žid bez zubov kusaet“ (Der Jude beißt auch ohne Zähne) „židovskaja smola“ – jüdisches Pech (= Asphalt), „židovskaja korova“ – jüdische Kuh (Ziege).
Die Leichenfledderer von Sobibór, Belżec und Treblinka
Płuczka ist das polnische Wort für „Waschmaschine“ – oder für die Anlagen, mit denen Goldgräber ihre Funde ausspülen. Es ist wohl bewusst böse, wenn der polnische Buchautor Paweł Piotr Reszka (*1977, Bild) das Wort als Buchtitel nutzt und es über den Untertitel „Die Fledderer des jüdischen Goldes“ (Poszukiwacze żydowskiego złota) setzt. Mitte November 2019 erschien das Buch, das dokumentiert, wie südpolnische Dörfler jahrzehntelang „zu den Itzigs“ gingen: „Väter und Söhne, Nachbarn, Männer, Frauen und Kinder“ (Reszka) – gruben sie Leichen ehemaliger nationalsozialistischer Vernichtungslager Sobibór, Bełżec etc. aus, um Schmuckstücke, Geld, Zahngold und andere Wertsachen zu finden und zu rauben.
„Zukunft braucht Erinnerung“ (ZbE), vormals „Shoa.de“, hat sich schon früher mit Sobibór (27. Mai 2005) und anderen „Vernichtungslagern“ beschäftigt, die nur bedingt mit „Konzentrationslagern“ (abgekürzt offiziell KL, allgemein KZ) vergleichbar waren. In den KZs gab es „Effektenlager“, wo das Gepäck und die Wertsachen der Deportierten gelagert wurden. Dabei kamen enorme „Reichtümer“ zusammen, wie der inoffizielle Name „Kanada“ unter den Gefangenen suggerierte. Im „Stammlager“ des KZ Auschwitz standen mehrere Baracken von „Kanada I“, im Nebenlager Birkenau sogar 30 Baracken von „Kanada II“. In Vernichtungslagern gab es kein „Kanada“, denn in diesen führten die „Transporte“ direkt in die Gaskammern, also in den Tod.
Auch in KZs wurden die „Effekten“ der Deportierten untersucht, was aber relativ oberflächlich geschah; in Vernichtungslagern fand so gut wie keine Prüfung statt. Diese Lager bestanden nur kurze Zeit, von Anfang 1942 bis Ende 1943, sie dienten allein dem Zwecke, möglichst viele Juden zu töten (Sobibór 250.000, Bełżec ca. 470.000, Treblinka ca, 700.000, Chełmno (Kulmhof) ca. 300.000 etc.) Diese enormen Zahlen sowie die erwähnte Tatsache, dass in diesen Lagern nicht erst „gefilzt“, sondern gleich gemordet wurde, bilden den numerischen Hintergrund zu Reszkas Studie über die „Fledderer des jüdischen Goldes“.
Sobibór, Bełżec, südöstlich von Lublin gelegen, und Kulmhof (bei Łódż) sind Lager, die in der „Aktion Reinhard“ geplant und gebaut wurden, zur Rache für das Attentat auf Reinhard Heydrich (4. Juni 1942), Chef des „Reichssicherheitshauptamtes“ (RSHA) und inoffizieller „Herrscher“ über das „Protektorat Böhmen und Mähren“. Im Oktober 1943 wagten die Gefangenen von Sobibór einen Aufstand, den nur 47 überlebten. Selten versuchte jemand eine Flucht aus dem Lager, wenn sie ihm gelang, wurde er oft genug von Polen an die Deutschen verraten.
Oberster Bauleiter der Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“ war Richard Thomalla (1903 – vermutlich 1945) der Sobibór und teilweise Bełżec errichtete, später noch Treblinka, nordöstlich von Warschau am Eisenbahnknotenpunkt Malkinia gelegen. Dort wurden etwa 700.000 Juden getötet, mehr als in anderen Lagern. Solche Vernichtung war der einzige Zweck der Vernichtungslager, weswegen sie zumeist keine „Außenlager“ besaßen, also Filialen mit Arbeits- und Produktionsstätten. Nach Treblinka, Sobibór etc. kam man, um umgehend getötet zu werden; die wenigen „Funktionshäftling“ mussten die von den Gefangenen mitgebrachten Sachen verwalten.
Unter den Opfern von Treblinka war der weltberühmte Pädagoge und Autor Janusz Korczak (Henryk Goldszmit, 1878-1942, Bild), dessen Vermächtnis die „Internationale Janusz-Korczak-Gesellschaft“ (IJKG) betreut, zu der auch die „Deutsche Korczazk-Gesellschaft“ (DEKG) gehört. Mit Korczaks Kinderbüchern über „Król Maciuś“ (König Hänschen) sind alle Generationen Polen seit den 1920-er Jahren aufgewachsen. Legendär ist Korczaks Aktion, am (vermutlich) 7. August 1942, den Todesmarsch seiner Waisenkinder als fröhlichen Schulausflug aus dem Warschauer Ghetto – im Herbst 1940 als größtes seiner Art eingerichtet – mit Fahne und Kapelle, zu organisieren, damit die Kinder nichts von der grausamen Wirklichkeit merkten. Dabei hatten die Deutschen ihm als „Veteran“ des Ersten Weltkriegs angeboten, dem Abtransport nach Treblinka fernzubleiben. Details zu Treblinka s. „Zukunft braucht Erinnerung“ (ZbE. 27.03.2005).
Bełżec war das erste Lager der „Aktion Reinhard“ und auch das erste mit fest eingebauter Gaskammer. Inzwischen beklagen Teile der polnischen Medien „die komplette Ignoranz zur Thematik“ der Juden-Vernichtung, was man der nationalistischen Propaganda der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) anlastet. Danach präsentiert sich Polen „judenfrei, katholisch, soldatisch und männlich“. Weil der Holocaust in dieses Selbstporträt nicht passt, gibt es seit einigen Jahren kaum noch Schülerexkursionen nach Auschwitz, die Jugendgruppen dort sind alle ausländischer Provenienz.
Die „Reinhard“-Vernichtungslager wurden relativ früh wieder beseitigt. Ob sich die Urheber ihres Unternehmens schämten oder im Fortgang des Krieges Bahntransporte für militärische Zwecke benötigten, ist schwer zu sagen. Denkbar ist jedoch, dass der schwere Leichengeruch, der etwa von Treblinka ausging und den Zorn benachbarter deutscher Wehrmachtseinheiten erregte, nicht wirkungslos blieb. Tatsache ist, dass die getöteten Gefangen exhumiert und verbrannt wurden. Bis Mitte der 1950-er Jahre blieben die Lager unbeaufsichtigt, was die von Reszka geschilderten „Fleddereien“ bis in den 1980-er Jahren begünstigte. Wenn selten einmal jemand vor dem Richter stand, konnte er auf milde Strafen zählen. 1960 wurden vier Männer aus dem Nachbardorf Żlobek wegen Grabschändung angeklagt. Sie plädierten auf „unschuldig“, denn „an der Grabstätte gab es keinen Hinweis, dass das Ausgraben von Toten und ihr Fleddern verboten sei“.
Waren die Polen immer Opfer, nie Täter?
Seit zwei, drei Jahren begeht Polen am 24. März einen „Nationalen Tag der Erinnerung an jene Polen, die während der deutschen Besatzung Juden retteten“ (Narodowy Dzień Pamięci Polaków Ratujących Żydów), von dem der Historiker Jan Grabowski (*1962) rügte, er wurde „leider zur Farce“ (niestety staje się farsą). Grabowski ist einer jener furchtlosen polnischen Wissenschaftler, die nur zu gern an den Opfermythen ihres Landes rütteln. Ein Vorgänger von ihm war der Warschauer Jude Leon Harari (1912-2016), der 1926 – 1939 Korczaks Kinderzeitschrift „Mały Przegląd“ (Kleine Rundschau) redigierte und allen Mitgliedern der Internationalen Korczak-Gesellschaft ein bester Begriff war. Ich kannte ihn gut, habe ihn und seine (2001 verstorbene) Ehefrau Geula in die Kölner Funkhäuser geschleppt und bei mir zu Hause begrüßt. Harari war ein ungemein geistvoller und witziger Mann, der nur dann in Wut geriet, wenn Polen allzu sehr auf ihre historische Opferrolle pochten. Ich habe in der Korczak-Gesellschaft mehrfach erlebt, wie Polen und Israelis sich bis zu Tränenausbrüchen in die Haare gerieten, wenn z.B. von „Szmalcowniks“ die Rede war. Wir haben über diese in der ZbE berichtet (13. April 2005), jene polnischen Denunzianten, die Juden an die deutschen Besatzer auslieferten und dafür mit Schmalz belohnt wurden. Von daher stammt ihr böser Name, der Juden noch Jahrzehnte später aufbrachte und Polen zu Selbstmitleid provozierte. Von „Szmalcowniks“ hatten wir (anwesenden) Deutschen anfangs keine Ahnung, lernten aber rasch dazu. Einer unser Lehrmeister war Leon Harari, der auch später aus seinen Erfahrungen berichtete:
„Das Milieu, aus dem ich komme, war ein Milieu von Juden, die sich assimilieren wollten. Doch die polnische Gesellschaft wollte das nicht, hat uns nicht aufgenommen“.
Dabei blieb es nicht, wie Harari – einer der 400.000 Warschauer Juden, darunter 165.000 Kinder – aus eigener Erfahrung wusste:
„Der polnische Staat hat schon 1934, zu Anfang der Naziherrschaft in Deutschland, die antijüdischen Maßnahmen der Deutschen kopiert. Die Juden wurden finanziell ausgebeutet“.
Und anderes mehr, woran der neuerliche Gedenktag erinnern soll. Schaffung und Benennung dieses Tages dürften von der Inauguration des Titels „Righteous Among the Nations“ (deutsch „Gerechter unter den Völkern“) beeinflusst sein, womit Israel seit 1963 „non-Jews who risked their lives to save Jews during the Holocaust“ ehrt. Bis Anfang 2018 wurden knapp 27.000 Menschen aus 51 Ländern mit diesem Titel geehrt, die meisten (6.706) waren Polen, gefolgt von Niederländern (5.778), Franzosen (3.500), Ukrainern (2.573) etc. Polens Spitzenplatz in dieser Liste hätte die Polen zu würdevoller Bescheidenheit veranlassen sollen, zumal die Deutschen nur 616 „Gerechte“ aufboten. Aber die Polen scheinen mittlerweile auf Würde zu verzichten, wenn das polnische Verhältnis zu Juden zur Debatte steht.
Das musste 2008 erneut der (1947 in Warschau geborene, seit Ende der 1960-er Jahre in den USA lebende, Bild) Historiker Jan Tomasz Gross erfahren. Er hatte in seinem Buch „Złote żniwa“ (Goldene Ernten) die Fledderei jüdischer Holocaust-Opfer thematisiert, womit er in Polen eine große Aufregung auslöste. 1996 war Gross der polnische Verdienstorden verliehen worden, was viele später gern rückgängig gemacht hätten. Gross hatte 2001 in seinem Buch „Sąsiedzi“ (Nachbarn) dokumentiert, wie Polen am 10. Juli 1941 in dem ostpolnischen Örtchen Jedwabne 1.600 Juden ermordeten. Jedwabne lag in einer Region, die im Hitler-Stalin-Pakt 1939 der Sowjetunion zufiel, als diese von den Deutschen 1941 überfallen worden war, kam es unter deutsche Herrschaft. Den lokalen Polen wurde versichert, dass sie nicht bestraft würden, wenn sie an den „rassisch minderwertigen“ Juden Gewalttaten begingen, worauf es zu dem erwähnten Pogrom kam. 2016 hatte Gross in Deutschlandradio Kultur beklagt, dass die Polen nicht merken wollten, wie „im Krieg Heldentum, Brutalität und Kriminalität oft vermischt sind“. Das hatte er bereits 2001 am Beispiel Jedwabnes und der polnischen Selbstgerechtigkeit um dieses gerügt:
„Die Geschichte, wie sie heute über die polnisch-jüdischen Beziehungen im Zweiten Weltkrieg erzählt wurde, ist verlogen. Die Lüge besteht darin, dass sie in Polen noch gar nicht erzählt worden ist. Nehmen wir das Beispiel von Jedwabne: Über eintausendsechshundert Menschen wurden dort von ihren polnischen Nachbarn umgebracht, und fast 60 Jahre später gibt es immer noch keinen angemessenen Gedenkstein, der daran erinnern würde. Trotz eines Prozesses, der nach dem Krieg stattgefunden hat, wurde das Thema verdrängt und tabuisiert“.
Nota bene: Die Ausschreitungen von Jedwabne waren, wie erwähnt, von Polen begangen und von Deutschen angestiftet worden. Oder waren sie eine rein polnische Untat, vergleichbar anderen aus der Nachkriegszeit? Am 4. Juli 1946 kam es in der Universitätsstadt Kielce im Südosten Polens zu antijüdischen Ausschreitungen, bei denen 47 (von insgesamt 200) Juden ermordet wurden. Dabei skandierte der 2.000 Menschen starke polnische Mob eindeutige Parolen: „Tod den Juden“, „Vollenden wir das Werk Hitlers“ etc. Am 9. Juli 1946 standen zwölf Personen vor Gericht, neun wurden zum Tode verurteilt und am Abend des 12. Juli erschossen.
Die näheren Umstände von Kielce wurden nie gänzlich aufgeklärt, aber zutreffend ist, dass sie einen Exodus von Juden aus Polen auslösten. Vor dem Zweiten Weltkrieg beherbergte Polen eine der numerisch und prozentual größten jüdischen Gemeinden der Welt. 1921 zählte Polen, erst 1918 unabhängig geworden 27.176.717 Einwohner, darunter 2.845.364 (10,4%) Juden. Ab 1926 war Józef Piłsudski (1867-1935), „Marschall von Polen“ und beinharter Russenhasser, die dominierende Figur der polnischen Politik. Er merzte die aus der „Zarenzeit“ stammenden antijüdischen Gesetze aus, was der Demographie gut tat. 1931 hatte das Land 32.120.000 Einwohner mit 3.113.900 Juden (9,8%). Zum 31. August 1939 lebten in Polen 3.474.000 Juden, im Krieg kamen 2,7 Millionen Juden ums Leben, etwa 300.000 Juden überlebten.
In Ausgabe 3/2020 publizierte die russische AiF den Report „Das Blutbad von Kielce“ (Kel’cevskaja reznja) des Historikers Konstantin Kudrjašov (*1976). Seine Ausführungen sind zwar pointiert antipolnisch, aber erträglich. Manches ist korrekturbedürftig, etwa die Aussagen, dass „binnen weniger Monate 80.000 Juden das Land verließen“. Es waren mindestens doppelt so viele, etwa 180.000, die mehrheitlich in die US-Zone Westdeutschlands flohen, wo sie als „Displaced Persons“ (DPs) unterkamen. In Polen gab es 1967 noch 40.000 Juden, die der von Moskauer und Warschauer Stalinisten nach Israels siegreichem „Sechs-Tage-Krieg“ lancierte neue Antisemitismus traf. 1972 schätzte man die Zahl der Juden in Polen auf ca 15.000.
Und diese sind manchen noch zu viele, etwa dem Ex-Priester Jacek Międlar (*1989), der in Buch und Blog kruden Antisemitismus verbreitet: Broschüre „Der Anteil von Juden an der Judenvernichtung“, T-Shirts mit dem Aufdruck „Ich entschuldige mich nicht für Jedwabne“ (Bild) etc. Międlar ist ein Wirrkopf, der selbst der rechts-konservativen Regierungspartei PiS auf die Nerven geht. Da hat es die (umstrittene) Historikerin Ewa Kurek (*1951) besser, obwohl ihre Aussagen und Befunde hirnrissig sind. In ihrer ersten Ausgabe 2020 veröffentlichte die polnische Wochenzeitung „Angora“ ein Gespräch mit ihr, wobei der Interviewer sie auf Gross ansprach: „Gross behauptet, dass während des Krieges Polen mehr Juden als Deutsche töteten“. Ewa Kurek, „Erforscherin der polnisch-jüdischen Beziehungen“, nannte diese Aussage „verleumderisch, absurd, durch keine Quelle gestützt“. Dabei hatte Gross in seinem Radiointerview vom 18. Februar 2016 Klartext geredet:
„Es ist relativ einfach nachzurechnen, wie viele Deutsche von Polen während der deutschen Besatzung getötet wurden, 25.000 bis 30.000. Die Zahl der polnischen Juden, die von Polen getötet oder denunziert worden sind, ist um ein Vielfaches höher. (…) nach der Vernichtung der Gettos, dem Massenmord in den Vernichtungslagern, wo 200.000 bis 250.000 versuchten zu fliehen und sich unter der polnischen Bevölkerung zu verstecken, waren es Polen, die halfen bei der sogenannten »Judenjagd«, die häufig von den Deutschen organisiert, aber oft von der polnischen Bevölkerung unterstützt wurde. Nur 40.000 polnische Juden haben überlebt. Es sind viele Zehntausende, die zweifellos von Polen getötet wurden“.
Polen: Selbstbetrug und Eigentore
Gross galt als allpolnischer „Nestbeschmutzer“ und laut Umfragen waren 40 Prozent aller Polen überzeugt, es ginge ihm allein um antipolnische Verleumdung und fette Tantiemen. Eine „Lex Gross“ drohte jedem drei Jahre Gefängnis an, die „polnische Nation der Teilnahme, Organisation oder Verantwortung für kommunistische oder nationalsozialistische Verbrechen bezichtigt“. Das Gesetz wurde am 31. Januar 2018 verabschiedet, am 27. Juni 2018 wieder „entschärft“, nachdem es Polen im In- und Ausland nur Ärger und massive Kritik eingebracht hatte. Der israelische Premier Benjamin Netanyahu grollte: „Das Gesetz ist haltlos. Ich lehne es strikt ab“. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem sprach von einem „antidemokratischem Gesetz, dessen Ziel es ist, die Geschichte umzuschreiben“. Die USA drohten Polen mit möglichen „Auswirkungen auf die strategischen Interessen und Beziehungen Polens“. Selbst in Polen erntete die Regierung massiven Tadel. Polnische Juden rügten, das Gesetz beschränke „nicht nur die Redefreiheit, sondern führt vor allem zu einer Verfälschung der Geschichte“. Hundert Künstler und Politiker, unter ihnen Ex-Präsident A. Kwaśniewski und Ex-Außenminister R. Sikorski, die in einem Appell Änderungen des Gesetzes forderten.
Das offizielle Polen floh zunächst in die Schmollecke: Der israelische Bildungsminister Naftali Bennett durfte die Republik Polen nicht besuchen, „weil ich die Verbrechen ihres Volkes erwähnt habe“. Außenminister Jacek Czaputowicz klagte, sein Land sei ein Opfer von „Missverständnisse und Überinterpretationen“ und ähnliches mehr, was alles die gegenteilige Wirkung hatte. Die Welt vergaß die knapp siebentausend polnischen „Gerechten unter den Völkern“ und fragte sich, ob alle Polen gewissenlose Kriegsgewinnler seien. 61 (von 120) der israelischen Knesseth-Abgeordneten forderten eine Klage gegen Polen wegen „Leugnung des Holocaust“, und nahezu alle Parlamentarier äußerten sich gegen Polen, am härtesten Itzik Shmuli (*1980) von der (im Januar 2019 aufgelösten) „Zionistischen Union“:
„Die Polen und jene, die sie nachahmen wollen, sollen wissen, dass die historische Wahrheit über das jüdische Volk nicht zum Verkauf steht. (…) Viele Polen und viele sonstige haben gehört, gewusst und die Nazi-Maschinerie der Vernichtung unterstützt. (…) Polen derzeitiger Versuch, die Geschichte neu zu schreiben und den Überlebenden des Holocaust den Mund zu verbieten, ist eine schockierende Frechheit und eine Schurkerei. Wir lassen es nicht zu, dass Kollaborateure sich hinter Nazis verstecken und ihre historische Verantwortung abstreiten“.
Das war starker Toback, ähnlich dem Urteil des (erwähnten) Holocaust-Forschers Jan Grabowski (1962 in Warschau geboren, seit 1994 Hochschullehrer im kanadischen Ottawa), der den Polen eine Beteiligung an der Rettung von Juden absprach:
„Das polnische Volk hat niemanden gerettet. Es gab Ausnahmepersonen, die zu dem Schluss kamen, dass sie jemanden retten würden, auch wenn ihre Nachbarn das nicht wünschen. Die Hauptbedrohung für sie (die Juden, W.O.) kam nicht von den Deutschen, sondern von den polnischen Nachbarn. Falls es den Geretteten gelang, bis zum Eintreffen der Roten Armee zu überleben, dann beschworen die Retter die geretteten Juden: Ich flehe dich an, sage niemandem, wer dich verborgen hat“.
Nur etwas lockerer formuliert ist das giftiges Verdikt an die polnische Adresse, welches der polnische Historiker Piotr Osęka, (*1973) im März 2018 äußerte:
„Hier wird das Leid einer Nation gewissermaßen als Ressource behandelt. Es gibt Nationen, die haben zum Beispiel Erdöl, andere Völker haben Industrie, und wir Polen haben unser wunderbares Leid. (…) Ich sehe darin auch ein gewisses Bedürfnis, wenigstens auf einem Gebiet die Weltführung zu haben (…) Fest steht derzeit, dass kräftig in die nationalistische Trommel geschlagen wird und so eine Art Kampf gegen die ganze Welt geführt wird“.
Neu ist das alles nicht, vielmehr werden in Polen Stimmen lauter, die die Holocaust-Würdigung von KZs wie Auschwitz gern durch eine exklusive Würdigung polnischen Leids ersetzt sähen. Das bemerkte zuerst Gross, gegen den die Krakauer Staatsanwaltschaft schon vor Verabschiedung der „Lex-Gross“ Ermittlungen „wegen Verleumdung gegen die polnische Nation“ betrieb. Er hielt das Gesetz für „idiotisch“ und die Mehrheit der Polen für Selbstbetrüger:
„Es gab etliche Umfragen seit dem Jahr 2000 zu der Frage, wer im Krieg mehr gelitten hat, die Juden oder die Polen. Die große Mehrheit sagte, die Polen hätten mehr oder genauso gelitten wie die Juden. Dabei sind drei Millionen polnische Juden getötet worden“.
Auf wen bezog sich eigentlich die Strafandrohung der „Lex Gross“? Offenkundig nicht auf polnische Leichenfledderer, wie sie Piotr Reszka bitterböse charakterisiert:
„Jahrelang wurden jüdische Gräber beraubt. Man ging dorthin wie zur Arbeit, und wie über eine Arbeit redete man auch unter sich und mit den Nachkommen. Man grub allein oder in Gruppen, jeden Tag mit Ausnahme der Sonntage, an welchen man laut göttlichem Gebot auszuruhen hatte“.
Reszka hat in seinem Buch zahlreiche Aussagen von Polen wiedergegeben, die von keinerlei Schuldbewusstsein kündeten: „Polen haben Juden nichts getan, das waren die Kommunisten. – Zu den Grabfeldern zu gehen, sollte eine Sünde sein? Die waren doch schon tot, was schlimm war, aber doch keine Sünde. Es war auch keine Sünde, die Leichen zu durchsuchen und ihnen Geld wegzunehmen. Irgendwann waren sie Menschen, aber jetzt lebten sie nicht mehr“.
Reszkas Buch erschien am 15. November 2019, was er zuvor in „Rezerwacja“ ankündigte, des beliebtesten polnischen TV-Kulturmagazins, das die attraktive Katarzyna Janowska moderiert. Im Gespräch mit ihr redete der Autor nochmals Klartext:
„Die meisten Grabräuber deklarierten sich als Anhänger der Katholischen Kirche. Sie spürt nicht, dass das moralisch verwerflich wäre, denn diese Art von Leichenschändung war bis in die 70-er Jahre an der Tagesordnung. Meine Gesprächspartner präsentierten sich als Katholiken, gläubige Menschen. Eben darum haben sie sonntags nicht gegraben, denn der Sonntag ist ein heiliger Tag. Die Fledderer von jüdischem Gold hatten ihre Professionalität“.
Gross, Grabowski etc. gehören zu den “Pseudohistorikern“, die laut Ewa Kurek „die Welt mit Lügen füttern“, dafür noch vom polnischen Staat finanziert werden, bis „unsere Kinder und Enkeln in kommenden Jahrzehnten für Juden arbeiten werden“. Die PiS-Regierung weiß nicht, „wie sie mit allen jüdischen Beschuldigungen gegen Polen und die Polen zurechtkommen kann“. Ihre Aktivisten „lesen kaum Bücher, haben eine schlechte Bildung und verstehen absolut nichts von der Welt“. „Uns Polen wird weiterhin eine Pädagogik der Schande auferlegt, damit wir den Juden bereitwillig Entschädigungen zahlen. Aus Polen kommen historische Lügen zu der schrecklichen Rolle Polens und der Polen bei der Vernichtung der Juden (…) Wird es gelingen, den gefährlichen polnischen Wahnsinn aufzuhalten? Nur wenn wir konkrete Schritte unternehmen, historische Forschungen zu deblockieren und zu befreien“.
Ewa Kurek, „Chefideologin“ des neuen polnischen Antisemitismus
Mit dieser Forderung nach „Deblockierung“ der Forschung meint Ewa Kurek (Bild) wohl ihre eigenen „Werke“, die kein seriöser Wissenschaftler ernst nimmt. Darum hat sie schon vor Jahren heftig gegen Jan Tomasz Gross und sein Jedwabdne-Buch „Nachbarn“ von 2001 polemisiert. 2018 publizierte sie ihr Buch „Jedwabne – Anatomia kłamstwa“ (Anatomie einer Lüge), das bereits im Titel charakteristisch für ihr Schaffen ist. Wer immer ein objektives Wort über Juden in Polen äußert, verbreitet nach ihrer Ansicht „Märchen“ (bajka), „Unsinn“ (bzdura) etc. Mit ihren Tiraden spricht die Kurek nicht wenigen Polen aus der Seele, die ihr Lobesbriefe dieser Art senden: „Diese Dame ist für mich und Millionen Polen eine Nationalheldin“ (bohater narodowy).
Außerhalb Polens urteilt man anders: Als polnischer Nationalheld gilt hier der Offizier und Jurist Jan Karski (1914-2000), der im Zweiten Wettkrieg zweimal in das Ghetto Warschau und einmal in das Vernichtungslager Bełżec eindrang, dort die Lebensumstände der Gefangenen erkundete. Später ist er auf Umwegen nach Frankreich, England und die USA gelangt, wo er polnische Widerstandsführer und westliche Politiker, darunter Präsident Roosevelt, informierte. Darüber berichtete er am 27. Januar 1997 in der Kölner Synagoge, und diesen Bericht haben wir von ZbE aufgenommen und in vollem Wortlaut mit ausführlichen Kommentaren veröffentlicht (1.10. 2004).
Zum 75. Jahrestag von Karskis heroischer Mission wurde eine Medaille gefertigt (Bild), eine von vielen Erinnerungen an diesen Mann. In Polen, wohin er nach Kriegsende nicht zurückkehrte, dekorierte man ihn später mit den höchsten zivilen und militärischen Orden, noch zu seinen Lebzeiten wurde er Ehrenbürger Israels. Posthum verlieh ihm in seinem neuen Heimatland, den USA, Präsident Obama die „Medal of Freedom“ – und andere Auszeichnungen mehr, die dieser bescheidene Held nie gewollt oder gar verlangt hätte.
Im Jahr 2000 gründete in den USA das „Komitee für Polnisch-Jüdischen Dialog“ die „Foundation for Moral Courage“, die im selben Jahr ihren „Jan Karski Award“ stiftete. Den sollte 2018 die Polin Ewa Kurek bekommen, was das Komitee, die Freunde Karskis und seine Familie in Harnisch brachte: „Die Tätigkeit von Frau Kurek dient entschieden nicht dem Polnisch-Jüdischen Dialog, wie sie auch den Ansichten und Werten widerstrebt, die Jan Karski vertreten hat“. Darum erfüllte es die Kritiker auch mit „Genugtuung“ (satysfakcja), dass die Preisverleihung an die Kurek gestrichen wurde.
Etwas anderes wäre auch nicht vorstellbar, denn die Tätigkeit dieser Frau ist ein Armutszeugnis für Polen. Sie publizierte 2006 ihr Buch „Jenseits der Grenze der Solidarität“ (Poza granicą solidarności), im Untertitel „Polnisch-jüdische Beziehungen 1939 – 1945“. Am 20. August 2006 veröffentlichte die berühmte Zeitung „Gazeta Wyborcza“ unter der Überschrift „Kurek: Ghettos haben die Juden erbaut“ eine Besprechung des Buchs, verfasst von Paweł Piotr Reszka, der zu Beginn dieses Artikels erwähnt wurde, und dem ehemaligen Bürgerrechtler Jan Cywiński (*1956), deren Fassungslosigkeit ob des Zynismus der Kurek aus jeder Zeile deutlich ist. Die Juden, so die Kurek, „genossen die Autonomie und Isolation des Ghettos (…) sie hatten freie Sonnabende, jüdische Straßenbahnen, eine eigene Post, Polizei, Theater, Restaurants (…) Die Juden amüsierten (bawić) sich im Ghetto (…), weshalb sie offen sagten: Wir wollen keine Fraternisierung mit Polen“ (Nie chcemy zbratania z Polakami). Es gab im Ghetto sogar „jüdische Henker, aber darüber herrscht seit Jahrzehnten Grabesstille“.
Ihren antisemitischen Ausfällen setzte Ewa Kurek noch eine „Krone“ auf: Sie missbrauchte das Archiv „Oyneg Shabbat“ (Freude am Shabbat), das der Historiker Emanuel Ringelblum (1900-1944, Bild) in aller Akribie zusammengetragen und in Milchkannen aufbewahrt hatte, die nach Kriegsende gefunden wurden. Ringelblum war da mit seiner Familie bereits getötet worden, aber der größte Teil seines Archivs blieb erhalten
„Neben der Organisation von Hausgemeinschaften, Suppenküchen oder Kinderheimen zielte Ringelblum darauf ab, alles zu sammeln, was den grauenhaften Alltag der Juden im Getto und die Verbrechen ihrer deutschen Mörder zu dokumentieren wusste: Anordnungen, Befehle, Passierscheine, Arbeitsbescheinigungen, aber auch Untergrundzeitungen, Einladungen zu Konzerten und Vorträgen, Tagebücher, Briefe, Zeichnungen, Fotografien und nicht zuletzt zahllose Schreibhefte, in die Ringelblum und seine Helfer eintrugen, was Gettobewohner beobachtet hatten und hoffen konnten. Das begann bereits im November 1940, als das Getto von den Deutschen errichtet wurde“.
Davon findet sich bei Ewa Kurek kein Wort, dafür aber Befunde, die nur ihre Unwissenheit dokumentieren. „Die 1492 aus Spanien, Portugal und Deutschland vertriebenen Juden gingen nach Polen“. Die damals allein aus Spanien vertriebenen Juden flüchteten sich ins Osmanische Imperium, die Türkei, die den ganzen Balkan und Teile Nordafrikas umfasste. Dort lebten diese „Iberer“ (Sepharden) oder „špan’olis“ so sicher, dass ihre Sprachkonvention „Judezmo“ oder „Judeo-Espanol“, vom mittelalterliche Kastilianisch abgeleitet, in den Balkanstaaten bis zur Gegenwart erhalten blieb, hat – mit exakt 17.847 Wörtern, wie der akribische Linguist und Historiker Isaac Moscona (1904-1985) in einem „Diccionario Judeo-Expanol“ nachwies. Auf der (breiten) kastilianischen Basis sammelten sich türkische, griechische, italienische, deutsche, bulgarische etc. Wörter, die sich in Liedern, Sprichwörtern etc. zu einem wunderbaren Potpourri verbanden: „En la meza del rey una pogacha enamora“ (Am Tisch des Königs schmeckt sogar ein Brotkanten süß). Erstaunlich viele dieser „juden-spanischen“ Ausdrücke hört man bis heute im Serbokroatischen, Makedonischen usw., aber nirgendwo findet sich eine polnische Spur: Weil, entgegen Frau Kureks kühnen Behauptungen, keine Polen auf den Balkan und keine Sepharden nach Polen kamen! Ewa Kurek stellt das ganz anders dar, wie man aus ihren Artikeln und Interviews der letzten Jahre und Monate herauslesen kann:
„Israel wurde von polnischen Juden erbaut. In Israel ist kein Polnisch mehr zu hören, Zweitsprache wurde in den letzten 30 Jahren Russisch. Russen kauften sich für 300 Dollar jüdische Geburtszeugnisse und überschwemmten seit etwa 1990 dieses kleine Land (= Israel, W.O.). Vor 100 Jahren sprachen 85 Prozent der polnischen Juden kein Polnisch und haben sich niemals mit dem polnischen Staat identifiziert. Der Verlust des eigenen Staates (= Polen, W.O) und die Freude der Juden, dass sie nun unter anderen Regimes leben würden, waren der Moment, an dem die Wege der Polen und der Juden auseinander gingen. Durch ihr Verhalten überzeugten schon Ende des 18. Jahrhunderts die Juden unsere Vorfahren, dass sie im eigenen Land offene Feinde Polens und der Polen haben. Die Juden sind seit Jahrhunderten fasziniert von den Deutschen, sie möchten es ihnen gleichtun. Heute regieren in Israel Juden, die mental in der russischen Zivilisation auf gewachsen sind“.
Ewa Kurek verbreitet im Grunde immer dieselben Tiraden gegen Juden und Israel. In Polen hat sie, wie weiter oben bereits erwähnt, ihre „Fangemeinde“, die ihr noch gute Ratschläge erteilt: Sie solle darauf achten, dass Polen von Deutschland endlich Reparationen für alle von ihm angerichteten Schäden bekommt. Frühere deutsche Reparationen an Polen hat die UdSSR geraubt, und jetzt merkt man in Polen, wie recht Frau Kurek mit ihrer Warnung hatte: „Żydzi chcą od nas coraz więcej“ (Die Juden verlangen immer mehr von uns).
Autor: Wolf Oschlies