Zur Frage, warum die Hohenzollern auch hundert Jahre nach ihrer Abdankung ihren ehemaligen Untertanen Grund zur Scham bieten (1)
Im Herbst 2019 hat ein – sonst eher vernachlässigtes – Problem nicht nur das Feuilleton der überregionalen Tages- und Wochenzeitungen, sondern sogar die Satiresendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschäftigt: die Rolle des ehemaligen deutschen Kronprinzen Wilhelm v. Preußen im Zusammenhang mit der NS-Zeit. (2)
Profaner Ausgangspunkt ist, wie so oft im Leben, das schnöde Geld (genauer gesagt, handelt es sich um sog. Ausgleichsleistungen bzw. um die Rückgabe beweglicher Sachen). Denn insgesamt (über die aktuelle mediale Berichterstattung hinaus) geht es um relativ viel Vermögen, dessen rechtliche Zuordnung und tatsächliche Nutzung streitig sind.
Die Familie des ehemaligen deutschen Kaisers gehörte, zumindest vor 1914/18, zu den reichsten Familien im Deutschen Reich. Ein Grund z. B. für den besonders ausgeprägten Grundbesitz im 16. Jahrhundert war der Übertritt des Kurfürsten Joachim II. zum protestantischen Glauben, da auf einen Schlag das bisherige Grundvermögen der katholischen Kirche (Klerus) in der Mark Brandenburg größtenteils auf den damaligen brandenburgischen Landesherrn überging (Säkularisierung), das mittels sog. Krondomänen verwaltet wurde (die Unterscheidung zwischen Privat- und Staatseigentum hat sich erst im Laufe vieler Jahrhunderte herausgebildet).
Nur als Hinweis, wie einige der großen Vermögen in Deutschland überhaupt zustande gekommen sind, selten durch ehrliche Arbeit. Wollte man im Hinblick auf die aktuellen Verfahren eine genaue Herkunftsforschung (Provenienz) betreiben, dann viel Vergnügen! Ob es für jeden Erwerbsvorgang noch eine Rechnung gibt?
Von den zahlreichen staatsrechtlichen und politischen Veränderungen bzw. Neuordnungen nach 1918, 1933, 1945/49 und 1990 nahezu unbeeindruckt, hat bei einem Teil des ehemaligen deutschen Hochadels ein Relikt aus längst vergangener Zeit scheinbar unverändert überdauert: ein Gefühl der Überlegenheit. (3)
Wieweit aber auch Behörden, Gerichte oder gar das geltende Recht diesem Überlegenheitsgefühl heute noch Vorschub leisten, kann im Rahmen der aktuellen Debatte um Ausgleichszahlungen (Entschädigung) und Rückgabe für nach dem Zweiten Weltkrieg enteigneten Immobilienbesitz, aber auch für Kunstgegenstände und Buchsammlungen etc. beispielhaft nachgeprüft werden.
Aber wegen der Brisanz vor allem der politischen Hintergründe möchte man nicht wirklich in der Haut der Mitarbeiter der zuständigen Landes- und Bundesämter zur Regelung offener Vermögensfragen bzw. der Richter beim Verwaltungsgericht Potsdam stecken.
Der Anspruchsteller, der aktuelle Chef des Hauses Preußen (in Abgrenzung zu den Hohenzollern insgesamt und auch zum historischen Begriff Brandenburg-Preußen) ein gewisser Prinz Georg Friedrich v. Preußen, laut geltendem bürgerlichen Namensrecht wäre korrekter: Georg Friedrich Prinz v. Preußen, versucht nun schon seit Jahren, diverse Eigentums- und Nutzungsrechte bzw. deren Surrogate vor staatlichen Behörden und Gerichten geltend zu machen bzw. einzuklagen. (4) Teils hat er aber auch bloß bereits anhängige Verfahren weitergeführt; zu den juristischen Komplikationen siehe im Weiteren.
Daher kann man die aktuelle Aufregung auch nicht auf alle Angehörigen der ehemals kaiserlichen Familie übertragen; in der teils überhitzten Berichterstattung wird immer von „dem Hohenzollernstreit“ oder der „Kontroverse um die Hohenzollern“ gesprochen. Im Mittelpunkt stehen allein der Anspruchsteller und hauptsächlich die Ansprüche in Bezug auf Vermögenswerte, die nach 1945 durch die sowjetische Besatzungsmacht im „Beitrittsgebiet“ (also die ehemalige DDR, nicht aber Gebiete jenseits von „Oder und Neiße“ bzw. das ehemalige Ostpreußen: diese Klarstellung ist im Hinblick auf das auch im Ausland geweckte Interesse am „Hohenzollernstreit“ angeraten) entschädigungslos enteignet worden waren.
Sofern sich für die geltend gemachten Forderungen des Prinzen einschlägige Anspruchsgrundlagen finden lassen, ist dies sein gutes Recht, zumindest aber kein Grund für gewisse „Satiriker“, in Gehässigkeit und Häme zu verfallen. Allenfalls ist zu fragen, ob nicht die Rechtslage überprüft und gegebenenfalls geändert werden muss.
Aber, und das ist nun einmal der springende Punkt, es müssen tatsächlich begründbare Ansprüche vorhanden sein! Anderenfalls entsteht der Eindruck, der Anspruchsteller und Kläger wolle sich auf Kosten Dritter bereichern oder wenigstens, er sei ein Prozess- und Streithansel.
„Dritte“ sind in diesem Kontext entweder der sog. „Fiskus“ (hier wäre der Plural angebracht, da mehrere Bundesländer beteiligt sind), denn in den maßgeblichen Grundbüchern, die z. B. für die jeweiligen Immobilien gelten, ist die „öffentliche Hand“ bzw. sind öffentliche Institutionen eingetragen, oder aber das deutsche Volk als „Rechtsbegriff“ in dem Sinne, dass nämlich das Staatsvolk die Nation repräsentiert, das sich durch die jeweiligen Körperschaften vertreten lässt. (Prinzip der Repräsentation als Bestandteil der Demokratie im materiellen Sinne).
Früher war es der Monarch, der die Staatsgewalt (oberste Autorität) repräsentierte. Dies hat sich bekanntlich seit dem 9. November 1918 entscheidend geändert! Spätestens jetzt dürfte klar sein, dass es eigentlich im Wesentlichen um „Jura“ geht, was in der herrschenden Debatte oft unterzugehen droht. Es geht um die Klärung von Rechtsfragen, nicht um die Deutungshoheit im geschichtspolitischen Diskurs.
Die Diskussion um das Verhältnis „der Hohenzollern“ zum Nationalsozialismus, bzw. welche Rolle der ehemalige Kronprinz am politischen Erfolg der NSDAP (Hitler) hatte, an einem Rechtsstreit zu entfachen, birgt für beide Wissenschaften (der vom Recht und der Geschichte) gewisse Risiken.
Hier soll das Gesetz (und die Rechtsordnung) in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden. Denn für die aktuelle Diskussion um Vermögenswerte im „Beitrittsgebiet“ ist letztlich eine Bestimmung im sog. „Ausgleichsleistungsgesetz“ vom 27.09.1994 in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Dort heißt es in § 1 Abs. 4: „Leistungen nach diesem Gesetz werden nicht gewährt, wenn der nach den Absätzen 1 und 2 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, oder das enteignete Unternehmen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen, in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht oder dem nationalsozialistischen oder dem kommunistischen System in der sowjetisch besetzten Zone oder in der Deutschen Demokratischen Republik erheblichen Vorschub geleistet hat.“
Spätestens jetzt wird der größte Teil juristischer Laien „das Buch zumachen“ und wahrscheinlich leicht frustriert denken, wer hat denn solche Gesetze gemacht? Einfache Antwort: der Deutsche Bundestag (mit Zustimmung des Bundesrates). (5) Zur Verantwortung der Politik insgesamt siehe im weiteren Text.
Filtert man den maßgeblichen Passus im Gesetz in Bezug auf den ehemaligen Kronprinzen heraus, geht es um den springenden Punkt: Hat der älteste Sohn des letzten Kaisers dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet? Genau darauf fokussiert sich auch das mediale Interesse und vor allen Dingen auch die wissenschaftliche Diskussion der beteiligten Historiker.
Bevor aber dieser Frage unter juristischen Aspekten (also gerade nicht unter zeitgeschichtlichen) die notwendige Beachtung zuteilwerden soll, gilt es sowohl für die Verwaltungsverfahren, aber noch dringender für eventuell anstehende Prozesse etliche Vorfragen anzusprechen. Eine verbindliche Klärung dieser Vorfragen obliegt aber den Behörden und Gerichten, die mit einzelnen Details oder auch dem Gesamtkomplex von Berufs wegen beschäftigt sind.
Jetzt soll hier kein lehrbuchartiges Rechtsgutachten vorgelegt werden. Aber einige – aus Sicht des Verfassers – „pikante“ Punkte verdienen es, hervorgehoben zu werden.
I) Ob der in den aktuellen Vermögensfragen besonders aktive Prinz Georg Friedrich überhaupt forderungs- und klageberechtigt ist (sog. Aktivlegitimation), hängt als Zulässigkeitsvoraussetzung davon ab, ob er (entweder allein oder als Bevollmächtigter z. B. für eine Erbengemeinschaft) verfahrensrechtlich wirksam handeln kann. Fehlt ihm z. B. die rechtlich notwendige Inhaberschaft der geltend gemachten Forderungen, könnte er höchstens im Rahmen einer „Geschäftsführung“ handeln. Dann wäre zunächst zu klären, ob er eigene oder im Wesentlichen fremde Ansprüche verfolgt (eventuell im Wege einer Prozessstandschaft)?
Zweifelhaft kann dies nämlich dann sein, wenn seine Stellung als Rechtsnachfolger umstritten wäre, genauer gesagt: als alleiniger Rechtsnachfolger! Ausgehend von den Blutsbanden ist die Abstammung des Anspruchstellers vom letzten Kaiser und damit auch vom ehemaligen Kronprinzen ohne jeden Zweifel. Doch war sein Großvater, der ehemalige Chef des Hauses Preußen, der 1994 verstorbene Louis Ferdinand Prinz v. Preußen, der gemäß bis dahin tradierter Gepflogenheiten noch als kaiserliche Hoheit angesprochen werden konnte, beim Erbfall 1951 (Tod seines Vaters, des ehemaligen Kronprinzen) auch rechtmäßig der Alleinerbe des ehemals kaiserlichen Vermögens?
Diesen besonderen Fragen erbrechtlicher Natur kommt bei der Familie v. Preußen nicht nur rein vermögensrechtliche Bedeutung zu, sondern es werden ganz grundsätzliche Entwicklungen in der deutschen Rechtsordnung berührt. Sowohl nach 1918 als auch nach 1949 haben sich die maßgeblichen Vorschriften, aber auch Rechtsansichten derart geändert, dass sich dies gravierend auf die Rechtstellung der Angehörigen der ehemaligen Kaiserfamilie ausgewirkt hat oder zumindest hätte auswirken müssen. Dies wird bei der aktuellen Debatte zu wenig berücksichtigt.
1) Auswirkungen der ab 1919/1920 neugeschaffenen Rechtsordnung auf die Rechtsverhältnisse im Hause Hohenzollern:
Auf Reichsebene wurden in der Weimarer Verfassung vom August 1919 einige Vorschriften eingeführt, die bis dahin im deutschen Verfassungsrecht unbekannt waren, sieht man von der eher theoretischen Natur der „Paulskirchenverfassung“ von 1849 ab. Besonders hervorzuheben ist natürlich Artikel 109 der Weimarer Verfassung, weil mit diesem Artikel beginnend, die Grundrechte im umfassenden Sinne erstmals Verfassungsrang erhielten und die zuvor im ersten Teil der neuen Verfassung, der das sog. Staatsorganisationsrecht regelte, aufgenommenen Rechts- und Staatsprinzipien der demokratischen Republik fortgesetzt und Individualrechte festgelegt wurden.
Nunmehr galt, dass alle Deutschen vor dem Gesetz gleich waren, s. Absatz 1 (im heutigen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes gilt dies sogar als Menschenrecht) und zumindest grundsätzlich war Geschlechtergleichheit vorgesehen, Absatz 2. Und in Art. 109 Abs. 3 wurde unmissverständlich festgelegt, dass „öffentlich-rechtliche“ Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes aufzuheben waren und Adelsbezeichnungen nur noch als Namensbestandteil galten. Um Spitzfindigkeiten vorzubeugen: „Privatrechtliche“ Vorrechte der Geburt oder des Standes sind im 19. Jahrhundert immer mehr eingeschränkt worden und zumindest seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) im Jahre 1900 wurden diese im Familien- und Erbrecht teils noch anzutreffenden Vorrechte nur noch übergangsweise geduldet, s. Einführungsgesetz zum BGB. (6)
Aus der Aufhebung bisheriger Vorrechte des Adels folgte dann die Vorschrift in Artikel 155 Abs. 2 S. 2 der Weimarer Verfassung, nach der sog. Fideikommisse aufzulösen waren (s. im Folgenden).
Auf der Ebene des nach 1918 neu konstituierten Freistaates Preußen sind folgende Vorschriften maßgeblich: In der Verfassung vom 30.11.1920 wurde in Artikel 82 Abs. 1 bestimmt, dass alle Befugnisse, die nach den früheren Gesetzen, Verordnungen und Verträgen dem König zustanden, auf das Staatsministerium, also die preußische Regierung, übergingen.
Bereits am 23.06.1920 wurde von der preußischen Landesversammlung (Landtag) ein Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen erlassen.
Hauptzweck war zunächst die Angleichung an das Reichsrecht (der Weimarer Verfassung), so dass zunächst alle auf dem öffentlichen Rechte Preußens beruhenden Vorrechte des bisherigen Adelsstandes ersatzlos aufgehoben wurden.
Dann wurden in § 1 Abs. 2 dieses Aufhebungsgesetzes etliche besonders hervorstechende Privilegien, z. B. auch die Steuerbefreiung, namentlich als aufgehoben gekennzeichnet. Auf dem Gebiet des Erb- und Familienrechts kommt der Nr. 10 besondere Bedeutung zu. Danach war aufgehoben:
„das auf Grund Haus- oder Landesrechts in den Häusern der vormaligen Landes- und Standesherren etwa noch bestehende besondere Ehescheidungs-, Entmündigungs- und Vormundschaftsrecht sowie das besondere Recht der Eheschließung, namentlich auch soweit es Nachteile an eine den Ebenbürtigkeitsbegriffen des Hausrechts nicht entsprechende Eheschließung knüpft.“
Dieses besondere Recht der Eheschließung inkl. der Ebenbürtigkeitsklauseln wird später noch eine nicht ganz unerhebliche Rolle spielen. Als Frist für die Aufhebung der bisherigen „Hausvermögen“, soweit in Preußen belegen, wurde der 1. April 1923 bestimmt, anderenfalls war vom Staat eine Zwangsauflösung vorgesehen. Soweit alles (aus der Sicht der Novemberrevolution und des Umsturzes) folgerichtig und konsequent, außer dass in § 5 die „Familienmitglieder des Mannesstamms (Agnaten)“ bevorzugt wurden.
Dieses Gesetz v. 23.06.1920 umfasste 41 Paragrafen; allein der letzte bestand aus 79 Nummern (hieran sieht man nicht nur Umfang, sondern auch Bedeutung, die der Entmachtung des Adels beigemessen wurde). In § 41 wurden noch einmal dezidiert die einzelnen bis dahin geltenden Vorrechte des preußischen Adels, nicht nur der Hohenzollern, angesprochen. Dies führt zu folgenden Anmerkungen:
Bis zum Sturz der Monarchie hatten die vormals regierenden Familien des Hochadels, nicht nur in Preußen, gleichsam ein eigenes Rechtssystem, das außerhalb der „bürgerlichen Ordnung“ stand. Die für die Fürstenhäuser geltenden Regeln wurden in sog. „Hausgesetzen“ u.ä. festgelegt, dabei war jede Familie autonom in der Ausgestaltung ihrer eigenen Ordnung.
Weitere Details zum (ehemals) öffentlich-rechtlichen Charakter des Hochadels und den daraus resultierenden Rechtsfolgen können an dieser Stelle nicht vertieft werden; nur ein Hinweis soll genügen: Die bis zur Abdankung Ende 1918 in Deutschland regierenden Monarchien haben ausnahmslos das „Erstgeburtsrecht“ auf den Mannesstamm beschränkt. Ein „Weibererbrecht“ und somit auch weibliche Thronfolge war strikt ausgeschlossen. Teilweise wird zur Begründung für diese Eigenart auf Rechtsvorstellungen des Frühmittelalters verwiesen, z. B. im fränkischen Volksrecht, doch ist die Überlieferung der einschlägigen Vorschriften zum Erbrecht von Frauen eher uneinheitlich. Diese „Uneinheitlichkeit“ hat sich dann im weiteren Verlauf auch im Lehensrecht niedergeschlagen, so konnte die Tochter von Kaiser Karl VI., Maria Theresia, die große Gegenspielerin Friedrichs des Großen, zwar Erzherzogin von Österreich werden, aber selbst nicht Kaiserin, lediglich als Ehefrau von Kaiser Franz Stephan.
Versteht man diese Hausgesetze als Grundordnungen des Hochadels (eine Art spezielles Verfassungsrecht), mussten diese auch in der Praxis umgesetzt, gleichsam mit Leben gefüllt werden; eine praktische Umsetzung war die Errichtung sog. Familienfideikommisse, mit denen vermögensrechtliche Aspekte geregelt werden sollten. Das „Fideikommiss“ bezeichnete eine besondere Vermögensmasse, die durch Rechtsgeschäft (Vertrag) gebildet wurde, um sicherzustellen, dass diese auf Dauer verbunden und damit vorhanden blieb, insbesondere nicht veräußert werden sollte. Der langfristige Erhalt eines Vermögens stand im Vordergrund. In der Variante des Familien-Fideikommiss bedeutete dies, dass im Erbfall keine Aufteilung erfolgen durfte.
Daher war notwendig, dass es im Zweifel nur einen Alleinerben geben durfte, der das Familienvermögen zusammenhalten sollte. (7) Insbesondere bei Grundstücken sollte eine Zersplitterung vermieden werden, was vor allem bei landwirtschaftlichen Nutzflächen sehr sinnvoll gewesen ist. (8)
Obwohl die lateinische Bezeichnung „fidei commissum“ (in Treue anvertraut) auf eine Verwurzelung im Römischen Recht hindeutet, hat diese vermögensrechtliche Konstruktion im deutschen Recht eigene Voraussetzungen und Auswirkungen angenommen. (9) Vor allem, weil es im Hochadel dazu genutzt wurde, das bereits oben erwähnte Prinzip der „Primogenitur“ gleichsam verfassungsrechtlich zu verankern. Diese merkwürdige Regelung zur Thronfolge gilt heute noch zum Teil in den katholischen Monarchien, im Gegensatz zu den aufgeschlosseneren Königshäusern in Nordwest- und Nordeuropa.
Auf die Familie des letzten Kaisers übertragen, bedeutet dies: Das sog. Preußische Hausgesetz, eine eigene juristische Konstruktion für die Gewährung, aber auch den Entzug der Rechtsstellung von Angehörigen des Hauses Hohenzollern, war als Rechtsgrundlage für die vermögensrechtliche Ausgestaltung ihres Familienvermögens nur bis zum Ende der Monarchie in Kraft; sieht man von Übergangsregelungen und Fristen ab.
Doch bis zum Ende der Monarchie konnte das Hausgesetz nicht umgesetzt werden, ohne Beachtung der tradierten Rechtsvorstellungen in der königlichen Familie. Hierzu zählte insbesondere das Prinzip der sog. „Primogenitur“ (Erstgeburtsrecht) sowohl für die Frage der Thronfolge als auch für die Sondererbfolge in das königliche Vermögen. Das eine konnte nicht ohne das andere gedacht bzw. in der Praxis angewandt werden (eine besondere Form der Akzessorietät).
Seit Beginn ihres historischen Nachweises wurde im Hause Hohenzollern die Thronfolge mit allen damit verbundenen Rechtsbeziehungen ausschließlich im Mannesstamme vererbt. Hatte der jeweilige König von Preußen keine (legitimen) Söhne, fiel die Königswürde dem zum Zeitpunkt des Erbfalls jüngeren Bruder oder dessen Söhnen zu (Beispiele: Thronfolge von Friedrich II. auf Friedrich Wilhelm II. im Jahr 1786 und von Friedrich Wilhelm IV. auf Wilhelm I. im Jahre 1861). Zwingende Voraussetzung war aber in jedem Fall, dass der künftige Thronfolger in standesgemäßer Ehe gezeugt war bzw. selbst ebenbürtig verheiratet gewesen ist.
Zur vermögensrechtlichen Seite kann noch angemerkt werden, dass selbst in der preußischen Monarchie die Konstruktion der Fideikommisse als unzeitgemäß betrachtet wurde, s. Art. 40 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850; große Ausnahme: die Hohenzollern selbst, Art. 41 der Verfassung von 1850. In diesem Punkt kam dann auch das o.g. Hausgesetz ins Spiel.
All dies war nun mit den tiefgreifenden verfassungsrechtlichen Änderungen 1919/20 obsolet geworden! Sowohl das „Erstgeburtsrecht“ in der Thronfolge war ohne Monarchie hinfällig als auch die Vorschriften zur Ebenbürtigkeit von Eheschließungen, um die Anwartschaft auf die Thronfolge aufrechtzuerhalten, waren von Verfassungswegen aufgehoben bzw. rechtswidrig. Wegen der o.g. inneren Abhängigkeit von Hausgesetz und Familienfideikommiss teilte das Hohenzollernsche Vermögensrecht das Schicksal des Preußischen Hausgesetzes. In diesem Punkt bestimmte Art. 81 der Preußischen Verfassung 1920 lediglich deklaratorisch, dass die Verfassungsurkunde von 1850 aufgehoben war und bisherige Gesetze nur in Kraft blieben, soweit diese nicht der neuen Verfassung entgegenstanden.
Dieser Artikel 81 stellt rechtssystematisch eine typische „Derogation“ dar: Bei völlig unbefangener Betrachtung ist der Schluss zwingend, dass das jahrhundertealte Sondererbrecht der Hohenzollern seit dem staats- und verfassungsrechtlichen Umbruch im November 1918 nicht mehr anwendbar war.
Zwischenergebnis:
Alle Vorrechte, die der Adel, insbesondere das regierende Haus der Hohenzollern, bis 1918 entweder durch formelle Gesetze u.ä. oder kraft traditionsbildender Gewohnheit innehatten, waren mit dem politischen Umsturz außer Kraft. Die über Jahrhunderte gepflegten Grundlagen des Adelsstandes waren aufgehoben, was insbesondere auch den Grundsatz der Ebenbürtigkeit betraf. Dieser konnte zwar sogar den Untergang des Alten Reiches 1806 überdauern, da er in der Bundesakte von 1815 wieder aufgenommen wurde, siehe Art. XIV Buchstabe a) der Bundesakte v. 8.06.1815. Aber infolge der grundlegenden Umgestaltung der Verfassungsordnung ab Ende 1918 hatten sich auch die Rechtsgrundlagen für die Fürstenhäuser einschneidend geändert.
Den Anhängern der Monarchie bzw. des monarchischen Systems mag dies bitter aufgestoßen sein, jedoch darf nicht übersehen werden, dass der Erste Weltkrieg in Bezug auf die europäischen Monarchien und Fürstenhäuser noch gravierendere Auswirkungen hatte als die Französische Revolution. Unabhängig von der ausgeprägten Rückständigkeit des zaristischen Russlands: Die Ermordung der Romanows im Sommer 1918 einschließlich der deutschstämmigen Zarin aber war ein barbarischer Akt von Lenins Schlächtern, doch in Revolutionszeiten nicht ganz ungewöhnlich und folgte historischen Vorbildern. Insoweit blieben die Angehörigen des Hochadels der Mittelmächte trotz militärischer Niederlage und teils gravierender politischer Umwälzungen in der Mitte Europas vom Äußersten verschont!
Welche konkreten Auswirkungen haben sich aber nun ab 1919 tatsächlich für die abgedankten Fürstenhäuser ergeben? Im Gegensatz zur gestürzten Donaumonarchie gab es in Deutschland keine umfassende Enteignung, den vormals regierenden Häusern blieb das harte Schicksal des Hauses Habsburg-Lothringen erspart. (10)
Erste Enteignungen kleinerer Fürstentümer, siehe den instruktiven Fall von Sachsen-Coburg u. Gotha, fanden unter starker Gegenwehr der Beteiligten statt und wurden sogar gerichtlich überprüft und aufgehoben.
In Bayern fand man dagegen einen Kompromiss, der im Ergebnis allen Seiten das Gesicht wahrte und bis heute ohne öffentliche Stimmungsmache anhält. Nicht zu vergessen: Die Traumschlösser des „Märchenkönigs“ sind heute nicht nur Sympathieträger und für den Tourismus und den bayrischen Finanzminister eine stets sprudelnde Einnahmequelle, sondern wurden letztlich 1871 mit preußischem Geld bezahlt! Daher kann man (lässt man die unrühmliche Figur des Ex-Kronprinzen Rupprecht außen vor) ohne zu übertreiben sagen: Bayern hat alles richtig gemacht (was sich auch am entspannten Umgang bayrischer Kommunal- und Landespolitiker mit den Wittelsbachern zeigt, Franz von Bayern ist nicht nur als Kunstmäzen im Freistaat beliebt).
Und in Preußen? Der Deutsche Kaiser und preußische König hatte am 29. Oktober 1918 seine Stellung in der Hauptstadt im Stich lassen, um im „Großen Hauptquartier“ im belgischen Spa unterzutauchen. Im Ergebnis hat Wilhelm II. damit alle Familienbande verraten, er und kurz danach auch sein ältester Sohn haben ihre Ehefrauen und die restliche Familie sich selbst überlassen. Es war ja kein Zufall, dass gerade unter den Anhängern erzkonservativer bis zu rechtsextremen Parteien und Gruppierungen die Hohenzollern im November 1918 einen enormen Ansehensverlust erlitten hatten. Geradezu rührend, wie der spätere Reichspräsident v. Hindenburg in der Anfangszeit der Weimarer Republik versuchte, seinen ehemaligen „Obersten Kriegsherren“ in Schutz zu nehmen.
Von diesen eher emotionalen Verwerfungen abgesehen, blieben ja auch noch ganz andere juristische Fragen bedeutsam. Wie hätten die neuen Regierungen im Deutschen Reich, aber auch auf Landesebene, reagiert, hätten die Siegermächte, spätestens im Rahmen der Pariser Friedenskonferenzen, das Eigentum ihrer ehemaligen Feinde einfach eingezogen? Wer hätte in Versailles die Hohenzollern oder in St. Germain die Habsburger verteidigen sollen, welcher „Lohengrin“ wäre ihnen zur Seite gesprungen? Einfache Antwort auf diese leicht provokante Frage: niemand!
Die Sieger, allen voran die rachsüchtigen und teils extrem materialistischen Franzosen (wie der damalige Finanzminister Louis-Lucien Klotz) hätten keine Gegenwehr befürchten müssen, hätten sie das Gesamtvermögen der Hohenzollern einkassiert – wie auch immer das in der Realität abgelaufen wäre. (11) Genauso hätte auch ein Vorschlag der deutschen Verhandlungsdelegation im Frühjahr 1919 dahin gehen können, zumindest die Nutzungsrechte am Vermögen der Hohenzollern als Abschlag auf künftige Reparationen anzubieten.
Von diesen verpassten Möglichkeiten abgesehen, blieb die Frage der künftigen Behandlung der vermögensrechtlichen Situation gerade der Hohenzollern ein Dauerthema in der deutschen Nachkriegspolitik.
Je länger eine endgültige Lösung andauerte oder aber bereits gefundene Regelungen wieder zurückgenommen werden mussten, kochte das Thema gerade in der zweiten Hälft der 1920er Jahre immer wieder hoch. Die insbesondere von der radikalen Linken vehement geforderte „Fürstenenteignung“ wurde ein dauerndes Wahlkampfthema: in Preußen und im Reich. Juristisch interessant war hierbei die Forderung nach einer entschädigungslosen Enteignung, was auf den ersten Blick Art. 153 Abs. 2 der Weimarer Verfassung widersprochen hätte. Allerdings hätte durch Reichsgesetz auch eine „radikalere“ Lösung der Enteignungsfrage gefunden werden können.
Auf dem Hintergrund der 1926 gestarteten Initiative zu einem entsprechenden Volksbegehren bzw. Volksentscheid entwickelte sich ein wahres Politikum, auf das hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Schließlich scheiterten sowohl die plebiszitären als auch die parlamentarischen Versuche, ob nun mit oder ohne (angemessene) Entschädigung, das politische wie gesellschaftliche Thema der zahlreichen Streitfragen zu den Fürstenvermögen bzw. -abfindungen umfassend abzuhandeln.
Daher blieb für den Freistaat Preußen scheinbar nur noch eine Kompromisslösung, sprich ein Vergleich auf vertraglicher Basis. Im Herbst 1926 wurde das bisherige Gesamtvermögen der Hohenzollern aufgeteilt und damit zum Teil in öffentliches Vermögen überführt, zum Teil den Hohenzollern (in ihren unterschiedlichen Zweigen) belassen (sog. Vermögensauseinandersetzungsvertrag). (12) Nur aus Gründen des Gesetzesvorbehalts wurden diese vertraglichen Regelungen durch das „Gesetz über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staat und den Mitgliedern des vormals regierenden Preußischen Königshauses“ am 20. Oktober 1926 formell verabschiedet. Inwieweit hierbei alle unterschiedlichen Vermögenswerte auch tatsächlich erfasst bzw. deren Zuordnung zweifelsfrei geklärt wurde, kann hier nicht mit Bestimmtheit gesagt werden; gegebenenfalls müsste dies in den aktuellen Verfahren genauer geklärt werden (z. B. einzelne Kunstschätze).
Ob sich die zivile Regierung im Herbst 1926 über den Tisch hat ziehen lassen oder aber die Hohenzollern geschickt die Zeit für sich arbeiten ließen, wird man unterschiedlich bewerten können. Festgehalten werden kann zumindest zweierlei: Aufgrund der spät gefundenen Vertragslösung verblieb den Hohenzollern tatsächlich eine Menge ihres alten Vermögens, so dass erst diese „gütliche Einigung“ überhaupt zu der jetzt (immer noch) aktuellen Frage nach Ausgleichsansprüchen führt; ohne Einlenken der damaligen Politiker hätten die Hohenzollern kein wirklich stichhaltiges Argument gehabt, ihr Vermögen zu wahren.
Denn wäre z. B. zum Jahreswechsel 1918/19, also zu einem Zeitpunkt, an dem „rein politisch“ betrachtet, noch alles offen gewesen ist, eine sofortige und entschädigungslose Enteignung durchgeführt worden (entweder aufgrund entsprechender Forderungen der Siegermächte oder infolge der revolutionären Ereignisse), hätte niemand nur den kleinen Finger zugunsten der Hohenzollern gerührt; auch die erst im August 1919 in Kraft getretene neue Reichsverfassung hätte in diesen abgeschlossenen Tatbestand nicht mehr eingreifen können, ohne schwere innenpolitische Zerwürfnisse heraufzubeschwören!
Nennen wir es daher eine glückliche Fügung, dass den Hohenzollern über ihr politisches Ende hinaus noch ein stattliches Vermögen offenstand, doch wie ging es damit weiter?
Solange der ehemalige Kaiser noch lebte, stellte sich die Frage der Auswirkungen, die die neue Rechtslage mit sich brachte, nicht unmittelbar. Zwar hatte Wilhelm II. in seinem niederländischen Exil keinen direkten Zugriff auf das in Deutschland verbliebene Vermögen, außer natürlich, was ihm z. B. noch sein ehemaliger Hofstaat aus Berlin unmittelbar nach Holland schickte, die Million, die er von der neuen Regierung noch Ende 1918 überwiesen bekommen hatte und vor allem die mindestens 62 (!) Eisenbahnwaggons mit „persönlicher Habe“, die in den Jahren 1919/20 sein Exil erreichten. (13) Und der ehemalige Kronprinz hatte erst wieder Zugriff auf das alte Vermögen, nachdem er auf Vermittlung durch Stresemann Ende 1923 nach Deutschland zurückkehren durfte.
Dennoch hatten die verfassungsrechtlichen Änderungen sowohl für das preußische Hausgesetz als auch die bisherigen vermögensrechtlichen Sonderbestimmungen gravierende Auswirkungen: Der öffentlich-rechtliche Charakter des Hausgesetzes war erloschen und das bisherige Familienfideikommiss war in der traditionellen Fassung nicht mehr haltbar. Primogenitur und die antiquierten Bestimmungen zur Ebenbürtigkeit waren fortan rechtswidrig. Hat das aber die Hohenzollern in der Realität interessiert? Erste Prüfung war das Privatleben des ältesten Enkelsohnes Wilhelms II.: der 1906 geborene Prinz Wilhelm (sehr originell: Großvater, Kronprinz und dessen Erstgeborener tragen alle denselben ersten Vornamen).
Theoretisch hätte eigentlich schon die zweite Eheschließung Wilhelms II. Ende 1922 die erste Gelegenheit zur Anwendung der neuen Rechtsmaßstäbe sein müssen, s. hierzu aber weiter unten.
Der junge Prinz Wilhelm hatte 1933 eine Frau geheiratet, die nach traditionellen Maßstäben nicht ebenbürtig gewesen ist, und er ist diese Eheschließung im Wissen um den „Makel“ eingegangen. Aus dieser zivilrechtlich wirksamen Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Auf die Heirat reagierte die Familie überaus eigenartig: Vom Großvater diktatorisch bestimmt, wurde die Ehe nach dem alten Hausgesetz als nicht ebenbürtig eingestuft. Prinz Wilhelm musste daher auf sein ursprüngliches Erstgeborenenrecht und damit auf eine mögliche Thronfolge verzichten (was aber zum einen nach 1918 juristisch obsolet geworden war und zum anderen nach dem 30.01.1933 ohnehin rein illusorisch wurde) und seine erbrechtliche Stellung aufgeben.
Die Einwilligung in die Enterbung bedeutete für ihn, aber noch mehr für seine ehelichen Kinder, den Verzicht auf eine gleichberechtigte Erbenstellung. Ganz freiwillig ist diese „Familienangelegenheit“ sicher nicht abgelaufen, doch hat der enterbte Prinz bedauerlicherweise keine Gelegenheit mehr zur Anfechtung o.ä. gehabt, da er im Mai 1940 mit knapp 34 Jahren an der „Westfront“ als Wehrmachtssoldat den von ihm geforderten Blutzoll entrichtete.
Bekanntlich starb Wilhelm II. im Jahr darauf und wurde von seinem erstgeborenen Sohn (dem ehemaligen Kronprinzen) beerbt. Sofern diese Stellung als Alleinerbe noch auf den alten Vorschriften gemäß des Hausgesetzes und anderer Vorschriften, die nach 1918 nicht mehr anwendbar waren, beruhte, handelt es sich streng genommen um eine rechtliche Benachteiligung der anderen Kinder Wilhelms II.
An dieser Stelle ergibt sich nun ein Spannungsverhältnis zwischen der Testierfreiheit, die in Art. 152 – 154 der Weimarer Verfassung mit umfasst wurde, wonach jeder Erblasser seine letztwilligen Verfügungen individuell treffen konnte, und der allgemeinen Rechtsordnung. Letztwillige Verfügungen dürfen genauso wie andere rechtsgeschäftliche Bestimmungen nicht dem geltenden Recht widersprechen. Erbrechtliche Regelungen der Hohenzollern aus der Zeit vor 1918, aber auch neue Abmachungen danach durften nicht gegen die Vorschriften verstoßen, die zum Zeitpunkt des jeweiligen Erbfalls in Kraft waren.
Soweit die mit dem jungen Prinzen Wilhelm anlässlich seiner missbilligten Heirat geschlossenen Absprachen auf den alten Rechtsvorstellungen der preußischen Hausgesetze etc. beruhten, waren diese kraft Derogation aufgehoben. Aber selbst wenn nach 1918 auf privatrechtlicher Grundlage Verfügungen von Todes wegen (Testament, Erbvertrag usw.) vorgenommen wurden, ist deren juristischer Bestand unter folgender Maßgabe höchst zweifelhaft: Waren solche Verträge mit den anderen Angehörigen des Hauses von Preußen lediglich Umgehungstatbestände, mit denen die rechtlich unwirksamen Vorschriften des alten Hausgesetzes (Primogenitur und Ebenbürtigkeit) gleichsam „durch die Hintertür“ wiederbelebt werden sollten, liegt ein klarer Rechtsverstoß vor: § 134 des BGB! „Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“
Auf die feinsinnige Unterscheidung zwischen Rechtsverstoß und (bloßer) Gesetzesumgehung soll hier verzichtet werden, hierzu müssten auf jeden Fall die tatsächlichen Vertragsgestaltungen, die die Hohenzollern damals gewählt haben, näher betrachtet werden; aber bei dem hinlänglich bekannten „Starrsinn“ Wilhelms II. würde es sicher nicht verwundern, wenn die damaligen Vertragsgestaltungen schon dem Wortlaut nach der geltenden Rechtslage widersprochen hätten und daher nichtig waren. Dann käme es unter Umständen darauf an, ob die Nichtigkeit die gesamte Erbfolge oder nur Teile davon betroffen hat.
Ob darüber hinaus auch ein Verstoß gegen § 117 BGB vorliegt oder aus Sicht der Erben des jungen Prinzen Wilhelm eine Anfechtung des Erbverzichts ihres Vaters möglich gewesen wäre, kann bei diesem zeitlichen Abstand nicht seriös behandelt werden. Aber nimmt man die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB ernst, dann käme möglicherweise das ganz normale Erbrecht des BGB zum Tragen, also eine (recht große) Erbengemeinschaft!
Doch selbst wenn man unterstellt, dass der Erbfall von 1941 (Wilhelm II.) noch legal gemäß der tradierten Rechtsvorstellungen der Hohenzollern liquidiert wurde, wie sieht die Rechtslage beim nächsten Erbfall aus, dem seligen Dahinscheiden des ehemaligen Kronprinzen im Jahre 1951?
Der ehemalige Kronprinz hatte seine Alleinerbenstellung privatrechtlichen Verfügungen zu verdanken, die aus heutiger Sicht nicht mehr dem Billigkeitsgefühl (die „aequitas“ aus dem Römischen Recht hat sich bis heute zumindest in Ansätzen erhalten) zu entsprechen scheinen. Zu einer weiteren Besonderheit, die aus dem Grundsatz von „Treu und Glauben“ abgeleitet werden kann, siehe unten. Doch solange niemand seine Rechtsstellung anzweifelte oder gar gerichtlich überprüfen ließ, konnte er im Besitz der Erbschaft bleiben – bis zu seinem Tod.
2) Auswirkungen durch das Grundgesetz 1949
Noch stärker als die Weimarer Verfassung hat das Grundgesetz eine Werteordnung postuliert, die sich strikt an der Geltung der Grundrechte orientiert. Diese haben nicht mehr nur die klassische Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat bzw. staatliche Eingriffe, sondern gelten auch (teils) bis in kleinste Details des Zivilrechts, also der Rechtsbeziehungen unter den Bürgern selbst. In den Mittelpunkt der juristischen Betrachtung rückt nun die deutlich erweiterte Fassung des Art. 3 GG.
Noch deutlich stärker betont als 1919 erhält die Gleichberechtigung der Geschlechter Verfassungsrang (Abs. 2) und in Art. 3 Abs. 3 GG, der eine anschauliche Aufzählung von Diskriminierungsverboten enthält, sind neben dem Geschlecht auch die Abstammung und Herkunft als Differenzierungsmerkmale unzulässig.
Dies wird auf europarechtlicher Ebene in der Charta der Grundrechte bestätigt und zum Gemeinschaftsrecht: Artikel 21 Abs. 1 der Grundrechtecharta verbietet eine Diskriminierung wegen der Geburt! Was bedeutet dies nun für die privatrechtlichen Absprachen bei den Hohenzollern zum Kriterium der Ebenbürtigkeit einer Eheschließung? Noch mehr als zur Zeit der Weimarer Republik sind Absprachen, die eine Bevorzugung einer bestimmten Abstammung (reiner Stammbaum) privilegieren und umgedreht, andere Abstammungen als minderwertig benachteiligen, von Verfassungs wegen verboten!
Zwar hat es unmittelbar nach Inkrafttreten des Grundgesetzes noch zahlreiche Abweichungen auf dem Gebiet der Geschlechtergleichstellung gegeben, die erst ab 1957 behoben wurden. Wenn aber ein derart politisch wie historisch bedeutsames Konstrukt wie die erbrechtlichen Regelungen im Hause der Hohenzollern gegen die Verfassung verstößt, kann dies nicht auch noch 70 Jahre nach Erlass des Grundgesetzes aufrechterhalten werden. (14)
Somit wäre es zumindest ein Gebot der Redlichkeit, die Erbfolge im Jahre 1951, durch die der zweitälteste Sohn des ehemaligen Kronprinzen zum Alleinerben wurde und damit die anderen Abkömmlinge des Erblassers verdrängte, zu überprüfen. Jedoch ist das Kapitel der eigenartigen Verfügungen von Todes wegen im Hause der Hohenzollern damit keineswegs abgeschlossen, da Louis Ferdinand Prinz v. Preußen diese unselige Tradition der Enterbung bei missbilligter Eheschließung seiner Söhne fortgesetzt hat und zwar gleich zweimal! Die beiden ältesten Söhne von Prinz Louis Ferdinand, Friedrich Wilhelm und Michael v. Preußen, folgten dem Beispiel des enterbten Kaiserenkels und ehelichten ebenfalls die „falschen“ Frauen, was beiden den Makel der „Erbunwürdigkeit“ einbrachte.
Erst der drittälteste Sohn, Vater des Anspruchstellers, heiratete eine Frau, die das Kriterium der Ebenbürtigkeit erfüllte, sie kam aus dem richtigen Stall (zumindest nach den Grundsätzen der alten Hausverfassung).
Die älteren Brüder, aber auch die ältere Schwester des Vaters des jetzigen Chefs des Hauses und Anspruchstellers wurden noch in den 1970er Jahren von der Erbfolge ausgeschlossen, weil entweder eine unstandesgemäße Heirat oder aber das falsche Geschlecht vorgelegen haben.
Im Ergebnis führten alle Enterbungen (des jungen Prinzen Wilhelm, der ältesten Söhne von Prinz Louis Ferdinand und aller Töchter) dazu, dass ihre gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen werden sollte, was auch für deren Kinder gelten würde. Für die Erbfälle unter der Geltung des Grundgesetzes, 1951 (Kronprinz) und 1994 (Prinz Louis Ferdinand), stellte sich daher die entscheidende Frage, ob die zu diesen Zeitpunkten innerhalb der Familie getroffenen Regelungen rechtskonform und damit wirksam waren. Wird dies verneint, käme die gesetzliche Erbfolge laut BGB in Betracht, insbesondere die Vorschriften zur Erbengemeinschaft!
Dieses grundsätzliche Problem hat die höchsten Gerichte Deutschlands bereits ausgiebig beschäftigt, da die in der Erbfolge übergangenen Söhne des 1994 verstorbenen Prinzen Louis Ferdinand beim Nachlassgericht am Stammsitz der Hohenzollern (Hechingen) einen Erbschein zu ihren Gunsten beantragten und somit die privatrechtlichen Bestimmungen zugunsten des Vaters des jetzigen Anspruchstellers anfochten: Den Bundesgerichtshof (BGH) im Jahre 1998 (15) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 2004. (16)
Jetzt würde es den Rahmen dieses Beitrages und die Geduld juristischer Laien überstrapazieren, hier näher auf das gesamte Verfahren einzugehen; daher sollen nur die Ergebnisse interessieren.
Das Verfahren um die Erteilung eines wirksamen Erbscheins hat mehrere Instanzen in Anspruch genommen, die Positionen innerhalb der Hohenzollern waren höchst unterschiedlich, so dass schließlich der Rechtsstreit beim BGH landete. Dieser konnte aus prozessrechtlichen Gründen keine Entscheidung fällen und verwies die Sache ans Landgericht zurück (insbesondere weil die Frage der Ebenbürtigkeit nicht ausreichend geprüft worden sei, so dass noch tatsächliche Feststellungen getroffen werden mussten).
Aber das Sahnehäubchen in der BGH-Entscheidung ist folgender Passus: „Ein Erblasser, dem aus Gründen der Familientradition am Rang seiner Familie nach den Anschauungen des Adels liegt, kann für seinen von der Herkunft der Familie geprägten Nachlass letztwillig wirksam anordnen, dass von seinen Abkömmlingen derjenige nicht sein alleiniger Nacherbe werden kann, der nicht aus einer ebenbürtigen Ehe stammt oder in einer nicht ebenbürtigen Ehe lebt (sog. Erbunfähigkeitsklausel).“
Die höchsten Zivilrichter Deutschlands haben sich noch im Jahre 1998 als verkappte Monarchisten erwiesen, weil sie offenkundig dem Geltungsdrang eines einzelnen mehr Bedeutung beigemessen haben als der Verfassungsordnung, die nach dem Sturz der Monarchie schon 80 Jahre lang andere Grundsätze postulierte.
Doch der Merkwürdigkeiten noch nicht genug, hatte das Landgericht, an welches das Verfahren zurückverwiesen wurde, im weiteren Verlauf ein Rechtsgutachten eingeholt, mit dem die Frage der Ebenbürtigkeit der Ehefrau des in der Erbfolge übergangenen Onkels des heutigen Anspruchstellers geprüft und verneint wurde. Im Jahr 2000 wurden Standesfragen aus dem Mittelalter aufgeworfen und einer Frau als Makel angekreidet!
Erst Karlsruhe (BVerfG) hat dem skurrilen Treiben ein Ende bereitet, indem es die Grundrechte aus Art. 6 und 3 GG betonte und der Verfassungsbeschwerde stattgegeben hat, weil es den Verfassungsverstoß in den angegriffenen Entscheidungen der vorherigen Instanzen vor allem in der Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit (Art. 6 Abs. 1 GG) erblickte. Es war nicht das erste Mal, dass das Bundesverfassungsgericht den BGH, das höchste deutsche Zivilgericht, (nicht den Gesetzgeber oder die Verwaltung!) zurückpfeifen musste.
Nebenbei: Das Bundesministerium der Justiz und das Justizministerium Baden-Württemberg haben von einer Stellungnahme in Karlsruhe abgesehen (man wollte sich wohl nicht die Finger verbrennen).
Zwischenergebnis:
Nimmt man die im Grundgesetz postulierte Werteordnung ernst, kann ein auf verfassungswidrigen Vorstellungen beruhendes Sondererbrecht der Hohenzollern nicht (mehr) zur Anwendung kommen, insoweit muss dann halt die Testierfreiheit zurücktreten. Sofern auch keine geltungserhaltende Teilreduktion greift, setzt sich das gesetzliche Erbrecht des BGB durch: Der heutige Anspruchsteller ist nicht der einzige rechtmäßige Erbe des Hohenzollernvermögens.
II) Aber selbst wenn man dem Anspruchsteller die Stellung als Alleinerben bzw. die Befugnis zubilligt, die erhobenen Ansprüche auch wirksam geltend machen zu dürfen, fragt sich, ob die vorgebrachten Anspruchsgrundlagen auch tatsächlich durchgesetzt werden können.
Dagegen kann z. B. das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung sprechen, wodurch mögliche Ansprüche vernichtet würden.
1) Ähnlich wie beim Rechtsinstitut der sog. Verwirkung, gibt es gewohnheitsrechtlich anerkannte Gegenansprüche bzw. Einreden/Einwendungen, die zur Folge haben, dass ein ursprünglich vorhandener Anspruch erlöscht. Letztlich geht es um bestimmte Ausprägungen des Prinzips von Treu und Glauben, das insbesondere in § 242 BGB zivilrechtlich verankert ist.
Hier käme z. B. der Einwand der sog. Exceptio doli (Einrede der Arglist) gestützt auf den römisch-rechtlichen Grundsatz, dolo agit (facit), qui petit, quod statim redditurus est (arglistig handelt, wer etwas verlangt, was er augenblicklich wieder zurückgeben muss) in Betracht.
Modern übersetzt, könnte man dem Anspruchsteller entgegenhalten, er verhalte sich unfair. Er verlangt die Herausgabe von Gegenständen oder aber die Kompensation von vorenthaltener Nutzung bestimmter Rechte, für die über Jahrzehnte die „öffentliche Hand“ die Kosten getragen hat. Wie wurde in den bisherigen Verhandlungen das Thema der „Verrechnung“ notwendiger Kosten des laufenden Unterhalts oder der Instandhaltung oder gar Renovierung/Sanierung von Wertgegenständen behandelt? Selbst die Kosten einfacher Reinigung von Gemälden oder anderen Kunstgegenständen kann über 70 Jahre in Summe ein kleines Vermögen ausmachen.
2) Doch noch viel deutlicher wird das Verbot unzulässiger Rechtsausübung, unterzieht man das Verhalten des letzten Kaisers einer kritischen Würdigung; und zwar nach Kriterien, die dem Weltbild bzw. der Gedankenwelt Wilhelms II. entsprochen haben.
Jetzt möge jeder Leser selbst urteilen, ob bereits die Flucht vor der Verantwortung, die Wilhelm II. am 29.10.1918, als er völlig überstürzt nicht nur Teile seiner Familie, insbesondere die Kaiserin, sondern auch das politische Berlin verlassen hatte, um zu seiner über alles geliebten Obersten Heeresleitung ins völkerrechtswidrig besetzte belgische Spa „abzureisen“, unter Beweis stellte, eher als eine politische Verlegenheit oder aber schon als Feigheit zu werten ist.
Legt man als Referenz Friedrich II. zugrunde, fällt die Antwort unzweideutig aus; gleiches gilt dann auch für die spätere Exilierung Richtung Holland. Eine fast identische Fluchtroute wählte auch der (ehemalige) Kronprinz. Das Motiv war klar: Beide wollten sich der Verantwortung in Deutschland und der „Siegerjustiz“ entziehen. (17)
Kennt man die spätere Entwicklung, insbesondere die einschlägigen Vorschriften im Versailler Vertrag und die hasserfüllte Stimmung der wichtigsten Politiker in Frankreich, so kann man diese „Absetzbewegungen“ sogar nachvollziehen. Aber aus Sicht der wirklich entscheidenden Stunden des 9. und 10. November 1918 ändert dies nichts am Tatbestand der Fahnenflucht, ja sogar der Feigheit vor dem Feind.
Bis dahin wäre das Urteil jedes deutschen Kriegsgerichts eindeutig gewesen. Nach dem militärischen Zusammenbruch im November 1918 galten aber die bisherigen Vorschriften des Militärstrafrechts nichts mehr. Die Flucht von Kaiser und Kronprinz blieb daher ungesühnt: Das Andenken des alten Fritz war aber mit Unehre besudelt!
Dem Sieger in den Schlachten bei Roßbach und Leuthen (in den Augen vieler Zeitgenossen, der Kämpfer für die evangelische Sache), der später mit dem Kartoffelanbau die Ernährung und die gesamte Landwirtschaft in Deutschland bis heute geprägt und der als erster Monarch der Schulbildung seiner Landeskinder generelle Bedeutung beigemessen hat und der aus rationalen Gründen für religiöse Toleranz eintrat; das sind nur einige der objektiv bleibenden Verdienste Friedrichs des Großen. Und die Leistungen seiner späten Nachfahren im 20. Jahrhundert? (18)
Wer an dieser Stelle einwendet, was sollen denn diese „ollen Kamellen“, der sei auf folgenden einfachen Zusammenhang verwiesen: Die traditionelle Berücksichtigung von Anstand, Ehre und auch „Moral“ waren in der Gedankenwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts (zumindest in Deutschland), zutiefst verankert, vor allem aber im regierenden Haus der Hohenzollern und dem preußischen Offizierskorps extrem ausgeprägt.
Schon von Reichskanzler Bismarck ist bekannt, dass er das Amt des preußischen Ministerpräsidenten 1862 mit dem Impetus übernommen hatte, er als kurbrandenburgischer Vasall habe der Bitte seines Lehnsherrn folgen müssen. Gut, jetzt waren 1862 praktisch keine lehnsrechtlichen Bindungen mehr vorhanden, zumal in Ostelbien sich das Junkertum doch auffällig von den früheren Lehen unterschied. Aber klar war trotzdem, was Bismarck antrieb, als er den äußerst unpopulären Job übernahm: preußisches Pflichtgefühl. Ob er, zumindest teilweise damit übertrieben hat, braucht hier nicht entschieden werden. Fest steht, dass Bismarck die Ansicht vertrat, es sei Pflicht jedes preußischen Offiziers, das Leben für König und Vaterland einzusetzen und der König selbst sei der erste Offizier im Lande. Bei Wilhelm I. war sich Bismarck sicher, dass dies zuträfe; bei dessen Enkel und späteren Thronfolger hatte der Eiserne Kanzler gewisse Bedenken, die sich im Frühjahr 1890 zum offenen Konflikt steigerten. Dies mag aus heutiger Sicht alles sehr antiquiert wirken, aber man muss die damals herrschenden Umstände kennen und berücksichtigen, um eine objektive Einschätzung abgeben zu können.
Auch Wilhelm II. hat sehr oft auf die „traditionelle Gesellschaftsordnung“ Bezug genommen. Selbst als der Weltkrieg praktisch schon verloren war, nur er und sein engstes Gefolge dies noch nicht wahrhaben wollten, rekurrierte der Kaiser auf Vorstellungen und „Weltbilder“, die tief im Mittelalter verwurzelt gewesen sind.
Nach seinem eigenen Wertekanon hätte der flüchtige Kaiser nicht nur staatsrechtlich abdanken müssen, was ja auch mit bekannten Verzögerungen erfolgte, sondern vielmehr auch und ganz besonders jedes dynastischen Vorranges und Anspruches entsagen müssen. Das hätte dann durchschlagende Auswirkung auf die bis heute andauernde Problematik zum Erbrecht und den vermögensrechtlichen Ansprüchen des Hauses Preußen.
Vergleicht man das Verhalten Wilhelms II. unter tradierten Gesichtspunkten des sog. Lehnsrechts, kann ihm der Vorwurf der „Felonie“ (Treuebruch) des Lehnsherrn nicht erspart bleiben, wodurch gerade im Hochmittelalter nicht nur alle Eide hinfällig wurden, sondern der treubrüchige Lehnsherr auch seine sachenrechtliche (dingliche) Stellung verlor. Wie gesagt, das waren Rechtsvorstellungen, die 800 Jahre und älter sind.
Doch wer so vehement auf sein Gottesgnadentum bestand, wie der letzte Kaiser, muss sich an derlei Maßstäben messen lassen, sonst verliert er vollends jede Glaubwürdigkeit. Von der Frage fehlender Demut einmal ganz abgesehen!
Inwieweit sich letztere Eigenschaften „vererbt“ haben, braucht ebenfalls nicht hier entschieden zu werden, aber als rechtshistorischer Leckerbissen können vorstehende Gedanken den kritischen Leser anregen.
3) Eine ganz andere Wendung würde die „Hauspolitik“ der Hohenzollern erhalten, käme in Person des letzten Kaisers auch noch der Verdacht auf, seine Heirat Ende Februar 1881 hätte selbst den Makel, nicht „standesgemäß“ gewesen zu sein, sprich: ein Verstoß gegen das eigene Standesrecht? Sowohl die „bessere“ preußische Hofgesellschaft und zunächst auch Kaiser Wilhelm I. empfanden die Wahl des jungen Prinzen seinerzeit als unpassend, da die Familie der Herzogstochter Auguste Viktoria Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg als nicht ebenbürtig galt (durch eine bürgerliche Urgroßmutter und eine Großmutter, die „nur“ eine Gräfin war). (19) Scheinbar hat ein Umdenken (oder juristische Auslegung) zugunsten des späteren Kaisers dazu geführt, die Eheschließung mit Auguste Viktoria und somit auch die Geburt der Kinder Wilhelms II. als ebenbürtig anzuerkennen. Anderenfalls wäre der letzte Kronprinz selbst ohne „Erstgeburtsrecht“, sprich Anspruch auf Thronfolge gewesen!
Da dieser Beitrag (auch) gegen eine Verherrlichung des sog. „Geblütsrechts“ (20) gedacht ist, es sollten vielmehr Leistung und die menschliche Intelligenz (heute selten genug anzutreffen), kein abgehobenes Standesdenken zählen, soll dieser möglicherweise wunde Punkt in der Lebensgeschichte des letzten Kaisers nicht vertieft werden. Insbesondere auch, weil man der letzten Kaiserin Auguste Viktoria Unrecht tun würde, da sie sich bei ihren Untertanen, vor allem im Raum Berlin, großer Beliebtheit erfreuen durfte (im deutlichen Gegensatz zu ihrem Gatten).
Daher konnte auch eine gewisse Verwunderung aufkommen, als die Öffentlichkeit erfuhr, dass sich der ehemalige Kaiser bereits knapp anderthalb Jahre nach dem Tode von Kaiserin Auguste Viktoria erneut vermählte (November 1922).
Auch das ist zwar zunächst Privatsache, doch in Bezug auf die traditionelle Anschauung zur Frage der Ebenbürtigkeit der neuen Ehefrau kommt man durchaus zu einem juristisch interessanten Befund: Hermine v. Schoenaich-Carolath war zwar als Tochter des ehemaligen Fürsten Heinrich von Reuß (ältere Linie) geboren worden, somit aus einem damals regierenden Haus (das Fürstentum „Reuß“ war eines der vielen Kleinstaaten im heutigen Thüringen, Residenz war die „Weltstadt“ Greiz, umfasste ca. 316 qkm Fläche und keine 73.000 Einwohner) und gehörte tatsächlich dem Reichsfürstenstand an (somit zum formalen Hochadel), behielt sie aber auch ihre hochwohlgeborene Stellung als sie 1907 das erste Mal heiratete?
Ihr erster Ehemann aus dem Adelsgeschlecht v. Schoenaich-Carolath gehörte zwar dem Landadel in der Niederlausitz an, doch schon der Doppelname deutet darauf, dass die Aufnahme in den „Reichsgrafenstand“ im Wege der Nobilitierung erst relativ spät (im frühen 18. Jahrhundert) erfolgte. Sie zählten nur zur sog. „Dritten Abteilung“ im Gothaischen Genealogischen Handbuch (das bis heute existiert), was zur Folge hatte, dass Familien aus der Dritten Abteilung nicht der Ebenbürtigkeit der Geschlechter aus der Ersten Abteilung entsprachen. Das hatte zur Folge, dass die geborene Hermine v. Reuß ä. L. durch die Heirat mit Johann Georg v. Schoenaich-Carolath 1907 eine standesmäßige Abwertung hinnehmen musste (von der Ersten in die Dritte Abteilung).
Auch das wird vielen Lesern wenig sagen, doch legt man die traditionelle familienrechtliche Vorstellung zugrunde, dass eine Tochter mit Verheiratung aus dem väterlichen Familienverband ausschied und in die Familie des Ehemannes wechselte, übernahm sie auch dessen gesellschaftliche und standesrechtliche Stellung; genau das war die Vorstellungswelt und auch Lebenswirklichkeit des Adels bis weit ins 20. Jahrhundert. (21)
Die zweite Ehefrau Wilhelms II. verlor mit ihrer ersten Vermählung ihre Geburtsrechte, die aus der Zugehörigkeit zu einer fürstlichen Familie (Reuß ältere Linie), die als souveräne Herrschaft sogar zum Norddeutschen Bund von 1867 zählte, resultierten. Im Vergleich dazu besaßen die Schoenaich-Carolaths nur einige Ländereien. Diese Standesabsenkung entsprach der mittelalterlichen Rechtsidee von „der ärgeren Hand“, durch die die betroffenen Frauen grundsätzlich benachteiligt wurden.
Als der erste Mann von Hermine v. Schoenaich-Carolath 1920 verstarb, änderte sich an ihrer Rechtsstellung nichts, es gab also keine automatische Rückkehr in die vormalige höhere standesrechtliche Position, die sie von Geburt her innehatte. Von der Frage der Pietät im Zusammenhang mit der schnellen Wiederverheiratung abgesehen, hätte entweder Wilhelm II. oder wenigstens seinem auch im niederländischen Exil vorhandenen „Hofstaat“ diese Kleinigkeit der Etikette zur Frage der Ebenbürtigkeit auffallen sollen. Wäre diese Heirat noch zur Zeit der Monarchie erfolgt, hätte der europäische Hochadel pikiert die Nase gerümpft. So konnte der im Exil lebende ehemalige Kaiser, der ja weder eine politische Funktion hatte noch seine ehemaligen Untertanen zu fürchten brauchte, seine kleine Liebesheirat zelebrieren.
Doch wie glaubwürdig war Wilhelm II. danach noch, wenn er seinem ältesten Enkelsohn die gleiche Lebensentscheidung als Grund für eine Erbunwürdigkeit ankreidete und ihn zum Erbverzicht zwang (unter tätiger Mithilfe des ehemaligen Kronprinzen).
Theoretisch war Wilhelm II. mit seiner Missheirat ja selbst nicht mehr erbwürdig (nach den alten Regeln des Hausgesetzes), da in einer unstandesgemäßen Ehe verheiratet. Für den letzten deutschen Kaiser galt wohl das Dichterwort: „Sie tranken heimlich Wein – Und predigten öffentlich Wasser“ (Heinrich Heine).
Im Ergebnis war die Enterbung des jungen Prinzen Wilhelm nach dessen „Missheirat“ sowohl zivilrechtlich fragwürdig, da nach den Regeln des derogierten Hausgesetzes bemessen, und vor allem auch unter unzulässigem Zwang bzw. durch Täuschung in Person seines Großvaters erfolgt, da dieser ja zumindest durch die eigene Missheirat, wodurch er die Stellung laut eigener Tradition verloren hatte, keine Befugnis mehr hatte, anderen Mitgliedern der Hohenzollern verbindliche Vorschriften zu machen.
Doch wer hätte diese familiären Absprachen auf ihre rechtliche Zulässigkeit hin überprüfen sollen? Wo kein Kläger, da kein Richter. Aber wer wären denn die Richter gewesen, die in den Jahren nach 1933 die unzulässige Enterbung bzw. die erbrechtlichen Verfügungen des Seniors insgesamt juristisch bewertet hätten?
Die Justiz im Dritten Reich, die spätestens ab Mitte 1934 nicht nur gleichgeschaltet war, sondern auch politisch überwacht wurde. Hätten Hitler, Göring, Himmler oder andere NS-Größen, die Einfluss auf die Justiz hatten, eine objektive Überprüfung der erbrechtlichen Verfügungen bei den Hohenzollern überhaupt gebilligt und gegebenenfalls einen Skandal in Kauf genommen?
Ganz im Gegenteil, für die NS-Führung waren der ehemalige Kaiser bis zu seinem Tod und auch viele andere Familienmitglieder, nicht nur der ehemalige Kronprinz, das was man im Volksmund gerne nützliche Idioten nennt: Hatten die Nazis die Hohenzollern auf ihrer Seite, drohte von den Monarchisten und auch allen anderen Erzkonservativen keine Gefahr, sie waren so etwas wie Feigenblätter, die man in der Anfangszeit der NS-Herrschaft noch umgarnte.
„Do ut des“ oder auch „quid pro quo“, so lässt sich dieses abgeschmackte Spiel zwischen NS-Führung und den Hohenzollern in den Jahren um 1933 zusammenfassen: Man ließ den Kaiser und seinen ältesten Sohn lange im Irrglauben, dass eine Restauration der kaiserlichen Herrschhaft möglich sei, gewährte sogar finanzielle Unterstützung, später unterließ man Enteignungen, um im Gegenzug keine Opposition seitens der Monarchisten befürchten zu müssen. Daher verwundert es nicht, dass vor 1945 niemand ernsthaft an der Rechtmäßigkeit der erbrechtlichen Bestimmungen im Hause Hohenzollern zweifelte.
III) Wer die Arbeit von Behörden und Gerichten kennt, braucht sich nicht zu wundern, wenn diese eben behandelten, nicht nur spannenden, sondern auch intellektuell anspruchsvollen Vorfragen, die sich auf die Rechtsstellung und Befugnis des aktuellen Anspruchstellers in den anhängigen Verfahren beziehen, entweder gar nicht oder nur höchst oberflächlich behandelt werden.
Schwerpunkt der tatsächlichen Rechtsanwendung, wie in der aktuellen Medienlandschaft, wird die Frage des Ausschlussgrundes in § 1 Abs. 4 des Ausgleichsleistungsgesetzes sein, sprich hat der Rechtsvorgänger von Prinz Georg Friedrich dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet?
1) Hauptgrund der ausführlichen Behandlung der o.g. Vorfragen war die Überprüfung der erbrechtlichen Verhältnisse der Hohenzollern darauf, ob die bisher nicht hinterfragte Alleinerbenstellung des Anspruchstellers tatsächlich zutrifft (und er dies gemäß den geltenden Beweislastregeln auch nachweisen kann).
Verneint man nämlich schon die Alleinerbenstellung des ehemaligen Kronprinzen, weil die allgemeinen erbrechtlichen Vorschriften des BGB zur Anwendung kommen, wäre bereits beim Erbfall Wilhelms II. (1941) von einer Erbengemeinschaft auszugehen. Diese Erbengemeinschaft wäre mit den schillernden Persönlichkeiten der jüngeren Brüder des ehemaligen Kronprinzen bestückt gewesen, insbesondere mit den Prinzen Eitel Friedrich und August Wilhelm („Auwi“). Beide waren Mitglieder in zahlreichen NS-Organisationen, bei öffentlichen Veranstaltungen etc. immer an vorderster Front und der hohe SA-Mann August Wilhelm hat wahrscheinlich nicht nur rein politisch das Lager von Ernst Röhm geteilt. (22) Es wird keinen renommierten Historiker geben, der ernsthaft behauptet, die jüngeren Brüder des ehemaligen Kronprinzen seien nur unbedeutende Randfiguren gewesen, die man mit guten Gründen als politisch zurückhaltende und am wenigsten kompromittierte Personen bezeichnen kann, so wie es der Gutachter Prof. Clark in seiner Bewertung der Rolle des ehemaligen Kronprinzen vornimmt.
Um nun die Frage des „Vorschubleistens“ im Sinne von § 1 Abs. 4 neu zu stellen: Wenn nicht unerhebliche Teile dieser Erbengemeinschaft als Rechtsvorgänger von Prinz Georg Friedrich unstreitig Nazis waren, die an prominenter Stelle das Regime aktiv unterstützten (also nicht nur etwas „zum Schein“ kollaborierten), muss die gesamte Erbengemeinschaft mit dem Makel leben, dem NS-System erheblichen Vorschub geleistet zu haben. Das folgt schon (spiegelbildlich) aus der gesamthänderischen Bindung qua Gesetz.
Wesen der Gesamthandsgemeinschaft (§§ 2032 ff., 718 f. BGB) ist nun einmal, dass sämtliche Rechte und Pflichten allen Miterben im gleichen Umfang zustehen. Daher ist ausgeschlossen, dass bestimmte Vermögensgegenstände einzelnen Miterben gesondert und ausschließlich zugeordnet werden. Würde daher der o.g. Ausschlusstatbestand zumindest für einzelne Miterben greifen, wären auch die anderen Miterben betroffen (außer man würde die gesamte Erbengemeinschaft auflösen, was aber gegen jahrhundertealte Traditionen der Hohenzollern verstieße: ein echtes Dilemma). Somit wäre auch für jeden Rechtspraktikanten die Sache eindeutig: Der Ausschlusstatbestand greift, daher kein Anspruch, Klageabweisung ohne weiteres Zögern! Im Übrigen hätte man sich das viele Geld für die Gutachter, die alle überhaupt keine juristische Qualifikation besitzen, sparen können.
2) Verlassen die Entscheidungsträger in den Behörden und bei Gericht aber die bisherige Linie nicht und behandeln Prinz Georg Friedrich als unbeschränkten Anspruchsteller, werden auf den o.g. Ausschlusstatbestand die herkömmlichen juristischen Auslegungsregeln angewendet, liegt die Entscheidung über den Anspruch auf Ausgleichsleistungen, wie auf hoher See, „in Gottes Hand“.
Einerseits kann der Jurist die zu prüfenden Tatbestandsmerkmale als klassische Frage nach der „Kausalität“ auffassen, denn „Vorschubleisten“ zielt ja eindeutig auf einen bestimmten Erfolg im juristischen Sinne. Andererseits kann auch stärker die innere Einstellung, die Motivation des ehemaligen Kronprinzen beleuchtet werden, ohne dass damit eine unmittelbare Zielrichtung, sprich ein konkreter Erfolg verbunden sein muss. Und drittens ergeben sich ganz neue Ansätze für die Rechtsanwendung (Subsumtion), wenn man den Topos der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ in die Überlegungen mit einbezieht.
Betrachtet man die maßgebliche Bestimmung in § 1 Abs. 4 zunächst herkömmlich unter dem Aspekt der juristischen Kausalität, stellt sich diese als spezielle Ausprägung der juristischen Bedingungslehre dar (nach der Formel „conditio sine qua non“).
Vereinfacht gefragt: Kann das Verhalten des Ex-Kronprinzen hinweggedacht werden, wodurch auch das NS-System wegfiele? War sein Tun oder auch Unterlassen so wichtig für Adolf Hitler, dass dieser ohne dessen Hilfe entweder die Übernahme der Kanzlerschaft oder wenigstens die Errichtung seiner Diktatur nicht verwirklicht hätte?
Wie ausgeprägt muss dieser Ursachenzusammenhang sein, musste der maßgebliche Erfolg (Errichtung und Etablierung des NS-Systems) vom Vorsatz des Täters umfasst sein oder genügt auch eine bloße Voraussehbarkeit des Erfolges (sog. erfolgsqualifizierte Delikte, wenn sich die tatbestandsspezifische Gefahr realisiert hat, vgl. hierzu § 18 Strafgesetzbuch in der aktuellen Fassung)? Eine „analoge“ Anwendung strafrechtlicher Aspekte im Verwaltungsrecht ist weder ausgeschlossen noch ein Widerspruch zu den traditionellen Auslegungsregeln (z.B. die sog. „teleologische“).
Wird der Schwerpunkt bei der Gesetzesauslegung mehr auf die Motivation (die subjektive Komponente) des ehemaligen Kronprinzen gelegt, würden schon weitaus geringere Handlungen ausreichen, ihm ein relevantes „Vorschubleisten“ nachweisen zu können. So z. B. die zahlreichen Briefe und Zeitungsartikel, die der ehemalige Kronprinz zu verantworten hat, die unschwer auf entsprechende Außenwirkung gerichtet sind.
Und schließlich würde die Anwendung der Formel von der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“, so wie dieses Merkmal im Grundgesetz (z. B. in Art. 18, 21) verwendet und in der reichhaltigen Judikatur des BVerfG ausgelegt wird, neue Aspekte eröffnen, insbesondere zum Thema „aktiv kämpferische Einstellung“ gegenüber dem vorherigen System in der Weimarer Republik. Hierbei reicht zwar bloße „Verfassungsgegnerschaft“ nicht aus, aber eine ausgeprägt aggressiv-feindliche Haltung gegenüber der bis Januar 1933 bestehenden Verfassungsordnung lässt sich beim ehemaligen Kronprinzen schlechterdings nicht leugnen (außer man wollte ihm zutrauen, er habe sich nur geschickt verstellt, um nicht als Widerstandskämpfer aufzufliegen, so die unverhohlene Beschönigungsstrategie eines der Gutachter).
Da er ja allen Ernstes an seine Thronbesteigung glaubte und, wie noch zu zeigen sein wird, auch hinarbeitete, musste der ehemalige Kronprinz zwangsläufig die Verfassungsordnung von Weimar beseitigen, nicht bloß beeinträchtigen! Eine Monarchie, wie sie der Vorstellungswelt und der charakterlichen Prägung des ältesten Hohenzollernprinzen entsprochen hätte, stand in einem unauflöslichen Widerspruch zu den seit 1919 geltenden staatsrechtlichen Grundprinzipien – und wenn das der eine oder andere Gutachter nicht versteht, möge er eine Einführungsveranstaltung zum Staatsrecht besuchen.
Jetzt werden echte Schlauberger einwenden, das Grundgesetz und somit die Formel von der freiheitlich demokratischen Grundordnung gelte ja erst seit 1949 und habe daher 1933 gar nicht existiert. Aber ein Blick in Art. 20 Abs. 3 GG wird zeigen, dass jede Behörde und jedes Gericht an Recht und Gesetz, die geltende Verfassungsordnung gebunden sind: auch an die freiheitlich demokratische Grundordnung.
Daraus folgt, dass kein Bewilligungsbescheid oder Verpflichtungsurteil gegen das geltende Recht verstoßen darf: Dieses unrelativierbare Prinzip der Gesetzesbindung macht auch den entscheidenden Unterschied zwischen Rechts- und Geschichtswissenschaft im vorliegenden Fall aus. Für den Historiker können selbst definierte Parameter ausreichen, für den Rechtsanwender kann nur eine nach anerkannten dogmatischen Grundsätzen erfolgte Auslegung genügen (außer man wollte Würfeln).
Jetzt würde eine nur halbwegs kritische Überprüfung der vier in Rede stehenden Gutachten (knapp 350 Seiten) den Rahmen dieses Beitrages völlig sprengen, doch können sich die zuständigen Rechtsanwender selbst fragen, welchen juristischen Wert das eine oder andere Gutachten tatsächlich hat.
Je nach Auftraggeber und auch Schwerpunktsetzung bei der Fragestellung fallen diese mal deutlicher mal weniger deutlich zum Nachteil des Hauses Preußen aus.
Allerdings leiden alle bisherigen Gutachten unter einem, allerdings gravierenden Mangel: Sie sind im Wesentlichen unjuristisch! Ihre Aussagekraft hat daher allenfalls indizielle Wirkung, keinesfalls stellen diese einen vollwertigen Beweis für die eigentliche Sachentscheidung dar, auch wenn teils sehr zahlreiche, interessante Details aus dem Leben und Wirken des letzten Kronprinzen referiert werden, doch zur Klärung der entscheidungserheblichen Frage nach dem „Vorschubleisten“ können diese lediglich als Hintergrundwissen betrachtet werden.
Hätte sich der Gesetzgeber dazu bequemt, die relevanten Tatbestandsmerkmale in §1 Abs. 4 des Ausgleichsleistungsgesetzes näher zu bestimmen, z. B. durch eine abschließende oder wenigstens kursorische Aufzählung geeigneter Beispiele, wäre der Rechtsanwendung schon um Einiges geholfen. Das fängt schon bei der Frage an, welcher Zeitraum für das „Vorschubleisten“ betrachtet werden soll. Nimmt man hierfür die unmittelbar zur Kanzlerschaft Hitlers und der Etablierung/Stabilisierung der NS-Herrschaft führenden Ereignisse unter die Lupe oder schon die Jahre ab 1926 oder noch deutlich früher?
Geht man mit der herrschenden Meinung, dass die Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler nebst Bildung des sog. Kabinetts der nationalen Konzentration am 30. Januar 1933 auf dem Boden der damaligen Verfassung erfolgte, also ein staatsrechtlich legaler Vorgang war, kann dies nicht als entscheidungserhebliches Kriterium genommen werden. Hierauf hatten die Hohenzollern insgesamt keinen maßgeblichen Einfluss, insbesondere da keiner der Prinzen zum engeren Kreis der sog. „Kamarilla“ um den Reichspräsidenten zählte.
Betrachtet man die Wahlerfolge der NSDAP, war zumindest der besonders deutliche Anstieg bei der Reichstagswahl im September 1930 ebenfalls ohne jedes Zutun eines Hohenzollern erfolgt; die Prinzen Eitel Friedrich und „Auwi“ stiegen erst danach in der Partei- bzw. SA-Hierarchie nach oben und der ehemalige Kronprinz war ja eigentlich nur im NS-Kraftfahrkorps (und dort war ausschließlich sein PKW aktiv).
Bei anderen Wahlerfolgen bzw. Unterstützungen von Hitlers Wahlkämpfen wird die Sache schon kompliziert. Besonders undurchsichtig war die Rolle des ehemaligen Kronprinzen bei der Wahl zum Reichspräsidenten 1932, da hier viel Raum für alle möglichen Spekulationen bleibt. Nach halbwegs sicherem Kenntnisstand gab es tatsächlich Überlegungen, dass er selbst bei der Wahl antreten wollte, was aber letztlich von Wilhelm II. als Verrat (und Eidbruch) angesehen und dann auch verworfen wurde. Wie verhielt sich der ehemalige Kronprinz, nachdem seine „Ambitionen“ gestoppt worden waren? Statt den von vielen Konservativen und Monarchisten als „Ersatzkaiser“ empfundenen Amtsinhaber, den getreuen Generalfeldmarschall aus früheren Zeiten, zu unterstützen, machte der ehemalige Kronprinz aktiv Wahlkampf für den böhmischen Gefreiten, einer in bürgerlichen Kreisen suspekten, zumindest zwielichtigen Figur, die „unpreußischer“ nicht sein konnte.
Davon abgesehen, besaß Hitler bis Ende Februar 1932 nicht einmal die deutsche Staatsangehörigkeit, also fehlte bis dahin die passive Wahlberechtigung. Trotzdem hat sich der ehemalige Kronprinz später gerühmt, er habe bei der Wahl zum Reichspräsidenten dem Kandidaten Hitler etwa 2 Millionen Stimmen eingebracht oder war dies nur selbstverliebtes Geschwätz?
Dies führt nahtlos zur Frage, was hat der Ex-Kronprinz eigentlich nach seiner Wiedereinreise ins Deutsche Reich, die durch Stresemann vermittelt worden war, so getrieben? Laut Augenzeugenberichten war er in der Berliner „High Society“ als Salonlöwe bekannt und auch berüchtigt (wohl sehr zum Leidwesen seiner Ehefrau, auf schlüpfrige Details kann hier verzichtet werden). Ein moderner Begriff wäre „Celebrity“ oder aber auch „Poser“. Er war Stammgast im berüchtigten Salon Viktorias v. Dirksen, einem Treffpunkt blasierter Wichtigtuer, die eine Mischung gefährlicher politischer Möchtegerne mit klarer NS-Tendenz darstellten (der ehemalige Reichsfinanzminister und Zentrumsabgeordnete H. Köhler beschrieb Frau v. Dirksen als „Hitlerianerin“).
Sein wichtigstes Anliegen in diesen Berliner Abendgesellschaften um 1930: Anekdoten, die ein dankbares Publikum fanden. Doch über den reinen Unterhaltungswert hinaus, hatte die rege Präsenz des ehemaligen Kronprinzen eine weitaus wichtigere Ausstrahlungskraft in den rechtsextremen Zirkeln, die in den Jahren 1930 bis 1933 im Hintergrund des politischen Berlin „Stimmung machten“ (aber auch z. B. finanziellen Einfluss ausübten).
Wer dies allerdings verharmlosen möchte, „argumentiert“ wie folgt: „Verbale Solidarisierungen – oder Schein-Solidarisierungen – des Thronprätendenten mit dem nationalsozialistischen Regime bzw. Unterstützungen desselben durch ihn dürften demnach nichts weiter gewesen sein als taktische Zugeständnisse an die ihn umgebenden Realitäten, die dem Zweck dienten, im politischen Spiel relevant zu bleiben“ (Gutachten Pyta, S. 94; das besonders der Entlastung v. Preußens dienen soll).
Es mag zwar zutreffen, dass ein solcher Mann, nicht zuletzt aufgrund des Fehlens jeder Prinzipientreue, nicht einmal ansatzweise das Potential besaß, als wichtige Person des öffentlichen Lebens oder gar als politisch maßgebliche Person wahrgenommen zu werden, doch die einflussreichen Netzwerke haben bestanden und ihr Gift verspritzt.
Gleiches gilt besonders auch für spätere Auftritte des ehemaligen Kronprinzen: „Und tatsächlich: Während der Kronprinz in seinen öffentlichen Verlautbarungen derartige Zugeständnisse an das herrschende System machte, die – dies legt der Kontext in gleichsam zwingender Weise nahe – vor allem darauf angelegt waren, einer Verdrängung seiner Person ins Abseits und damit einem Absturz in die Bedeutungslosigkeit vorzubeugen“. Aus der gleichen Fundstelle.
Doch der betreffende Gutachter geht noch weiter: „Um zu gewährleisten, dass er nicht ins politische Abseits bugsiert werden würde – von dem aus er nicht wirken konnte -, sondern weiterhin einen Standort auf dem Schachbrett der Macht einnehmen würde, von dem aus er zu einem zukünftigen Zeitpunkt ggf. in der Lage sein würde, Positives auszurichten, war es also aus der Warte des Kronprinzen – auch bei einer das NS-Regime ablehnenden Einstellung – 1933 und 1934 durchaus ratsam, ein gewisses Maß an opportunistischer Gefälligkeit gegenüber den augenblicklichen Inhabern der Macht an den Tag zu legen, die diese dazu veranlassen lassen würde, ihm das Verbleiben im Dunstkreis der besagten Macht zu gestatten.“ (Gutachten Pyta, S. 101).
Wollte der ehemalige Kronprinz wirklich nur nicht in Vergessenheit geraten, so dass er – im Bewusstsein der öffentlichen Wirkung seines Nachnamens – einige unverfängliche Auftritte vor Publikum nötig hatte? Wie stand es denn mit seinen Beliebtheitswerten beim einfachen Mann? Glaubt man den seriösen Darstellungen, dann war der Ex-Kronprinz, wie übrigens auch andere Kaisersöhne, eher unbeliebt, vielleicht sogar ausgesprochen unsympathisch.
Einem solchen Mann soll man abnehmen, er habe gleichsam zum Wohle des deutschen Volkes mit Hitler und der NS-Führung nur auf „lieb Kind gemacht“? In Wahrheit habe er natürlich ganz andere, ausschließlich verfassungstreue Absichten verfolgt? Von der Unglaubwürdigkeit dieser Hypothese abgesehen, lediglich geheime Vorbehalte („Mentalreservation“) sind juristisch aber ohne Bedeutung! Es zählt der objektive Erklärungsgehalt (verbal und in der gesamten Außendarstellung) der Handlungen des ehemaligen Kronprinzen.
Hierzu gehört natürlich auch seine Teilnahme an der Show- und Propagandaveranstaltung vom 21. März 1933, dem sog. „Tag von Potsdam“, einschließlich der zahlreich überlieferten Bilddokumente. Auch insoweit können hier nicht alle Gesichtspunkte, die in den letzten Jahrzehnten untersucht wurden, angesprochen werden.
Beachtet man aber sowohl die eigenartige Vorgeschichte zur Teilnahme des „Thronprätenden“ als auch die objektiven Überlieferungen, muss man schon sehr viel Phantasie aufbringen, dem ältesten Kaisersohn eine kryptisch anmutende Oppositionshaltung einzuräumen. Wenn es zutrifft, dass er überhaupt keine formelle Einladung zu diesem „Staatsakt“ hatte und sogar Wilhelm II. gegen die Teilnahme gewesen sein soll, fragt sich doch jeder aussagepsychologisch geschulte Jurist: Was hat den guten Mann dann geritten, sich dort zu präsentieren? Zumal die Vielzahl an Bilddokumenten etc. nun wirklich nicht den zwingenden Eindruck machen, der ehemalige Kronprinz sei dort als Widersacher oder zumindest geheimer Opponent Hitlers und der neuen Staatsführung aufgetreten. Hat es z. B. später (1938, 1940 oder wenigstens 1944) eine glaubhafte Distanzierung des ehemaligen Kronprinzen von seiner Teilnahme an dieser NS-Show gegeben?
Die Vereinnahmung des Ex-Kronprinzen durch die Nazis (ganz gleich, ob dieser sich wie sauer Bier andiente oder nur aus Gründen der Etikette seine Husarengardeuniform zur Schau trug, wozu am 21. März 1933 die Frühlingssonne geradezu einlud) passt genau zu folgender Analyse: „In dem von Max Weber aufgestellten System der Herrschaftsrechtfertigung gingen die Nationalsozialisten von der legalen zur charismatischen Herrschaftslegitimierung über, ohne jedoch die traditionale Legitimierung zu vergessen, von der Hitler nach wie vor viel hielt. Ihrer Unterstützung diente auch das Legalitätsargument der nationalsozialistischen »Erhebung«. Allerdings betonte Hitler immer wieder, dass er nicht an die Tradition der Weimarer Republik anknüpfen wollte, sondern an viel ältere Traditionen, ohne sich dabei auf eine bestimmte Zeit festzulegen. (…) Der Handschlag und die Verbeugung Hitlers vor Hindenburg (…) am 21. März 1933 sollten diese Kontinuität symbolisieren. In bewusst vager Formulierung hatte Hitler in seiner Festrede von der »Vermählung zwischen der alten Größe und der jungen Kraft« gesprochen.“ Doch: „Der Reichsgedanke des Dritten Reichs hatte nichts mehr gemein mit der alten Reichs- und Kaiseridee der beiden ersten Deutschen Reiche.“ (23)
Selbst bei einer Täuschung des ehemaligen Kronprinzen durch Hitler und seine engsten Vertrauten, wie Göring, könnte sich dieser nicht exkulpieren (außer man unterstellte ihm eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit, § 51 StGB a. F., was dann aber im Zivilrecht regelmäßig zur Geschäftsunfähigkeit geführt hätte, also zur Nichtigkeit aller Rechtsgeschäfte, auch der Enterbung des jungen Prinzen Wilhelm, zu diesen bedeutsamen Auswirkungen siehe wiederum oben. Vielleicht lag ja auch nur ein interessanter Fall des sog. „lucidum intervallum“ vor?).
Soweit werden aber die beiden Gutachter, die zu Gunsten der Hohenzollern plädieren, dann doch nicht gehen wollen? Zumal keine späteren Aussagen des ehemaligen Kronprinzen bekannt sind, dass es sich bei den politischen Äußerungen und Handlungen Hitlers im maßgeblichen Zeitraum 1933/34 um eine Täuschung gehandelt habe, da der Hohenzollernprinz noch weit nach 1933 dem NS-System große Zustimmung entgegenbrachte, zahlreiche Nachweise sind insbesondere in den beiden Gutachten Brandt und Malinowski enthalten.
Da verwundert es denn auch nicht wirklich, wenn von der Gegenseite suggeriert wird: „In toto bleibt somit festzustellen, dass die in den früheren Gutachten zusammengestellten Briefe des Kronprinzen – wenn man sie auch für moralisch bedenklich halten mag und in ihnen mithin Zeugnisse der persönlichen Urteilslosigkeit ihres Verfassers und/oder eines ausgeprägten Opportunismus , erblicken kann – weder auf die Masse der Bevölkerung (die niemals etwas von ihrer Existenz erfuhr), noch auf die Einzelperson Hitler irgendeinen Einfluss ausübten und folglich keine Wirkung hervorriefen, die in einer Begünstigung des Regimes und somit in einer Vorschubleistung desselben resultierten.
Der entsprechende, in früheren Gutachten formulierte, Vorwurf, dass der Kronprinz sich durch seine diversen Briefe und Telegramme an Hitler und andere NS-Größen einer solchen Vorschubleistung des NS-Systems schuldig gemacht habe, entbehrt somit einer realen Grundlage, so dass er getrost als nicht stichhaltig respektive als widerlegt angesehen werden kann.“ (Gutachten Pyta, S. 135 f.).
Ein grundsätzliches Problem der bisherigen Gutachten ist, dass aus der Masse der insgesamt benannten Fundstellen (pro und contra) überhaupt keine Aussagekraft und kein zwingender Beweiswert für die Rechtsanwendung herausspringt. Die pure Anzahl (Malinowski listet auf fast 35 Seiten 85 Einzelsachverhalte auf und benötigt 386 Fußnoten, Pyta benötigt 154 Seiten mit teils ellenlangen Fußnoten) bringt zunächst wenig ohne sachgerechte Gewichtung: Nicht die reine Anzahl von Belegstellen, sondern die Intensität sollte maßgeblich sein.
Anderenfalls könnte man ja sonst auch bloß die Personenregister der Standardwerke zur Weimarer Republik, z. B. Kolb und Winkler, oder Memoiren, wie die von Otto Meissner (als Staatssekretär Büroleiter unter Ebert, v. Hindenburg und Hitler, 1919 – 1945 immer vor Ort) oder auch politische Studien v. Karl Dietrich Bracher durchzählen und eine Rangliste bilden (niemand wird das ernsthaft tun wollen).
Exkurs: Bedeutung des kronprinzlichen Schreibens an Oberst Max Bauer vom 27.09.1919 (24)
In den betreffenden Gutachten werden zwar zahlreiche Details aus dem öffentlichen Auftreten des ehemaligen Kronprinzen über einen längeren Zeitraum beleuchtet, analysiert und, je nach Grundtendenz, ent- oder belastend bewertet, so z. B. auch seine Reaktion auf die sog. Zabern-Affäre von 1913 oder seine bereits zuvor sichtbare „Nähe“ zum Alldeutschen Verband (s. besonders bei Malinowski).
Jedoch scheint keinem der Sachverständigen ein Schreiben (eigentlich ist es sogar ein Schriftwechsel) des ehemaligen Kronprinzen aus dem Herbst 1919 an den ehemaligen Adjutanten und nahen Vertrauten Ludendorffs, Oberst Max Bauer, bekannt zu sein, obwohl dies im Zusammenhang mit dem Kapp-Lüttwitz-Putsch in einer recht bekannten Dokumentensammlung mit Angabe der Fundstelle beim Bundesarchiv in Koblenz nachgewiesen ist.
In diesem, in vertrautem Ton gehaltenen Brief äußert der ehemalige Kronprinz, gezwungenermaßen aus dem holländischen Exil, seine durchaus zutreffenden Bedenken gegen einen bereits damals erwarteten Staatsstreich; knapp sechs Monate später erfolgte ja der extrem dilettantisch vorbereitete und noch stümperhafter durchgeführte Umsturzversuch von Wolfgang Kapp und Walther v. Lüttwitz. Nicht ausgeschlossen werden kann aber, dass dem ehemaligen Kronprinzen aus einem anderen Grund vor einem Staatsstreich Ende 1919/Anfang 1920 graute: Hätte dieser Erfolg, wäre er aber weit ab vom Schuss und müsste befürchten, einfach übergangen zu werden (viele der späteren Putschisten waren keine besonders engen Freunde des geflüchteten Kronprinzen; Lüttwitz z. B. kannte ihn bestens aus seiner Zeit als Stabschef).
Viel interessanter als diese Bedenken sind die Ausführungen, eigentlich eher Gedankenspiele des ehemaligen Kronprinzen zum Thema der Wiederherstellung einer Monarchie im Deutschen Reich. Einerseits räumt er, selbstkritisch fast schon reflektiert, ein, dass die autokratische Monarchie alten Stils sich selbst überlebt hat und daher keinerlei Chance auf Restauration haben kann, insbesondere nach den Ereignissen im November 1918.
Andererseits gibt er doch recht unverblümt seiner Hoffnung Ausdruck, dass eine Art aufgeklärte, geläuterte Monarchie in Deutschland doch irgendwann wieder möglich sei: „Denn ich weiß, dass auch Sie an den gesunden Kern in unserem Volke glauben, der wieder zum Durchbruch kommen muss.“ (25)
Dies lässt sich durchaus als Programmsatz auffassen, quasi als „Masterplan“ für die politische Zukunft; sowohl des Hauses Hohenzollern als auch der monarchisch gesinnten Kräfte insgesamt.
Neben dem doch recht frühen Zeitpunkt dieser Zukunftsplanungen (Ende September 1919) fällt natürlich dem Kenner auch noch auf, dass mit dem Adressaten, Oberst Bauer, einer der besonderen Strippenzieher im rechtsradikalen Milieu angesprochen wird.
Bauer, zusammen mit Waldemar Pabst und anderen äußerst rechten Politikern und Militärs, wird kurz darauf die sog. Nationale Vereinigung gründen. Eine Plattform, die nicht nur als Sammelbecken für den späteren Kapp-Putsch fungiert, sondern weit darüber hinaus maßgebliche Netzwerke im rechtsradikalen Spektrum initiiert, die allesamt auf den Sturz der Weimarer Republik hinarbeiten: nicht lediglich theoretisch, im Kreis akademischer Salons, sondern aggressiv und aktiv kämpferisch.
Die personelle und inhaltliche Kontinuität zwischen Nationaler Vereinigung, „Stahlhelm“, allen sog. Vaterländischen Verbänden bis zur „Harzburger Front“ ist derart offensichtlich, dass ein Bestreiten (Leugnen) im Verwaltungs- oder Gerichtsprozess als unbeachtlich gelten kann. Selbst auf pseudowissenschaftlicher Ebene wurde man tätig, siehe die sog. „Gesellschaft zum Studium des Faschismus“, wo der ehemalige Kronprinz seit Ende 1931 selbstredend Mitglied gewesen ist, vgl. die Gutachten von Brandt und Malinowski. (26)
Die Mitgliedschaft in dieser obskuren Gesellschaft fiel ihm auch deshalb besonders leicht, weil er sich als Anhänger, beinahe Verehrer von Mussolini und dem italienischen „Faschismusmodel“ positioniert hat. Einen ersten Überblick zu dieser offen verfassungsfeindlichen Vereinigung bietet der betreffende Artikel bei Wikipedia mit weiteren Nachweisen. Auch insoweit ist die personelle Kontinuität mit Händen greifbar.
Nun hat der ehemalige Kronprinz in seinem Schreiben vom 27.09.1919 nicht zur Gründung all dieser unterschiedlichen Gebilde aufgerufen, er gehörte nicht einmal zu deren Gründern im formellen Sinne, aber er war über den gesamten Verlauf über seine Zuträger im Bilde und wusste, auf wen er bei seinen späteren Planspielen zurückgreifen konnte. Und seit Ende 1923 war er ja sogar wieder direkt vor Ort.
Da passt es auch ins Bild, wenn er bereits 1926 das erste Mal mit Adolf Hitler persönlichen Kontakt gesucht hat. Die personelle Verbindung ist auch hier förmlich greifbar: Der ehemalige Thronfolger musste den Mann kennenlernen und dessen Verhältnis zur Monarchie in Erfahrung bringen, der keine drei Jahre zuvor Seit an Seit mit Ludendorff von München aus die Weimarer Republik stürzen wollte und dessen langjähriger Adjutant ein besonders enger Vertrauter des ehemaligen Kronprinzen war.
Das spätere Herumlavieren des ehemaligen Kronprinzen in allen möglichen rechtsradikalen Kreisen, Salons und Gruppierungen zeigt ausdrücklich, dass er zur Umsetzung seiner persönlichen Agenda bereit war, jedem Rattenfänger hinterherzulaufen, sofern es seinem übersteigerten Ego zu nützen schien. (27) Dass er letztlich von der Oberratte Hitler eingefangen wurde, war nicht nur zwangsläufig, denn der frühere Trommler hatte schließlich leichtes Spiel mit dem Exzentriker, sondern von dem ehrgeizigen Hohenzollern-Prinzen geradezu herausgefordert.
Dass der Diktator tatsächlich überhaupt kein Interesse hatte, die ausgespielte Hohenzollern-Dynastie wieder an die Macht zu bringen oder sonst wie eine hervorgehobene Stellung im politischen Bereich zu gewähren, ändert an der Motivation des ehemaligen Kronprinzen zu Beginn seines Schulterschlusses mit der braunen Bewegung erst einmal gar nichts und der später sicher eingetretene Katzenjammer ist zwar verständlich, aber kein Entschuldigungsgrund. Für den ehemaligen Kronprinzen trifft die allgemeingültige Erkenntnis zu: „Quos Jupiter vult perdere dementat!“
Letztlich hat es dann auch für die Frage des Vorschubleistens keine echte Bedeutung mehr, ob und wie intensiv der Ex-Kronprinz antisemitisches Gedankengut pflegte und äußerte (auch hier gibt es alle nur denkbaren Nachweise, ähnlich wie bei Wilhelm II.). Denn ob ein Hohenzollernprinz den Prinzipien des „völkischen Staates“ anhing oder lediglich an das antiquierte Gesellschaftsmodell der wilhelminischen Epoche anknüpfen wollte (mit ein paar wohldosierten Zugeständnissen an das 20. Jahrhundert) spielt für die Frage der Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung der Weimarer Republik keine Rolle: So oder so war er ein Totengräber des liberal-demokratischen Verfassungsstaates westlicher Prägung.
Bewertung aus juristischer Perspektive:
Da es bei der Beurteilung der Frage des Vorschubleistens im Sinne von § 1 Abs. 4 Ausgleichsleistungsgesetz um das konkrete Verhaltens des ehemaligen Kronprinzen gehen muss, nicht um die Analyse und Bewertung einer Art von „Lebensführungsschuld“, wird sich bei schulmäßiger Auslegung und Anwendung der üblichen juristischen Dogmatik höchst wahrscheinlich das folgende Ergebnis kaum vermeiden lassen: Legt man die juristisch definierte Kausalität zugrunde, waren die konkreten (Tat-)Beiträge des ehemaligen Kronprinzen bei der Etablierung und Unterstützung des NS-Regimes entweder kaum messbar oder zu unbedeutend und die eigene Einschätzung der Wichtigkeit seiner Person beruhte auf einer völligen Überschätzung bis hin zum Realitätsverlust.
Man kann nämlich das Gesamtverhalten des ehemaligen Kronprinzen durchaus völlig hinwegdenken (also unberücksichtigt lassen) und der Aufstieg Hitlers und des Nationalsozialismus wären trotzdem genauso abgelaufen (von zeitlichen Verzögerungen vielleicht abgesehen), wie er seit 1921 (Übernahme der Führung in der NSDAP durch Hitler im Wege einer wohlinszenierten Farce) real stattgefunden hat. Da die Wurzel allen Übels bekanntlich am Anfang einer bestimmten Ereigniskette liegt, muss bei der Kausalitätsfrage auch der Beginn eines Ursachenzusammenhangs berücksichtigt werden. Insoweit (zeitlich also in der ersten Hälfte der 1920er Jahre) tritt der ehemalige Kronprinz nahezu gar nicht in Erscheinung. In den letzten Jahren der Weimarer Republik zählte er als typischer Dandy zu einem Kreis blasierter Wichtigtuer, die sich einbildeten, aufgrund eines Einflusses aus längst vergangener Zeit irgendwas bewegen zu können und sich an diesem Gefühl der totalen Selbstüberschätzung gleichsam berauschten.
Auch wenn nicht abgestritten werden kann, dass zur sog. Kamarilla um Reichspräsident v. Hindenburg etliche ostelbische Junker zählten; aber Vertreter des Hochadels, insbesondere ehemals regierende Häuser, gehörten gerade nicht zu diesem engeren Zirkel. Diese ganz „spezielle“ Machtclique bezog ihren Einfluss aus dem direkten Zugang zum Reichspräsidenten, der dem ehemaligen Kronprinzen, nicht zuletzt wegen seiner negativen Haltung Hindenburg gegenüber während des Wahlkampfes zur Wiederwahl im Frühjahr 1932, verwehrt gewesen ist (zusätzlich zur gegenseitigen Abneigung, die beide nach den Ereignissen im November 1918 verband).
Legt man daher die üblichen Kriterien zur Kausalitätsbestimmung zugrunde, war der ehemalige Kronprinz in der Tat zu „unbedeutend“, um ihm einen maßgeblichen Einfluss auf die politischen Ereignisse um den 30. Januar 1933 beizumessen.
Man kann allerdings die Kausalitätsfrage auch ganz anders stellen: Wer, wie die Hohenzollern insgesamt (nicht nur der älteste Kaisersohn) von einer Rückkehr auf den Thron „träumte“ (und dafür bereit war, jeden Strohhalm zu ergreifen), musste die seit 1919 geltende Verfassungsordnung beseitigen: Angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse in allen Perioden des Reichstages wäre aber die erforderliche Stimmenzahl für eine legale Verfassungsänderung gem. Art. 76 Weimarer Verfassung niemals zustande gekommen, also hätte dies nur durch einen Verfassungsbruch realisiert werden können. Wer, wie der ehemalige Kronprinz, ausgewiesener Anhänger des Faschismus und somit Gegner jeglicher Demokratie westlicher Prägung gewesen ist, kann nach geltender Rechtslage nicht konform zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ eingestuft werden, siehe erneut Art. 20 Abs. 3 GG. Und schließlich, wer sich entweder aktiv von der NS-Propaganda bzw. der NS-Führung vereinnahmen lässt oder es zumindest stillschweigend duldet (ganz gleich, ob er angeblich innere Vorbehalte verspürt), obwohl die Auswirkungen absehbar waren, für den besteht eine Rechtspflicht, diesem Bild der Vereinnahmung vorzubeugen bzw. gegenzuwirken, ansonsten ist der schmale Grat zur Gehilfenhaftung schnell überschritten.
Auch wenn Verfahren vor Verwaltungsbehörden und -gerichten natürlich keine Strafverfahren sind: Die Rechtsfiguren sind dennoch, zumindest im Wege juristischer Analogie übertrag- und anwendbar.
Mit einem Hinweis auf die geänderte Rechtsprechung zur Neubewertung von Tatbeiträgen des „Gehilfen“ seit dem Fall John (Iwan) Demjanjuk vor dem Landgericht München im Jahre 2011 sollen diese bewusst kurz gehaltenen juristischen Anmerkungen enden.
Zum Abschluss:
Eingangs wurde das Medienecho, das im Zusammenhang mit den Forderungen des Hohenzollern-Prinzen aufgekommen ist, kurz angesprochen. Jenseits von Sozialneid, Gier nach Quote oder dem ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung einzelner Akteure in der heutigen Medienlandschaft lassen sich, zumindest für kritische Geister, noch weitere, historisch bedeutsamere Gründe für diese Aufmerksamkeit finden. Bewegt „Preußen“ auch heute noch die Gemüter? Trifft dies zu, was sind die Gründe und vor allem, was wird mit „Preußen“ im Einzelnen assoziiert (negativ, aber auch positiv)?
Jenseits der klassischen Merkmale, die von Juristen für die Kennzeichnung eines „Staates“ verwendet werden, lässt sich das preußische Staatswesen gerade nicht von einem bloß juristischen Standpunkt aus verstehen. Die letzten knapp 350 Jahre eröffnen die Möglichkeit, Preußen entweder als Faszinosum oder „seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland“ zu betrachten. (28) „Preußen als Staatsidee“ (29) oder aber als abschreckendes Beispiel, wohin die Überbetonung eines Staatsgedankens im Hegelianischen Sinne führen kann. (30)
Überträgt man die völlig unterschiedlichen Bewertungen und Reaktionen, die ein Nachdenken über Preußen hervorrufen können, auf die aktuelle Debatte um die vermögensrechtlichen Ansprüche, lassen sich aber auch allgemeingültige Aussagen und Feststellungen treffen. Für Anhänger des „alten“ Preußen (zeitliche Zäsur war die Reichsgründung 1871) galten klar umrissene Wertvorstellungen: Schlichtheit und Bedürfnislosigkeit (modern: haushälterische Disziplin bei den Staatsausgaben; mehr Sein als Schein), die übertriebenen Prunk oder auch hemmungsloses Gewinnstreben ablehnten. Die wörtlichen preußischen Tugenden, die heute keiner mehr kennt. Es galt das Wort, sich durch Verzicht „großzuhungern“ (weite Teile der Mark Brandenburg waren lange keine blühenden Landschaften). Warum nicht auch beim Überthema „Klimawandel“?
Dann gab es eine Zäsur in den Wertvorstellungen und Prinzipien in der „Wilhelminischen Zeit“ (also nach dem Rücktritt Bismarcks), wo der schnodderige Befehlston auf allen Ebenen Einzug hielt und eine allgemeine Unterwürfigkeit zur ersten Bürgerpflicht wurde. Auf einmal wurde der Schein zum Maßstab gesellschaftlicher Ideale, allen voran Wilhelm II. („Alle Tage Maskenball!“). Aber auch der ehemalige Kronprinz degenerierte nach seiner Rückkehr ins Deutsche Reich endgültig zum „Salonlöwen“ im Sündenpfuhl Berlins ab Ende der 1920er Jahre. Als die Weltwirtschaftskrise begann, feierte der vormalige Thronfolger im Kreise ehemaliger Hofschranzen und künftiger Hitlerianer die Nächte durch.
Welches Bild Preußens die Nachwelt überdauert, hängt vor allem vom Charakter und der Persönlichkeit der späteren Generationen von Hohenzollern ab. Aber Bürde des Amtes und ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein waren den Altvorderen kein Widerspruch, sondern Ansporn. Dies möchte man dem aktuellen Anspruchsteller ebenfalls zu bedenken geben.
An die Adresse eines der Gutachter: Man gewinnt den Eindruck, es handele sich um eine spezielle Form des „Persilscheins“ für die preußischen Hohenzollern, über 70 Jahre nach dem Auslaufen der damals gängigen Praxis der Persilscheine (die jüngere Generation wird diese „Marke“ von Persil gar nicht mehr kennen). Welche Außenwirkung wird mit diesem hohen Maß an Großzügigkeit beim Thema „Vergeben und Vergessen“ intendiert? Wie bereits erwähnt, verfolgen auch europäische Nachbarn diesen eigenartigen (typisch deutschen?) Streit um die geschichtspolitische Deutungshoheit mit Interesse. Darüber hinaus natürlich auch die Nachfahren der Opfer des NS-Regimes, bei uns im Inland, aber auch anderenorts.
Die mehr mittelbaren Auswirkungen der aktuellen Auseinandersetzungen können im unglücklichen Falle negative Reflexe auf das seit über 150 Jahren angespannte Verhältnis von Juristerei und Historie (gerade beim Thema „Verfassungsgeschichte“) haben, mehr noch aber für das gesamte Geschichtsbild („denk ich an Deutschland in der Nacht“).
Abzuwarten bleibt, ob und in welchem Umfang die von der Bundesregierung ausgegebene Taktik durchgehalten wird: „Mit dem angestrebten Vergleich sollen gerichtliche Verfahren vermieden und eine tragfähige Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen dem Haus Hohenzollern und den betroffenen Einrichtungen gelegt werden. Eine mögliche Gesamtlösung müsste bei einer Einigung sowohl von den Aufsichtsgremien der betroffenen Einrichtungen wie auch den Finanzministerien des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg genehmigt werden. Außerdem werden angesichts der Bedeutung dieser Angelegenheit die Parlamente des Bundes und der beiden Länder einzubeziehen sein.“ (31)
Autor: Thomas Fuchs, Assessor jur., Rechtshistoriker
Anmerkungen
1) Mit diesem Beitrag soll versucht werden, der aktuellen Debatte einige bisher weniger beachtete Aspekte hinzuzufügen, was aber aufgrund der Komplexität lediglich im Überblick geschehen kann. Da es sich ja eigentlich um Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren handelt, soll der Schwerpunkt auf „Rechtsfragen“ gelegt werden. Allerdings scheint es in diesem doch etwas speziellen Fall manchmal schwierig zu sein, die bei wissenschaftlichen Fragestellungen zu erwartende Objektivität zu wahren. Daher bereits an dieser Stelle der notwendige Hinweis, dass nicht alle Mitglieder und Angehörige der Hohenzollern über einen Kamm „geschoren“ werden sollen. Zum einen ist die gesamte Familie auf ganz verschiedene Zweige verteilt, so dass schon deshalb eine Pauschalisierung (insbesondere mit negativer Grundtendenz) unzulässig ist. Zum anderen gebietet es auch die Achtung vor historischen Zusammenhängen, tendenziöse Stimmungsmache (meist um Quote zu erzielen) zu unterlassen. Wenn trotz allem Anlass zum „Fremdschämen“ besteht, gebietet es aber die Redlichkeit, hierauf hinzuweisen. Nicht nur der Boulevard, auch wertkonservative Milieus haben ein Recht, ihrer Empörung in geeigneter Form Ausdruck zu verleihen.
2) Exemplarisch im Überblick jüngst in der F.A.Z. vom 30.11.19 (Nr. 279), S. 11, 13 u. v. 21.12.19 (Nr. 297), S. 12. Auch im Spiegel, der Zeit oder in der Süddeutschen Zeitung hat es mehrfach Artikel und Interviews gegeben. Die vier in der Debatte thematisierten Gutachten (die Autoren in alphabetischer Reihe: Brandt, Clark, Malinowski u. Pyta) sind im Internet verfügbar. Der dt. Bundestag hatte im Sommer 2019 ebenfalls Gelegenheit, sich mit dem Thema der Ansprüche der Hohenzollern auf öffentliche Kulturgüter zu befassen, s. Drucksachen 19/12369 und 19/12871, letztere stammt von der Bundesregierung v. 30.08.2019.
3) Ähnliches, wenn auch nicht ganz so „hochgepusht“, gilt für das Haus Hannover (die „Welfen“). Auch dort tobt zur Zeit eine recht undurchsichtige familien- und vermögensrechtliche Auseinandersetzung, an der auch das Bundesland Niedersachsen beteiligt ist (also die Steuerzahler).
4) So z.B. im Sommer 2019 beim Landgericht Koblenz: Der Anspruch auf Burg Rheinfels bei St. Goar in Rheinland-Pfalz wurde vollständig abgewiesen; der Prinz und seine hochbezahlten Rechtsbeistände haben sich blamiert. Es habe sich lt. Gericht nicht um Privatvermögen der Hohenzollern gehandelt. „Der Anwalt des Bundeslandes warf Georg Friedrich Prinz von Preußen vor, bei den Millioneninvestitionen des Hoteliers in dessen Vier-Sterne-plus-Hotel tatenlos zugesehen zu haben und nun dessen Pacht kassieren zu wollen.“ So ein Zitat auf „Spiegel Online“ v. 23.05.2019. Wenig schmeichelhaft!
5) Die „Lektüre“ des gesamten Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994 (zuletzt 2011 geändert) ist eher abschreckend, zum Teil unübersichtlich, missverständlich, ein Beispiel für schlechte Gesetzgebungstechnik! Außerdem gehört zum Verständnis auch das „Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen“ v. 23.09.1990.
6) Vgl. Conrad, S. 209.
7) Grundsätzlich zum Familienfideikommiss, s. Conrad, S. 210.
8) Die Vermeidung einer Zersplitterung war oft nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern bezogen auf das Staatsrecht sollte ständigen Thronkämpfen innerhalb einer regierenden Familie vorgebeugt werden. Ein besonders abschreckendes Beispiel waren Ende des 6. und zu Beginn des 7. Jahrhunderts im Frankenreich die Merowinger o. Mitte des 9. Jahrhunderts bei den Karolingern die Enkel von Karl d. Großen. Erst als mit der Goldenen Bulle 1356 ein wirksames „Staatsorganisationsrecht“ geschaffen wurde, konnte man die Thronfolge als rationalen Vorgang begreifen (auch wenn danach nicht immer alles korrekt ablief). Durch die hervorgehobene Stellung der Kurfürsten konnte sich auch der sog. Hochadel (Reichsfürsten) konsolidieren. Einer der Kurfürsten war der Markgraf von Brandenburg (als Erzkämmerer eine Art „Finanzminister“). Ohne die Kurwürde in Brandenburg wäre es sicher schwer geworden, die Vereinigung mit dem Herzogtum Preußen durchzusetzen, somit die Grundlage für das spätere Königreich Preußen, und ohne diese machtpolitische Stellung Preußens kein Deutsches Reich im Jahre 1871 (zumindest wenn man unterstellt, dass die Entwicklung nach der Französischen Revolution unverändert stattgefunden hätte). Man sieht an dieser kurzen Darstellung, wie komplex die staatspolitische Entwicklung im Deutschen Reich gewesen ist. Obwohl diese ganzen mittelalterlichen Vorstellungen und Rechtsbeziehungen, insbesondere zum Lehnswesen, mit dem Verzicht auf die Kaiserwürde durch Franz II. im August 1806 hinfällig wurden, haben einzelne Institutionen noch lange nachgewirkt. Formal beendet wurde die Sonderstellung des Adels in Deutschland wie in Österreich erst mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem politischen Umsturz.
9) Es war der besonderen Fähigkeit römischer Juristen geschuldet, dass mit dem Fideikommiss eine legale Möglichkeit geschaffen wurde, die im altrömischen Erbrecht vorhandene Diskriminierung insbesondere von Töchtern eines Erblassers zu umgehen. Auch im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten v. 1794 standen gemeinschaftliche Familienrechte den Frauen als Berechtigte zu, ALR 2. Teil, 4. Titel § 2. Dies galt als Grundsatz auch bei Errichtung von Familienstiftungen und Fideikommisse (ALR 2.Teil, 4. Titel §§ 21 – 226). In der Praxis wurden die Fideikommisse zwar regelmäßig zugunsten der Söhne ausgestaltet, aber der damalige Gesetzgeber hatte durchaus die Notwendigkeit weiblicher Rechtsnachfolge erkannt und geregelt. Als Auslegungshilfe können diese tradierten Rechtsgrundsätze auch heute noch sinnvoll sein, wenn in alten Urkunden und sonstigen Abmachungen zum Erbrecht Unklarheiten oder gar Lücken auftauchen.
10) So drastisch: Gesetz vom 3. April 1919 betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen.
11) Von den anderen Siegermächten war in Paris wenig Parteinahme zugunsten der Hohenzollern zu erwarten. Denn immerhin war es der US-amerikanische Präsident Wilson, der in seiner zweiten Antwort auf das deutsche Ersuchen um Beendigung des Krieges Mitte Oktober 1918 das Signal zur Abdankung des Kaisers ausgegeben hatte. Und die englische Presse (öffentliche Meinung) sah im Kaiser den Erzschurken schlechthin. Eine im Völkerrecht anerkannte „Sequestration“ des kaiserlichen Vermögens durch die Siegermächte wäre daher durchaus möglich und in Anbetracht der schwerwiegenden Anklagepunkte im Versailler Vertrag (besonders Art. 227) erwartbar gewesen, vor allem auch im Hinblick auf die „Reparationsfrage“.
12) Ob dieser Vermögensauseinandersetzungsvertrag v. Oktober 1926 später während der NS-Zeit von Hitler aufgehoben bzw. abgeändert wurde, um mit der Enteignungsdrohung Druck auf die Hohenzollern auszuüben, scheint ungeklärt. Zumindest unstrittig dürfte sein, dass bereits 1933 der neue preußische Ministerpräsident Göring dem „Haus Brandenburg-Preußen“ jährliche Geldzahlungen gewährte: als Gegenleistung für öffentliches Stillschweigen. „Man nahm und schwieg“, s. Neugebauer, S. 195.
13) S. bei Neugebauer, S. 190, der zwar keine Fundstelle für diese Zahlen angibt, aber insgesamt eine sehr positive Grundeinstellung gegenüber den Hohenzollern einnimmt, warum sollte er daher übertreiben?
14) Neben dem Diskriminierungsverbot in Art. 3 GG kommt auch der Eheschließungsfreiheit in Art. 6 GG eine tragende Bedeutung zu, auch wenn heute die klassische Ehe durch politische Ignoranz entwertet wird.
15) BGH, Beschluss v. 2.12.1998 – IV ZB 19/97 (in allen jurist. Fachzeitschriften abgedruckt).
16) BverfG, 3. Kammer des 1. Senats, Beschluss v. 22.03.2004 – 1 BVR 2248/01 (im Original im Internet einsehbar).
17) Allerdings beabsichtigte der ehemalige Kronprinz zunächst, die ihm unterstellte 5. Armee zwecks Demobilisierung zurückzuführen. Die neue Regierung um Ebert enthob ihn jedoch seiner militärischen Stellung, sprich er war als Truppenkommandeur abgesetzt, aber nicht als Offizier entlassen. Für die förmliche Entlassung eines hohen Offiziers hätte es nicht nur eines Willensaktes des geflohenen Kaisers, sondern auch der Gegenzeichnung durch den preußischen Kriegsminister bedurft. So die Verfassungslage nach der Reform v. 28.10.1918. Beides ist nicht aktenkundig, sprich als Kronprinz Wilhelm nach Holland geflohen ist, tat er dies als hoher preußischer Offizier, war also fahnenflüchtig. Auch wenn er als Truppenkommandeur eine Niete gewesen ist, der während des gesamten Krieges von seinen Adjutanten „eingerahmt“ werden musste.
18) Um ein Wort des Historikers Fritz Hartung abzuwandeln, scheint es auch bei den Hohenzollern zuzutreffen, dass nach dem Ausscheiden der ersten und zweiten Generation einer großen Familie bei den Nachfolgenden die Neigung zum „Rentnerdasein“ (übertriebene Ess- und Trinklust) aufkommt.
19) S. Wikipedia zu Kaiserin Auguste Viktoria. Die behauptete „Unebenbürtigkeit“ wird hier nicht weiter thematisiert und wurde auch nicht näher überprüft.
20) Der Begriff „Geblütsrecht“ soll hier in einem weiteren Sinne verstanden werden, nicht nur als Gegenbegriff zum „Wahlrecht“ bei der Bestimmung des Nachfolgers im Amt des deutsch-römischen Königs im Mittelalter. Bekanntlich war die Thronfolge im Heiligen Römischen Reich von einem Wechsel der Grundprinzipien (Abstammung, also Primogenitur, oder aber „freie“ Königswahl) bestimmt. Vgl. auch Fußnote 8. Die Überbetonung des „Stammbaums“, also der auf genealogischer Abstammung beruhenden Vorstellung von „Ebenbürtigkeit“, musste zwangsläufig zu einer Einengung des „Gen-Pools“ führen. Rassenbiologisch (also ganz im NS-Denkmuster) waren Erbkrankheiten vorprogrammiert, denn wenn sich keine hochwohlgeborene Prinzessin von außerhalb finden ließ, musste halt die Cousine 2. Grades herhalten. Dadurch konnte sich, zumindest in katholischen Familien, auch noch der Papst einmischen (Dispens) und die Vererbung der Bluterkrankheit war quasi im Preis inbegriffen, zum Teil sogar die klassischen Geisteskrankheiten. Alles eine Folge des „geschwächten Bluts“ im gesamten europäischen Hochadel.
Nur nebenbei: Gingen die Herrscher im Mittelalter „fremd“, hatten ihre „Bastardsöhne“ frisches Blut und waren oft erfolgreicher als andere, z.B. Karl Martell (Großvater Karls d. Gr.) oder Arnolf v. Kärnten, den man ohne Übertreibung zu den Gründungsvätern des Deutschen Reiches (in der Nachfolge des die germanischen Stämme umfassenden ostfränkischen Teils des ursprünglich karolingischen Großreiches) um das Jahr 900 rechnen darf. Gerade bei diesem ersten eigenständigen König des ostfränkischen Reichs zeigt sich aber auch der Zwiespalt bei der Thronfolgeregelung von illegitimen und voll erbberechtigten Söhnen. Hier mag tatsächlich ein „deutscher Sonderweg“ vorliegen: Ausgehend von frühgeschichtlichen Zuständen der Germanen, als die wirksame Zugehörigkeit zu einer Sippe, als einer alles umfassenden Geschlechtsverbindung, absolut maßgeblich für die Rechtsstellung einer Person gewesen ist, konnten sich im ehemals ostfränkischen, dann Deutschen Reich derartige Vorstellungen zum Abstammungsprinzip erhalten und dann z. B. im Hochadel zur besonderen Rechtsfigur der „Ebenbürtigkeit“ weiterentwickeln.
21) Grundlage war die seit dem Frühmittelalter ausgeprägte Vorstellung von der „Munt“ des Hausherrn: Solange eine Frau unverheiratet war, unterstand sie der personenrechtlichen Gewalt des Vaters (oder des ältesten männlichen Angehörigen), mit der Heirat erfolgte eine (juristisch maßgebliche) Übertragung der „Munt“ auf den Ehemann; im Übrigen durchaus vergleichbar der Hausgewalt des pater familias im Römischen Recht (Vorstellungen, die über 2000 Jahre in Europa vorherrschten). Zwar gibt es im 21. Jahrhundert für derartige Abhängigkeitsverhältnisse nur noch wenig Verständnis, außer in bestimmten Kulturkreisen, denen auch heute noch Clan- u. Sippenstrukturen anhaften, doch gerade in Zeiten gesellschaftlichen Wandels kann eine Betrachtung (Erinnerung) früherer Zustände hilfreich sein, bestimmte Entwicklungen zu erkennen und zu beurteilen.
22) Die sexuelle Präferenz von Prinz „Auwi“ sollte zwar ebenfalls Privatsache sein, aber gerade die Skandale zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Berliner Hofgesellschaft („Harden-Eulenburg-Affäre“, „Liebenberger-Kreis“) zeigten, wie schnell Personen, denen strafbare Handlungen gem. § 175 StGB a.F. vorgeworfen werden konnten, auch politisch erpressbar wurden, was sich bis in höchste außenpolitische Kreise ziehen konnte. Verschwörungstheoretiker hätten ihre wahre Freude! Aber gerade weil Prinz „Auwi“ zur speziellen Clique um Ernst Röhm zählte, hätte ihm auch klar sein müssen, dass weder Goebbels noch Hitler ihn als möglichen Anwärter auf den Thron in Betracht ziehen konnten, selbst wenn die maßgeblichen NS-Führer noch Anfang der 1930er Jahre an eine „Wiederbelebung“ der Monarchie im Deutschen Reich gedacht hätten, wofür aber nichts Konkretes spricht (von wegen „geläuterte Monarchie“, bloß eine der vielen Floskeln und semantischen Nebelkerzen Adolf Hitlers).
23) Im Zusammenhang bei Kimminich, S. 573 ff.
24) Siehe Fundstelle bei Könnemann, S. 38 f. (lfd. Nr. 25).
25) Dito, S. 39 letzter Absatz, gleichsam als Schlusswort.
26) Wahrscheinlich kommt einer der abweichenden Gutachter sogar zum Schluss, die Gesellschaft zum Studium des Faschismus sei eine karitative Veranstaltung in Form einer Teegesellschaft gewesen; zum Schutz der Witwen und Waisen: Sancta Simplicitas!
27) Was kann es sonst gewesen sein, außer ein maßlos übersteigertes Ego? Bedenkt man, wie demütigend die vormalige Rolle für den ehemaligen Kronprinzen gewesen sein musste: Als nomineller Armeeführer faktisch kaltgestellt, von allen militärstrategischen Planungen der 5. Armee nahezu ausgeschlossen, während der zahlreichen Ränkespiele 1916/17 völlig ignoriert (besonders bei den Entlassungen Falkenhayns und Bethmann Hollwegs), sogar der bayrische Kronprinz fand beim Kaiser mehr Gehör als der eigene Sohn!
Neben den kognitiven Mängeln kamen dann noch die fehlenden Vertrauensbeweise hinzu, so dass zwangsläufig eine Profilneurose entstehen musste. Unter diesem Aspekt dürfte die militärische Niederlage nebst Abdankung des Vaters dem zwar ebenfalls gestürzten, aber dann besonders umtriebigen Kronprinzen wie eine innere Genugtuung vorgekommen sein. Daher setzte er nach seiner Rückkehr, spätestens mit dem Tode Stresemanns alles daran, um seine Vorstellungen eines „modernen Führertums“ im Kleide der Monarchie voranzubringen und im Idealfall auch umzusetzen.
28) So das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland über die Auflösung des Staates Preußen, 25. Februar 1947, in: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Berlin, Nr. 14 vom 31. März 1947, S. 262. Gemeint als „die Wurzel allen Übels“.
29) Z.B. Oswald Spengler: „Preußentum und Sozialismus“.
30) Die eigene Gedankenwelt Hegels hat bekanntlich für „Rechte“ wie für „Linke“ Platz geboten, totalitäre Konstruktionen zu entwerfen und zu begründen.
31) Antwort der Bundesregierung, Drucksache 19/12871, S. 2.
Literatur (stark gekürzt)
Conrad, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte, Band II, Karlsruhe 1966.
Kimminich, Otto: Deutsche Verfassungsgeschichte, 1. Auflage, Frankfurt/M. 1970 (die 2. Auflage ist im Wesentlichen unverändert).
Könnemann, Erwin u. Gerhard Schulze: Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch. Dokumente, München 2002.
Neugebauer, Wolfgang: Die Hohenzollern, Band 2, Stuttgart 2003.