Hitlers Mann fürs Grobe, der zur Gefahr für ihn wurde und den Hitler im Juni 1934 unter Vorwand des sog. „Röhm-Putsch“ ermorden ließ.
„Der Führer hat geschockt zur Kenntnis genommen, dass Röhm schwul ist. Was wird er nur sagen, wenn er erfährt, dass Hermann Göring fett ist und Josef Goebbels humpelt?“
(zeitgenössischer Witz aus den Anfangstagen der NS-Zeit)
Damals wie heute haben Nazis eine Gemeinsamkeit abseits ihrer völkisch-nationalen Ideologie: Selbstbild bzw. selbst erklärte Idealvorstellung vom „echten Deutschen“ und die Realität klaffen weit auseinander. Wie stellen sich Nazis sich selbst, also die deutschesten aller Deutschen, die „Arier“ und „Herrenmenschen“ vor? Groß, schlank, muskulös, blond und blauäugig, mit deutschen Namen wie Hermann oder Siegfried und natürlich weiß und heterosexuell. Einfalt statt Vielfalt halt. Und wenn man so viele Menschen als „undeutsch“ diskriminiert, wird es schwer, selbst nicht aus dem Rahmen zu fallen. Heutige Rechtsextreme außerhalb der Parlamente tragen gerne Glatze und Springerstiefel und scheitern nicht selten daran, ein Hakenkreuz an eine Wand zu malen. Die in den Parlamenten tragen Dackelkrawatte, sind Lesben mit Wohnsitz in der Schweiz oder leugnen vehement, dass ihr Vorname Bernd ist, obwohl Bernd eine Koseform von Björn (althochdeutsch für „Bär“) ist. Und die Original-Nazis aus der NS-Zeit? Einer hatte schwarze Haare und war mit einer Frau mit jüdischem Vornamen liiert, der nächste hinkte, der übernächste war übergewichtig (hieß aber immerhin Hermann) und einer war ein kahlköpfiger Brillenträger. Und dann wäre da noch einer, der schon sehr früh zur Bewegung fand und sich für sie so wie viele Rechtsextreme heute auf der Straße Schlachten lieferte: Ernst Röhm (1887 – 1934), untersetzt, schwul und selbst für Adolf Hitler (1889 – 1945) ZU gewaltbereit. Röhm ist heute vielen gar kein Begriff mehr, obwohl Hitler ohne ihn wohl nie dahin gekommen wäre, wo er 1934 stand, als er Röhm zum Staatsfeind erklärte. Zugleich verrät uns die Person Röhm noch mehr als alle anderen NS-Funktionäre viel darüber, wie streng die Maßstäbe der Nazis waren, wenn es um sie selbst ging. Also: Wer war Ernst Röhm?
Ernst Julius Günther Röhm erblickte am 28. November 1887 als Sohn des Eisenbahnoberinspekteurs Guido Julius Josef Röhm (1847 – 1926) und dessen Ehefrau Sofia Emilie Röhm (1857 – 1935, geb. Baltheiser) in München das Licht der Welt. Seine Geschwister Robert (1879 – 1974) und Meta Eleonore Sofie (1880 – ?) waren beide älter als er. Nach dem Abitur trat Ernst Röhm 1906 in die Armee ein, beim 10. bayerischen Infanterie-Regiment „Prinz Ludwig“. 1908 wurde Röhm nach dem Besuch der Kriegsschule in München zum Leutnant ernannt. 1914 brach dann der Erste Weltkrieg aus und Ernst Röhm wurde als Bataillonsadjutant an der Westfront eingesetzt. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet und zum Oberleutnant befördert. Nach einer kurzen Zeit beim bayerischen Kriegsministerium kehrte Röhm an die Westfront zurück. Er diente als Ordonnanzoffizier und danach 2. Generalstabsoffizier seiner Division, kämpfte bei der Schlacht von Verdun, wurde dreimal schwer verletzt und stieg mehrfach dekoriert bis zum Hauptmann auf.
1918 endete der Krieg und das Kaiserreich zerfiel. Der Friedensvertrag von Versailles zwang das Deutsche Reich zur Demobilisierung, wodurch viele Soldaten arbeitslos wurden und sich in Form von Freikorps einer der vielen neu gegründeten Parteien anschlossen. Diese Parteimilizen trugen den Wahlkampf mit Gewalt auf offener Straße aus. Als in München 1919 die sozialistische Räterepublik Bayern ausgerufen wurde, schloss Ernst Röhm sich dem Freikorps von Franz Ritter von Epp (1868 – 1947) an, um die sozialistische Bewegung gewaltsam niederzuringen. Dieser Freikorps wurde zur „Brigade Epp“ und Röhm war Stabsoffizier in ihr, sofern man bei paramilitärischen Freikorps von tatsächlichen Offiziersrängen sprechen mag. Im Grunde waren die „Brigade Epp“ und die von Röhm selbst, Karl Mayr (1883 – 1945) und Josef „Beppo“ Römer (1892 – 1944) gegründete informelle Offiziersvereinigung „Eiserne Faust“ Klubs für Männer, die gerne Krieg spielen wollten, aber eigentlich nicht durften. So wie Reichsbürger heute gerne Deutsches Reich spielen und sich dabei auch gegen die „BRD GmbH“ bewaffnen. Röhms Aufgabe bei der „Brigade Epp“ war die Erfassung von Waffen, die von demobilisierten Truppen stammten. So wurde Röhm eine Schlüsselfigur bei der Niederschlagung der Räterepublik und der Anlage geheimer und nach Friedensvertrag höchst illegaler Waffenlager, die Bürgerwehren in Bayern und andere paramilitärische Vereinigungen mit der „rechten“ Gesinnung mit Waffen versorgten. Über Karl Mayr lernte Röhm einen V-Mann des Nachrichtendienstes der Reichswehr kennen, dessen Aufgabe es – wie heute bei V-Leuten des Bundesamts für Verfassungsschutz – war, rechte Gruppierungen und Parteien wie die „Eiserne Faust“ oder die von Anton Drexler (1884 – 1942) gegründete Deutsche Arbeiterpartei (DAP), aus der wenig später die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) werden sollte, zu infiltrieren und geheime Einblicke in deren Umtriebe an die Reichswehr weiterzuleiten. Der Name jenes V-Manns, zu dessen Duzfreunden Röhm schon bald gehörte, war Adolf Hitler. Und Hitler hatte wenige um sich, die ihn duzen durften. Zu Weimarer Zeiten waren das sein Mentor Dietrich Eckart (1868 – 1923), Hermann Esser (1900 – 1981), der Herausgeber der Hetzschrift „Der Stürmer“ Julius Streicher (1885 – 1946) und Christian Weber (1883 – 1945), später Albert Speer (1905 – 1981) und natürlich Eva Braun (1912 – 1945).
1919 trat Röhm der DAP bei, 1920 ihrer Nachfolgepartei NSDAP. Er baute schon früh andere rechte Parteimilizen für Hitler auf. Im November 1920 wurde die Turn- und Sportabteilung gegründet, aus der dann die Sturmabteilung (SA) hervorgehen sollte. Im selben Jahr, 1921, wurde Röhm Generalstabsoffizier der Reichswehr und stellte Hitler zahlreichen Militärs vor, die so zum Beitritt in die NSDAP bewegt werden konnten. Röhm war auch Hauptverantwortlicher für den Zusammenschluss der rechten paramilitärischen Verbände zum Deutschen Kampfbund. Politisch suchte Hitler derweil den Schulterschluss mit anderen Rechten und konnte General Erich Friedrich Wilhelm Ludendorff (1865 – 1937) als Verbündeten gewinnen. Mit seinem eigenen Wehrverband „Bund Reichskriegsflagge“ beteiligte Röhm sich am 9. November 1923 aktiv an Hitlers und Ludendorffs Versuch, die bayerische Landesregierung und die Reichsregierung in Berlin zu stürzen. Der „Marsch auf Berlin“, der Hitler vorschwebte, wurde noch in München nach einigen Hundert Metern von der Polizei aufgehalten. Während Hitler für den Putschversuch in Haft kam, kam Röhm mit einer Bewährungsstrafe davon. NSDAP und SA wurden jedoch zeitweilig verboten. Ferner wurde Röhm aus der Reichswehr ausgeschlossen.
Bei der Reichstagswahl am 4. Mai 1924 wurde Röhm für die Nationalsozialistische Freiheitspartei (NSFP) in den Reichstag gewählt. Bald darauf trat Röhm der Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) bei. Hitler beauftragte Röhm mit der Neuorganisation der SA. Röhm gründete aber auch eine Dachorganisation der völkischen Wehrverbände mit Ludendorff als Schirmherr: Frontbann. Nachdem Hitler im Februar 1925 die NSDAP neugegründet hatte, war er fest entschlossen, der Partei ein neues Image zu geben. Diese Legalitätstaktik sah vor, sich bieder und gutbürgerlich zu geben und die Verbindungen zu gewaltbereiten Schlägertruppen wie der SA und dem Frontbann zu kappen. Hitler wollte die NSDAP zur echten Alternative für den deutschen konservativen Spießbürger gegenüber den etablierten demokratischen Parteien machen, um dann, wenn man einmal an der Macht wäre, die Maske fallen zu lassen. Röhm legte sein Amt nieder. Ohne wirkliches Einkommen ließ Röhm sich von 1928 bis 1930 als Militärausbilder in Bolivien einspannen, ehe er 1930 zur NSDAP zurückkehrte.
Obgleich NSDAP und SA miteinander rivalisierten oder vielleicht auch gerade deshalb, machte Hitler Röhm das Angebot, wieder die Führung der Miliz zu übernehmen. Röhm baute die SA aus. Durch die Weltwirtschaftskrise, in der die verarmten und perspektivlosen Menschen sich extremeren Parteien zuwendeten, bekam die SA derartigen Zulauf, dass sie zu einer wahren Massenorganisation mit etwa viereinhalb Millionen Mitgliedern heranwuchs. Zuerst proletarisierte und nun arbeitslose Frontkämpfer lieferten sich erneut Schlachten auf offener Straße und Ernst Röhm an ihrer Spitze. Doch die SA wollte die bewaffnete Revolution von rechts, was durchaus dem ursprünglichen faschistischen Gedankengut mehr entsprach als Hitlers Legalitätspolitik. Doch die führte Hitler im Januar 1933 zum Erfolg. Nach der Machtübernahme stellte Hitler Röhm zunächst mit einem Posten als Reichsminister ohne Geschäftsbereich und bayerischen Staatsminister ruhig. Doch Röhm fand sich im neuen System nicht zurecht. Er plante mit seiner SA eine „zweite Revolution“, wodurch er in eine Rivalität mit Hitler und der NSDAP, der Reichswehr und vor allem einem Mann geriet: Der Reichsführer der mit der SA konkurrierenden „neuen“ Miliz, der Schutzstaffel (SS), Heinrich Himmler (1900 – 1945) drängte Hitler, Röhm Einhalt zu gebieten.
Hitler machte am 30. Juni 1934 Tabula Rasa mit alten Weggefährten, die nun zur Gefahr wurden, weil sie sich in Hitlers Diktatur nicht so wiederfanden, wie sie erwartet hatten. Er fingierte hierzu unter anderem einen Putsch Röhms, bei dem auch dessen Homosexualität gegen ihn ins Feld geführt wurde, und ließ ihn und andere hohe SA-Mitglieder verhaften. Röhm wurde ins Gefängnis nach Stadelheim gebracht, weigerte sich aber, Suizid zu begehen. Daraufhin befahl Hitler, Röhm am 1. Juli 1934 in seiner Zelle zu erschießen. Später nutzte Himmler die Tatsache, dass der „Verräter“ Röhm schwul war, umgekehrt, um die Schritte des Regimes gegen Homosexuelle zu rechtfertigen.
Literatur
Eleanor Hancock: Ernst Röhm. Hitler’s SA Chief of Staff. New York 2008.. (Reprint 2011: ISBN 978-0-230-12050-1). (Rezension bei H.Soz.Kult durch Hans Rudolf Wahl)
Joachim Fest: „Ernst Röhm und die verlorene Generation“, in: Ders.: Das Gesicht des Dritten Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, Piper, München 1963, S. 190–206.
Conan Fischer: „Ernst Julius Röhm – Stabschef der SA und unentbehrlicher Außenseiter“, in: Ronald Smelser (Hrsg.): Die braune Elite 1, 22 biografische Skizzen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999., S. 212–222.
Marcus Mühle: Ernst Röhm. Eine biografische Skizze, Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2016.
Links zu SA, Reichswehr, Mord und Mordaktion Röhms 1934
Themen wie: Geschichte der SA, Hitler als Reichskanzler, die SA-Führung in Bad Wiessee, Reichspräsident Paul von Hindenburg, der Versailler Vertrag sowie Röhm als SA-Führer und Nationalsozialist.
BR Podcast: Die „Nacht der langen Messer„: Der „Röhm-Putsch“ 1934