Heute verbinden wir kein Gesicht so sehr mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wie Adolf Hitler (1889 – 1945), doch war der keineswegs Begründer der NSDAP bzw. der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), aus der die NSDAP hervorging. Nein, Hitler wurde kurz nach Kriegsende und Proklamation der Republik von der Reichswehr als V-Mann losgeschickt, um sich einige der neugegründeten Parteien anzuschauen. So führte ihn sein Weg 1919 auch in den Münchener Hofbräukeller, wo die DAP ihre Sitzungen abhielt. Diese war begründet worden von Anton Drexler (1884 – 1942), Karl Harrer (1890 – 1926) und Gottfried Feder (1883 – 1941), wobei vor allem Drexler als die treibende Kraft hinter der Partei in ihren Anfangstagen galt, ehe Hitler ihn beiseite drängte. Nun war Drexler zwar vieles, was man gemeinhin mit den Nazis verbindet, und dennoch dürfte er angesichts seiner Schöpfung ähnlich verzweifelt sein wie Viktor Frankenstein über seine Kreatur, nur dass die zu Beginn grundgut war und erst durch die Menschen rachsüchtig wurde, was man von der DAP halt nicht behaupten kann.
Anton Drexler wurde am 13. Juni 1884 als Sohn eines Eisenbahnarbeiters in München geboren. Nach der Schule absolvierte er eine Schlosserlehre und arbeitete ab 1902 erst in einer Berliner Lokomotivenfabrik und dann als Werkzeugschlosser in einer Münchener Eisenbahnwerkstätte. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde Drexler als untauglich ausgemustert. Er trat 1917 der neu gegründeten Deutschen Vaterlandspartei bei, denn auch im Kaiserreich gab es schon politische Parteien, wenn auch mit weit weniger Einfluss als später in der Weimarer Republik. 1918 gründete Drexler den Freien Arbeiterausschuss für einen guten Frieden und den Politischen Arbeitszirkel. Diese tragen bereits die ideologischen Kernmerkmale des Nationalsozialismus: Arbeiterpartei, ja, aber nicht kommunistisch oder sozialistisch, sondern nationalkonservativ, denn laut Drexler war der Bolschewismus, also die Auslegung des Kommunismus-Sozialismus nach Lenin (1870 – 1924), „jüdischer Betrug“. Er verknüpfte also bereits Antikommunismus und Antisemitismus. Diese beiden wurden zur damaligen Zeit auch gerne wegen der jüdischen Wurzeln von Karl Marx (1818 – 1883) miteinander vermengt, obgleich Marx selbst ein eher schwieriges Verhältnis zum Judentum oder vielmehr zur Religion ganz allgemein hatte. Weshalb zwar häufig gesagt wird, Marx zeige in seinen Schriften antisemitische Tendenzen, man aber richtigerweise wohl, wenn von antijudaistischen sprechen müsste. Drexler schrieb auch, dass es sein Ziel sei „den Siegeswillen der Bayern, besonders der Arbeiterschaft zu stärken“. Ferner publizierte er 1919 eine Schrift mit dem Titel „Das Versagen der proletarischen Internationalen und das Scheitern der Verbrüderungsidee“. Etwa einen Monat vor Kriegsende hielt Drexler dann die erste Versammlung des Freien Arbeiterausschusses für einen guten Friedenab. Zugegen war auch Thule-Mitglied Karl Harrer. Die Thule-Gesellschaft war ein rechtsokkulter Geheimbund, nach dessen Vorbild Harrer auch die bald von ihm und Drexler gegründete DAP gestalten wollte. Die Verknüpfung von Okkultismus und Nationalsozialismus bestand aber bis zum Untergang des NS-Regimes fort. Gerade Heinrich Himmler (1900 – 1945) schuf innerhalb der SS eine kultisch-okkulte Bewegung mit Geheimritualen und kruden Glaubensvorstellungen, die mehr mit einer Sekte als einer Parteimiliz zu tun hatten.
Am 5. Januar 1919 gründeten Drexler und Harrer, der erster Parteivorsitzender wurde, die Deutsche Arbeiterpartei (DAP). Drexler veröffentlichte außerdem das Pamphlet „Mein politisches Erwachen – Aus dem Tagebuch eines deutschen sozialistischen Arbeiters“, in dessen Titel die Idee des nationalistisch geprägten Sozialismus bereits enthalten war. Hitler sollte später auch auf diese Schrift zurückgreifen, wobei Hitlers Vorbilder wohl weniger Drexler und Harrer waren, sondern der italienische Diktator Benito Mussolini (1883 – 1945), sein Chef-Ideologe Alfred Rosenberg (1893 – 1946) und sein Mentor Dietrich Eckart (1968 – 1923). Hitler wurde im September 1919 offiziell das 54. Mitglied der DAP. Am 24. Februar 1920 wurde die DAP als NSDAP neugegründet – Drexler war nun Mitgliedsnummer 526, aber noch der zweite Parteivorsitzende in Nachfolge Harrers. Drexler, Hitler und Gottfried Feder erarbeiteten damals auch das bei der Neugründung verlesene 25-Punkte-Programm.
1921 riss Hitler bei der Mitgliederversammlung den Parteivorsitz an sich und übernahm schon damals, wenn auch nur innerhalb der Partei, diktatorische Vollmachten. Diese wurden ihm gewährt, weil er nach einem Vorstoß Drexlers zur Zusammenarbeit mit anderen rechten Parteien ausgetreten war und den Posten zur Bedingung für seine Rückkehr gemacht hatte. Drexler wurde mit dem Titel des Ehrenvorsitzenden abgespeist und verlor von da an kontinuierlich an Einfluss. Er wandte sich sogar an die Polizei, warnte davor, Hitler strebe gewaltsam nach der Macht. Er wurde belächelt.
Hitler, der Drexler wegen der Kooperation mit anderen Rechten abgekanzelt hatte, weil die Prinzipien der NSDAP unverhandelbar seien, suchte 1923 selbst den Schulterschluss mit anderen Parteien, die Hitler jedoch die Kooperation versagten. Hitzköpfig wie Hitler war, blies er zum Putsch und „Marsch auf Berlin“, welcher nach einigen Hundert Metern an der Feldherrenhalle von der Polizei gestoppt wurde. Obwohl Drexler nicht an den Umsturzplänen beteiligt war, wurde er vorübergehend inhaftiert. Dennoch sammelte Drexler Spenden für die Hinterbliebenen der beim Putsch Erschossenen und die dabei Verwundeten: die sogenannten „Hitlerspenden“.
Eine weitere Folge des Putschversuchs war das vorläufige Verbot der NSDAP, weshalb Drexler dem Völkischen Block beitrat und für diesen 1924 in den bayerischen Landtag einzog. 1925 gründete Drexler den Nationalsozialen Volksbund. Als die NSDAP wieder zugelassen wurde, blieb er auf Abstand, beteiligte sich nicht an der Neugründung. Nachdem Drexler 1928 seinen Sitz im Landtag verloren hatte, war auch sein letztes Bisschen politischer Macht und Einfluss dahin. Erst als die Nazis 1933 die Macht an sich rissen, trat Drexler wieder in die Partei ein. Ihm wurde als Gründer im kultischen Verständnis der Partei zwar Respekt gezollt (man verlieh ihm etwa den Blutorden), eine politische Rolle spielte er jedoch nicht mehr, und trotz seiner politischen Positionen, die aus Antikommunismus, Antisemitismus und Nationalismus bestanden, ist doch eher zweifelhaft, dass er beabsichtigt hatte, was dann aus seiner Partei und seinem Land wurde. Vermutlich verabscheute er Hitler und dessen Methoden trotz ähnlicher Ansichten. Für die Nazis war ihr Gründer am Ende ein Mittel zum Zweck, ein Teil ihrer Ideologie, die nennenswerte Personen der Bewegung zu Märtyrern oder Götzen verklärte.
Anton Drexler starb zurückgezogen in München am 24. Februar 1942 nach langer und schwerer Krankheit.
Literatur
Ernst Deuerlein (Hrsg.): Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten. 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1982.
Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. Blessing, München 2005.
Wolfram Selig: Drexler, Anton, in: Handbuch des Antisemitismus, Band 2/1, 2009, S. 182f.
Drexler, Anton, in: Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007.