Wenn uns Film und Literatur eines über das Böse gelehrt haben, dann, dass selbst die größten Schurken Mentoren, Lehrmeister, Ideengeber und Inspirationen haben: Sauron hat Melkor, Darth Vader hat Palpatine und der hat Darth Plagueis, Lord Voldemort hat Salazar Slytherin. Aber wie sieht es in der Realität aus? Auch die „Schurken der Geschichte“ kamen nicht allesamt von allein auf ihre grausamen Ideen und deren Verwirklichungen. Wladimir Putin (*1952) etwa wurde wegen des Films „Schild und Schwert“ Geheimagent, sein Vorbild war James Bond. Lenin (1870 – 1924), Stalin (1878 – 1953) und Mao Zedong (1893 – 1976) ließen sich von Karl Marx (1818 – 1883) inspirieren, der wohl wenig erbaut von dem gewesen wäre, was sie aus seinen Ideen gemacht haben. Aber Urban II. (1035 – 1099), Tomás de Torquemada (1420 – 1498) und Heinrich Kramer (1430 – 1505) haben sich auch auf Jesus (4 v. Chr. – 30 n. Chr.) berufen, der von Kreuzzügen, Inquisition und Hexenverfolgung vermutlich auch wenig gehalten hätte. Benito Mussolini (1883 – 1945) bekam Inspiration von Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944). Und Adolf Hitler (1889 – 1945), der in Augen vieler schlimmste Verbrecher der Geschichte? Dass er vieles von Mussolini übernahm, dürfte den meisten Menschen bekannt sein. Doch hatte Hitler auch einen ganz persönlichen Mentor, den Schriftsteller Dietrich Eckart (1868 – 1923). Er prägte Kampfbegriffe und Schlagworte wie „Führer“ als Titel für Hitler oder „Drittes Reich“ für die quasi biblisch vorhergesagte Herrschaft der Nationalsozialisten.
Johann Dietrich Eckart wurde am 23. März 1868 als Sohn eines evangelischen Notars in Neumarkt in der Oberpfalz geboren. Er wuchs ohne Mutter und vom Vater vernachlässigt auf, wechselte mehrmals die Schule – sieben Gymnasien besuchte er. Nach dem Abitur studierte er zunächst Medizin in Erlangen und war Mitglied der Studentenverbindung Corps Onoldia, brach das Studium jedoch 1891 ab. Eckart war – wie etwa auch Hermann Göring (1893 – 1946) – morphiumsüchtig, machte aber erfolgreich eine Entziehungskur, nach der er sich als Journalist, Literatur- und Theaterkritiker durchschlug, ehe er durch den Tod seines Vaters 1895 ein beachtliches Vermögen erbte. Dieses brachte er allerdings rasch durch und ließ sich 1899 fast mittellos in Berlin nieder. Hier versuchte er sich trotz Unterstützung des Generalintendanten des Schauspielhauses Georg von Hülsen-Haeseler (1858 – 1922) erfolglos als Dichter und Dramatiker. Er verfasste eine „arisch-christliche“ Nachdichtung des Dramas „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen (1828 – 1906), die 1914 in Berlin uraufgeführt wurde, danach aber auch in anderen Spielorten des Deutschen Reichs zu sehen war. Zum Zeitpunkt der Uraufführung war Eckart gerade nach München gezogen. Kurz zuvor hatte er im Alter von nun schon 45 Jahren die vermögende Witwe Rosa Marx (geb. Wiedeburg; Geburts- und Todesdatum nicht überliefert) geheiratet.
In München baute Eckart auch Kontakte zu völkischen Gruppierungen auf. Darunter waren der nach dem deutschen Erzieher und Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814) benannte völkisch-nationalistische Deutsche Fichte-Bund e. V. und die Thule-Gesellschaft, ein okkultistischer und antisemitischer Geheimbund. Eckart verfasste zu dieser Zeit auch rechtsextremistische und antisemitische Pamphlete und gründete 1915 den Hoheneichen-Verlag. Im selben Jahr veröffentlichte Eckart das Drama „Heinrich der Hohenstaufe“, in dem er den weltweiten Führungsanspruch des deutschen Volkes propagiert.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs baute Eckart Kontakte zu Gottfried Feder (1883 – 1941), Alfred Rosenberg (1893 – 1946) und Rudolf Heß (1894 – 1987) auf. Feder und Rosenberg arbeiteten so etwa zeitweilig an der von Eckart herausgegebenen Propagandazeitschrift „Auf gut deutsch“ mit, in der Eckart sich gegen die neu gegründete Republik, den Bolschewismus und das Judentum aussprach. Es war die Art antisemitische, antikommunistische und völkisch-nationale Hetze, für die sein Lehrling Hitler, den er am 14. August 1919 auf einer Veranstaltung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP, später: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, NSDAP) kennenlernte, so berüchtigt geworden ist. Wenige Monate zuvor hatte Eckart auch auf einer Versammlung der Thule-Gesellschaft gesprochen, bei der Feder, Heß und Rosenberg zu den Zuhörern gehörten. Entgegen sich hartnäckig haltender Verschwörungstheorien gibt es keinen Beleg, dass Eckart, Rosenberg oder gar Hitler selbst Mitglieder der Thule-Gesellschaft waren. Eckart verschaffte Hitler fortan Kontakte zu den höheren Kreisen der Münchener Gesellschaft, machte ihn mit wohlhabenden Vertretern der rechten Ideologie bekannt, was Hitler und seiner Partei, der Eckart übrigens nie selbst beitrat, finanzielle Zuwendungen einbrachte. Auch mit dem antisemitischen Polizeipräsidenten Münchens, Ernst Pöhner (1870 – 1925) machte Eckart Hitler bekannt.
1920 wurde Eckart Chefredakteur der Zeitschrift „Völkischer Beobachter“, die fortan offizielles Parteiorgan der NSDAP war. 1921 wurde die Ehe zwischen Dietrich und Rosa Eckart geschieden. Ein häufiges Angriffsziel von Eckarts Hetze war Reichspräsident Friedrich Ebert (1871 – 1925). Als Eckart das erste Mal wegen Beleidigung des Reichspräsidenten verhaftet werden sollte, intervenierte sein Zögling Hitler beim bayerischen Ministerpräsidenten Eugen von Knilling (1865 – 1925) und drohte mit gewaltsamen Widerstand durch die NS-Parteimiliz Sturmabteilung (SA). Als 1923 ein weiteres Mal Haftbefehl erlassen wurde, floh Eckart erst auf den Obersalzberg und dann mithilfe von Ernst Röhm (1887 – 1934) nach Berchtesgaden. Eckart kehrte später nach München zurück und wurde eine Woche nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch verhaftet, wegen seiner akuten Herzanfälle jedoch am 20. Dezember 1923 wieder entlassen. Sechs Tage später starb er im Alter von 55 Jahren in Berchtesgaden an einem weiteren Herzinfarkt. Hitler widmete seinem Mentor den ersten Band von „Mein Kampf“ und anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1936 die heutige Waldbühne in Berlin.
Literatur
Claus-Ekkehard Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiösen Dimensionen der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. 2., überarb. Auflage. Fink, München 2002.
Paul Wilhelm Becker: Der Dramatiker Dietrich Eckart. Ein Beitrag zur Dramatik des Dritten Reichs. Diss., Köln 1970.
Elke Kimmel: Eckart, Dietrich. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 2: Personen. De Gruyter Saur, Berlin 2009,, S. 196 f.
Margarete Runte-Plewnia: Auf dem Weg zu Hitler. Der „völkische“ Publizist Dietrich Eckart (= Studien zur Publizistik / Bremer Reihe, Band 14). Schünemann, Bremen 1970.
Sonja Noller: Eckart, Johann Dietrich. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 4, Duncker & Humblot, Berlin 1959, S. 284 (Digitalisat).