Thors Hammer in Goebbels’ Diensten – „Zeichner der Bewegung“
Ausgerechnet der graphomanische Joseph Goebbels (1897–1945), „Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda“, kokettierte gern mit seiner Abneigung gegen Geschriebenes, denn „die moderne Propaganda beruht noch im wesentlichen auf der Wirkung des gesprochenen Wortes. Revolutionäre Bewegungen werden nicht von großen Schriftstellern, sondern von großen Rednern gemacht. (…) Und die Suggestion einer wirkungsvollen Rede steht immer noch turmhoch über der papierenen Suggestion eines Leitartikels“.[1]
Goebbels über Schreiben und Reden
So steht es in Goebbels’ Buch „Der Kampf um Berlin“ und ist im Kontrast zu den Aktivitäten des Autors unfreiwillig komisch: Goebbels’ führte seit Oktober 1923 bis zum April 1945 Tagebuch[2], ließ diese Aufzeichnungen partiell in Buchform veröffentlichen[3], wollte in jungen Jahren Dichter oder Journalist werden, gründete später Wochenzeitungen („Der Angriff“, „Das Reich“), fasste seine eigenen Artikel zu Büchern zusammen und ließ speziell seine Leitartikel im „Reich“ allwöchentlich von der „gleichgeschalteten“ Reichspresse bejubeln.
Goebbels hatte mit seinem Ministerium und dessen Kompetenzen eine ungeheure Machtfülle in der Hand, um ihn arbeitete ein junger und mehrheitlich akademisch gebildeter Stab, die Propaganda war allgegenwärtig. Nur eins besaß Goebbels nicht – Einfluss auf den „Führer“ Adolf Hitler und die von ihm letztinstanzlich dirigierte Politik und Herrschaftstechnik. Goebbels war der Herold und Hofnarr des Regimes, und solche Figuren sind zwar in der Öffentlichkeit sehr präsent, vermögen aber nur wenig zur praktischen Politik beizutragen.[4]
Es gab natürlich propagandistische Bereiche, in denen Goebbels seinen eigenen Postulaten vom Primat des „gesprochenen Worts“ genügte. Er war der erste unter den NS-Größen, der die Bedeutung des Rundfunks erkannte und dieses Medium nutzte – so sehr, dass er später konstatieren konnte: „Ohne Lautsprecher und Flugzeug hätten wir die Macht nie erobert“. Mehr noch: Er förderte die technische Entwicklung von Rundfunk und Fernsehen und legte damit bei den Olympischen Spielen 1936 eine glänzende „Gesellenprüfung“ ab, die ihm (adressiert an die Radiomacher) ein einmaliges internationales Lob eintrug: „Namens 67 in Berlin anlässlich der Olympischen Spiele versammelter ausländischer Rundfunksprecher möchten die Unterzeichneten Ihnen am Schlusstage der Spiele den Ausdruck ihrer hohen Anerkennung für die hervorragenden Leistungen des deutschen Rundfunks während dieses größten Sportereignisses der Gegenwart übermitteln. Wir scheiden von Berlin voller Bewunderung für Ihre großartigen Erfolge auf technischem nicht minder wie auf organisatorischem Gebiet“.[5] Neben Rundfunk und Fernsehen erfreute sich der Film des besonderen Interesses Goebbels’ – schon weil er auf diesem Gebiet propagandistische Wirkung mit persönlichem Kontakt zu populären Filmstars verknüpfen konnte.[6]
Goebbels’ Propaganda und ihr Hofmaler
Zwischen 1933 und 1939 war Goebbels, obschon Minister, faktisch ohne Einfluss und Wirkung. Seine Glanzzeit lag vor der „Machtergreifung“, als er alle Register der Massenbeeinflussung ziehen konnte, und sie erlebte eine gewisse Neuauflage im Zweiten Weltkrieg, als Goebbels der einzige NS-Führer war, der sich noch unter die ausgebombten „Volksgenossen“ traute, um sie stets aufs neue mit Führertreue und Siegesgewissheit „aufzuladen“. Darum fällt es schwer, sich einen Hitler ohne einen Goebbels als Propheten, Wegbereiter, Boten und Herold überhaupt vorzustellen. Das hängt mit der Grundfrage der Erforschung des Nationalsozialismus zusammen: Wie war es möglich, dass eine wachsende Zahl von Deutschen der irrationalen, antiintellektuellen, konzeptionslosen und unverhüllt gewalttätigen Hitler-Bewegung in freien Wahlen zur Macht verhalf? Die mittlerweile favorisierte Antwort verweist auf die zentrale Rolle der Propaganda, also auf Goebbels. Goebbels wusste oder ahnte, dass eine Propaganda nicht erfolgreich sein kann, die an den „Massen“ vorbeiredet – wie es die kommunistische Propaganda permanent tat, wenn sie „Klassenkämpfe“ ausfocht und ein „Sowjet-Deutschland“ als Zukunftsziel ausgab. Die erfolgreiche Propaganda nimmt ihren Ausgang von existenten kollektiven Strömungen, Empfindungen, Sehnsüchten und Abneigungen, die sie in ihrem Sinne strukturiert und zu ihren Zielen hin kanalisiert. Goebbels hat in seinem Berlin-Buch prägnant beschrieben, wie die Grundzüge der erfolgreichen NS-Propaganda waren: Sie war national („Deutschland erwache“), autoritär („Führerprinzip“), antidemokratisch („Volksgemeinschaft“), rassistisch („Die Juden sind unser Unglück“), demagogisch („Volk ohne Raum“) und aggressiv („Drang nach Osten“) – griff also alles auf, was der von der Weltkriegsniederlage und den parlamentarisch-demokratischen Neuanfängen überforderten deutschen Öffentlichkeit bewusst oder unbewusst durch die Köpfe ging.
Die flexible, situativ reagierende Propaganda war das Scharnier zwischen Parteiprogramm und Öffentlichkeit. Das Schlimmste, was dieser Propaganda passieren konnte, war allgemeine Nichtbeachtung: „Mochte man uns beschimpfen und verleumden, blutig niederschlagen und in die Gefängnisse werfen. Das erschien uns geradezu begehrenswert. Aber dass man über uns in aufreizenden Gleichgültigkeit hinwegsah (…), das spornte in uns die letzte Kraft an, das trieb uns dazu, immer und immer wieder neue Mittel der öffentlichen Propaganda zu ersinnen“.[7] Eines dieser Mittel war die aufreizende, zuspitzende, den Betrachter fesselnde, im Gedächtnis haften bleibende Zeichnung, die zugleich die Lage und die Lösung visualisierte: So ist es und so muss es kommen, damit es besser wird! (NSDAP-Wahlplakat von 1932, Entwurf Mjölnir).
Goebbels suchte früh die ideale Kombination von „revolutionärem“ Bild und Wort und berichtete 1934, wie er sie fand: „Ich darf in diesem Zusammenhang einen Mann nicht unerwähnt lassen, der vom ersten Tag meiner Berliner Tätigkeit (…) mir zur Seite stand und dem dazu ein gottbegnadetes Künstlertum die Fähigkeit gab, der Partei und ihrem noch unausgeklärten (…) künstlerischen Stil neue Wege zu weisen. Ich meine unseren Zeichner Mjölnir (…) Er ist derjenige, der zum erstenmal und überhaupt und einzig dastehend in hinreißenden und aufwiegelnden Massenplakaten den Typ des nationalsozialistischen S.A.-Mannes zeichnerisch zur Darstellung brachte (…) Es war in der Tat der Anfang eines neuen, von uns in dumpfer Ahnung ersehnten künstlerischen Stils der jungen Bewegung“.[8]
Wie dieser „gottbegnadete“ Mjölnir ausgesehen hat, ist schwer zu ermitteln. In Goebbels’ Berlin-Buch findet sich ein Gruppenphoto der Berliner Führung, hier im Ausschnitt wiedergegeben; wenn man den auf Mjölnir-Bildern stets mit derselben Physiognomie wiederkehrenden jungen Mann als Selbstbildnis des Künstlers unterstellt, dann könnte Hans Schweitzer derjenige gewesen sein, der auf dem Gruppenphoto rechts unterhalb von Goebbels auf dem Boden hockt. Als vielbeschäftigter „Künstler“ dürfte er zur Führung gehört haben, zudem ist er der einzige auf dem Bild, der ob seiner unverkennbaren Jugend dem entspricht, was Goebbels in seinem Buch über Mjölnir aussagte.
Aber das sind Spekulationen. Hinter Mjölnir verbarg sich der Graphiker Hans Schweitzer, eine „künstlerische“ NS-Größe, für die das NS-Schrifttum jedoch nur wenig übrig hatte. Unter vielen Schweitzers – darunter „Albert, ev. Theologe, Arzt, Musiker, Kulturreformer“ – hielt ein Lexikon nur wenige dürre Zeilen über Mjölnir für ausreichend.[9]
Schweitzer soll von 1918 oder 1919 bis 1923 ein Studium an der „Kunsthochschule“ in Berlin absolviert haben. Eine solche Schule gab es nicht, wohl aber eine „Staatliche Hochschule für die Bildenden Künste“, die 1924 mit der „Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums“ zu den „Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst“ (VSS) fusioniert wurde. Mit einiger Sicherheit ist anzunehmen, dass das geringe Talent des jungen Schweitzer in der VSS mehr schlecht als recht untergebracht war. Die Schule hatte ein ausgeprägt progressives Image, unter den Lehrenden waren nicht wenige Juden, die 300 Studenten wurden in „integrierten“ Klassen in Disziplinen unterrichtet, die sie zu einer Fülle künstlerischer oder kunstgewerblicher Berufe befähigten, Expressionismus, Surrealismus, Kubismus, „neue Sachlichkeit“ etc. haben von den VSS wesentliche Anregungen empfangen. Bereits am 10. April 1933 übernahm der Wandmaler Max Kutschmann (1871–1943), NSDAP-Mitglied seit 1927 und fanatischer Hitler-Anhänger, die Leitung der Schule, die er so gründlich „säuberte“, dass man ihm umgehend auch die „Gleichschaltung“ aller Künstlervereine anvertraute.
Der streng konservativ erzogene Schweitzer fühlte sich an der VSS wohl fehl am Platze und hatte in dem umtriebigen Berlin der 1920-er auch anderweitig wenig „Fortüne“. Berlin war damals eine Pressemonopole, in der nur extremistische Blätter nicht vom Fleck kamen: Die kommunistischen nicht, weil sie es in dogmatischer Verhärtung nicht konnten – die nationalsozialistischen nicht, weil sie es in ihrer Bevorzugung wilder Hetzrhetorik nicht wollten und untereinander heftig zerstritten waren.[10] Hauptexponenten dieses Streits waren zum einen die Gebrüder Strasser, die einem „linken“ und „revolutionären“ Nationalsozialismus das Wort redeten und sich darob mit Hitler verfeindeten, und zum anderen Goebbels, der in jungen Jahren auch „linke“ Anwandlungen gehabt hatte, im Oktober 1926 aber von Hitler „auf Linie“ gebracht und als „Gauleiter“ in das „rote Berlin“ geschickt worden war.
Otto Strasser (1897–1974) hatte 1926 die „Berliner Arbeiterzeitung“ als Kampforgan seiner NS-Abtrünnigen gegründet, was Goebbels ein Jahr später mit der Herausgabe des „Angriff“ beantwortete. Dem Ersterscheinen am 4. Juli 1927 war eine nicht ungeschickte Werbekampagne vorausgegangen, die in mehreren Stufen ablief und die Neugier der Berliner wecken sollte.[11] Als er jedoch, bei der Rückkehr von einer Reise, an einem Bahnhofskiosk die erste Nummer fand, beschlichen ihn „Scham, Trostlosigkeit und Verzweiflung – eine kümmerliche Winkelzeitung, ein gedruckter Käse!“[12] Da konnten auch die ersten Mjölnir-Zeichnungen nichts retten – Goebbels’ publizistischer Einstand in der Reichshauptstadt war gründlich daneben gegangen. Dass es nicht gleich ein Ausstand wurde, lag an Goebbels’ Weitsicht. Zwar sah er ein, dass permanentes Propaganda-Gedröhne „auf die Dauer etwas eintönig wirkt“, vertraute aber auf den „ganz neuen Stil der politischen Karikatur“, die „mehr das Lach- als das Denkvermögen“ anregte – „und wer die Lacher auf seiner Seite hat, der hat bekanntlich immer recht“.[13]
Mjölnir und die frühe NS-Presse
Dafür war Mjölnir zuständig – der angeblich „zu den ersten 30 Berliner Nationalsozialisten gehört“, was wohl auf seinen frühen Beitritt zur Hitler-Bewegung deuten soll –, von dessen karikaturistischem Talent Goebbels’ Berlin-Buch zahlreiche Proben mitteilte: „Buchumschlag und Zeichnungen stammen von Mjölnir“. Und das wirft Fragen auf: Nach den sehr wenigen biographischen Notizen, die es von Schweitzer überhaupt gibt, meist in Ausstellungs- oder Verkaufskatalogen platziert, hat er ab 1926 für Strassers „Arbeiterzeitung“ und für Goebbels’ „Angriff“ gearbeitet – was angesichts der ideologischen Gräben zwischen beiden schlichtweg unmöglich erscheint. Hat Goebbels den jungen Zeichner bei Strasser „abgeworben“? Das ist wenig wahrscheinlich, da der „Angriff“ finanziell sozusagen aus der hohlen Hand gestartet worden war und gar nicht die Mittel dafür gehabt hätte. Bleibt als dritte und vermutlich zutreffende Alternative, dass Schweitzer aus eigenem Antrieb die Seiten wechselte.
Den Künstlernamen „Mjölnir“ – in der germanischen Mythologie Name von Thors Hammer, der als Wurfwaffe jedes Ziel traf und immer in die Hand des Donnergottes zurückkehrte, der ihn als einziger führen durfte – hatte sich Schweitzer 1926 zugelegt. Er sollte sein Bekenntnis zum „wahren“ Nationalsozialismus Hitler’scher Prägung und zur „arischen“ Rassenideologie ausdrücken, also auch seine immanente Abneigung gegen den „sozialistischen“ Kurs der Gebrüder Strasser. Hinzu kam, dass Schweitzer künstlerisch noch ein Anfänger war, der sich in das Metier eines zeichnenden Parteisoldaten erst mühsam hineinfinden musste. Auf Auktionen tauchen bis heute Mjölnir-Originale auf, die damals nie verwendet worden waren. Dennoch sollen Schweitzer und Goebbels ab dem ersten Zusammentreffen durch „eine tiefe Freundschaft“ verbunden gewesen sein, was man wohl besser als die bedingungslose Unterordnung des künstlerischen Novizen unter den Intellektuellen Doktor Goebbels, den Hitler mit allen Vollmachten nach Berlin geschickt hatte, verstehen sollte.
Goebbels hat unverkennbar Mjölnir nicht unbegrenzt freie Hand gelassen, wie die beiden nebenstehenden, im Sujet gleichen Bilder beweisen. Beide wurden nicht für die NSDAP-Propaganda verwendet, das Schwarz-Weiß-Bild aber immerhin in Goebbels’ Berlin-Buch aufgenommen. Was wenn nicht ein Freundesdienst des Gauleiters für den kommenden Designer politischer Auseinandersetzungen sollte hier am Werk gewesen sein? Dass Goebbels ein starkes Faible für Hans Schweitzer hatte, ist in seinem Buch mehrfach erkennbar, auch wenn der bürgerliche Name des Künstlers nie erwähnt wird.
Wie arbeitete, was tat Mjölnir damals? Goebbels notierte: „In jenen Wochen (Februar 1927, W.O.) zeichnete unser Zeichner Mjölnir seine hinreißende S.A.-Kampfserie. Sechs Postkarten von leidenschaftlich bewegter Darstellung. Künstlerische Niederschläge des blutigen Kampfes, den wir um die Reichshauptstadt führten. Damals entstand die berühmt gewordene Kohlezeichnung eines verwundeten S.A.-Mannes mit der Unterschrift: Denkt an uns! S.A. Berlin. Das schlug wie ein Blitz in die Gesamtbewegung ein. (…) Der Kampf um die Reichshauptstadt wurde mit einem Schlag im ganzen Land populär“.[14] An anderer Stelle seines Berlin-Buchs erwähnt Goebbels, wie er nach überstandener Saalschlacht das Wort vom „unbekannten SA-Mann“ prägte – gelungene Assoziation an den „unbekannten Soldaten“, an den in vielen Hauptstädten der Welt Denkmäler erinnerten. Und Mjölnir setzte ins Bild, was Goebbels artikuliert hatte – den martialisch blickenden, kampfentschlossenen Parteisoldaten, den von letzten Raufereien noch der Turban eines Kopfverbandes zeichnet. Dieses Thema hat Mjölnir unausgesetzt variiert – der Kopfverband fehlte selten, zumal er sich leichter zeichnen ließ und aussagekräftiger als die normale SA-Mütze war.
Schweitzer und Goebbels haben einander, wie man so sagt, „gesucht und gefunden“ – als Versager in ihren Traumberufen und nunmehrige trotzige Streiter gegen das intellektuelle und künstlerische Establishment. Bei Schweitzer kam noch hinzu, dass sein Talent bestenfalls für die Gebrauchs- und Werbegraphik gereicht hätte, die in Deutschland – anders als in England und besonders in Frankreich – bis nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vom akademischen Hochmut der Maler und dem Kunstempfinden des Publikums in eine künstlerische „Schmuddelecke“ gedrängt worden war. Erst in den politischen Auseinandersetzungen der 1920-er Jahre kam so etwas wie ein Bedarf nach politischer Gebrauchsgraphik auf, nach knallig-pathetischen Plakaten, die aber direkten Weges in die künstlerische Sackgasse führte: Sobald ein Künstler aus dem Glauben an eine politische Doktrin heraus schafft, hört er auf, ein Künstler zu sein – ein kommunistischer oder ein nationalsozialistischer Künstler ist ein Widerspruch in sich! Die deutschen Nationalsozialisten haben das nie, die sowjetischen Bolschewiken wenigstens in ihrer Anfangszeit eingesehen[15] – extremistische Doktrinen sind ohne Talent nicht in ästhetisch ansprechender Form zu vermitteln, aber Talent macht sich nicht zur Magd von Ideologien.
Der „austauschbare“ Künstler
Das Ergebnis war tragikomisch: Kommunistische und nationalsozialistische „Kunst“ waren von Anfang bis Ende schlichtweg austauschbar – ausgenommen so marginale Accessoires, dass auf der einen Fahne ein roter Stern, auf der anderen ein Hakenkreuz prangen. Die beiden nebenstehenden Plakate sind im Grunde identisch: Das linke ist 1945 von Mjölnir geschaffen, das rechte etwa zur selben Zeit in der Sowjetunion entstanden, beide unterscheiden sich nur in den verwendeten Sprachen, nicht aber in ihrem Appell. Das sowjetische behauptet „Unsere Kräfte sind unzählbar“ und zeigt im Hintergrund das Denkmal von Minin und Posharskij auf dem Moskauer Roten Platz, die 1612 die Stadt von polnischen Besatzern befreiten.
Gewiss sind Kriegszeiten exzeptionelle Phasen, in denen es allein um die Mobilisierung aller Kräfte gegen den Gegner geht. Die Kunst hat dabei nur die Aufgabe, diese Mobilisierung zu unterstützen und sie in einen größeren nationalen und nationalhistorischen Rahmen zu stellen: Wenn ein schlichter Maueranschlag alle wehrfähigen Männer auffordert, sich da und dort zu melden, und ein künstlerisches Plakat diese wehrfähigen Männer in eine Kontinuität nationaler Befreiungskämpfe stellt, dann sind beider Intentionen zwar dieselben, aber ihre Formen grundverschieden und ihre Wirkung ist so, sollte so sein, dass sie einander potenzieren: Wer zum Volkssturm befohlen wird, kämpft auch „um Freiheit und Leben“ – wer zu den Partisanen muss, bewegt sich auf den Spuren einstiger Retter der russischen Metropole.
Das Elend mit politischen Extremisten ist eben nur, dass sie sich immer im Krieg wähnen, ständig mit Gegnern und Feinden verstrickt sind, unausgesetzt „Nieder mit…“ brüllen – permanent gegen etwas kämpfen, niemals für etwas. Das war bei Hitlers Nationalsozialisten noch mehr als anderswo ausgeprägt: Das nationalsozialistische Regime währte von 1933 bis 1945, also rund zwölf Jahre. Etwa die Hälfte dieser Periode wurde durch Krieg ausgefüllt: Politiker und Konzepte kamen aus dem Krieg, ihr Regime kulminierte im Krieg und ging durch den Krieg unter. Biographien verraten es: Der kriegerischer Erfahrungshorizont prägte Führung und Ideologie – Krieg war Ziel- und Selbstverwirklichung des Nationalsozialismus.[16] Deswegen hatte der klassische Unterschied, ob eine Propaganda von Machthabern oder von der Opposition betrieben wird, letztlich keinen großen Unterschied: Die Gegner wechselten, der Kampf ging weiter. Und die Kunst, hier exemplarisch durch zwei Mjölnir-Plakat aus der „Kampfzeit“ vertreten, hatte allein den Auftrag diesen kriegerischen Grundzug je nach Sujet und Situation zu variieren und zu sublimieren.
Mjölnir war nicht im Ersten Weltkrieg gewesen, trat früh der NSDAP bei und fühlte sich von da an im Krieg – gegen wen auch immer. Er bekam laufend Aufträge von NS-Blättern, allerdings immer in der einmal akzeptierten Rolle als parteilicher Schlagetot mit dem Kohlestift, und selbst hierbei erwuchs ihm laufend größere Konkurrenz, da auch andere an dieser Thematik mitverdienen wollten.[17] Sein Monopol, so er je eins gehabt hatte, war dahin: In den Gazetten tummelten sich andere Karikaturisten, berühmtere und talentiertere als er (o.e.plauen, Olaf Gulbransson, etc.), selbst „Kampfblätter“ griffen selten auf ihn zurück. So hatte etwa das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ mit Fips (Phillip Rupprecht, 1900–1975) seinen „Hauskarikaturisten“, der jede Nummer mit gezeichneten Zerrbildern von Juden ausstattete.[18] In seinen Anfangsjahren hatte sich Hans Schweitzer auch mit solchen Karikaturen versucht, die rein handwerklich nicht schlechter als die anderer waren, gelegentlich sogar besser, aber dafür war er nicht von der „Bewegung“ vorgesehen. Sein Sujet war der immer gleiche, martialisch-klobig ausgeführte Parteikämpfer, rasch aufs Papier geworfen, eben in dieser anspruchslosen Vorläufigkeit Sinnbild des rastlosen Aktionismus der NSDAP, in aller Regel noch mit schriftlichem Slogan versehen, wie sie gerade aktuell waren. „Unser Ziel war nicht zu informieren, sondern anzuspornen, anzufeuern, anzutreiben“, hatte Goebbels befohlen, und Mjölnir setzte diesen Befehl unausgesetzt um – so zur Zufriedenheit seines Freundes und Chefs Goebbels, dass dessen Berlin-Buch auch ein Archiv des frühen Mjölnir-Schaffens ist.
Im Krieg konnte Schweitzer-Mjölnir partiell an alte Glanzzeiten anschließen, etwa mit Werbeplakaten für die Waffen-SS, und wenn er es nicht konnte, machte es ihm nicht viel aus. Hitler hatte ihn als „Zeichner der Bewegung“ geadelt, der der NSDAP „seit ihren Anfängen als kämpferischer Bekenner dient“ und ihm 1933 den Titel eines Professors verliehen. Danach folgten Posten, die klingende Titel und wenige Verpflichtungen brachten: 1935 „Reichsbeauftragter für künstlerische Formgebung“ und bis Kriegsende war er Vorsitzender des „Reichsausschusses der Pressezeichner“. Ehrenmitglied der SS war er auch, und nur dafür wurde er nach Kriegsende in einem Entnazifizierungs-Spruchverfahren am 1. April 1948 zu 500 DM Geldstrafe verurteilt. Dass er 1937 als Mitglied der „Reichskammer der Bildenden Künste“ mitverantwortlich war für die Verfolgung moderner Kunst und deren Diffamierung in der Ausstellung „Entartete Kunst“, die am 19. Juli 1937 in München eröffnet und bis April 1941 durch zwölf weitere deutsche Städte geschickt wurde – davon war in dem Verfahren keine Rede. Man hatte ihn wohl als reinen Künstler angesehen und die völlig uninteressante „Blut-und-Boden-Kunst“ des Nationalsozialismus war den Richtern kein Wort wert.
Schweitzer versuchte später, sich als Illustrator durchzuschlagen, soll auch hin und wieder einen Auftrag ergattert haben, wurde größtenteils aber übersehen. Am 15. September 1980 starb er in Landstuhl – erst lange nach seinem Tod kam bei Kunstauktionen ein gewisses Interesse für seine „Werke“ auf.
Mjölnir einzigartig?
Der gesamte Bereich der Pressezeichnungen des Nationalsozialismus galt und gilt als minderwertig, weswegen eine wissenschaftliche Beschäftigung mit ihm als überflüssig angesehen wird.[19] Dieses Urteil mutet übereilt an, obwohl es natürlich „gut“ ist für jene großen Karikaturisten, die wie z.B. Olaf Gulbransson (1873–1958) zuerst gegen Hitler und die NSDAP waren, sich nach der „Machtergreifung“ ihnen raschest anbiederten und nach dem Krieg internationalen Ruhm einheimsten, als wäre nie etwas gewesen.
Es gab auch unter dem Nationalsozialismus Zeichner und Maler der verschiedensten Art. Nicht wenige zogen sich in die „innere Emigration“ zurück, andere emigrierten, wechselten Beruf und/oder Stil und Betätigungsfeld, dritte krochen vor dem Regime zu (Haken)Kreuze, was auch immer. In dieser Vielfalt war Schweitzer-Mjölnir eine singuläre Erscheinung – als das eventuell einzige, gewiss aber bekannteste „Eigengewächs“ der NSDAP. In ihr war er groß geworden, hatte sich entwickelt, hatte für sie gearbeitet, war von ihr auf Stil und Sujet festgelegt worden und hat das alles widerspruchslos mitgemacht. Er war wohl ein, milde gesagt, schlichtes Gemüt, das künstlerisch zu wenigem, intellektuell zu nichts fähig war. Aus über zwanzig Jahren „Dienst“ sind von ihm nur äußerst wenige schriftliche Aussagen bekannt geworden, und die waren so unter dem Durchschnitt, dass sie wohl nur dank seines Ansehens in der Parteiführung in die Öffentlichkeit kamen. So hat er 1936 in einem Artikel Forderungen aufgestellt, die außer ihm kaum jemand aufgestellt oder gar befolgt hätte: „Das Thema politische Karikatur darf nicht von jedem x-beliebigen, sondern nur vom von vorne herein politisch Denkenden abgehandelt werden. Es ist überflüssig zu sagen, dass sich dieses politische Denken aus der nationalsozialistischen Weltanschauung heraus versteht“. [20]
Wie die nationalsozialistische Sicht von Kunst war, hat Goebbels am 15. Juli 1939 anlässlich der Jahrestagung der Reichskammer der Bildenden Künste in München erläutert: Der Nationalsozialismus hat eine „neue Beziehungssetzung zwischen Volk und Kunst“ geschaffen, vor allem 1937 durch seine „Reinigungsaktion“ von der „entarteten Kunst“, die „einem ganz neuen deutschen Stilwillen den Weg frei gemacht“ hat. Beendet wurde der „Zersetzungsprozess der deutschen Kunst“, der von den Juden initiiert und mit „pathologischen Abarten des Kulturlebens“ fortgeführt worden war: „Die Juden eroberten zuerst die Kritik“, dann den Kunsthandel und exekutierten schließlich „ihre Tyrannei über das Ausstellungswesen und vor allem über die Kunstakademien“, bis am Ende „das Volk von der Kunst abwanderte“. Die Kunst war kraftlos und wehrlos geworden, erst von Hitler war ein „Schnitt vom Politischen her getan“ worden. Nunmehr lebten Kunst und Künstler in geordneten Verhältnissen: „Wenn Männer die Geschichte machen, so ist es die Aufgabe der Künste, ihre Taten zu preisen und zu verherrlichen und sie damit durch Lied, Wort, Melodie, Farbe oder Stein in die fernsten Jahrhunderte hineinzutragen. So werden die Künstler dienende Werkzeuge am ewigen Leben eines Volkes“.[21]
Es ist schwer vorstellbar, dass Goebbels selber an das glaubte, was er da verkündete – wie es eher möglich erscheint, dass er hier eine Warnung an alle Künstler aussprach, sich keine größeren Freiheiten zu erlauben. Drei Jahre später ist Goebbels aus demselben Anlass auf dieses Thema zurückgekommen, wobei er das Goethe-Wort „Bilde, Künstler, rede nicht!“ noch deutlicher als Warnung an die Künstler missbrauchte.[22] In beiden (wie auch in anderen) Reden über Kunst hat er Schweitzer-Mjölnir nicht erwähnt, dabei dürfte der der einzige gewesen sein, dem er aus dem Herzen gesprochen hatte, z.B. so: „In der Malerei waren wir am tiefsten gesunken; hier also mussten sich die schöpferischen Kräfte unserer Zeit am eindeutigsten bewähren“. Wer wenn nicht Mjölnir hat diese „schöpferischen Kräfte“ als erster repräsentiert, eingesetzt, verkörpert, stilistisch geprägt?
Mehr noch: Mjölnir hatte bereits 1936 konkret gewusst, wohin die „schöpferischen Kräfte“ sich entwickeln sollten: „Es sollte also z.B. nicht mehr vorkommen, dass als Sinnbild des heutigen Deutschen die Vorkriegsfigur des zwar kräftigen, aber gutmütigen und etwas dümmlichen deutschen Michels erscheint. Das Attribut der Schlafmütze, Zipfelmütze passt nicht mehr zu der erwachten jungen Generation, die kühn und selbstbewusst ihren Weg geht. Als Typus des Deutschen der heutigen Epoche darf die Welt nur den selbstbewussten, kraftvollen nordischen Menschen des Dritten Reiches sehen, der die Achtung der übrigen Völker als eine Selbstverständlichkeit für sich fordert“.[23]
Autor: Wolf Oschlies
Anmerkungen
[1] Joseph Goebbels: Kampf um Berlin – Der Anfang, 4.A. München 1934, S. 18 ff.
[2] Joseph Goebbels: Tagebücher 1945 – Die letzten Aufzeichnungen, Hamburg 1977
[3] Joseph Goebbels: Vom Kaiserhof zur Reichskanzler, München 1940
[4] Detailliert dazu Ernest K. Bramsted: Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda 1925-1945, Frankfurt M. 1971
[5] Kurt Krüger-Lorenzen: Ruhe im Karton! 1001 Erlebnisse eines Rundfunk- und Fernsehreportes der ersten Stunde, Stuttgart 1973, S. 94 ff.
[6] Felix Moeller: Der Filmminister – Goebbels und der Film im Dritten Reich, Berlin 1998
[7] Goebbels, Kampf um Berlin… aaO., S. 44
[8] Goebbels, Kampf um Berlin… aaO., S. 45
[9] Meyers Lexikon, Bnd 9, Leipzig 1942, Spalte 1387
[10] Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin – Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959
[11] S. die nebenstehenden Werbeplakate, aus Goebbels, Kampf um Berlin…aaO., S. 195
[12] ebd. S. 203
[13] ebd. S. 201
[14] Goebbels, Kampf um Berlin… aaO., S. 96; auf S. 97 findet sich das erwähnte Bild.
[15] Das Kulturwerk Sowjet-Rußlands, Wien 1920
[16] Nach Ludolf Herbst: Das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, Deutsche Geschichte Bd. 10, edition suhrkamp 1285, Frankfurt M. 1996
[17] Zahlreiche Beispiele bei Jost Hermand: Der alte Traum vom neuen Reich – Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Frankfurt M. 1988
[18] Fred Hahn: Lieber Stürmer! Leserbriefe an das NS-Kampfblatt 1924-1945, Stuttgart 1978
[19] Angelika Plum: Die Karikatur im Spannungsfeld von Kunstgeschichte und Politikwissenschaft – Eine ikonologische Untersuchung zu Feindbildern in Karikaturen, Diss. RWTH Aachen, Aachen 1998, S. 133 ff.
[20] Mjölnir: Politisches Denken – Voraussetzung für die politische Zeichnung, in: Deutsche Presse Nr. 17, 25.4.1936, zit. und bibliographiert bei Angelika Plum aaO.
[21] Wortlaut der Rede in Joseph Goebbels: Die Zeit ohne Beispiel – Reden und Aufsätze aus den Jahren 1939/ 40/41, München 1941, S. 205-212
[22] Wortlaut der Rede in Joseph Goebbels: Das eherne Herz – Reden und Aufsätze aus den Jahren 1941/42, 4.A. München 1943, S. 374-382
[23] Mjölnir, Politisches Denken…aaO.