In den Jahren 1933 bis 1945 dient das Renaissanceschloss Lichtenburg inmitten der Elbestadt Prettin in Sachsen-Anhalt in zeitlicher Abfolge als Männer-KZ, Frauen-KZ und schließlich als Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Über 10.000 Menschen werden in diesem Zeitraum von den Nationalsozialisten im KZ Lichtenburg aus politischen, „rassischen“, religiösen oder sozialhygienischen Gründen inhaftiert.
Das Renaissanceschloss Lichtenburg wird zwischen 1574 und 1582 von Kurfürst August von Sachsen erbaut. Nach hundertjährigem Leerstand macht es König Friedrich August per Verordnung zum neuen Gefängnisstandort. Entsprechend dient das Schloss zwischen 1812 bis 1928 als Strafanstalt. Zur Unterbringung der Häftlinge wird der ursprünglich dreiflügelige Bau durch einen Nordflügel, 1879 zusätzlich durch einen separaten dreistöckigen Zellenbau und 1908 durch einen Werkstatt-Trakt erweitert. 1928 wird die Strafanstalt aufgrund seines untragbaren Bauzustands geschlossen. Nach nur fünf Jahren nimmt das preußische Innenministerium die Lichtenburg wieder in Betrieb, da nach zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten für Oppositionelle und Regime-Gegner gesucht wird.
Denn nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 hat das neue Nazi-Regime zur Ausschaltung oppositioneller Kräfte umgehend zahlreiche Männer und Frauen aus der Arbeiterbewegung verhaften lassen. SS, SA, Polizei und zivile Behörden richten deutschlandweit hunderte provisorische „Lager“ in ehemaligen Lagerhäusern, Fabriken sowie Zucht- und Arbeitshäusern ein, die die Menschmassen aufnehmen sollen, die als mutmaßliche „Gefährder“ festgenommen worden sind. Viele dieser Lager sollen später die ersten Konzentrationslager des NS-Regimes werden.
Auch die Lichtenburg wird zu einem dieser ersten Lager, nachdem der Merseburger Regierungspräsident die Verlegung von Gefangenen in das ehemalige Renaissanceschloss veranlasst hat. Die ersten Häftlinge treffen im Juni 1933 mit einem Gefangenentransport aus Merseburg ein. Bereits kurze Zeit später ist das Lager überfüllt, da viel zu viele Inhaftierte aus unterschiedlichen Folterstätten und Polizeigefängnissen wie dem Emslandlager Bürgermoor, dem KZ Oranienburg und dem KZ „Columbia“ in Berlin nach Lichtenburg verbracht werden. Im Juli 1933 verzeichnet das Lager 1.600, im September bereits 2.000 Männer. Dabei ist auch die Lichtenburg zunächst „Sammellager“ für politische Insassen des NS-Regimes. Im Oktober 1933 wird das „Lager“ offiziell als staatliches Konzentrationslager bestätigt.
Nach der Röhm-Säuberung im Juni-Juli 1934 erlangt die SS ihre Selbstständigkeit und Hitler ermächtigt den SS-Führer Heinrich Himmler zur Zentralisierung der KLs in einem formalisierten System. Im Zuge dessen werden viele der frühen KZ im Rahmen der Reorganisation des KZ-Systems und der mit dieser einhergehenden sukzessiven Übernahme durch die SS aufgelöst.
Das KZ Lichtenburg gehört nicht zu den bis Ende 1934 aufgelösten KZ aus der Frühphase. Im Gegensatz zu diesen „frühen Lagern“, die ad hoc nach der Machtübernahme etabliert und kurze Zeit später wieder aufgelöst werden, besteht Lichtenburg nahezu durchgehend bis zum Kriegsbeginn im Jahr 1939.
In der Lichtenburg entsteht neben dem zentralen preußischen Gefangenenlagerkomplex im Emsland, den sogenannten Emslandlagern, ein zweiter Lagerschwerpunkt im Zentrum des Deutschen Reiches. Lichtenburg fungiert als Sammel- und Verteillager zwischen anderen Lagern, die im Rahmen der schrittweisen Institutionalisierung des KZ-Systems einer Auflösung oder Umorganisation unterliegen, neu errichtet oder erweitert werden.
Zudem übernimmt Theodor Eicke – zuvor Kommandant des Konzentrationslagers Dachau – von Mai bis Juli 1934 die Leitung des KZ Lichtenburg. Er führt die Dachauer Lagerordnung ein, die von einer gewaltzentrierten Disziplinar- und Strafordnung geprägt ist und später auf sämtliche KZ in den von den Nationalsozialisten kontrollierten Gebieten übertragen werden soll. Dabei fließen auch die Erfahrungen aus Lichtenburg mit dem „Dachauer Modell“ in das Regelwerk des zunehmend zentralisierten und institutionalisierten KZ-Systems ein.
Als ab Sommer 1936 das KZ-Lagersystem eine weitere Entwicklungsstufe durchläuft und sukzessiv Barackenlager eingerichtet werden, wird das seit der Frühphase bestehende Männer-KZ schließlich doch aufgelöst. Das marode Schloss hat sich als nicht mehr erweiterungsfähig erwiesen. Die noch verbliebenden Häftlinge werden im August 1937 in das neu eingerichtete KZ Buchenwald verlegt. Vor ihrem Abtransport mussten sie allerdings die Einrichtung des zukünftigen Frauen-KZ im Schloss Lichtenburg als Übergangslösung für das bereits geplante, aber noch nicht eingerichtete KZ Ravensbrück vorbereiten. Insgesamt sollen etwa 1.400 Frauen bis Kriegsbeginn im Frauen-Konzentrationslager Lichtenburg eingesperrt werden.
Zwischen Dezember 1937 und März 1938 werden die weiblichen Insassen des KZ Moringen in das Konzentrationslager Lichtenburg verlegt. Das KZ Lichtenburg löst das KZ Moringen ab und wird nun bis zur Fertigstellung des KZ Ravensbrück zum zentralen Frauenlager für das gesamte Reichsgebiet.
1937 konkretisierten sich die Pläne der SS, bei Berlin ein großes Fraukenkonzentrationslager zu errichten. Kleinere Lager wie Lichtenburg oder Moringen werden als zu ungenügend eingestuft, da bereits weitere Verhaftungswellen geplant worden sind und entsprechend mit einer noch höheren Häftlingszahl gerechnet wird. Nach der Fertigstellung des neuen zentralen Frauen-KZ in Ravensbrück werden die in der Lichtenburg gefangengehaltenen Frauen sowie Teile des Lagerpersonals im Mai 1939 verlegt und das Lager aufgelöst. Insgesamt 900 Frauen werden von Lichtenburg nach Ravensbrück verbracht. Sie sind die ersten Frauen im berüchtigten Frauen-Konzentrationslager.
Die Inhaftierten der Frühphase des NS-Staats bestehen vorrangig aus politischen Oppositionellen und Regimegegnern, insbesondere Kommunisten und Sozialdemokraten, aber auch aus politisch nicht-organisierten Bürgern. Unter ihnen finden sich neben bekannten Politkern der Weimarer Republik auch viele bekannte Personen des politischen und kulturellen Lebens, Wissenschaftler und Anwälte. Beispiele sind unter anderem die Politiker Friedrich Ebert Jr., Ottomar Geschke, Wilhelm Leuschner, Carlo Mierendorff, Theodor Neubauer, Ernst Reuter, der Rechtsanwalt Hans Litten, der Schauspieler Wolfgang Langhoff, der Schriftsteller Armin T. Wegner und der Rabbiner Max Abraham. Unter den Frauen finden sich die KPD-Reichstagsabgeordneten Lene Overlach und Lisa Ullich. die Kommunistin Olga Benario sowie die Schauspielerin Lotti Huber.
Später kommen viele Prostituierte und als „Asoziale“ diffamierte Personen hinzu. Nach der Röhm-Säuberung im Juli 1934 zudem circa 60 SA-Angehörige. Nach der Verschärfung des §175 besteht fast die Hälfte aus Homosexuellen. Auch Zeugen Jehovas und andere Glaubensangehörige werden bereits seit 1933 in die Lichtenburg verbracht. Bei den weiblichen Insassen des späteren Frauenlagers machen sie zweitweise den Großteil aus.
Die wechselvolle Zusammensetzung der Gefangenengruppierungen im Konzentrationslager Lichtenburg reflektiert die verschiedenen Etappen und sich verändernde Schwerpunktsetzung der NS-Repression von 1933 bis 1939. Bereits in der Frühphase ist ein großer Teil der politischen Inhaftierten jüdischer Herkunft. Dies zeigt, dass bereits beim frühen Terror des NS-Staats gegenüber aus politischen Gründe rassistische und antisemitische Faktoren eine Rolle spielen, was auf den bereits früh geplanten Völkermord („Lösung der Judenfrage“) hinweist.
Die Haftbedingungen im KZ Lichtenburg sind geprägt von überfüllten Zellen und Schlafsälen, furchtbaren hygienischen Bedingungen und schlechter Verpflegung. Einlieferungsschikanen, Misshandlungen sowie Zwangsarbeit in den Werkstätten, in Prettin und der Region stehen auf der Tagesordnung. Insbesondere Juden und Homosexuelle werden von der SS mit äußerster Brutalität behandelt.
In zwölf Zellen in einem Strafbunker im abgesenkten Erdgeschoss werden die Häftlinge im Rahmen von Arreststrafen gefoltert. Morde werden vertuscht, indem sie als Selbstmorde deklariert werden. Zwanzig Todesopfer sind dokumentiert. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass weitere an den Folgen der Misshandlungen gestorben sind.
Nachdem das Frauen-KZ aufgelöst worden ist, wird das Schloss von den SS-Totenkopfverbänden (Totenkopf-Infanterie-Ersatzbataillon II) als Kaserne verwendet. Ab 1941 befindet sich in der Lichtenburg ein SS-Versorgungslager (Bekleidungslager), das von einem Außenkommando des KZ Sachsenhausen versorgt wird. Bis zu 65 im Zellenbereich untergebrachte Gefangene aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen werden der SS zur Zwangsarbeit überstellt. Dieses Außenlager wird für das ab 1942 in der Lichtenburg stationierte SS-Hauptzeugamt erweitert.
Nach dem Krieg werden im ehemaligen KZ Flüchtlinge und Umsiedler untergebracht. Anschließend wird das Schloss von der Landwirtschaft als Lager genutzt. Eine erste Gedenkstätte entsteht 1965 im Westflügel mit ehemaligem Zellentrakt und im „Strafbunker“ und 1978 wird in drei ehemaligen Schlafräumen der Gefangenen im ersten Stock eine Dauerausstellung mit Dokumentationszentrum eröffnet.
Literatur
Endlich, Stefanie (2003): Lichtenburg: Vergangenheit und Zukunft. In: Gedenkstättenrundbrief 111, S. 14-25.
Endlich, Stefanie et al. (2000): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus: Eine Dokumentation, Band 2. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Website der Gedenkstätte KZ Lichtenburg Prettin