Ziel dieses Essays ist es folgendes Phänomen zu untersuchen: Warum lassen sich Nachkommen von KZ-Überlebenden deren Häftlingsnummern tätowieren?
Zunächst soll das Phänomen, sowie der Ursprung der Häftlingsnummern beleuchtet werden. Anschließend sollen die Geschichte der Tätowierung und ihre Position innerhalb von Israel und Judentum dargestellt werden. Auf die Rolle der Shoa für die Identität der Nachkommen der Opfer soll außerdem eingegangen werden, um die Möglichkeit der ehemaligen De- und heutigen Konstruktion der Identität durch die Häftlingsnummer darzustellen. Abschließend soll das Verhältnis zwischen der Shoa und Kunst dargestellt werden, um eine Verbindung zwischen dem zu untersuchenden Phänomen und der Performance-Kunst aufzuzeigen.
Die geschichtlichen (Woher kommt die Nummer/ für was steht sie?), sozialwissenschaftlichen (Wie wirkt die Nummer/ hat sie gewirkt?), pädagogischen (Wie kann Identität mit einer Tätowierung de-/ konstruiert werden?), anthropologischen (Welche Mittel stellt die Anthropologie der Identitätskonstruktion zur Verfügung?), psychologischen (Welche Bedeutung haben Traumata/ Wie wirkt sich die Shoa auf die betroffenen Familien aus?), religiösen (Was sagt das Judentum zu Tattoos? Welchen Einfluss hat die Shoa auf Säkularisierung?) und kunsthistorischen (Wie beurteilt die Kunst (das Wiederaufgreifen der/) die Häftlingsnummer und Tattoos generell? Kann die Übernahme der Häftlingsnummer als Performance gedeutet werden?) Bezüge des Phänomens sollen dargestellt werden.
Die Nummer
„Die Namen könnt ihr vergessen. Das ist nur Ballast.
Was bedeutet schon ein Name, aber eine Nummer ist immer ernst – und genau.
Ihr seid Nummern geworden. Verstanden?“[1]
In der Enzyklopädie des United States Holocaust Memorial Museum wird festgehalten, dass für arbeitsfähig gehaltene Häftlinge ab Herbst 1941 in Auschwitz und ab März des Jahres 1942 in Birkenau, zunächst am Schlüsselbein und (später exklusiv) am linken Vorderarm tätowiert worden sind.[2]
Josef Lánik, ein KZ-Überlebender, beschreibt in seinem autobiografischen Roman Was Dante nicht sah die tätowierte Häftlingsnummer als Mittel zur Identifikation der Häftlinge, beispielsweise wird sie während der Selektion innerhalb des Lagers notiert.[3] Selbst das Leichenkommando, welches von Häftlingen gebildet worden ist, muss die Nummern der Vergasten, die sie in den Öfen verbrennen müssen, notieren, damit sie später mit anderen Dokumenten der Lagerführung abgeglichen werden können.[4]
Zur Vorbereitung seiner Flucht muss Lánik ein solches Dokument verschwinden lassen: seine Nachweiskarte, die Informationen über ihn enthält. Die Tätowierung liefert Aufschluss über die Informationen auf der Nachweiskarte, sodass er von dem Regimegegner, bei dem er nach seiner Flucht unterkommt und der schon mehreren Flüchtigen geholfen hat und sich darum mit dem Informationsgehalt der Nummern auskennt, direkt als Slowake erkannt wird. Auch das Jahr seiner Inhaftierung kann jener an ihr ablesen.[5] Lánik beschreibt den Moment, in dem er seine Nachweiskarte in der Hand hält, um sie verschwinden zu lassen:
„Bitter lächelnd, beginnt er zu lesen. Vor- und Zuname, ja, so hieß ich, „eingeliefert am 13. April 1942“, stimmt, Nationalität – slowakisch; ja, Beruf; ja, beherrscht Sprachen; ja, man müßte noch hinzusetzen: Polnisch und ein wenig Russisch, Zähne, ach, aus Gold, aus Platin – keine, aber auch die eigenen fehlen mir, diese Bestien; Augen, wer weiß, was er jetzt für welche hat; Größe, die hat sich wohl nicht geändert, besondere Merkmale, wer hatte denn Merkmale, als er hierherkam? Aber jetzt habe ich ein ganz besonderes Merkmal, das eines lebenden Toten, am Schlüsselbein und am Unterarm.“[6]
Als der Lagerführer sein Fehlen bemerkt und auch dessen Untergebene ihn nicht finden können, lässt Lánik ihn etwas sagen, was den Status der Menschen mit den Häftlingsnummern für das NS-Regime herausstellt:
„Ich will hören, daß keiner fehlt! Ich schmeiß euch alle in den Bunker, ihr Schafsköpfe! Wenn ihr nicht zählen könnt, stecke ich euch in die Klamotten und mache Nummern aus euch, dann fehlt bestimmt keiner mehr.“[7]
Als Lánik nach seiner Flucht endlich mit Leuten Kontakt hat, die auch gute Verbindungen in die Politik haben und gesellschaftlich sehr angesehen sind, dient seine Tätowierung, das „Brandmal der Geächteten“[8], wie er es auch nennt, ihm als einziger empirischer Beweis für die Untaten, von denen er erzählt und die seine Gesprächspartner nicht glauben wollen.[9]
Lánik beschreibt aus der Perspektive des ehemaligen Häftlings die Nummer also als Mittel zur Identifikation: Einerseits wird der Häftling so für die Dokumente der Lagerführung als Bestand aufgenommen und kategorisiert und andererseits beeinflusst sie auch das Selbstverständnis der Häftlinge. Sie ist sichtbarer Beweis für die von den Nationalsozialisten vollbrachten Verbrechen. Diese sind vor einem pseudowissenschaftlichen Hintergrund begangen worden:
„Hitlers „Mein Kampf“ und Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ waren die ausgearbeitete Theorie der Entmenschlichung, die Phantasie des Alles-ist-Erlaubt für einen brutal-nüchternen Zweck. … Dazu mußte man die Völker in Ost und West zu „minderwertigen“, „unschöpferischen“, „bastadierten“ Völkern „ohne staatspolitische Fähigkeit“, also zu Sklavenvölkern stempeln. … Alle humanistischen Geistesströmungen in der deutschen Vergangenheit wurden als „artfremde Schwäche“ verdammt, um das „germanische Recht“ zum Antihumanismus zu begründen. … Der Mensch verwandelt in „völkische Substanz“, die man mit Hunger, Gas und Feuer in ein Nichts verwandeln kann, um das eroberte Land in Europa zur sicheren Beute zu haben. … Der Kannibalismus mit modernster Technik, betrieben von moralisch degenerierten Nazis, die sich als Exekutoren im Namen der deutschen „Herrenrasse“ fühlten […].“[10]
Goebbels selbst schreibt über die Inhaftierten: „Hier hilft keine Diskussion, die KZ-Lager schützen uns vor dieser Gefahr“.[11]
Der Soziologe Wolfgang Sofsky beschreibt in seinem Werk Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager die Machtstrukturen innerhalb der Konzentrationslager. Er schreibt zur Entstehungsgeschichte von Auschwitz-Birkenau:
„Im Juni 1940 wurden die ersten polnischen Gefangenen in die alte Kasernenanlage von Auschwitz eingeliefert. Auschwitz war zuerst nur als Quarantäne- und Durchgangslager für etwa 10 000 Menschen geplant, Mitte 1941 waren es jedoch bereits mehr als 17 000 Nummern ausgegeben. Im März 1941 begann man in drei Kilometer Entfernung mit dem Bau von Birkenau, dem größten Lagerkomplex mit über 250 Baracken, wo zeitweilig über 100 000 Menschen eingesperrt waren. In unmittelbarer Nähe ließ die SS dann auch die Todesfabriken erbauen, die im ersten Halbjahr 1943 in Betrieb genommen wurden.“[12]
Er begreift die Häftlingsnummer als eine Praxis der Zerstörungsmacht über die personale Zeit.[13] Die mit der Häftlingsnummer einhergehende Kategorisierung der Menschen hat sich z.B. auch in der Markierung ihrer Kleidung niedergeschlagen.[14]
Sofsky beschreibt auch die Rolle der KZ-Inspektion, einem Kontrollorgan, dem viele Lager unterstanden und welches z.B. den Arbeitseinsatz von Häftlingen geregelt hat:
„Hier überkreuzte sich die Politik des Völkermords mit dem Programm des Arbeitseinsatzes. […] Trotz des Mangels an Arbeitskräften hatte der Völkermord eindeutig Vorrang, obwohl dies den Verlust von Millionen jüdischer Arbeitskräfte bedeutete.“[15]
Er beschreibt, dass die Selektion, also die Nicht-Vergabe oder das Wegnehmen einer Nummer, den Tod bedeutet hat und der Arbeitseinsatz meist dazu führte. Der Tod sollte also unumgänglich sein, das Tattoo symbolisierte nur einen Zeitaufschub – eine Welt zwischen Leben und Tod. Sofsky geht auch auf die Buchhaltung, in der z.B. auch Todesfälle – wenn auch unvollständig – in SS-Statistiken erfasst worden sind, ein:
„Sie sind jedoch auch als „politische Statistiken“ zu bewerten, mit denen die lokalen Kommandanturen ihren Machtbereich gegenüber der Zentrale in möglichst günstigem Licht erscheinen lassen wollten. […] Die Buchhaltung des Todes war ein Instrument zur Steuerung des Todes innerhalb des KZ-Systems und ein taktisches Beweismittel in der Hierarchie der Instanzen.“[16]
Diese Instrumentalisierung des Todes und damit der Menschen, die den Tod erleiden, um Statistiken zu verschönern ist ein weiterer Beleg für die Entmenschlichung von Täter und Opfer. Der Tod und seine Vorstufe, die Tätowierung, sind zur Erstellung geschönter Statistiken benutzt worden, deren Auswertung wiederum den Tod und seinen Vorläufer, die Nummer, bedingten.
Niedrige, alte Nummern und ihre Inhaber verfügten über eine Sonderstellung:
„Der alte Konzentrationär mit der niedrigen Nummer genoß unter Häftlingen einen ganz eigentümlichen Respekt. Er hatte die größten Gefahren überstanden, hatte sich durchgekämpft, hatte unzählige Tote gesehen. Sein elementarster Erfolg war der, noch am Leben zu sein. Er war nicht nur da, er war noch da.“[17]
Sofsky schreibt dazu außerdem:
„Indem sie Wissen monopolisierten, sicherten die Alten ihren Sonderstatus und verringerten die Überlebenschancen der Neuen. Nicht umsonst stand der alte Häftling mit seinem Habitus aus Unduldsamkeit und innerer Verhärtung, Gleichgültigkeit, Wachsamkeit für viele Neuankömmlinge auf der anderen Seite. Sie interessierten ihn nicht, zu ihnen wollte er nicht gehören. […] Um sich der Lageraristokratie zurechnen zu können, mußte der alte Häftling einen Prozeß der inneren Kolonisierung durchlaufen. Er wandte sich von der Außenwelt ab und richtete alle Bemühungen auf die Gegenwart des Lagerlebens.“[18]
Sofsky zeigt hier die notwendige Änderung des Zeitbegriffs insbesondere für die langjährigen Häftlinge. Die Zeit im KZ ist nur in der Gegenwart verankert und das einzige Ziel ist das Überleben, was zum Zusammenfall des menschlichen Miteinanders der Häftlinge führt. Dieser Zeitbegriff hat auch Einfluss auf die Identität, da bereits Gewesenes (wie z.B. eine berufliche Karriere oder eine Familie) hinter sich gelassen werden musste, um überleben zu können. Die Tätowierung ist Teil eines Initiationsritus, der großen Einfluss auf das Zeitempfinden und auf die Identität von Subjekten hat. Es handelt sich um eine Rollenabgabe bei der jedoch keine neue Rolle übernommen wird. Zusammenfassend schreibt er:
„Die dissotiative Kraft der Lagermacht zersprengt die Basisregeln des sozialen Verkehrs, das Grundverhalten in den Fortbestand der sozialen Welt, die Aufsicht auf Hilfe, die Gewißheiten des sozialen Handelns, die Kontinuität der Zeit. […] Der Zerstörung der Sozialität entspricht die Negation der menschlichen Selbstverhältnisse. Im Konzentrationslager wird der gesellschaftliche Prozeß der Individualisierung rückgängig gemacht. Das Eingangsritual beraubt die Menschen ihrer biographischen Identität.“[19]
Es ist hinzuzufügen, dass die Tätowierung gegen jüdisches Religionsgesetz verstößt, daher dehnt sich ihre Tragweite als Instrument der Praxis zur Zerstörung der personalen Zeit und somit der Identität noch aus.
All my generation knows nothing about the Holocaust.
Für ihren Artikel A Tattoo to Remember hat die Journalistin Jodi Rudoren zehn junge Nachkommen von Shoa-Überlebenden getroffen, die sich deren Häftlingsnummer haben tätowieren lassen. Dem Phänomen hat Dana Doron mit Numbered 2010 auch einen Kurzfilm gewidmet.
„All my generation knows nothing about the Holocaust. You talk with people and they think it’s like the Exodus from Egypt, ancient history. I decided to do it to remind my generation: I want to tell them my grandfather’s story and the Holocaust story.“[20], so eine Enkeltochter eines Shoa-Überlebenden. Rudoren geht detailliert auf die einzelnen Schicksale ein und schreibt, dass die meisten Überlebenden erst geschockt, doch dann froh über die Entscheidung ihrer Kinder und Enkel gewesen sind. Die Motivation aller Nachkommen beschreibt Rudoren so:
„The 10 tattooed descendants interviewed for this article echoed one another’s motivations: they wanted to be intimately, eternally bonded to their survivor-relative.“[21]
Außerdem betont Sie die wichtige Rolle der Shoa für den Staat Israel. Dazu beschreibt sie, wie ein Nachkomme sich hat tätowieren lassen:
„It was done in 15 minutes, for about 40$. When the tattoo artist, a Russian immigrant, joked that he is „not so patriotic“ to do it at a discount, Mr. Diamant quietly seethed. „This is the reason he sits here, this tattoo and what this number represents. We got the country, because of these people.“ Mr. Diamant said.“[22]
In dem Artikel „KZ-Nummer als Tattoo“ befasst sich der Journalist Rico Grimm mit demselben Thema. Er zieht jedoch noch eine Anthropologin hinzu, die den Aspekt der Shoa als Teil des kulturellen Erbes Israels unterstreicht: „Wenn sie jetzt nicht ihre Erinnerungen und das Gedenken an die Großeltern kultivieren, wird deren Schicksal verblassen.“[23]
Im Hinblick darauf, dass das Tattoo für die Nachkommen auch vordergründig die Verbindung zu den Verwandten und nicht nur den Schrecken der Shoa und Lehren daraus (auf-)zeigen soll, schreibt Grimm:
„Dass sie sich seine KZ-Nummer stechen lassen hat, muss nicht – wie viele israelische Psychologen vermuten – mit einer posttraumatischen Störung zusammenhängen, unter der, in leichter Form, auch die Nachfahren von Holocaust-Überlebenden leiden. „Für sie kann es ein positives Zeichen sein: Widerstand, Überleben und Verantwortung für die Zukunft.“, sagt Carol Kidron, die Anthropologin, die selbst Tochter eines Holocaust-Überlebenden ist. Der tätowierte Arm der eigenen Eltern und Großeltern sei für die Nachfahren nicht so tabuisiert wie in anderen Teilen der Gesellschaft. Der Holocaust saß gewissermaßen immer mit am Esstisch.“[24]
Die Frauenrechtlerin und Tochter Überlebender Hannah Rosenthal beschreibt genau diese Enttabuisierung und das Gewinnen von Einfluss der Shoa für die Identität von Kindern Überlebender: „I grew up in a home where the Holocaust was at our dinner table every night. It was my every thought, in my DNA.“[25]
Ein weiterer Artikel, „Auschwitz-Gedenken: tätowiertes Mahnmal“, von Alexandra Rojkov, betont ebenso die ehemalige Tabuisierung der Shoa-Überlebenden außerhalb ihrer Familien. Sie führt dazu aus:
„Man sah den Überlebenden die Traumata an, aber hören wollte sie niemand. […] „Wer eine Nummer hatte, den sahen die Leute an, als sei er verrückt“, sagt Nachsohn. Viele Israelis wechselten die Straßenseite, wenn ein Holocaust-Überlebender auf sie zukam. Weil die manchmal grundlos lachten, weil ihre Augen so leer waren. Man gab ihnen den hebräischen Namen „avak enoschi“. Menschlicher Staub.“[26]
Auch der Überlebende Lánik beschreibt seine Probleme nach Auschwitz als Gefühl des „Außerhalb-der-Gesellschaft-Seins“.[27]
Die Psychologin Judith Hermann beschreibt die Überwindung von Traumata für deren Überlebende in drei Phasen der Heilung: Das Etablieren von Sicherheit, die geschichtliche Rekonstruktion des Traumas und das Wiederherstellen einer Verbindung zwischen Überlebenden und deren Außenwelt und Gesellschaft.[28]
An dieser Stelle soll die These vertreten werden, dass die Enkel-/ Kinder der Überlebenden – vielleicht, weil sie auch an Formen einer posttraumatischen Störung leiden – versuchen diese Heilung von Traumata zu durchleben und der Gesellschaft (in Form von Konfrontation durch das Erblicken der nachgestochenen Nummer) zugänglich zu machen. Das bedeutet, dass durch momentan herrschende Sicherheit (etablierte Sicherheit nach Herrmann) das Trauma rekonstruiert werden kann. Diese Rekonstruktion durch Übernahme der Nummer seitens der Enkel-/ Kinder verbindet die Überlebenden wieder stärker mit der Außenwelt.
Es lässt sich festhalten, dass es den tätowierten Nachkommen um Erinnerung an die Shoa und ihre Bedeutung für Israel sowie die emotionale Verbindung zu ihren Verwandten geht. Es ist zu betonen, dass das Verständnis der Shoa von Überlebenden und deren Nachkommen von dem anderer abweichen kann. Es liegt ein Bedeutungswandel vor, der sich bei ihnen schneller als im Rest der Gesellschaft vollziehen kann.
Die Nummer repräsentiert nicht nur den Holocaust, sondern die Lehren, die aus ihm zu ziehen sind, und ihre Großeltern.
Die Tätowierung
In Deutschland sind etwa 20 Prozent der Männer tätowiert, bei Frauen sind es 2 – 3 Prozent weniger.[29] Gängige Vorurteile beschreibt Pascal Honisch in seinem Essay Geschichte und Wahrnehmung der Tätowierung:
„„Wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben“ (Loos 1908). Eine Ansicht, die bis weit ins 20. Jahrhundert ihre AnhängerInnen gefunden hat. So ließen Tätowierungen angeblich auf einen minderen Intelligenzgrad, erhöhtes Geltungsbedürfnis, gelegentlich Kriminalität oder aber auch „perverse sexuelle Veranlagungen“ schließen, beispielsweise sadomasochistische oder homosexuelle Vorlieben (vgl. Pfülb 1968), oder ihre TrägerInnen wurden als narzisstisch-exhibitionistische Gelegenheitstransvestiten denunziert, die an starken Schuldgefühlen und Minderwertigkeitskomplexen litten (vgl. Ruhnke 1974). Obgleich alle diese Annahmen jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren, fanden sie lange Zeit Halt und Bestätigung in einer europäischen Gesellschaft, […].“[30]
Mittlerweile gilt das Tattoo jedoch als gesellschaftlich akzeptiert.[31]
Oliver Bidlo schreibt in seinem Werk Tattoo. Die Einschreibung des Anderen, dass Tätowierungen, die von ihm als Inbesitznahme der Natur durch den Menschen gesehen wird, neben den Felsmalereien zu den ersten künstlerischen Äußerungen der Menschen, der die Haut als physische und psychische Grenze zur Außenwelt und somit seine Eindrucks- und Ausdrucksfläche als einziges Lebewesen als Trägermedium nutzt, gehört und jeweils kulturabhängige Bedeutungen und Ausprägungen ritueller, religiöser und sozialer Art hat.[32]
Er betont den Status der Haut als Zwischenwelt und Kulturträger:[33]
„Die Haut wird zu einem wichtigen Vermittler zwischen Innen und Außen, von Ich und Umwelt und umgekehrt. […] Außenwirkung und Selbstwertgefühl gehen hierbei ein eigentümliches wechselseitiges Spiel ein. […] Helmut Plessner sieht in dieser exzentrischen Positionalität des Menschen seine anthropologische Bestimmung. […] Die Haut als Umhüllung des Selbst und Heimat des Tattoos ist daher etwas Besonderes, indem sie durch das Tattoo kultiviert wird. […] Das Tattoo gewährleistet – ähnlich wie die Kleidung – den Übergang vom Sinnlichen zum Sinn, vom Körper hin zum spezifischen Selbst, das sich zeichenhaft darüber zu repräsentieren sucht.“[34]
Beispielsweise Neandertaler hatten schon Tätowierungen, im Mittelalter haben sie Zugehörigkeit zu Zunft und Stand gezeigt; durch die Kreuzritter, die religiöse Tätowierungen mit nach Europa zurückbrachten, und die Rückkehrer der Expeditionen der Kolonialzeit verbreiteten ihr Vorkommen. In China ist die Tätowierung ab ca. 1000 v. Chr. als Strafzeichen verwendet worden, bei indigenen Völkern ist sie oft Teil eines Initiationsritus.[35] Dazu führt Bidlo aus:
„Die Verfügung über die Haut des Anderen war und ist immer auch an Herrschaft und Macht gekoppelt. Während die Tätowierung auf der einen Seite Ausdruck von einer letzten Freiheit war, konnte sie umgekehrt Brandmarkung und Stigmatisierung sein, wie sie sich in den KZ-Nummern der Nazis, die den Gefangenen tätowiert wurden, ausdrückte.“[36]
Bidlo schreibt zur aktuellen Situation der Tattoos:
„In der westlichen Kultur lässt sich die Mode zum Tattoo einmal durch die Individualisierung und dem Wunsch nach Grenzüberschreitung erklären, sicherlich spielen zum anderen die zunehmende Optisierung der menschlichen Wahrnehmung und die Produktion visueller Artefakte eine große Rolle. […] Zu diesem Ästhetisierungsprozess gehört die Tendenz zur Überformung des Sinnlichen, aber auch das Bewusstsein von der grundlegend ästhetischen Verhasstheit von Erkenntnis und Wahrheit.“[37]
Bidlo interpretiert das Tattoo als semiologisches Zeichen und führt aus, dass die Tätowierung einerseits Ausdruck der Individualität sein kann und andererseits durch ihren festen Inhalt und ihre genormte Form die Individualität auflöst, da sie „Leib und Geist in einen bürokratischen Herrschaftsapparat einreiht“[38].[39] Bidlo beschreibt das Tattoo eher als ein theatrales als authentisches Zeichen. Authentizität kann wegen der Frage nach Autorenschaft (z.B. Inhaber des Tattoos, Tätowierer, Motivwahl usw.) nicht erreicht werden. Bidlo bescheinigt der Tätowierung einen performativen Charakter durch seine ästhetische Ereignishaftigkeit.[40] Willems ergänzt zur Theatralität:
„Die Rede von der Theatralisierung unserer heutigen Lebenswelt zielt […] auf Prozesse der Inszenierung von Wirklichkeit durch einzelne und gesellschaftliche Gruppen, vor allem auf Prozesse ihrer Selbstinszenierung.“[41]
Die Inszenierung der Wirklichkeit und des Selbst zeigen, dass es sich bei Tätowierungen nicht um authentische Zeichen handelt.
Der Autor betont an dieser Stelle, dass in Europa – im Gegensatz zum Schmuckcharakter z.B. in Japan – vor allem die Tätowierung als Brandmarkung Krimineller ausgeprägt gewesen ist.[42] Bidlo beurteilt Tätowierungen heute als materiellen Ausdruck sozialer Identifikationsmuster der Menschen innerhalb der Gesellschaft:
„Es sind die Disziplinierungseinschreibungen von Ordnung, Klarheit, Eindeutigkeit und Sicherheit, gegen die das Tattoo sich wehrt, indem es Vieldeutigkeit anbietet und damit Unsicherheit erzeugt.“[43]
Der Autor stellt hier einen Zusammenhang zu Vilém Flusser und seinem Werk „Vom Subjekt zum Projekt“ her, indem er schreibt, dass die Tätowierung ein Versuch der Selbstentwerfung sei: „Die Tätowierung in der Spät- und Postmoderne wird zum Versuch, sich seiner Identität zu vergewissern.“[44]
Bidlo beschreibt das Tattoo als Zeichen in einer Welt, in der kein Objekt keine Bedeutung hat – auch indem er Cassirer zitiert und festhält, dass der Mensch sich erst durch Gebrauch von Symbolen erschafft.[45]
„Das Tattoo ist ein Zeichen, mehr noch es ist ein Mythos im Sinne Roland Barthes‘. […] Der Mythos ist insofern ein besonderes System, als er auf einer Kette aufbaut, die bereits vor ihm existierte. […] Erst die Entlarvung einer Darstellungsweise als und die damit einhergehende Analyse des Mythos offenbaren den (nicht deterministischen) Zusammenhang von Bedeutung und das Erklärungspotential der Darstellung. […] Das Tattoo hingegen unterstreicht seine Zeichenhaftigkeit, indem es seinen zeichenhaften und allegorischen Charakter hervorhebt.“[46], so Bidlo. Außerdem geht er auf die besondere Zeitlichkeit der Tätowierung durch seine Permanenz und den Ort seiner Anwesenheit ein.[47] Diese Zeitlichkeit setzt Bidlo in Zusammenhang mit der Identität:
„Das Tattoo ist die Externalisierung der Persönlichkeit des Trägers oder zumindest eines Teils und ist zugleich Konstituent einer neuen Identitätskonstruktion. […] Denn Identität wird nicht nur von innen heraus ausgebildet und dann ausgestrahlt, sondern in einem viel größeren Ausmaß von außen einer Person zugetragen und eingeschrieben.“[48]
Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Tätowierung als Identitätsausdruck nur eine begrenzte Halbwertzeit hat, da sich Identität auch verändern kann.[49] Isabelle Poncette stellt zwei Arten von Körpermodifikationen im Zusammenhang mit Identität vor:
„Als Symbol oder eingeschriebene Erinnerung für erfolgreiche Bewältigung von Anforderungen, […], signalisieren Körpermodifikationen eine gelungene Identitätsentwicklung. Im gegenteiligen Fall können sie aber auch den Versuch einer symbolischen Selbstergänzung aufzeigen, der vom Individuum empfundene Identitätsdefizite verdecken soll.“[50]
Neben dem Charakter als identitätsstiftendes Zeichen stellt Bidlo die Dimension des Schmerzes und der Rezeption heraus. Den Schmerz nennt er neben der Permanenz den zweiten Wert einer Tätowierung. Er beruft sich hier auf Nietzsche, der in der Überwindung des Schmerzes Weisheit und das Potential zum heroischen Menschen sieht.[51] Im Sinne Bordieus kann es als Form symbolischen Kapitals bewertet werden.[52] Zur Rezeption schreibt der Autor, dass das Tattoo ein dialogisches Zeichen sei, weil es zu einem Dialog und einer Auseinandersetzung auffordere.[53] Im Hinblick auf Bild und Bildlichkeit des Tattoos schreibt Bidlo, dass ihre Bedeutung nicht klar bestimmbar ist und: „Das Tattoo ist ein optisches Zeichen und oft ein ikonisches Zeichen dazu.“[54]
Die Bedeutung des Körpers für die Kultur wird von Bidlo betont, da er Medium ihrer Repräsentation ist; der menschliche Körper sei demnach keine vorsoziale und natürliche Entität, sondern er selbst sei ein soziales Produkt und darüber ein Kulturprodukt geworden, das man anhand der unterschiedlichen Praktiken der Körpergestaltung, Schönheitsoperationen und weiterer “body modifications“ ablesen könne.[55] In diesem Zusammenhang kommt der Autor auch auf Performativität zu sprechen:
„Das Tattoo beinhaltet das für performative Praktiken typische Doppelgesicht: Es ruft auf der einen Seite geltende Normen und Regeln hervor bzw. macht diese sichtbar, […]. Dadurch kann es konservierend und stabilisierend – weil reproduktiv für die herrschende Ordnung – wirken. Andererseits kann das Tattoo als performativer Akt – hier das Tragen und Zeigen im körperlichen und leiblichen Kontext – auch genau umgekehrt transformativ und subversiv wirken, bedeutet doch das Vollziehen performativer Akte immer auch die Möglichkeit, im Vollzug selbst die Normen und Regeln außer Kraft zu setzen, sie zu ironisieren, umzucodieren. […] Und das Tattoo wird damit zu einer Technologie des Selbst, um sich ästhetisch zu transformieren.“[56]
Allerdings liegt die Motivwahl dennoch innerhalb gesellschaftlicher und kultureller Grenzen, wodurch sich auch erklären lässt, dass die meisten Tätowierten den Aspekt des Körperschmucks als Grund ihrer Tätowierung angeben.[57]
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Tätowierung als performativ und identitätsstiftende Kulturpraxis zu bewerten ist.
In Zusammenhang mit der Untersuchung ist zu betonen, dass die Enkel-/ Kinder die ehemalige Tabuisierung aufheben und die KZ-Nummer ironisieren wollen. Die Performativität des Tattoos und damit seine Bedeutung für die Identität des Trägers gewinnt besonders an Bedeutung. Die Zeitlichkeit der Tätowierung nach Bidlo geht insoweit mit der Zeitlichkeit von Sofsky einher, da beide das Zerfallen der Identität im Fall der KZ-Nummer beschreiben können. Bezieht man sich noch einmal auf Poncette bleibt festzuhalten, dass Traumata der Enkel-/ Kinder vorliegen können und so die Nummer als etwas Fehlendes gesehen werden kann, was nach Poncette für Identitätsdefizite stehen würde. Ebenso können sie für die Bewältigung von Anforderungen und somit eine gelungene Identitätsentwicklung stehen.
Tätowierungen in Israel und im Judentum
Im Judentum ist es verboten, sich tätowieren zu lassen (Leviticus, 19, 28): „Ye shall not make any cuttings in your flesh for the dead, nor imprint any marks upon you: I am the Lord.“[58] Außerdem gibt es ein Abbildungsverbot (Exodus, 20, 5): „Thou shalt not make unto thee a graven image, nor any manner of likeness, of anything that is in heaven above, or that is in the earth beneath, or that is in the water under the earth; […].“[59]
Trotz des Verbots ist es möglich mit einer Tätowierung auf einem jüdischen Friedhof begraben zu werden:
„While Jewish law prohibits permanent body art – because it was a pagan practice – it doesn’t forbid Jews with tattoos from being buried in Jewish cemeteries. „It sounds like some Jewish parents told their kids to prevent them from getting a tattoo.“, said a source at the Chief Rabbinate who asked not to be named.“[60], so die Journalistin Yardena Schwartz, die in ihrem Artikel Tattoos rule in Israel – despite Jewish law and Holocaust taboo aktuelle Entwicklungen bezüglich der Tätowierungen in Israel beschreibt. Darin zitiert sie den Initiator der ersten Tattoo Convention in Israel, Shay Daudi, der sagt, dass viele Leute sich tätowieren lassen, da der Glaube für sie keine Rolle mehr spielt oder sie ihren Glauben damit vereinbaren können. Sie zitiert auch den Soziologen Oz Almog, der zu dem Schluss kommt, dass Tattoos in Israel eine mittlerweile ähnliche Position in der Gesellschaft haben wie z.B. in europäischen Ländern und prozentual nur etwas weniger als in anderen Ländern vorkommen. Sie haben diese Position etwas später erreicht, da die Gesellschaft eher mit dem Aufbau des Landes als ästhetischen Diskursen beschäftigt gewesen ist, als Tätowierungen in anderen Ländern schon anfingen in Mode zu kommen. Außerdem ist mit ihnen anfangs vordergründig die Shoa verbunden worden, so Almog, was zu Ablehnung geführt hat.[61] Abschließend kommt Schwartz zu diesem Schluss:
„Yes, branding one’s body with permanent ink is one of the strongest forms of selfexpression. But that may be even more true in Israel. […] Yet as tattoos become more popular here, it’s clear Israeli culture doesn’t always mirror Jewish culture.“[62]
Die Abwendung vom Glauben vieler Juden nach dem Holocaust liegt auch in Auschwitz begründet. „Their God died with the murder of their mother.“[63], so beschreibt Faina Kukliansky, Vorstand des litauischen Zentralrats der Juden, die Gefühle ihrer Eltern gegenüber der Religion. Ein solches Verhältnis zur Religion kann auch an Kinder weitergegeben werden, was die verbreitete Säkularität in Israel begründen könnte. Die Künstlerin Aliza Olmert fasst das in einer Anekdote zusammen:
„Two elite paratroopers, one secular and one religious, are on the verge of collapse during a long, backbreaking exercise of running while carrying fellow soldiers on stretchers.
The secular soldier: „Tell me, where do you get the strenght to keep runing?”
The religious soldier: „From God in heaven. How about you?“
The secular soldier: „From Auschwitz.““[64]
Rabbi Chaim Zev Citron bestätigt durch einen Erfahrungsbericht bezüglich seiner Gemeindearbeit die These, dass der Holocaust viele Juden von der Religion abgebracht hat.[65] Rabbi Benny Lau stellt heraus, dass es seit dem Holocaust auch ein Verständnis vom jüdischen Volk ohne Bezug auf Religion gibt.[66]
Beispielhaft soll hierzu eine Aussage der Schauspielerin Alexis Fishman zitiert werden:
„When people question why Judaism is important to me despite my lax attitude toward religious obligations or ask why I want to marry a Jew and raise Jewish children, I play the „Auschwitz card“ and effectively end the conversation.“[67]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tattoos für säkulare Israelis – im Gegensatz zu religiösen Juden – vertretbar und in der Gesellschaft ähnlich wie in anderen Ländern akzeptiert sind. An dieser Stelle treten der hybride und transformative Status des Judentums einerseits als Religion und andererseits als Volk sowie das Changieren zwischen Reformjudentum und Orthodoxie heraus.
Einfluss der Shoa auf die Identität der Opfer
Im Folgenden soll der Identitätsbegriff nach Baacke verwendet werden, der sie als veränderlich, also dynamisch versteht. Die Identität lässt sich in die Teilaspekte Beziehungsleistung, Relativierungsleistung und Kontinuität aufgliedern.[68] Die Beziehungsleistung beschreibt die Interaktion mit anderen, also Imitations-, Identifikations- und Vergleichsvorgänge. Die Relativierungsleistung beschreibt den Vergleich mit anderen, durch den eigene Fähigkeiten erst bewertet und Unterschiede zu anderen ermittelt werden können. Mit Kontinuität beschreibt Baacke die Rekonstruktion des eigenen Lebensweges, wodurch es möglich wird sich als Individuum mit spezifischen Denkmustern zu erfahren.[69]
Der Schriftsteller Leon de Winter, selbst Nachfahre Shoa-Überlebender, beschreibt in seinem dystopischen Roman Das Recht auf Rückkehr, in dem es um Kindesentführung geht, mögliche DNS-Scanner, die die Einreise nach Israel regeln und Terroranschläge (nur Menschen mit jüdischen Merkmalen in der DNS wird Zutritt gewährt) verhindern sollen.[70] Er stellt die Schwierigkeit des Identitätsbegriffes dar, indem er jüdische Kinder entführt werden und zu muslimischen Terroristen ausgebildet werden lässt. Außerdem geht er z.B. auch auf die – reale – Diskriminierung von Juden aus arabischen Staaten ein.[71] Er stellt also eine homogene jüdische Identität in Frage.
Die Autorin Dina Wardi führt 1992 erstmals den Begriff der Gedenkkerze als Synonym für Kinder Holocaust-Überlebender ein.[72] In God, Faith and Identity from the Ashes. Reflections of Children and Grandchildren of Holocaust Survivors haben Nachkommen von Überlebenden die Rolle der Tatsache, dass ihre Groß-/Eltern die Shoa überlebt haben, für ihr Leben bewertet.
„To be a member of the second generation is to exist in a rare space. Your very presence defies the odds. You were not supposed to be here at all. You serve as a stand-in for all those who were lost.“[73], so die Didaktikerin Elaine Culbertson. Das Gefühl etwas Besonderes zu sein und deshalb unter enormen Druck zu stehen, weil es eine übermäßige Erwartungshaltung seitens der Umwelt und von jemandem selbst an sich gibt, wird beschrieben. Ähnliche Gefühle beschreibt auch die Therapeutin Esther Perel: „I’m not meant merely to be a small speck. This made me feel special, but also very burdened, because now I saw that I had better accomplish big things in my life.“[74]
Dieses Selbstverständnis deckt sich mit der Forderung Überlebender, welche zur Internalisierung eines solchen Verständnisses bei ihren Nachfahren beigetragen haben. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Unterscheidung in amerikanische Juden und Holocaust-Überlebende des Regierungsberaters Jeffrey S. Wiesenfeld.[75]
Alle drei sagen Dinge, die man der Beziehungsleistung und Relativierungsleistung zuschreiben kann. Es geht darum, dass durch Interaktion mit Verwandten eine solche Erwartungshaltung an sich erworben worden ist (Beziehungsleistung). Dem ist hinzufügen, dass man sich von anderen durch eine solche Erwartungshaltung unterscheidet, was der Relativierungsleistung zuzuschreiben ist.
„Und die von uns übrigbleiben, werden strenge Richter sein müssen.“[76], schreibt der Überlebende Lánik als er von einem Gespräch mit seinen Mithäftlingen berichtet. Sie reden über die Frage, wie mit der Shoa in Zukunft umgegangen werden soll. Die Autorin Stephanie Butnick beschreibt den Einfluss ihrer Herkunft aus einer Familie von Holocaust-Überlebenden als eine Brille durch die sie die Welt sieht.[77] Tali Nates beschreibt eine ähnliche Einstellung ihrerseits, dazu gibt sie eine Anekdote wieder:
„Holocaust scholar Michael Berenbaum tells of a veteran prisoner in the Sachsenhausen concentration camp who told new prisoners honestly and directly about the rules of the concentration camp, of the difficulties they would experience, of the horror that awaited them. His honest warning ended with these concluding words: “I have told you this story not to weaken you. But to strenghten you. Now it’s up to you!“ I always felt that in some way, as a second generation Holocaust survivor, these words were directed at me – that it is also up to me.“[78]
Damit unterstreicht auch sie, wie wichtig die Shoa für sie und ihr tägliches Leben ist. Lánik, Butnik und Nates unterstreichen alle den Erwerb spezifischer Denkmuster durch die Rekonstruktion des Lebenswegs, womit sie den Teil der Identität beschreiben, den Baacke Kontinuität nennt.
„The Holocaust created an extremely low bar for Jewish unity: the Jew as a victim. […] According to the 2013 Pew Study, almost seventy years after the end of the Second World War, close to three-quarters of American Jews feel that remembering the Holocaust is an essential part of Jewish identity. This number is much larger than those who see attachment to jewish law and observance as a marker for Jewish identity.“[79]
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen die Bedeutung der Shoa für die jüdische Identität und stellen heraus, dass sie wichtiger ist als das jüdische Gesetz. Damit erklärt sie auch die Beliebtheit der Tattoos in Israel und die Nachahmung der Häftlingsnummer durch Nachfahren Überlebender. Zu säkularen Juden in der Diaspora führt die Autorin Diana Wang aus:
„With religion no longer a common denominator among secular Diaspora Jews, identifying ourselves as heirs of the Holocaust is a tempting alternative. It was our worst suffering ever, and – in an absurd way – this low-hanging fruit is now subconsciously ready to be used to homogenize us into a common identity.“[80]
Der Rabbi Dov Lipman schreibt in einem Essay über seine jüdische Identität auch über Probleme innerhalb der jüdischen Gesellschaft durch Vorurteile gegenüber z.B. sephardischen Juden. Er vertritt folgende Meinung: „During our most tragic era we saw ourselves as one people with one lot and also understood the inherent benefits of unifying together.“[81]
An dieser Stelle soll die in der vorliegenden Arbeit vertretene These vorgestellt werden, dass die Shoa/ Erfahrung der Opferrolle als kleinster gemeinsamer Nenner einer homogenen jüdischen Identität gesehen werden kann. Durch die Erfahrung dieses kleinsten gemeinsamen Nenners kann davon ausgegangen werden, dass auf der Ebene der Relativierungsleistung eine Identifikation als ehemaliges Opfer vorliegt.
Die Autorin Eva Hoffman bekräftigt diese These, wenn sie von ihrer Antwort auf die Frage nach jüdischer Identität schreibt:
„I found myself answering – although I didn’t know I would do so – that my sense of Jewishness began with mourning; and that this constitutes a powerful and deep bond with Jewishness.“[82]
„What unified so many children of survivors was the impulse to rescue – if not their parents, for whom rescue was far too late, then perhaps the world.“[83], so der Autor Thane Rosenbaum. Wie viele andere Nachkommen Überlebender betont auch er die Bedeutung der Eltern für seine Berufswahl.[84] Der Überlebende Lánik beschreibt seine Gefühle gegenüber den Zurückgelassenen während seiner Flucht: er schreibt davon sie zu rächen.[85] Dieses Rachegefühl der Generation der Überlebenden kann als Wurzel für die Berufswahl gesehen werden, da viele der gewählten Berufe (z.B. Psychologe) einen präventiven Charakter haben. Der Historiker Alexander Soros beschreibt ein mit dieser Berufswahl einhergehendes Schuldgefühl gegenüber den Eltern, da man selbst nicht wie sie gelitten hat.[86] Die vollkommene Identifikation mit den Eltern auf der Ebene der Beziehungsleistung scheitert also, wodurch ein Selbstbild in der Rolle des Rettenden auf Ebene der Relativierungsleistung entsteht und die Opferrolle verlassen werden kann. Dieses Selbstbild führt zu bestimmten Berufswahlen, was nach Baacke als kontinuierlicher Aspekt einer Identität gesehen werden kann.
„Berichtet über Auschwitz, sprecht viel davon, sagt alles […].“[87], lässt z.B. auch Lánik den Kommunisten sagen, der ihm bei der Flucht bei dem Weg vom Lager an einen sicheren Ort hilft. Diesen Leitsatz scheinen auch Kinder Überlebender internalisiert zu haben. Richard Primus, ein Jura- und Politikprofessor, erzählt vom Entstehen eines seiner Bücher über die Bedeutung von Traumata für politische Theorien. Er hält seine Gefühle während des Entstehungsprozess so fest: „One implicit lesson of that project was that the paradigm of the Holocaust will not last forever.“[88]
Das bedeutet, dass das Wissen über den Holocaust schwinden wird und somit die Opferrolle leichter verlassen werden kann. Die Soziologin Tali Zelkowicz betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Bildung für Juden, da sie ihnen helfen muss das Opfer-Dasein zu verlassen, aber dennoch Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.[89] Die Regisseurin Jeanette Lerman-Neubauer beschreibt die Motivation ihrer Eltern bei der Gründung des United States Holocaust Memorial Museum als Wertschätzung und Bewahrung der Erinnerung. Sie wollten jedoch über religiöse und interreligiöse Grenzen hinweg bilden:
„After the war, my parents were disinterested in Jewish divisiveness – the battle between factions and styles of observance. „To our enemies, we are all the same“, they insisted.“ Judaism has sustained us. If we are to be presecuted, at least know the value of your heritage.” (This was a non-negotiable command, not a gentle recommendation.) By heritage they meant all of Jewish culture – history, philosophy, literature, humor, food, music – not just religious practice. They knew that all of it had evolved radically over the centuries. They were more interested in enriching the future than arresting the past.“[90]
Auch die Betonung der Bedeutung der Bildung und Prävention zeugen vom kontinuierlichen Charakter der jüdischen Identität in Verbindung mit Berufswahl und Bildungsbegriff. Es wird außerdem betont, dass die Opferrolle, die durch die Relativierungsleistung erworben wurde, abgegeben werden muss. Sie führt durch Beeinflussung z.B. der Berufswahl dazu, dass sie abgelegt werden kann, da nicht die Überlegung ein Opfer zu sein, sondern die Prävention im Vordergrund steht. Nach Baacke beeinflusst hier die Relativierungsleistung die Kontinuität.
Beispielhaft beschreibt die Rabbinerin Kinneret Shiryon die jüdische Uneinigkeit, die die Eltern Lerman-Neubauers gemeint haben, wenn sie über ihre Gemeindearbeit spricht:
„I bring to an Israeli-Jewish population that defines itself as secular the tools for them to take initiative for exploring their religious Jewish identity beyond their cultural and national identity.“[91]
Der kleinste gemeinsame Nenner, der die jüdische Identität als (ehemalige) Einnahme der Opferrolle beschreibt, wird hier von Shyrion als kulturelle/nationale und säkulare Identität begriffen. Sie fordert das Zusammenkommen durch die gemeinsame Erfahrung der Opferrolle, die zur Einwanderung nach Israel geführt hat, umzukehren, um wieder religiöse Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen; demnach argumentiert sie, dass gemeinsame Erfahrung von den Ebenen der Beziehungs- und Relativierungsleistung auf der Ebene der Kontinuität zu Rückkehr zur Religion führen sollen.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die jüdische Identität – besonders der Nachfahren von Shoa-Überlebenden – sehr stark durch die Shoa geprägt ist.
Einerseits bedeutet die Shoa für die Beziehungsleistung, dass sich mit den Eltern und ihrem Leid/ der Opferrolle identifiziert wird. Andererseits bedeutet die Shoa auf Ebene der Relativierungsleistung eine große Erwartungshaltung. Bei der Kontinuität gibt es zwei verschiedene Entwicklungen: Zum einen gibt es die Hinwendung zu präventiven Berufen oder solchen, die der Ver- und Aufarbeitung der Shoa dienen, und zum anderen kann aus der Shoa eine Bewegung aus dem Säkularen zum Religiösen erfolgen.
Es bleibt festzuhalten, dass die Shoa und alle ihr vorangegangen und nachfolgenden Verfolgungen/ Diskriminierungen usw. einen Ausgangspunkt der jüdischen Identität und vor allem der der Shoa-Überlebenden und ihren Kindern und Enkeln bildet.
Im Zusammenhang mit der der Arbeit übergeordneten Fragestellung ist außerdem festzuhalten, dass das von Soros beschriebene Schuldgefühl, das er empfindet, weil er nicht gelitten hat, als mögliches Auffüllen eines Identitätsdefizits im Fall des Übernehmens der Häftlingsnummer der Enkel-/ Kinder verstanden werden kann, falls die Nachahmer ein ähnliches Gefühl haben.
De-/ Konstruktion der Identität durch die Ordnungszahl
Sofsky beschreibt die Dekonstruktion der Identität eines KZ-Häftlings. Dabei geht er auch auf die Bedeutung des Übergangs-/ Initiationsritus ein:
„Er wurde nicht nur anders, er wurde ein anderer. Das Ritual traf ihn nicht nur in seiner sozialen Identität, es zielt auf den Zusammenbruch der personalen und moralischen Integrität und zerrüttete das Gefühl der numerischen Identität, das Gefühl, noch ein und derselbe zu sein. […] Der Raub des Eigennamens gehört zu den tiefgreifendsten Verstümmelungen des Selbst. […] Die Nummer bedeutete die Umwandlung des Individuums zum Massenmenschen, die Transformation der personalen Gesellschaft zur seriellen Gesellschaft der Namenlosen. […] Der bürokratische Akt war zugleich ein Gehorsamstest, eine erste Probe auf die Verwandlung der Person in ein willenloses Objekt der Macht.“[92]
Er beschreibt die drei Phasen eines solchen Übergangsritus als Trennung aus der gewohnten Umgebung, Umwandlung in einen ambivalenten Schwellenzustand, in dem z.B. das Urvertrauen zerstört wurde, und Angliederung an die neue Umwelt, in der z.B. einheitliche Häftlingskleidung getragen worden ist; weiterhin führt er aus, dass er sich massiv von zivilen Übergangsriten unterscheidet, da kein Rollenwechsel, sondern nur eine Rollenabgabe vorliegt. Es muss also zwischen den Initiationsriten indigener Völker mithilfe Tätowierungen und dem Ritus im KZ unterschieden werden. Eine dauerhafte Degradierung zu „Existenzweise am Abgrund der menschlichen Gesellschaft“[93] findet statt. Teil dieses Abgrundes ist die Massengesellschaft.[94]
„Dabei ist weniger die Anonymität als solche eine Qual als die Gleichzeitigkeit von physischer Dichte und sozialer Dissoziation. Die Gliederung der sozialen Welt, die stufenweise Ordnung von Nahwelt, Mitwelt und Fernwelt, von Du, Wir, Ihr und Sie zerbricht, wenn der andere zwar unmittelbar präsent, aber zugleich nur anonymer Körper ist. […] In der Masse fehlt der signifikante andere, der Spiegel des Selbst. […] Masse ist kein neutraler Zustand, sie tendiert zu gegenseitiger Gleichgültigkeit und Abstoßung.“[95]
In Hinblick auf Baacke bedeutet das, dass eine Dekonstruktion der Identität vorliegt. Da es sich bei der Gemeinschaft im KZ um eine Massengesellschaft handelt, fehlt ein signifikanter Anderer, man kann sich nicht vergleichen oder identifizieren. Die Interaktion mit anderen ist ebenfalls gestört. Dadurch kann keine Beziehungsleistung erbracht werden. Ebenfalls gibt es im KZ keine Möglichkeiten eigene Fähigkeiten zu bewerten oder Unterschiede zu anderen zu erfahren. Es scheitert also auch die Relativierungsleistung. Die Rekonstruktion des eigenen Lebensweges kann auch nicht stattfinden, da beispielsweise der eigene Name seine Wichtigkeit verliert, die Familie ausgelöscht wird oder Ähnliches. Es können keine spezifischen Denkmuster entwickelt werden, da der einzige Gedanke dem Überleben gilt. Die Identität kann sich wegen der im KZ herrschenden Bedingungen also auch nicht dynamisch verhalten. Die Identität nach Baacke wird dekonstruiert.
An dieser Stelle sollen zwei Beispiele für den Versuch der Identitätskonstruktion durch Tätowierungen in Romanen, die sich auf das Judentum beziehen, vorgestellt werden:
Die Schriftstellerin Donna Tartt beschreibt in ihrem Roman Der Distelfink, bei dem es um Kunstraub geht, wie sich jemand einen Davidstern als Tattoo stechen lässt, um sich als Jude auszugeben, damit er eine bestimmte Arbeitsstelle bekommt.[96] In seinem Roman Das Recht auf Rückkehr beschreibt Leon de Winter, wie die Hauptfigur in Israel von einem Mizrachi, einem arabischen Juden, überfallen wird, der eine Tätowierung mit einem Davidstern hat, um nicht für einen Araber gehalten zu werden.[97] Beide Beispiele zeigen den Versuch sich durch ein Tattoo nach außen als “Jude“ erkennen zu lassen.
Im Fall der Nachahmung der KZ-Nummer handelt es sich um den Versuch Identität zu konstruieren. Imitations-, Identifikations- und Vergleichsvorgänge finden statt, da zum einen die Nummer der Verwandten übernommen wird, zum anderen identifizieren sich die Kinder und Enkel mit den Verwandten und empfinden sich selbst als anders als Menschen, deren Vorfahren nicht im KZ gewesen sind. Eine Beziehungs- und Relativierungsleistung findet also statt. Dadurch bewerten sie auch ihre Fähigkeiten (Bsp.: Tendenz von Ergreifen eines gewaltpräventiven Berufes) und bewerten ihre Erfahrungen durch die (Groß-)Eltern als komplett anders als die Erfahrungen anderer. Das Leiden im KZ – auch wenn sie selbst nicht dort gewesen sind – spielt in ihrem Leben eine große Rolle. Allein die Tatsache, dass es die Nachfahren Überlebender trotz der Shoa gibt, ist wichtiger Bestandteil ihres Lebens, was auch zu spezifischen Denkmustern führt. Die Tätowierung symbolisiert für die Nachahmer die beschriebene Identitätskonstruktion.
Bidlo beschreibt außerdem die Rolle des Tätowierers, der die Entstehung der Tätowierung überhaupt erst möglich macht und seinen eigenen Ausdruck durch sein Künstler-Dasein mit einbringt.[98] In Hinblick auf die KZ-Tätowierung bedeutet das, dass sie mit Rolleneinschreibung in Zusammenhang steht, da man durch sie für immer als KZ-Häftling erkennbar gewesen ist. In Hinblick auf die Nachahmer der Tätowierung lässt sich sagen, dass sie die Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die mit der einstigen Tätowierung einhergingen, sowie die vorgenommenen Rolleneinschreibungen wie z.B. „Opfer“ kritisieren und diskutieren wollen. Das Tattoo ist hier das dialogische Zeichen, welches Bidlo beschreibt, was in Interaktion mit anderen (z.B. Rezeption) treten will.
Als „Symbol oder eingeschriebene Erinnerung für erfolgreiche Bewältigung von Anforderungen, […], signalisieren Körpermodifikationen eine gelungene Identitätsentwicklung.“[99], so Poncette; in diesem Zusammenhang bedeutet das das Erbe der Groß-/ Eltern erfolgreich bewältigen zu wollen.
Um die Möglichkeiten der Dekonstruktion und Konstruktion von Identität durch Tätowierungen noch näher zu beleuchten, soll die ikonographische Methode Panofskys vorgestellt werden. Sie gilt als Brücke zwischen der Kunstgeschichte und den Geisteswissenschaften, vor allem der Geschichtswissenschaft, da sie die historische Dimension von Werken betont. Panofskys Methode gliedert sich in die vor-ikonographische Phase, die einer reinen Formanalyse entspricht, eine ikonographische Analyse, die Hintergrundwissen mit einfließen lässt, und eine ikonologische Interpretation, die versucht Folgendes zu tun:
„Grundeinstellungen einer Nation, einer Epoche, einer Klasse, einer religiösen oder philosophischen Überzeugung zu enthüllen, modifiziert durch eine Persönlichkeit und verdichtet in einem einzigen Werk.“[100]
Die vor-ikonographische Phase gestaltet sich bei der ursprünglichen KZ-Nummer und deren Nachahmung gleich. Es handelt sich um eine Menschen auf den linken Vorderarm/ das Schlüsselbein tätowierte Zahlenkombination. Die ikonographische Analyse unterscheidet sich dazu: Zum einen handelt es sich um eine Sträflingskennzeichnung, zum anderen um das Gedenken – im weitesten Sinne – an (Groß-)Eltern. Die ikonologische Interpretation sieht ebenfalls anders aus. Einerseits handelt es sich um eine vom Nationalsozialismus durchgeführte Degradierung und Entmenschlichung und andererseits um eine Aufforderung zur Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit. Die beiden ikonologischen Interpretationen beschreiben ebenfalls die Dekonstruktion und Konstruktion der Identität durch die KZ-Nummer, da sie die Schritte der De-/ Konstruktion der Identität widerspiegelt.
Man kann die Bedeutung der Nachahmung der KZ-Nummer auch in Zusammenhang mit der Bedeutung der Tätowierung bei indigenen Naturvölkern sehen: Bei ihnen dienen sie auch der Wissensvermittlung, sie geben z.B. Erzählungen weiter und fungieren als Wissens- und Kultursystem.[101] Die Nachahmer der groß-/ elterlichen Häftlingsnummern wollen mit der Tätowierung das Wissen über die Shoa als kulturelles Erbe weitergeben.
Diese Wissensvermittlung ist in Zusammenhang mit der Modern Primitives-Bewegung zu sehen, die Identitätskonstruktion durch tribale Praktiken, wie etwa Tattoos, durchführen und so der postmodernen Hypothese vom „Verschwinden“ des Körpers entgegenwirken wollen: Das Objekt Körper soll durch Individualisierung wieder zu einem Subjekt werden.[102]
Für das zu untersuchende Phänomen bedeutet das, dass der ehemalige Häftling in der Massengesellschaft, in der alle die Nummer gehabt haben, sich wandelt: Er erhält die Sonderstellung des Überlebenden, welche auch durch die Kinder visualisiert und gelebt wird.
Eine weitere Verbindung liegt zur Gang-Tätowierung – sofern man die überlebenden KZ-Häftlinge und ihre Kinder und Enkel in diesem Zusammenhang als Gang auffassen will – vor: „Tätowierungen können für viele Gangs auch ein Mittel für den Ausdruck einer Lebensphilosophie oder bestimmter kollektiver Werte und Normen sein.“[103] Die Nachahmer haben denselben Wunsch gegen das Vergessen zu arbeiten und stehen gegen Diskriminierung und Verfolgung ein.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die KZ-Tätowierung und ihre Nachahmung beispielhaft als Dekonstruktions- und Konstruktionsmöglichkeit der Identität durch Tattoos bewerten lässt.
Identität in der Anthropologie
Der Anthropologe James Clifford ist einer der Vertreter des ethnografischen Realismus. Er beschäftigt sich mit der Identität von Personen aus indigenen Völkern in Zeiten einer globalisierten Welt:
„Approaching the complex terrain of contemporary indigeneitity, I rely on three analytic terms: articulation, performance, and translation. They make up a portable toolkit for thinking nonreductively about social and cultural change. All are terms of process.“[104]
Bei der Artikulation führt er die Unterscheidung in dominantes (“westliches“) und passives (indigenes) Wissen ein, die Organisation des Wissens – eine Mischung aus dominantem und passivem – führt zur Artikulation von Identität.[105] Der Ausdruck Performance wird von ihm so beschrieben: „Persons or groups are „called“ or „hailed“ to perform themselves as authentic cultural subjects. … Cultural subjects „play themselves“ for multiple audience […].“[106] Damit definiert er die Umsetzung der Artikulation. Mit “Translation“ meint Clifford die Weitergabe des kulturellen Erbes, wobei nicht alles an nachfolgende Generationen weitergeben wird.[107]
Wendet man das Prinzip des ethnografischen Realismus auf das zu untersuchende Phänomen an, dann wird klar, dass die Shoa als Teil des übernehmenswerten Wissens begriffen wird (Artikulation); das kommt auch durch Verhalten (Tätowieren) zum Ausdruck, was auf der Ebene der Performance stattfindet. Dieser der Artikulation und Performance innewohnende Wunsch ist die Weitergabe des Wissens bezüglich der Shoa, da zum Dialog und zur Auseinandersetzung aufgefordert wird, was Cliffords Translation entspricht. Führt man sich vor Augen, dass der ethnografische Realismus sich mit Identität beschäftigt, dann wird die Shoa in diesem Fall als Teil der Identität begriffen und sie wird mit ihrer Hilfe konstruiert.
Vor dem Hintergrund, dass der ethnografische Realismus für die Betrachtung indigener Völker und ihrer Identitätsbildung gedacht ist, müssen indigene Völker mit Shoa-Überlebenden verglichen werden.
Indigene Völker und Shoa-Überlebende sehen sich beide mit Lebenswelten konfrontiert, die ihrer Herkunft nicht mehr entsprechen. Das bedeutet, dass sich die Frage der Übertragung des kulturellen Erbes in beiden Fällen stellt; daher ist der ethnografische Realismus auch hier anwendbar.
Verhältnis zwischen Shoa und Kunst
Die Kuratorin Jean Bloch Rosensaft beschreibt das Verhältnis zwischen Shoa und Kunst. Sie hält fest, dass erste die Shoa behandelnde Kunst hauptsächlich ab 1970 durch Überlebende der zweiten Generation und später deren Kinder etabliert wurde, da die erste Generation, sofern sie sich künstlerisch über die Shoa geäußert hat, meistens nicht von ihrer Kunst leben konnte und andere berufliche Wege einschlagen musste; sie spricht von
„transmission of intergenerational memory through powerful works. Their diversity of style, mediums, and subject matter – including family relations, spiritual quests, and search for communal and cultural roots – reflected the individuality, vitality, and complexity of their generation. […] Faced with both the current abundance of scholarly research into the destruction of European Jewry and the ubiquitous exploitation, trivialization, commodification, and universalization of the Holocaust, I continue to seek out artists who embody Elie Wiesel’s admonition about the difference between knowledge and understanding.“[108]
Bloch Rosensaft betont also die Begabung der von der Shoa direkt Betroffenen, Geschichte und Kunst verbinden zu können, da sie besondere Erfahrungen durch sie gemacht haben, die ihnen besondere Perspektiven und somit künstlerische Möglichkeiten bieten.
Bidlo bescheinigt der Tätowierung „einen performativen Charakter … durch ihre ästhetische Ereignishaftigkeit“[109]. Sie kann dadurch auch in manchen Fällen auch als Performance-Kunst gesehen werden. Unter dem Begriff Performance in der Kunst kann Folgendes verstanden werden:
„Im engeren Sinne wird er als Kurzform gebraucht für alles, was unter das mittlerweile sehr weit ausgelegte Genre der Performance Art fällt, mit Judson Dance Theater, Body Art, Wiener Aktionismus, Aktionstheater, Fluxus, Happening, Prozessorientierte Kunst, Performances mit Video-Closed-Circuits, Action Teaching oder Delegated Performances als ihre zentralen historischen Erscheinungen zwischen 1952 und der Gegenwart.“[110]
Eine solche Performance des Wiener Aktionismus wie z.B. von Valie Export (z.B. Body Sign Action, 1970) ist von Schneede interpretiert worden:
„Den Künstlerinnen und Künstlern um 1970 ging es dabei weniger ums Schmücken der Haut als vielmehr um die verletzende Brandmarkung, die in der Absicht der Klassifizierung gewalttätig ein Zeichen aufdrückt.“[111]
Goebbels hat in seinen Tagebüchern festgehalten, warum der Nationalsozialismus in Deutschland Erfolg haben konnte. Einer seiner Gründe ist, „daß 1. die breite Masse erinnerungslos ist, nicht geschichtlich denken kann und über das persönliche Wohlergehen hinaus die Geschicke der Nation in ihrer Entwicklung nicht zu übersehen mag.“[112]
Das Anliegen der Tattoo-Nachahmer ist es, diesen Eigenschaften der Masse durch Auseinandersetzung und Dialog entgegen zu wirken. Die Nachkommen wollen mit ihren Tätowierungen an die Shoa, ihre individuellen Familiengeschichten und die Verbundenheit zu den Verwandten erinnern. Damit geht es ihnen also nicht um den Aspekt des Körperschmucks bei der Tätowierung, sondern um die Aufforderung zur Auseinandersetzung mit der Shoa und um die Erinnerung an ihre Vorfahren. Das bedeutet, dass sie die Nummer rekontextualisieren und ihrer alten Bedeutung berauben, da sie Entmenschlichung und Ähnliches kritisieren und nicht hinnehmen wollen.
Denkt man hier wieder an das Tattoo, in diesem Fall die Übernahme der Häftlingsnummer, als dialogisches Zeichen nach Bidlo fordert es zur Auseinandersetzung mit der Geschichte und Reflektion aktueller Verhältnisse, um einem Sich-Wiederholen entgegen zu wirken, auf.
Im Fall der Nachahmung der KZ-Nummer von (Groß-)Eltern handelt es sich außerdem auch um eine Bricolage nach Lévi-Strauss; sein Konzept beschreibt das Aufgreifen eines bereits ideologisch genutzten Objektes und dessen Rekontextualisierung.
Die Nachahmung der KZ-Tätowierung kann also als Performance-Kunst gesehen werden, da sie die gleichen Ziele wie Performances dieser Art aus der Vergangenheit hat. Auch die Tatsache, dass sich Panofskys ikonographische Methode anwenden lässt unterstützt die These, dass das Phänomen auf die Kunst bezogen werden kann.
Die Kunst soll im Leben als Teil richtigen Handelns eingebettet sein.[113] Die nachgeahmte KZ-Nummer mahnt die Menschen die Geschichte zu reflektieren und richtig zu handeln, ganz gleich ob man das untersuchte Tattoo nun als identitätsstiftende Praxis oder Performance oder Verstoß gegen das Religionsgesetz deutet.
Zusammenfassung der Untersuchung
Die Untersuchung hat die Dekonstruktions- und Konstruktionsmöglichkeiten der Identität durch Tätowierungen beleuchtet und außerdem ihre mögliche Deutung als Performance-Kunst dargestellt.
Die Identität kann durch die KZ-Nummer dekonstruiert werden, da die Beziehungs- und Relativierungsleistung durch die von der Nummer symbolisierten Lebenswelt – dem KZ – nicht erbracht werden kann und die Möglichkeit des Errichtens eines Kontinuums nicht gewährleistet ist. Darüber hinaus kann die Identität sich nicht dynamisch verhalten.
Die Konstruktion der Identität durch die Häftlingsnummer erfolgt, indem sie durch die Shoa bedingte identitätsstiftende Einflüsse auf die Beziehungs- und Relativierungsleistung hat, die durch die Nachahmung der Nummer visualisiert wird. Diese Visualisierung rekonstruiert den Lebensweg. Die Identität kann sich dynamisch verhalten, da z.B. auch andere Aspekte als die Shoa Einfluss auf die Identität nehmen können.
Die Deutung der Tattoos als Performance-Kunst hat gezeigt, dass sich die nachgeahmten Nummern – ganz wie die auf Tätowierungen basierenden Performances der Feministinnen aus den 1970er Jahren – gegen Degradierung bestimmter Menschen richtet und Aufmerksamkeit für dieses Thema erzeugen will, wobei die geschichtliche Dimension betont werden muss. Sie versuchen im der Arbeit zugrundeliegenden Fall gegen das Vergessen und für die Verbesserung der Gesellschaft zu arbeiten.
Schlusswort
Die Kontroverse im Fall der nachgeahmten Häftlingsnummer hat in der Welt – und vor allem in Israel – erneut eine Debatte über den adäquaten Umgang mit Geschichte, in diesem Fall Häftlingstätowierungen aus Diktaturen, ausgelöst. Die Shoa ist wegen dem Grad der Technisierung des Tötens mit keinem anderen Genozid vergleichbar, deswegen wurde besonders hitzig debattiert: Es kam z.B. zu Anfeindungen gegenüber den Neu-Tätowierten.
Angesichts der Tatsache, dass es in Schulen in Israel unter anderem Projekte gibt, bei denen KZ-Nummern mit Henna-Farbe oder Klebetattoos nachgeahmt worden sind, ist zu unterstellen, dass es sich dabei um ein didaktisches Mittel der Schulen gehandelt hat, was Lernen und Verstehen erleichtern soll.
Die Nachfahren der Shoa-Überlebenden, die deren Nummern übernommen haben, wollen dieses didaktische Mittel nur einer breiteren Öffentlichkeit als einer einzelnen Schulklasse zugänglich machen. Es ist jedoch zu betonen, dass auch solche Schulprojekte in der Kritik stehen.
Im Hinblick auf die Deutung der Übernahme der KZ-Nummern als Performance-Kunst soll abschließend kurz die momentane Diskussion über die Funktion der Kunst vorgestellt werden:
„Sie soll uns etwas erzählen, etwas veranschaulichen, etwas verraten – über die Folgen der Globalisierung, über den Konflikt im Ostkongo, über die Geschlechterrollen in Osteuropa und so weiter. Alternativ darf sie gerne auch nutz- und gewinnbringend „verstören“. […] Es werden mit Hilfe von Kunstwerken Zusammenhänge veranschaulicht, wird mit ihnen Forschung betrieben, stehen sie wie Wörter in Sätzen im Dienste übergeordneter Zusammenhänge.“[114]
Eine solche Funktion hat die Nachahmung der tätowierten KZ-Häftlingsnummer als Performance gedeutet, da man sie vor geschichtlichen, sozialwissenschaftlichen, pädagogischen, anthropologischen, psychologischen, religiösen und kunsthistorischen Hintergründen beleuchten kann und sie Aufmerksamkeit für ihr immanente Themen generiert.
Autorin: Judith Stölzer
Anmerkungen
[1] Lánik, Josef (1964): Was Dante nicht sah. Berlin, Verlag der Nation, S. 32.
[2] Vgl. Rudoren, Jodi (2012): A Tattoo to Remember. in: New York Times, 30.09.2012, http://www.nytimes.com/2012/10/01/world/midleeast/with-tattoos-young-israelis-bear-holocaust-scars-of-relatives.html?pagewanted=all& r=0, letzter Zugriff am 5.07.2015.
[3] Vgl. Lánik (1964), S. 55.
[4] Vgl. ebd., S. 65.
[5] Vgl. ebd., S. 232.
[6] Ebd., S. 140.
[7] Ebd., S. 155.
[8] Ebd., 290.
[9] Vgl. Ebd., S. 247 und 287.
[10] Abusch, Alexander (1950): Der Irrweg einer Nation. Berlin, Aufbau-Verlag, S. 239 ff.
[11] Fechner, Max Hg. (1946): Wie konnte es geschehen. Auszüge aus den Tagebüchern und Bekenntnissen eines Kriegsverbrechers. Berlin, JHW Dietz Nachf. GmbH, S. 71.
[12] Sofsky, Wolfgang (2008): Die Ordnung des Terrors: Das Konzentrationslager: Frankfurt am Main, S. Fischer Verlag, S. 50.
[13] Vgl. ebd., S. 98.
[14] Vgl. ebd., S. 137 ff.
[15] Ebd., S. 53
[16] Ebd., S. 56 f.
[17] Ebd., S. 171
[18] Ebd., S. 172
[19] Ebd., S. 320 f.
[20] Übersetzung der Verfasserin: „Meine ganze Generation weiß nichts über den Holocaust. Man spricht mit Leuten und sie denken es ist wie der Auszug aus Ägypten, alte Geschichte. Ich habe beschlossen meine Generation zu erinnern: Ich will ihnen die Geschichte meines Großvaters und die Geschichte des Holocausts erzählen.“; Rudoren, (2012)
[21] Übersetzung der Verfasserin: „Die 10 für diesen Artikel interviewten Nachfahren haben alle dieselbe Motivation: sie wollten eng und ewig mit ihren überlebenden Verwandten verbunden sein.“; Ebd.
[22] Übersetzung der Verfasserin: „Es hat 15 Minuten gedauert und 40$ gekostet. Als der Tätowierer, ein russischer Einwanderer, den Witz gemacht hat, dass er „nicht so patriotisch ist“, um es günstiger zu machen, seufzte Mr. Diamant leise. „Das ist der Grund, warum er hier sitzt, dieses Tattoo und was seine Nummer repräsentiert. Wir haben den Staat wegen dieser Leute bekommen.“, sagte Mr. Diamant.“; Ebd.
[23] Grimm, Rico (2013): KZ-Nummer als Tattoo. in Frankfurter Rundschau, 3.02.2013, http://www.fr-online.de/politik/holocaust-kz-nummer-als-tattoo,1472596,21629506.html, letzter Zugriff am 12.07.2015.
[24] Ebd.
[25] Übersetzung der Verfasserin: „Ich bin in einem zu Hause aufgewachsen, in dem der Holocaust mit am Esstisch saß. Er war in jedem meiner Gedanken, meiner DNS.“; Rosensaft, Menachem Z. Hg. (2015): God, Faith and Identity from the Ashes. Reflections of Children and Grandchildren of Holocaust Survivors. Woodstock, Jewish Lights Publishing, S. 291.
[26] Rojkov, Alexandra (2015): Auschwitz-Gedenken: Tätowiertes Mahnmal. in: Die Zeit, 26.01.2015, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-01/auschwitz-gedenken-tattoos-kz-nummern, letzter Zugriff am 15.07.2015.
[27] Vgl. Lánik (1964), S. 290.
[28] Vgl. Hermann, Judith (1992): Trauma and Recovery. New York, Basic Books, S. 159.
[29] Vgl. Universität Leipzig (2009): Pressemitteilung, Verbreitung von Tätowierungen, Piercing und Körperhaarentfernung in Deutschland. Leipzig, Pressemitteilung, , letzter Zugriff am 18.07.2015.
[30] Honisch, Pascal: (2011) Geschichte und Wahrnehmung der Tätowierung. In: I. Eberhard, M. Harfst, A. Lenzhofer, I. Poncette (Hg.): Stich:Punkte. Theorie und Praxis der Tätowierung.Wien, Hammock Tree Records, S.33.
[31] Vgl. Lobstädt, Tobias (2005): Tätowierungen in der Nachmoderne. In: Breyvogel, Wilfried: Eine Einführung in Jugendkulturen. Veganismus und Tattoos. Wiesbaden, Vs Verlag für Sozialwissenschaften, S. 207.
[32] Vgl. Bidlo, Oliver (2010): Tattoo. Die Einschreibung des Anderen. Essen, Oldib-Verlag, S. 18 ff.
[33] Vgl. Ebd., S. 40.
[34] Ebd., S. 40 f.
[35] Vgl. ebd., S. 23 ff
[36] Ebd., S. 24
[37] Ebd., S. 61 ff.
[38] Ebd., S. 24 f.
[39] Vgl. ebd.
[40] Vgl. ebd., S. 52 ff.
[41] Willems, Herbert (1998): Inszenierungsgesellschaft. Opladen, Westdeutscher Verlag, S. 10.
[42] Vgl. Bidlo (2010), S. 25 f.
[43] Ebd., S. 27.
[44] Ebd., S. 28.
[45] Vgl. ebd., S. 32 f.
[46] Ebd., S. 34 ff.
[47] Vgl. ebd., S. 41.
[48] Ebd., S. 42.
[49] Vgl. ebd., S. 70.
[50] Poncette, Isabelle (2011): Geschichte und Wahrnehmung der Tätowierung. In: I. Eberhard, M. Harfst, A. Lenzhofer, I. Poncette (Hg.): Stich:Punkte. Theorie und Praxis der Tätowierung. Wien, Hammock Tree Records, S.54.
[51] Vgl. Bidlo (2010), S. 50 f.
[52] Vgl. Harfst, Michaela (2011): Tätowierungen in der Mara Salvatrucha. In: I. Eberhard, M. Harfst, A. Lenzhofer, I. Poncette (Hg.): Stich:Punkte. Theorie und Praxis der Tätowierung. Wien, Hammock Tree Records, S. 102.
[53] Vgl. Bidlo (2010), S. 50 f.
[54] Ebd., S. 72 ff.
[55] Vgl. ebd., S. 77 f.
[56] Ebd., S. 82.
[57] Vgl. ebd., S. 62 f.
[58] Übersetzung der Verfasserin: „Ihr sollt euer Fleisch nicht für die Toten schneiden, noch Male an euch einätzen: Ich bin der Herr.“; Kuperrard Hg. 2004: The Thora. London: Kuperard, S. 223.
[59] Übersetzung der Verfasserin: „Du sollst kein geschnitztes Bild, oder Gleichnis irgendeiner Art mache, von etwas, das oben im Himmel, oder unten in der Erde oder m Wasser unter der Erde ist; […]“; Ebd. S. 146
[60] Übersetzung der Verfasserin: […] Während das jüdische Gesetz dauerhafte Körperkunst verbietet – weil es eine heidnische Praxis war – verbietet es nicht Juden mit Tätowierungen auf jüdischen Friedhöfen zu begraben. „Es klingt als ob jüdische Eltern ihren Kindern das erzählen würde, um ihre Kinder davon abzuhalten, sich zu tätowieren.“, sagte eine Quelle aus dem Oberrabbinat, die nicht genannt werden will.“; Schwartz, Yardena (2014): Tattoos rule in Israel – despite Jewish law and Holocaust taboo. in: Haaretz, 17.02.2014, http://www.haaretz.com/culture/arts-leisure/.premium-1.574672, letzter Zugriff am 9.07.2015.
[61] Vgl. ebd.
[62] Übersetzung der Verfasserin: „Ja, einen Körper mit dauerhafter Körperkunst zu schmücken ist eine der stärksten Formen der Darstellung der Persönlichkeit. Aber das mag in Israel noch wahrer sein. […] Nun, wenn Tattos noch beliebter werden, ist es klar, dass israelische Kultur nicht immer der jüdischen entspricht.“; Ebd.
[63] Übersetzung der Verfasserin: „Ihr Gott ist mit dem Mord an ihrer Mutter gestorben.“; Rosensaft (2015), S. 176
[64] Übersetzung der Verfasserin: „Zwei Elite-Fallschirmjäger, einer religiös und einer säkular, stehen während einer anstrengenden und schweren Ausdauerübung, bei der sie zwei Kameraden auf einer Trage mitnehmen müssen, kurz vor dem Kreislaufkollaps. Der säkulare Soldat: „Sag mir, woher nimmst du die Kraft zu rennen?“ Der religiöse Soldat: „Von Gott im Himmel. Und du?“ Der säkulare Soldat: „Aus Auschwitz“; Ebd., S. 28
[65] Vgl. ebd., S. 30.
[66] Vgl. ebd., S. 107.
[67] Übersetzung der Verfasserin: „Wenn Leute in Frage stellen, warum das Judentum, trotz meinem lockeren Umgang mit religiösen Verpflichtungen, wichtig für mich ist oder fragen, warum ich einen Juden heiraten will oder jüdische Kinder erziehen will, spiele ich die „Auschwitz-Karte“ and beende effektiv die Unterhaltung.“; Ebd., S. 122.
[68] Vgl. Baacke, Dieter (2007): Jugend und Jugendkulturen. Darstellung und Deutung. Weinheim/ München, Bentz Juventa, S. 253 f.
[69] Vgl. ebd.
[70] Vgl. De Winter, Leon (2010): Das Recht auf Rückkehr. Zürich, Diogenes Verlag, S. 27/8, 73, 311 und 413 – 415.
[71] Vgl. ebd., S. 65.
[72] Vgl. Wardi, Dina (1992): Memorial Candles: Children of the Holocaust. London/ New York, Routledge.
[73] Übersetzung der Verfasserin: „Ein Teil der zweiten Generation zu sein, bedeutet in einem engen Raum zu existieren. Deine bloße Existenz trotzt der Eigenartigkeit. Du hättest überhaupt nicht da sein sollen. Du dienst als eine Vertretung für die Verlorenen.“; Rosensaft (2015), S. 168.
[74] Übersetzung der Verfasserin: „Ich bin nicht bloß bestimmt dazu ein kleiner Fleck zu sein. Das hat mich mich besonders fühlen lassen, aber auch sehr verpflichtet, da ich erkannte, dass ich besser große Dinge in meinem Leben erreichen sollte.“, ebd., S. 184.
[75] Vgl. ebd., S. 273.
[76] Lánik (1964), S. 116.
[77] Vgl. Rosensaft (2015), S. 169.
[78] Übersetzung der Verfasserin: „Der Holocaust-Forscher Michael Berenbaum erzählt von einem erfahrenen Gefangenen des Konzentrationslagers in Sachsenhausen, der neuen Gefangenen direkt und ehrlich von den Regeln und kommenden Schwierigkeiten, sowie dem Grauen, was sie erwartet, im Konzentrationslager erzählt hat. Seine ehrliche Warnung schloss er mit den Worten ab: „Ich habe euch die Geschichte nicht erzählt, um euch zu schwächen. Sondern um euch zu stärken. Jetzt liegt es an euch!“ Ich habe immer gefühlt, dass diese Worte auch an mich als Holocaust-Überlebende der zweiten Generation gerichtet waren – es liegt jetzt an mir.“; ebd., S 253.
[79] Übersetzung der Verfasserin: „Der Holocaust hat eine sehr tiefe Messlatte für jüdische Einigkeit geschaffen: Der Jude als Opfer. „Aus einer Untersuchung des Pew-Meinungsforschungsinstitut von 2013 geht hervor, dass ¾ der amerikanischen Juden die Erinnerung an den Holocaust auch 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges als wichtigen Teil der jüdischen Identität sehen. Dieser Prozentsatz ist wesentlich größer als die Zahl derer, die Beachtung und Befolgung des jüdischen Gesetzes als Indikator für die jüdische Identität sehen.“; ebd., S. 9.
[80] Übersetzung der Verfasserin: „Für Juden in der Diaspora, bei denen Religion nicht mehr das gemeinsame Bezeichnende ist, ist es eine verführende Alternative uns als Erben des Holocaust zu identifizieren. Es war unser schlimmstes Leiden jemals und – auf eine absurde Art – ist diese tiefhängende Frucht jetzt unbewusst bereit, um dazu benutzt zu werden, uns in eine gemeinsame Identität zu homogenisieren.“; ebd., S. 131.
[81] Übersetzung der Verfasserin: „Während unserer tragischsten Zeit sahen wir uns als ein Volk mit einem Los und haben auch die dessen innewohnenden Vorzüge des Vereinigens verstanden.“; Rosensaft (2015), S. 18
[82] Übersetzung der Verfasserin: „Ich habe mich – obwohl ich nicht gedacht hätte, dass ich das tun würde – antwortend, dass mein Sinn vom Jüdisch sein mit Trauern begann, vorgefunden; und das baut ein starkes und tiefes Band mit dem Jüdisch sein auf.“; ebd., S. 83.
[83] Übersetzung der Verfasserin: „Was so viele Kinder von Überlebenden vereint hat, war der Impuls zu retten – wenn nicht ihre Eltern, für die es viel zu spät war, dann vielleicht die Welt.“; ebd., S. 81.
[84] Vgl. ebd., S. 83.
[85] Vgl. Lánik (1964), S. 59 und S. 152.
[86] Vgl. Rosensaft (2015), S. 120.
[87] Lánik (1964), S. 237
[88] Übersetzung der Verfasserin: „Eine dem Projekt innewohnende Lehre war, dass das Paradigma des Holocaust nicht ewig erhalten bleiben wird.“; Rosensaft (2015), S. 134.
[89] Vgl. ebd., S. 146 f.
[90] Übersetzung der Verfasserin: „Nach dem Krieg waren meine Eltern nicht an der jüdischen Uneinigkeit interessiert – dem Kampf zwischen Interessengruppen und Arten der Ausübung. „Für unsere Feinde sind wir alle gleich“, beharrten sie, „Das Judentum hat uns erhalten. Wenn wir verfolgt werden, dann kenne wenigstens den Wert deines Erbes.“ (Das war ein nicht zu missachtender Befehl, keine liebe Aufforderung.) Mit Erbe meinten sie die ganze jüdische Kultur – Geschichte, Philosophie, Literatur, Humor, Essen, Musik – nicht nur religiöse Praxis. Sie wussten, dass sich alles davon über die Jahrhunderte radikal verändert hatte. Sie waren mehr daran interessiert die Zukunft zu bereichern als die Vergangenheit festzuhalten.“, ebd., S. 195.
[91] Übersetzung der Verfasserin: „Ich gebe einer jüdischen Bevölkerung, die sich als säkular definiert, die Werkzeuge dazu ihre religiöse jüdische Identität von sich aus neben ihrer kulturellen und nationalen Identität zu entdecken.“, ebd., S. 289
[92] Sofsky (2008), S. 98 ff.
[93] Ebd., S. 99.
[94] Vgl. ebd.
[95] Ebd., S. 181.
[96] Vgl. Tartt, Donna (2013): Der Distelfink. München, Goldmann Verlag, S. 725.
[97] Vgl. De Winter (2010), S. 65.
[98] Vgl. Bidlo (2010), S. 48 f.
[99] Poncette (2011), S. 54.
[100] Vgl. Panofsky, Erwin (2006): Ikonographie und Ikonographie. Bildinterpretationen nach dem Dreistufenmodell. Köln, Du Mont, S. 38 – 40.
[101] Vgl. Bidlo (2010), S. 89.
[102] Vgl. Pucher, Julia (2011): Die Tätowierung als Mittel zur Identitätskonstruktion in der postmodernen Gesellschaft: das Beispiel der Modern Primitives. In: I. Eberhard, M. Harfst, A. Lenzhofer, I. Poncette (Hg.): Stich:Punkte. Theorie und Praxis der Tätowierung. Wien, Hammock Tree Records, S. 131.
[103] Harfst (2011), S. 83.
[104] Übersetzung der Verfasserin: „Das Gebiet der modernen Indigenität erreichend, verlasse ich mich auf drei analytische Begriffe: Artikulation, Ausdruck und Übersetzung. Sie bilden ein transportables Werkzeug, um damit nicht-reduzierend über soziale und kulturelle Änderung nachzudenken. Alle Begriffe sind prozesshaft.“, Clifford, James (2013): Returns. Becoming Indigenous in the Twenty-First Century. Cambridge/ London, Harvard University Press, S. 45.
[105] Vgl. ebd., S. 46 f.
[106] Übersetzung der Verfasserin: „Personen oder Gruppen sollen sich als authentische kulturelle Subjekte ausdrücken. […] Kulturellen Subjekte „spielen sich“ für verschiedene Zuschauer“, ebd. S. 47.
[107] Vgl. ebd., S. 48.
[108] Übersetzung der Verfasserin: „Übertragung intergenerationaler Erinnerung durch große Werke. Ihre Unterschiedlichkeit in Stil, Medien, Thema – einschließlich familiärer Beziehungen, spiritueller Fragen und der Suche nach gesellschaftlichen und kulturellen Wurzeln – reflektiert die Individualität, Lebendigkeit und Vielschichtigkeit ihrer Generation. Angesichts der Fülle an wissenschaftlicher Untersuchung über die Destruktion des europäischen Judentums und der Ausnutzung, Trivialisierung, Umwandlung und Universalisierung des Holocausts, bleibe ich dabei Künstler aufzusuchen, die Elie Wiesels Ermahnung zur Unterscheidung zwischen Wissen und Verständnis ausdrücken.“; Rosensaft (2015), S. 223 ff.
[109] Bidlo (2010), S. 58.
[110] Dörstel, Wilfried (2014): Definition von Performance für den Bonner Kunstverein, Online-Publikation,
http://www.bonner-kunstverein.de/programm/463-jahre-einsamkeit-denklabor/definition-performance/, letzter Zugriff am 4.07.2015
[111] Schneede, Marina (2002): Mit Haut und Haaren: der Körper in der zeitgenössischen Kunst. Köln, DuMont, S.59.
[112] Fechner, Max Hg. (1946): Wie konnte es geschehen. Auszüge aus den Tagebüchern und Bekenntnissen eines Kriegsverbrechers. Berlin, JHW Dietz Nachf. GmbH, S. 22.
[113] Vgl. Gethmann-Siefert, Annemarie (1995): Einführung in die Ästhetik. München, UTB, S. 14.
[114] Scheller, Jürgen (2015): Grenzverlust. in: Kunstzeitung, 1.06.15.