Das Konzentrationslager Niederhagen wurde 1941 als temporäres KZ am Ortsrand der Gemeinde Büren-Wewelsburg (heutiger NRW-Kreis Paderborn) errichtet. Zu diesem Zeitpunkt gab es schon ein Lager Wewelsburg als Außenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen, für das wiederum das Niederhagen ein Nebenlager wurde.
Das Außenlager Wewelsburg war von den Nationalsozialisten aus administrativen, nicht geografischen Gründen als Teil von Sachsenhausen errichtet worden – zwischen beiden Orten liegt eine Entfernung von über 450 km. Sachsenhausen bei Oranienburg war schon ab Mitte 1936 errichtet worden. In jener Frühzeit der NS-Herrschaft wurden zunächst Einrichtung für Kriminelle und politische Häftlinge gebaut, die Umwandlung zu Vernichtungslagern mit industrieller Tötungsmaschinerie hatte noch nicht begonnen. Das Netz der Lager war in der ersten Hälfte der 1930er Jahre bislang relativ weitmaschig. Daraus ergab sich die administrative Zuordnung von auch weit voneinander entfernten Lagern zueinander. Als die Nationalsozialisten ihre Verfolgung Andersdenkender forcierten und ab 1938 auch gezielt die jüdische Bevölkerung internierten, für die sie ab 1941 sogar die „Endlösung“ des Holocaust beschlossen, wurden die bestehenden Lager zu klein. Daher sollte das Lager das schon bestehende Lager Wewelsburg ergänzen. Heute werden beide Lager gemeinsam als „KZ Niederhagen-Wewelsburg“ genannt. Sachsenhausen wiederum lag unweit von Berlin und nahm wegen dieser Nähe zur NS-Machtzentrale im System eine Sonderrolle ein. Hier war unter anderem großes SS-Kontingent stationiert, auch gab es in Sachsenhausen ein „Übungslager“ für zukünftige Kommandanten und ihre Wachmannschaften. Als die Kapazitäten des Lagers hierfür nicht mehr genügten, befahl der SS-Reichsführer im Jahr 1939 den Umbau der weit entfernten Wewelsburg zum Konzentrationslager. Er wurde von Insassen vorgenommen. Himmler hatte den Ort bewusst gewählt: Nach seinen Vorstellungen sollte die Wewelsburg nach dem „Endsieg“ der Mittelpunkt der gesamten Welt werden. Es handelt sich bei ihr um ein burgähnliches Renaissanceschloss, das auch heute noch in Büren zu besichtigen ist. Als Höhenburg liegt es über dem Tal des Flusses Alme. Sein dreieckiger Grundriss ist in Deutschland eine Seltenheit, nur wenige Burgen wurden so gebaut. Die erste Anlage entstand im Jahr 1123 auf Betreiben des Grafen Friedrich von Arnsberg, doch seine Burg zerstörten Bauern der Umgebung nach seinem Tod. Spätere Grafen ließen immer wieder an der strategisch günstigen Stelle Burgen errichten, die derzeit bestehende Burg wurde zwischen 1603 und 1609 erbaut. Zwischen 1934 und 1945 nutzte sie die SS, die sie teilweise umgestalten ließ. Himmler ließ Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen nach Wewelsburg verschicken und setzte dort als ersten Lagerkommandant Wolfgang Plaul, ab 1941 dann Adolf Haas ein. Die ersten Gefangenen arbeiteten und lebten als Außenkommando unter freiem Himmel, weshalb man das KZ Niederhagen als Schutzhaftlager errichten ließ.
Die sogenannte Schutzhaft, die es auch heute noch als Präventiv- oder Vorbeugehaft gibt und die sogar dem Schutz einer inhaftierten Person dienen kann, setzten die Nationalsozialisten vorwiegend für Repressalien ein. Grundsätzlich dient eine Schutzhaft der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung sowie der planmäßigen polizeilichen Überwachung. Es gibt hierfür gewisse gesetzliche Hürden, wie in Deutschland zuletzt in Bezug auf die Präventivhaft von Klimaklebern zu beobachten war, die in Bayern bis zu zwei Monate dauern kann. Diese Hürden sind in einem demokratischen Rechtsstaat sehr hoch. Das NS-Regime hatte sie praktisch gänzlich abgeschafft: Missliebige Personen wurden vollkommen ohne Rechtsgrundlage in Gefängnissen oder Schutzhaftlagern wie dem KZ Niederhagen interniert. Die Gefängnisse wurden alsbald für die vielen Gefangenen zu klein, weshalb es solcher Konzentrationslager bedurfte. Die Errichtung von Konzentrationslagern war ab den 1920er Jahren ein Phänomen, das auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten war, doch die Nationalsozialisten forcierten dieses Mittel extrem. Inhaftierte hatten keine juristische Möglichkeit von Einwendungen etwa im Zuge einer Haftprüfung. Heinrich Himmler verabredete ab 1942 sogar mit dem damaligen Reichsjustizminister Otto Thierack die Schutzinhaftierung, wenn „nicht genügende Justizurteile“ vorlagen, um „asoziale Elemente der Vernichtung durch Arbeit zuzuführen“. Betroffen waren fortan Juden, Sinti und Roma, Polen, Russen und Ukrainer mit einem Strafmaß von mehr als drei Jahren sowie Deutsche und Tschechen mit einem Strafmaß von mehr als acht Jahren. Solche Häftlinge fanden sich unter anderem hier wieder. Für die Juden, Sinti und Roma, Polen, Russen und Ukrainer genügte kurz darauf sogar eine Anordnung von Himmlers oder nachgeordneten Stellen der SS, um sie zu inhaftieren. Die Gerichte wurden vollkommen ausgeschaltet.
Im Verlauf des Jahres 1941 wurde das Niederhagen selbstständig und nahm immer mehr Häftlinge auf. Anfangs waren es rund 480, die Zahl wuchs zwischenzeitlich auf 3.900. Vertreten waren Juden, politische Gefangene, Zeugen Jehovas, Sinti und Roma, Homosexuelle, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Letztere stammten aus Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Etwa ein Drittel der Insassen verstarb während der Haft. Das lag auch an der unmenschlichen Führung durch den Lagerkommandanten Adolf Haas, der sich gern als „Herrgott von Wewelsburg“ und als „mit dem Teufel lachend“ bezeichnete. Die Forschung konnte nach dem Krieg den Tod von 1.285 Insassen beweisen. Sie starben vorwiegend an Krankheiten, Hunger, Kälte und Misshandlungen. Wegen der vielen Todesfälle ließ Haas 1942 ein lagereigenes Krematorium errichten. Ein Teil der Todesfälle ging auf das Konto der Gestapo, die den Ort als Exekutionsstätte nutzte. Belegt ist die Ermordung von 56 Personen, davon 14 völkerrechtswidrig erschossene sowjetische Kriegsgefangene und 42 erhängte sonstige Inhaftierte. Nach der Selbstständigkeit des Lagers ab September 1941 wurde es ab Mai 1943 dem Konzentrationslager Buchenwald als Außenlager unterstellt. Die Zahl der Insassen sank, bei der Befreiung des Lagers im April 1945 saßen noch rund 50 Inhaftierte ein.
Am 2. April 1945 erreichte die 3. US-Panzerdivision Niederhagen. Sie war ein Vortrupp der US-Army und erst ein Jahr zuvor in Camp Beauregard (US-Bundesstaat Louisiana) aktiviert worden. Es waren Soldaten, die stets an vorderster Front kämpften, weshalb die Division den Beinamen „Spearhead“ (Speerspitze) trug. Sie war am D-Day (6. Juni 1944) an Omaha Beach gelandet und hatte sich dann durch Frankreich, Belgien und Deutschland gekämpft. In Deutschland nahm sie Aachen, Bielefeld, Köln, Marburg und zuletzt Paderborn ein. In der Nähe dieser Stadt stieß sie auf die Einrichtung, schaltete die Wachmannschaften aus und befreite die Häftlinge. Einer von ihnen war Paul Buder. 1976 schrieb er als Zeuge für den zweiten Wewelsburg-Prozess seine Erinnerungen an die Befreiung auf:
„Ein US-Offizier sagte mir, dass wir jetzt frei wären! … Ich setzte mich nieder, schlug die Hände vor mein Gesicht und begann haltlos zu weinen. Die Qual von neun Jahren fiel ab: Ich bin frei, frei! Auf mich trat ein russischer Inhaftierter zu und gab mir Wein. Die ehemaligen Häftlinge hatten schon den Weinkeller geöffnet! Wir saßen an einer Mauer, tranken Wein und riefen Swoboda! Freiheit! Mit gefalteten Händen dankte ich Gott dafür, dass wir diesen Tag noch erleben durften.“
Buder gehörte zu den Zeugen Jehovas und war bereits 1940 in Sachsenhausen interniert sowie im selben Jahr nach Wewelsburg verlegt worden.
Sehenswert ist heute zu diesem Thema das Kreismuseum Wewelsburg. Im Jahr 1967 wurden die Baracken des Konzentrationslagers Niederhagen abgerissen. Die ehemalige Häftlingsküche – ein Massivbau – blieb erhalten, der Kreis Paderborn kaufte sie 2018 auf und stellte sie unter Denkmalschutz. Bauhistorische Untersuchungen konnten belegen, dass die einstige Grundstruktur fast vollständig erhalten ist. Seit April 2021 ist in dem Gebäude eine Erinnerungs- und Gedenkstätte untergebracht. Die Küche spielte im Lagerregime eine essenzielle Rolle, und zwar nicht nur für die Ernährung, sondern auch für die willkürliche Essensversorgung, die einzelne Häftlinge dem Risiko der extremen Unterversorgung und damit des Verhungerns aussetzte. Diese Art der Willkür basierte auf einer Intention des Reichsführers SS Heinrich Himmler: „Vernichtung durch Arbeit und Ausbeutung“.
Literatur
Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7: Wewelsburg, Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora. C. H. Beck, München 2008.
Karl Hüser, Wulff E. Brebeck: Wewelsburg 1933–1945. Überarbeitung: Kirsten John-Stucke. 4. Auflage. Münster: Westfälisches Landesmedienzentrum 2002. (= Reihe: Dokumente der Zeitgeschichte, Heft 5)
Kirsten John-Stucke: Sinti und Roma im KZ Wewelsburg (Büren-Wewelsburg), in: Karola Fings/Ulrich Friedrich Opfermann (Hrsg.), Zigeunerverfolgung im Rheinland und in Westfalen. 1933–1945. Geschichte, Aufarbeitung und Erinnerung, Paderborn 2012, S. 101–107
Kirsten John-Stucke, Andreas Pflock, Markus Moors: Jehovas Zeugen im Nationalsozialismus, Dokumentation einer Tagung (= Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg, Beiheft 1). Klartext Verlag, Essen 1998.
Website des Kreismuseum Wewelsburg.