…“flink wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“
Grundlagen
Die Wurzeln nationalsozialistischer Erziehung reichen ins 19. Jahrhundert. In den Werken der Kulturkritiker Paul Anton de Lagarde (1827 – 1891) und August Julius Langbehn (1851 – 1907) lassen sich Forderungen finden nach einem Führer, der die Einheit des Volkes erzwingen und alle inneren Streitigkeiten schlichten sollte. Bereits damals gipfelten ihre Vorstellungen von einem sauberen und zuchtvollen Deutschland in der Vision einer neuen deutschen Sendung als größte Macht der Welt. Nach dem verlorenen 1. Weltkrieg und dem Vertrag von Versailles wurden vor allem Heimatlose, Entwurzelte und politische Abenteurer von diesen Ideen ergriffen. Auch Adolf Hitler knüpfte daran an, als er im Jahre 1924 in der Festungshaftanstalt Landsberg am Lech die Grundzüge seiner nationalsozialistischen „Lehre“ niederschrieb. In seinem Buch „Mein Kampf“ fixierte Hitler auch seine Gedanken zur Erziehung der Jugend, die später zum Dogma des Nationalsozialismus wurden. Im Mittelpunkt stand ein „völkischer Staat“, in dem das „Heranzüchten kerngesunder Körper“ wichtiger sein sollte als das „Einpumpen bloßen Wissens“. Die Stärkung von Entschlussfreudigkeit und Willenskraft, Disziplin, Wagemut, Angriffsgeist, Zähigkeit und Durchhaltevermögen war nach Hitler für eine Volksgemeinschaft wertvoller als die Ausbildung „geistreicher Schwächlinge“. Körperliche Ertüchtigung sollte „jungen Volksgenossen die Überzeugung geben, anderen unbedingt überlegen zu sein“. Hitler wollte die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit darauf ausrichten, „Rassesinn und Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der Jugend hineinzubrennen“. Diese von Herwig Blankertz als „Unpädagogik“ bezeichneten Erziehungsmaximen wurden im NS-Staat schrittweise verwirklicht. Nach der „Machtergreifung“ schufen die Nationalsozialisten einen lückenlosen Erziehungsstaat, dessen vorrangiges Ziel die körperliche und seelische Vorbereitung der Jugend auf den als „Selbstbehauptungskampf des deutschen Volkes“ propagierten Krieg war. Darum wurde Tugenden wie Treue und Opferwilligkeit zunehmend eine größere Bedeutung beigemessen als den Inhalten von Lehrplänen und in der jungen Generation des deutschen Volkes die Bereitschaft gefördert, das eigene Leben „für Führer und Volk“ zu opfern.
Voraussetzung für den Erfolg der Nationalsozialisten war eine raffinierte Mischung von Propaganda und „völkischer Ideologie mit einem pseudo-christlich-religiösen Kern“. Die Angst vor der Gestapo allein hätte den NS-Staat nicht ermöglicht. Eine festgefügte Weltanschauung und ein begeisternder Mythos gaben vielen Deutschen das Gefühl von Verbundenheit und Zugehörigkeit. Dazu kam ein systematisch aufgebauter Führer-Kult, der von Goebbels nach der „Machtergreifung“ gefestigt und in neue Dimensionen getrieben wurde. Adolf Hitler war als „Führer“ und Vorbild allgegenwärtig. Jeder hörte zwischen Erwachen und Schlafengehen ungezählte Male „Heil Hitler“. Fahnen, Hakenkreuze und Uniformen prägten das alltägliche Bild. Plakate und Wandparolen sorgten für eine ständige gezielte Beeinflussung. Ein besonders ausgewählter Teil der Jugend wurde in Napola und Ordensburgen als zukünftige Elite ausgebildet, die Mehrheit aber erlebte die „Normalität“ in Schule und Hitlerjugend.
Erziehungswirklichkeit
1. In der Schule
Den Nationalsozialisten war es innerhalb kurzer Zeit gelungen, die bei der Machtergreifung vorhandenen schulischen Einrichtungen und außerschulischen Organisationen für ihre Zwecke zu missbrauchen. Im NS-Lehrerbund wurden Lehrer davon überzeugt, dass Wehrerziehung das Kernstück der gesamten Erziehungsverantwortung zu sein habe. Unterrichtsmodelle und zusätzliche Materialien zu aktuellen Lernzielen glorifizierten den Krieg und weckten Hass auf die „Feinde Deutschlands“. Das waren all die Personen, die dem Führer die Gefolgschaft versagten: Neben Franzosen, Engländern und Slaven auch Katholiken, Protestanten, „Zigeuner“, Zeugen Jehovas, Freimaurer und besonders „die Juden“. Maßstab für das gesamte Erziehungsgeschehen war der Führer Adolf Hitler, der Deutschland „von der Demütigung durch den Versailler Vertrag befreit hatte“. Seine „pädagogischen Ideen“ wurden zunächst durch Erlasse und Verfügungen von miteinander konkurrierenden Dienststellen aufgegriffen. Dabei wurde Mathematik zur „abendländischen Mathematik“ und zum „arischen Kulturgut“ umstrukturiert. Rechenaufgaben wurden „im neuen Geist“ gestellt und handelten vorwiegend von Flugzeugen, Bomben, Kanonen und Schießgewehren. Das Fach Biologie wurde durch „Rassenkunde“ ergänzt; diese galt auch in den Fächern Deutsch, Geschichte und Erdkunde als Unterrichtsprinzip. Das Hetzblatt „Der Stürmer“ von Julius Streicher bot Themen für Aufsätze zur „Rassenschande“.
Im Mittelpunkt des Deutschunterrichts stand eine so genannte „Deutschkunde“ mit einer „volkhaften Dichtung“, während im Sportunterricht Boxen, Fußball und Geländesport eine immer größere Rolle spielten. Die Sportstunden wurden auf drei, später sogar auf fünf Stunden erhöht. Bei Aufnahme- und Abschlussprüfungen hatten Leistungen im Sport ein besonderes Gewicht. Unfähigkeit im Sport hatte die Entlassung von der Schule zur Folge.
Geschichtsunterricht wurde das Kernfach einer politischen Erziehung mit dem Ziel, eine begeisternde, heldische Weltanschauung zu vermitteln und den „Wehr- und Rassegedanken“ planmäßig zu fördern. Selbst der Religionsunterricht war Unterricht im Nationalsozialismus: Er begann und endete mit „Heil Hitler“, die Pläne Gottes und des Führers galten als gleichwertig, das Alte Testament wurde abgelehnt als „Spiegelbild jüdischen Geistes“ und das „positive Christentum“ der Deutschen Christen vermittelte Jesus als Held, der „von den Juden erschlagen wurde“. Ab Frühjahr 1934 gab es wöchentlich einen „Deutschen Tag“ zur körperlichen wie politischen Erziehung der Schuljugend.
Die NS-Ideologisierung fand sehr schnell Eingang in die Volksschulen. In den höheren Schulen wurde zunächst noch versucht, eine leistungsorientierte Lernschule aufrecht zu halten. Doch ab 1937 wurden vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung allgemein verbindliche Richtlinien erlassen, die die NS-Intention auch hier durchsetzen sollten. Eine amtliche Verlautbarung dieses Ministeriums aus dem Jahre 1938 legte fest, dass die NS-Weltanschauung nicht „Gegenstand oder Anwendungsgebiet des Unterrichts, sondern sein Fundament“ sei.
2. In der Hitlerjugend
Der Einfluss auf die deutsche Jugend durch die NS-Ideologie war nicht auf die Schule begrenzt. Vor allem in der Hitlerjugend wurde der Typ geprägt, den Hitler mit dem Schlagwort als „…flink wie ein Windhund, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ idealisierte.
Schon im Jahre 1926 war es unter der Leitung Kurt Grubers durch einen Zusammenschluss einiger Jugendgruppen zu einer „Großdeutschen Jugendbewegung“ gekommen. Sie wurde auf Vorschlag von Julius Streicher „Hitlerjugend, Bund deutscher Arbeiterjugend“ genannt. Zu diesem Zeitpunkt war die Organisation eine Art Jugendabteilung der SA. 1930 wurde mit dem „Bund deutscher Mädel“ die Jugendarbeit auch auf Mädchen ausgedehnt und ein Jahr später der „Bund deutsches Jungvolk“ angegliedert. Zuständig für die Hitlerjugend, den NS-Schülerbund und den NS-Studentenbund war der Reichsführer der NSDAP und Reichsjugendführer Baldur von Schirach. In seinen Reden stellte Baldur v. Schirach der Hitlerjugend wiederholt den Opfertod als Sinngebung des Lebens dar und verband das deutsche Heldentum mit religiösen Dimensionen. Er versuchte die deutsche Jugend davon zu überzeugen, dass ihre Aufgabe in der „selbstlosen Hingabe an das Werk des Führers“ lag. Für ihn war der politische Führer Adolf Hitler mit übermenschlicher Legitimation ausgestattet. Im Jahre 1938 rühmte sich v. Schirach selbst als „mitverantwortlich und mitgestalterisch für die NS-Erziehung“. Er förderte den „Glauben an den Führer“ in einer begeisterungsfähigen Jugend und legte so die Grundlagen für die spätere „totale Einsatzbereitschaft“ im Krieg.
Großen Zulauf hatte die Organisation durch den „Reichsjugendtag“ am 1./2. Oktober 1932 in Potsdam erhalten. Die rund 70 000 jugendlichen Teilnehmer waren stundenlang an Hitler vorbeimarschiert. Nach der „Machtergreifung“ verstand es Baldur von Schirach, die Hitlerjugend als „Teil einer weit über eine Partei-Jugend hinausgehende völkisch-nationale Bewegung“ mit Hitler als Repräsentanten darzustellen. Die Hitlerjugend sollte sowohl die Gesamtheit der Jugend als auch den gesamten Lebensbereich des jungen Deutschen erfassen. V. Schirachs Ziel war die totale Abhängigkeit der Jugend und die Zerschlagung aller politischen, konfessionellen, bündischen und autonomen Jugendorganisationen mit 5 – 6 Millionen Mitgliedern. Während die jüdischen und sozialistischen Jugendverbände 1933 sehr schnell verboten wurden, konnten die katholischen Jugendbünde ihre Selbstständigkeit noch einige Zeit behaupten. Andere Gruppen traten geschlossen in die Hitlerjugend ein. Innerhalb kurzer Zeit setzte die Organisation der Hitlerjugend ihren Totalitätsanspruch durch und übernahm viele Funktionen in den Bereichen der traditionellen Jugendarbeit. Der von der ersten deutschen Jugendbewegung des „Wandervogels“ übernommene Lebensstil mit Führerauslese, Selbsterziehung, Fahrten, Lagern, Volksliedern und einheitlicher Tracht verstärkte in der jungen Generation die Sehnsucht nach dem eigentlichen Leben außerhalb der Familie in Heimen und Lagern der Hitlerjugend. Dort lernten sie, dass „Kerle von tadellosem Charakter auch ohne Schulwissen durch das Leben kommen konnten“. Neben der „Stunde der jungen Nation“ im Rundfunk wurde in wöchentlich regelmäßigen Gruppentreffen und während der Ferien in Zeltlagern intensiv Einfluss auf die Jugend genommen. Hitlers demonstrativ dargestellte Zuneigung zur Jugend stärkte ihr Selbstwertgefühl und gab ihr das Bewusstsein, ein eigenständig anerkannter Teil der NS-Volksgemeinschaft zu sein. Propaganda und Schulung nahmen einen breiten Raum ein. Im Jahr 1934 wurden allein 50 000 Jugendführer ausgebildet. Dabei wurde den oft noch sehr jungen Menschen ihre große Bedeutung für den Staat vermittelt.
Im Laufe der Zeit verstärkte das NS-Regime den Druck auf die Bevölkerung. Beamte wurden verpflichtet, ihre Kinder in die Hitlerjugend zu schicken und Lehrern wurden Disziplinarmaßnahmen angedroht, falls sie Schüler nicht nachdrücklich genug zum Eintritt in die Hitlerjugend veranlassten. Ende 1936 waren etwa 60 % der Jugendlichen in der Hitlerjugend organisiert. Nach Ausbruch des Krieges brach die Konzeption der Jugendführung zusammen. Bis zum Frühjahr 1940 wurden 95 % der HJ-Führer eingezogen. Von diesem Zeitpunkt an bestand der Dienst in der Hitlerjugend überwiegend aus Aufräumaktionen, Luftschutzdienst oder Sammelaktionen z.B. für das Winterhilfswerk.
In den Nürnberger Prozessen wurde Baldur v. Schirach als Führer der Jugendorganisationen angeklagt, „die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer und die Festigung ihrer Kontrolle über Deutschland gefördert, die Hitlerjugend militarisiert und sie psychologisch wie pädagogisch auf den Krieg vorbereitet zu haben“. Von dieser Anklage wurde Baldur v. Schirach freigesprochen. Seine Verurteilung zu 20 Jahren Haft wurde mit der Beteiligung an den Deportationen von 185.000 Juden aus Wien begründet.
Autorin: Barbara Hohmann, M.A.
Literatur
Fink, Renate: Sie versprachen uns die Zukunft, Würzburg 1995.
Gieseke, Hermann: Hitlers Pädagogen, Weinheim, München 1993.
Hitler, Adolf: Mein Kampf, München 1943
Ley, Michael / Julius H. Schoeps: Nationalsozialismus als politische Religion, Mainz 1997
Wortmann, Michael: Baldur von Schirach. Hitlers Jugendführer, Köln 1982