NS-Gauleiter von Franken und Nürnberg. Herausgeber von „Der Stürmer – deutsches Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit“.

Julius Streicher in seiner Zelle im Zellengefängnis Nürnberg, 24. November 1945Unterschrift von Julius Streicher, 1935. US Government official available from National Archives and Records Administration, College Park Md., StreicherDarkerSharpHLSL (cropped), als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Beim schlimmsten Hetzer des NS-Regimes denken viele an Propagandaminister Jospeh Goebbels (1897 – 1945) oder Adolf Hitler (1889 – 1945) selbst. Doch der unangefochtene Spitzenreiter in Sachen unverblümtem Judenhass, vulgärer Obszönität und aufpeitschender Hetze war ganz ohne Frage Julius Streicher (1885 – 1946), ein gescheiterter Volksschullehrer, der schon in seiner Militärzeit bei den Radfahrtruppen wegen mangelnder Disziplin verwarnt wurde und später wegen Korruption im Zuge der Arisierung aus der NSDAP ausgeschlossen wurde, was im Klartext heißt: Selbst andere Nazis hielten ihn für einen unmoralischen Hassprediger. Goebbels selbst sagte über Streicher: „Viele unserer Leute gehen ja heute in der Judenfrage viel zu weit. Daran sind diese Streicher und Konsorten schuld und auch Hitler selbst bis zu einem gewissen Grade, weil er diesen grauenhaften Kerl nicht kaltstellte, wie ich es schon oft verlangt habe.“
Julius Streicher: Vom Volksschullehrer zum „Frankenführer“
Julius Streicher, geboren am 12. Februar 1885 in Fleinhausen bei Augsburg, war der Sohn des Volksschullehrers Friedrich Streicher und dessen Frau Anna. Schon früh zeigte sich seine Neigung zum Lehrerberuf, und er trat in die Fußstapfen seines Vaters. Nach seinem Ausscheiden aus dem Schuldienst 1923 wandte er sich jedoch der Politik zu und wurde zu einer der berüchtigtsten Figuren des Nationalsozialismus. Streicher, der sich selbst gerne als „Frankenführer“ bezeichnete, stieg in den Reihen der NSDAP auf und wurde zum Gauleiter von Franken ernannt. Seine politische Karriere war geprägt von einem fanatischen Antisemitismus, der sich in seinen Reden und Publikationen manifestierte.
Sein Weg in die NSDAP begann im Herbst 1922, als er die Deutschsozialistische Partei (DSP) gründete. Nach der Auflösung der DSP im Herbst 1922 gründete er am 20. Oktober 1922 in Nürnberg in Anwesenheit Hitlers die Ortsgruppe der NSDAP. Seine Beziehung zu Hitler festigte sich rasch, und er wurde zu einem seiner treuesten Anhänger. Der Historiker Peter Longerich beschreibt seine Rolle wie folgt: „Streicher war einer der frühen Wegbegleiter Hitlers und trug maßgeblich zur Verbreitung antisemitischer Propaganda in Franken bei.“ (Longerich, P. (2010). „Holocaust: The Nazi Persecution and Murder of the Jews“, S. 30)
Streicher und der „Stürmer“: Antisemitismus als Geschäftsmodell
Im April 1923 gründete Streicher das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“, das sich selbst als „Deutsches Wochenblatt zum Kampf um die Wahrheit“ bezeichnete. Das Blatt wurde schnell zum Sprachrohr des extremsten Antisemitismus im Dritten Reich. Mit reißerischen Schlagzeilen, grotesken Karikaturen von Philipp Rupprecht und erfundenen Gräuelgeschichten hetzte der „Stürmer“ gegen Juden und schürte den Hass in der Bevölkerung. Die Auflage stieg stetig an und erreichte in den späten 1930er Jahren zeitweise eine halbe Million Exemplare.
Der „Stürmer“ war nicht nur sein ideologisches Sprachrohr, sondern auch ein äußerst lukratives Geschäft. Durch die hohen Auflagen und Werbeeinnahmen wurde er zum Millionär. Er investierte einen Teil seines Vermögens in den Kauf des Landguts Pleikershof bei Cadolzburg, das er zu seinem persönlichen Refugium ausbaute. Ironischerweise prangerte erin seinem Blatt regelmäßig die angebliche „jüdische Geldgier“ an, während er selbst ein beträchtliches Vermögen anhäufte.
Der Historiker Randall Bytwerk kommentiert die Wirkung des „Stürmers“ folgendermaßen: „Der ‚Stürmer‘ war mehr als nur ein antisemitisches Propagandablatt. Er schuf eine Atmosphäre des Hasses und der Verfolgung, die den Boden für die späteren Verbrechen des Holocaust bereitete.“ (Bytwerk, R. (2001). „Julius Streicher: Nazi Editor of the Notorious Anti-Semitic Newspaper Der Stürmer“, S. 203)
Hitler und Streicher: Eine unheilvolle Allianz
Die Beziehung zwischen Adolf Hitler und Streicher war von Beginn an eng und von gegenseitigem Nutzen geprägt. Hitler schätzte seine bedingungslose Loyalität und seine Fähigkeit, die antisemitische Propaganda auf die Spitze zu treiben. Streicher wiederum profitierte von Hitlers Protektion, die ihm lange Zeit Rückendeckung für seine extremen Aktionen und Äußerungen bot.
1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurde er zum Gauleiter von Franken ernannt. In dieser Position nutzte er seine Macht, um politische Gegner zu verfolgen und seinen persönlichen Einfluss auszubauen. Seine Methoden waren oft brutal und willkürlich, was selbst innerhalb der NSDAP für Unmut sorgte. Doch Hitler hielt lange an seinem „Frankenführer“ fest, trotz zahlreicher Beschwerden über dessen Amtsführung und seine sexuellen Eskapaden.
Die Historikerin Ina Ulrich beschreibt die Beziehung zwischen Hitler und Streicher so: „Hitler tolerierte StreichersExzesse lange Zeit, da er dessen fanatischen Antisemitismus als nützliches Werkzeug in der Radikalisierung der Bevölkerung betrachtete. Erst als sein Verhalten zu einer Belastung für das Regime wurde, distanzierte sich Hitler von ihm.“ (Ulrich, I. (2002). „Hitlers willige Vollstrecker in Franken“, S. 156)
Der „Stürmer“ und die Verschärfung des Antisemitismus
Julius Streichers „Stürmer“ spielte eine zentrale Rolle bei der Verbreitung und Verschärfung des Antisemitismus in Deutschland. Das Blatt bediente sich einer besonders vulgären und hetzerischen Sprache, die selbst einigen Nazi-Funktionären zu weit ging. Regelmäßig wurden Juden in Text und Bild als „Untermenschen“ und „Parasiten“ dargestellt. Der „Stürmer“ propagierte die Idee einer „jüdischen Weltverschwörung“ und rief offen zur Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung auf.
Besonders perfide war die vom „Stürmer“ betriebene „Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze“, die angebliche Verbrechen von Juden an Nichtjuden anprangerte. Diese Rubrik basierte fast ausschließlich auf erfundenen oder stark übertriebenen Geschichten, trug aber maßgeblich zur Verbreitung antisemitischer Stereotypen und zur Schürung von Ängsten in der Bevölkerung bei.
Er rechtfertigte seine Hetze oft mit einem Zitat des Historikers Heinrich von Treitschke: „Die Juden sind unser Unglück!“ Dieser Satz wurde zum Motto des „Stürmers“ und prangte auf jeder Ausgabe. Die Ironie, dass Streicher sich ausgerechnet auf einen renommierten Historiker berief, um seine pseudowissenschaftlichen Rassentheorien zu legitimieren, schien ihm dabei zu entgehen.
Der „Frankenführer“ und seine Protektion durch Hitler
Trotz seiner extremen Ansichten und seines oft skandalösen Verhaltens genoss er lange Zeit den Schutz Adolf Hitlers. Diese Protektion ermöglichte es ihm, seine Position als Gauleiter von Franken zu behalten und den „Stürmer“ ohne größere Einschränkungen weiter zu publizieren. Selbst als sich andere hochrangige Nazi-Funktionäre wie Joseph Goebbels von Streichers vulgärem Antisemitismus distanzierten, hielt Hitler zunächst an ihm fest.
Streichers Machtmissbrauch war legendär. Er nutzte seine Position, um persönliche Fehden auszutragen und sich zu bereichern. Besonders berüchtigt waren seine „Arisierungen“ jüdischen Eigentums, von denen er persönlich profitierte. Der Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel beschwerte sich mehrfach bei Hitler über dessen Amtsführung, doch lange Zeit ohne Erfolg.
Erst im Februar 1940 wurde Streicher aufgrund zahlreicher Korruptionsvorwürfe und Beschwerden über sein Verhalten aller Ämter enthoben. Hitler vermied es jedoch, ihn öffentlich zu kritisieren oder strafrechtlich verfolgen zu lassen. Stattdessen wurde er auf sein Landgut Pleikershof „verbannt“, wo er weiterhin den „Stürmer“ herausgeben konnte. Diese milde Behandlung Streichers zeigt, wie sehr Hitler den Wert von dessen antisemitischer Propaganda schätzte.
Das Ende des „Stürmers“ und Streichers Flucht
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs brach auch Streichers Welt zusammen. Der „Stürmer“ stellte sein Erscheinen ein, und Streicher selbst floh in die Alpen. Er lebte einige Wochen unerkannt in einem österreichischen Dorf, bevor er am 23. Mai 1945 von amerikanischen Truppen verhaftet wurde. Angeblich soll er bei seiner Festnahme gerufen haben: „Ihr wisst, wer ich bin? Julius Streicher!“ – ein letzter Versuch, sich wichtig zu machen.
Die Ironie des Schicksals wollte es, dass er ausgerechnet in Nürnberg, der Stadt, in der er jahrelang seine Hetze verbreitet hatte, vor Gericht gestellt wurde. Im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wurde er angeklagt und am 1. Oktober 1946 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt.
Bis zuletzt zeigte Streicher keine Reue für seine Taten. Seine letzten Worte vor der Hinrichtung am 16. Oktober 1946 sollen „Heil Hitler!“ gewesen sein. So endete das Leben eines Mannes, der wie kaum ein anderer für den mörderischen Antisemitismus des NS-Regimes stand. Der NS-Gauleiter von Franken starb qualvoll durch den Strang – eine Methode, die er selbst oft für Juden gefordert hatte.
Fazit: Ein unheilvolles Erbe
Julius Streicher bleibt als eine der abstoßendsten Figuren des Nationalsozialismus in Erinnerung. Sein fanatischer Antisemitismus und seine Hetzkampagnen trugen maßgeblich zur Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas in der Weimarer Republik und im Dritten Reich bei. Der „Stürmer“ bereitete den Boden für die späteren Verbrechen des Holocaust, indem er Juden entmenschlichte und zur Verfolgung aufrief.
Streichers Fall zeigt auch die Komplexität des NS-Systems. Obwohl er innerhalb der NSDAP oft als Außenseiter galt und für seine Vulgarität kritisiert wurde, konnte er dank Hitlers Protektion lange Zeit seine Position behalten. Sein Beispiel verdeutlicht, wie persönliche Loyalitäten und ideologische Übereinstimmungen im NS-Staat oft wichtiger waren als formale Hierarchien.
Literatur
Jay W. Baird: Das politische Testament Julius Streichers. Ein Dokument aus den Papieren des Hauptmanns Dolibois. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Dokumentation 26 (1978/4), S. 660–693 (online).
Jay W. Baird: Julius Streicher. Der Berufsantisemit. In: Ronald Smelser, Enrico Syring und Rainer Zitelmann (Hrsg.): Die braune Elite II. 21 weitere biographische Skizzen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999, S. 231–242, ISBN 3-534-80122-9.
Randall Lee Bytwerk: Julius Streicher. Cooper Square Press, New York 2001, ISBN 0-8154-1156-1.
Franco Ruault: Tödliche Maskeraden. Julius Streicher und die Lösung der Judenfrage. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-631-55174-5.
Thomas Greif: Julius Streicher (1885-1946). In: Fränkische Lebensbilder 21 (2006), S. 327–348.
Franz Pöggeler: Der Lehrer Julius Streicher. Zur Personalgeschichte des Nationalsozialismus. Lang, Frankfurt 1991, ISBN 978-3-631-41752-2.
Daniel Roos: Julius Streicher und „Der Stürmer“ 1923 – 1945. Schöningh, Paderborn 2014, ISBN 978-3-506-77267-1.
DHM Beitrag zum Stürmer