Die HJ als Instrument der NSDAP von 1939: Der Eintritt in die Hitlerjugend nach dem Gesetz vom März 1939 und die Entwicklung der Hitler-Jugend

HJ-Uniform aus den 1930er Jahren. WerWil, HJ Uniform, CC BY-SA 2.5.
Die Hitlerjugend entwickelte sich von einer kleinen Parteijugend-Organisation zu einer gewaltigen Staatsjugend, die das Leben einer ganzen Generation deutscher Kinder und Jugendlicher prägte. Am 25. März 1939 trat das verschärfte Gesetz über die Hitlerjugend in Kraft, das den Eintritt in die Hitlerjugend für alle deutschen Kinder zur Pflicht machte und damit den Höhepunkt einer jahrelangen Entwicklung markierte. Diese Jugenddienstpflicht machte die HJ zur wichtigsten nationalsozialistischen Jugendorganisation und verwandelte sie endgültig von einer Parteijugend der NSDAP in die Staatsjugend des Dritten Reiches. Die Organisation umfasste zu diesem Zeitpunkt bereits über 8,7 Millionen Mitglieder und kontrollierte praktisch das gesamte außerschulische Leben der deutschen Jugend. Das Gesetz vom März 1939 beseitigte die letzten rechtlichen Schlupflöcher und machte die Mitgliedschaft auch gegen den Willen der Eltern durchsetzbar. Damit war ein zentrales Ziel der NS-Ideologie erreicht: die vollständige Erfassung der Jugend unter nationalsozialistischer Kontrolle. Diese Entwicklung hatte weitreichende Folgen für Millionen junger Menschen und prägte eine ganze Generation, die später in den Zweiten Weltkrieg ziehen sollte.
Von der Parteijugend zur Machtübernahme 1933
Die Ursprünge der Hitlerjugend reichen bis in das Jahr 1922 zurück, als die NSDAP erstmals eine eigene Jugendorganisation, den „Jugendbund der NSDAP“, gründete. Nach dem gescheiterten Putsch von 1923 wurden alle nationalsozialistischen Jugendverbände offiziell aufgelöst, doch bereits 1924 formierten sich neue Gruppen unter dem Namen „Großdeutsche Jugendbewegung“. Die eigentliche Geburtsstunde der Hitlerjugend schlug am 4. Juli 1926 beim zweiten Parteitag der NSDAP in Weimar, als die Organisation offiziell in „Hitler-Jugend, Bund deutscher Arbeiterjugend“ umbenannt wurde. Unter der Führung von Kurt Gruber entwickelte sich die Hitlerjugend von 1926 bis 1931 zu einer straff organisierten paramilitärischen Jugendorganisation, die eng mit der SA verbunden war. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bedeutete für die Hitlerjugend den Beginn einer beispiellosen Expansion. Hatte die Organisation zu Beginn des Jahres 1933 nur etwa 100.000 Mitglieder, so wuchs ihre Mitgliederzahl bis Ende 1933 auf über 2,3 Millionen an, was bereits 30 Prozent aller deutschen Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren umfasste. Diese rapide Entwicklung war nur möglich durch die systematische Auflösung und Eingliederung aller anderen Jugendverbände im Rahmen der nationalsozialistischen Gleichschaltung. Bereits im Februar 1934 wurde die große evangelische Jugend mit ihren 600.000 Mitgliedern zwangsweise in die Hitlerjugend eingegliedert.
Die Hitlerjugend als Staatsjugend des Dritten Reiches
Das „Gesetz über die Hitler-Jugend“ vom 1. Dezember 1936 markierte den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Organisation und verwandelte sie von einer Parteijugend in die offizielle Staatsjugend des Dritten Reiches. Dieses Gesetz erklärte unmissverständlich: „Die gesamte deutsche Jugend im Reich ist in der Hitlerjugend zusammengefasst.“ Baldur von Schirach wurde durch dieses Gesetz zum „Jugendführer des Deutschen Reiches“ ernannt und erhielt den Status einer obersten Reichsbehörde mit direkter Unterstellung unter Adolf Hitler. Die rechtlichen Grundlagen für die totale Erfassung der Jugend wurden durch die Jugenddienstverordnung vom 25. März 1939 noch weiter verschärft, die eine echte Jugenddienstpflicht einführte. Diese Verordnung verpflichtete alle Erziehungsberechtigten, ihre Kinder bis zum 15. März des Jahres, in dem das Kind sein zehntes Lebensjahr vollendete, bei der zuständigen HJ-Dienststelle anzumelden. Bei Verstößen gegen diese Anmeldepflicht drohten Geldstrafen bis zu 150 Reichsmark oder Gefängnis. Das NS-Regime hatte damit ein lückenloses System geschaffen, das praktisch alle deutschen Kinder und Jugendlichen erfasste und ideologisch formte. Die Organisation wurde nach Altersgruppen gegliedert: das Deutsche Jungvolk für 10- bis 14-jährige Jungen (die als „Pimpf“ bezeichnet wurden), die eigentliche Hitlerjugend für die 14- bis 18-jährigen Jungen, der Jungmädelbund für 10- bis 14-jährige Mädchen und der Bund Deutscher Mädel (BDM) für die 14- bis 18-jährigen Mädchen.
Struktur und Erziehung der deutschen Jugend
Die Hitlerjugend entwickelte sich zu einer der größten Jugendorganisationen der Weltgeschichte mit einer straff hierarchischen, paramilitärisch organisierten Struktur. An der Spitze stand der Reichsjugendführer, gefolgt von Obergebietsführern, Gebietsführern und einer Vielzahl lokaler Funktionäre, die das gesamte Reich erfassten. Die Erziehung der Jugend erfolgte nach dem nationalsozialistischen Ideal „zäh wie Leder, flink wie Windhunde und hart wie Kruppstahl“, wie es Adolf Hitler formuliert hatte. Körperliche Ertüchtigung nahm einen zentralen Stellenwert ein: ab 1936 waren mindestens zwei bis drei Stunden täglichen Sports vorgeschrieben, die 1938 auf fünf Stunden täglich erhöht wurden. Die militärische Ausbildung wurde systematisch ausgebaut – bereits 1937 wurde eine HJ-Schießschule unter Mitwirkung von General Erwin Rommel eingerichtet, und bis 1939 waren 1,5 Millionen HJ-Mitglieder in der Handhabung von Schusswaffen ausgebildet worden. Neben der körperlichen und militärischen Ausbildung stand die ideologische Indoktrination im Mittelpunkt der HJ-Erziehung. Die wöchentlichen „Heimabende“ dienten der politischen, rassischen und weltanschaulichen Schulung, wobei 45 von 105 Seiten des offiziellen HJ-Handbuchs der Rassenlehre gewidmet waren. Das Ziel war die Formung einer Generation, die bedingungslos dem Führer ergeben war und die NS-Ideologie verinnerlicht hatte. Besondere Bedeutung kam der Beziehung zwischen Elternhaus und Schule zu, wobei die Hitlerjugend zunehmend als dritte Erziehungsinstanz neben Familie und Schule etabliert wurde und diese schließlich dominierte.
Führung und regionale Entwicklung der HJ
Die Führung der Hitlerjugend lag von 1931 bis 1940 in den Händen von Baldur von Schirach, der als Reichsjugendführer der NSDAP und später als Jugendführer des Deutschen Reiches die Organisation zu ihrer größten Ausdehnung führte. Von Schirach, geboren 1907 als Sohn eines Theaterdirektors und einer amerikanischen Mutter, prägte die Hitlerjugend durch seine Fähigkeit, romantischen Nationalismus mit militärischer Disziplin zu verbinden. Er organisierte die großen Reichsjugendtage und Massenveranstaltungen, die der HJ ihre charakteristische Ausstrahlung verliehen. 1940 wurde von Schirach von Artur Axmann abgelöst, der die Organisation durch die Kriegsjahre führte und sie zunehmend militarisierte. Axmann, der 1941 als Soldat seinen rechten Arm verlor, transformierte die Hitlerjugend zu einer militärischen Hilfsorganisation und später zu einer echten Kampftruppe. Die regionale Entwicklung der Hitlerjugend zeigte erhebliche Unterschiede: Während in protestantischen und städtischen Gebieten die Erfassung relativ problemlos verlief, stieß die Organisation in katholischen Regionen und ländlichen Gebieten auf größeren Widerstand. In Bayern beispielsweise entwickelte sich eine besonders komplexe Struktur mit der Hitlerjugend in Südbayern als einer der größten regionalen Einheiten. Die lokalen Führer erhielten erhebliche Autonomie bei der Durchführung der Programme, was zu regionalen Variationen in Intensität und Schwerpunktsetzung führte. Ein wichtiger Aspekt der HJ-Führung war die systematische Nachwuchsförderung durch spezielle Führerschulen und Ausbildungsprogramme, die eine professionelle Kaderbildung für das NS-System gewährleisteten.
Die Hitlerjugend im Zweiten Weltkrieg und Ende
Mit Beginn des zweiten Weltkrieges wandelte sich die Rolle der Hitlerjugend grundlegend von einer Erziehungsorganisation zu einer aktiven Unterstützerin der Kriegsanstrengungen. Bereits 1939 hatte die Wehrmacht Vereinbarungen mit der HJ-Führung getroffen, die eine vormilitärische Ausbildung aller HJ-Mitglieder vorsahen. Ab 1943 wurden Hunderttausende von HJ-Angehörigen als Luftwaffenhelfer zum Dienst an Flakgeschützen herangezogen, wobei ganze Schulklassen zu Flakstellungen abkommandiert wurden. Die tragischste Episode der HJ-Geschichte war die Aufstellung der 12. SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“ im Jahr 1943, die aus über 20.000 jungen Männern bestand, von denen 65 Prozent noch nicht 18 Jahre alt waren. Diese Division erlitt bei der Schlacht in der Normandie schwere Verluste: Nach dem ersten Gefechtsmonat waren 20 Prozent gefallen, 40 Prozent verwundet und 50 Prozent der Panzerfahrzeuge vernichtet. In den letzten Kriegsmonaten wurden HJ-Angehörige zunehmend in den Volkssturm eingegliedert, wobei teilweise 12-jährige Kinder mit Panzerfäusten ausgerüstet und in aussichtslose Kämpfe geschickt wurden. Besonders tragisch war der Einsatz von 5.000 Hitlerjungen bei der Verteidigung Berlins, von denen nach fünf Kampftagen nur noch 500 übrig waren. Das Ende der Hitlerjugend kam mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945. Am 10. Oktober 1945 wurde die Organisation durch den Alliierten Kontrollrat offiziell aufgelöst und später durch das deutsche Strafgesetzbuch als verfassungswidrige Organisation eingestuft. Der Reichsjugendführer Artur Axmann wurde zu 39 Monaten Haft verurteilt, während von Schirach in Nürnberg zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wurde – allerdings nicht wegen seiner HJ-Tätigkeit, sondern wegen der Deportation von Juden aus Wien.
Literatur
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Giesecke, Hermann. Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend: Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik. München: Juventa Verlag, 1981.
Jahnke, Karl Heinz und Michael Buddrus (Hrsg.). Deutsche Jugend 1933-1945: Eine Dokumentation. Hamburg: VSA-Verlag, 1989.
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Koch, Hannsjoachim W. Geschichte der Hitlerjugend: Ihre Ursprünge und ihre Entwicklung 1922-1945. Percha: R.S. Schulz, 1975.
Rempel, Gerhard. Hitler’s Children: The Hitler Youth and the SS. Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1989.
Schirach, Baldur von. Die Hitler-Jugend: Idee und Gestalt. Berlin 1934: Zeitgeschichte-Verlag Wilhelm Andermann.
Scholtz, Harald. NS-Ausleseschulen: Internatsschulen als Herrschaftsmittel des Führerstaates. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1973.
Stephenson, Jill. Hitler’s Home Front: Württemberg under the Nazis. London: Hambledon Continuum, 2006.
Statistik zur Hitler-Jugend bis 1939 bei Statista.