Der folgende Beitrag, der die Erstveröffentlichung des o.g. Buchtitels vor einhundert Jahren thematisieren soll, erstreckt sich auf drei inhaltliche Schwerpunkte:
Das spezielle Buch, seinen Autor und ansatzweise die Epoche der „Konservativen Revolution“.
Alle drei Abschnitte können nur im Überblick dargestellt werden, und zwar mit der Absicht, diese als Bestandteile und Merkmale der Weimarer Republik zu betrachten und auch zu interpretieren.
I) Der Autor
Arthur Moeller van den Bruck (im Folgenden meist kurz: Moeller) wird in einer tabellarischen Übersicht auf der Seite des Deutschen Historischen Museums, Berlin, unter der Überschrift „Kulturhistoriker und Schriftsteller“ wie folgt beschrieben (1):
1876: 23. April: Arthur Moeller van den Bruck (auch Moeller-Bruck, eigentl. Moeller) wird als Sohn des Baurats Ottomar Moeller und der Bauratstochter Elisabeth van den Bruck in Solingen geboren.
1898-1907: Nach dem Besuch des Gymnasiums bildet sich Moeller van den Bruck in Berlin, Paris und Italien autodidaktisch weiter.
1904-1910: Veröffentlichung der achtbändigen Kulturgeschichte „Die Deutschen, unsere Menschengeschichte“.
1905: Moeller van den Bruck betreut eine Gesamtausgabe der Werke des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski (1821-1881).
1907: Rückkehr nach Deutschland.
1914: Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldet er sich als Kriegsfreiwilliger. Bald danach tritt er in die Pressestelle des Auswärtigen Amts ein.
1916: Die Abhandlung „Der Preußische Stil“, in der Moeller van den Bruck das Preußentum als den „Willen zum Staat“ feiert, markiert seine Hinwendung zum Nationalismus.
1919: Veröffentlichung der Schrift „Das Recht der jungen Völker“, in der er die Interessen von Deutschland, Russland und Amerika vertritt und eine ausgesprochen antiwestliche und antiimperialistische Staatstheorie entwickelt.
Juni: Mitbegründer des Juniklubs, als dessen geistiger Mittelpunkt er maßgeblichen Einfluss auf die Jungkonservativen im Kampf gegen den Versailler Vertrag nimmt.
1922: Treffen mit Adolf Hitler, den Moeller van den Bruck wegen seiner „proletarischen Primitivität“ ablehnt.
1923: Veröffentlichung der Schrift „Das dritte Reich“, deren Titel dem Nationalsozialismus fortan als politisches Schlagwort dient.
1925: 30. Mai: Nach einem Nervenzusammenbruch nimmt sich Arthur Moeller van den Bruck in Berlin das Leben.
Eigentlich ein relativ kurzes Leben, das der Autor trotzdem genutzt hat, um zahlreiche Schriften zu veröffentlichen. (2)
Im Kontext, der hier betrachtet werden soll, ist die Lebensphase ab dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und der damit einhergehenden Umwandlung Deutschlands in eine Republik von besonderem Interesse.
Äußerlich fällt dies mit Moellers Engagement im sog. „Juni-Klub“ zusammen, auf den weiter unten bei der Übersicht zur „Konservativen Revolution“ kurz eingegangen wird.
Wie bei vielen anderen Schriftstellern, Akademikern oder Künstlern, die erst während des Ersten Weltkriegs oder zu Beginn der Weimarer Republik antidemokratische bzw. antiliberale Strömungen und Tendenzen entwickelten, fällt auf, dass auch Moeller ursprünglich gar nicht unmittelbar in die „rechte Ecke“ gestellt werden kann.
Im Gegensatz zu den „berufsmäßigen“ Chauvinisten und auch Rassisten aus dem völkischen Lager des späten 19. Jahrhunderts, deren Ideen bereits zur Zeit des „Wilhelminismus“ um 1900 großen Einfluss erzielt hatten, vertrat Moeller noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinen künstlerischen Werken eine vielgestaltige Grundposition.
Sein Interesse und Engagement für den russischen Schriftsteller von Weltrang Dostojewski, dessen Gesamtwerk Moeller zwischen 1906 und 1922 herausbrachte, oder aber auch für Edgar Allan Poe, unterstreichen diese Offenheit im frühen Werk von Moeller.
Es wird allgemein angenommen, dass Moeller erst während eines längeren Frankreichaufenthalts erste „nationalistische“ Anwandlungen hatte, die dann im Laufe des Ersten Weltkrieges stetig zunahmen.
Verbunden mit einer starken Hinwendung zum „traditionellen“ Preußentum, entwickelte sich bei ihm eine der Sonderformen vom „preußischen“, „deutschen“ oder auch „nationalen“ Sozialismus.
Trotz der Verwendung des Begriffs vom „Sozialismus“ herrscht in allen diesen „Variationen“ eine große Abneigung gegenüber dem tradierten Marxismus vor (vor allem wegen seiner „internationalen Ausrichtung“).
Als die beiden wichtigsten Koordinaten in seinem weltanschaulichen Fundament werden im allgemeinen Friedrich Nietzsche und Oswald Spengler genannt.
Nietzsche, trotz seiner oft verschroben wirkenden Themen und Motive, hat in der Tat großen Einfluss auf die kulturelle Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert und ganz besonders während der Weimarer Republik ausgeübt. Dabei wurde er oft von anderen Philosophen, Historikern oder auch politischen Beobachtern rezipiert bzw. als Ideengeber genutzt, die nicht selten eine völlig andere Grundeinstellung und Denkart hatten als Nietzsche selbst.
So sollten besonders zwei seiner philosophischen Konzepte und Themen in den Dunstkreis rechtsnationaler bzw. faschistischer Autoren und Ideologien geraten:
Die Vorstellung von der „Ewigen Wiederkunft“ und der Gedanke vom „Übermenschen“; beide Konzepte finden sich im wohl berühmtesten Werk Nietzsches, „Also sprach Zarathustra“ und dann im Spätwerk „Wille zur Macht“ – daher waren auch gerade diese bekannten Veröffentlichungen Nietzsches besonders anfällig für obskure Weiterentwicklungen oder gar für ideologische Vereinnahmungen bzw. Verfälschungen.
An dieser Stelle kann nur kurz darauf hingewiesen werden, dass Nietzsche einerseits schon einen nicht ganz ungefährlichen Elite-Gedanken (der „Übermensch“ als eine Aristokratie der Vornehmen und Starken) vertreten bzw. thematisiert hat, aber andererseits hatte sein Denken auch einen ursprünglich positiven Ansatz:
„Für Nietzsche ist die entscheidende Frage, ob wir bereit sind, unser Leben genauso, wie wir es gelebt haben, wiederzuleben – und zwar unzählige Male. (Kant stellt genau die gleiche Frage; mit dem Maßstab der Glückseligkeit gemessen […] Kants Antwort war, daß uns das Bewußtsein unserer eigenen Würde als Träger des Sittengesetzes von einer andernfalls unerträglichen Existenz befreit …). Der Gedanke der ewigen Wiederkehr stellt diese Frage in schärfster Form“. (3)
Dieser kurze Hinweis muss an dieser Stelle genügen, dass es zumindest höchst fahrlässig wäre, Nietzsche als plumpen Vorbeter bzw. Wegbereiter der späteren NS-Ideologie, vor allem in Bezug auf die sog. Herrenrasse (die gerade nicht mit dem Übermenschen Nietzscher Prägung gleichgesetzt werden kann), hinzustellen.
Die philosophisch-literarische Anschauung des „Nihilismus“ und der sog. Dekadenz, wie diese im späten 19. Jahrhundert interpretiert wurden, ist eher eine Art Gesellschaftskritik gewesen, aber ganz bestimmt keine Blaupause des völkischen Rassismus der späteren Nationalsozialisten.
Dafür war im Übrigen auch Nietzsches Kritik an seinem eigenen Volk (die Deutschen als „Täusche-Volk“) zu prägnant, um ihn als deutsch-völkischen Rassenfanatiker zu bewerten.
In dem hier interessierenden Zusammenhang mit Moeller und seinem Werk über „Das dritte Reich“ ist aber noch kurz auf die Bedeutung von Nietzsches Denkmodell der „Ewigen Wiederkehr“ einzugehen. (4)
Diesem zentralen Gedanken in Nietzsches Philosophie liegt eine Theorie bzw. Idee sog. „Kulturzyklen“ zugrunde, wonach sich historische Entwicklungen nicht linear, sondern zyklisch darstellen.
Dieses „zyklische Zeitverständnis“ wurde dann besonders von Oswald Spengler, der als Inspiration bzw. Ideengeber Moellers gilt, aufgegriffen.
Spengler war von Nietzsches Werk stark beeinflusst, was sich besonders in seinem Hauptwerk „Der Untergang des Abendlandes“ niederschlägt.
Soweit sein dort skizziertes Weltbild metaphysischer Natur ist (aus einer bestimmten Intuition heraus), entzieht es sich aber wissenschaftlicher Beurteilung.
Das von Spengler entworfene spezielle Gesellschaftsmodell (Stichwort: „Preußentum und Sozialismus“) war von der Vorstellung geprägt, einen Sozialismus als „heroisch- nationalen Dienst“ zu definieren; daher sollte „Sozialismus“ nicht als Wirtschafts-, sondern als ethisches Prinzip begriffen werden. (5)
Allerdings gibt es für ihn ursprünglich nur zwei (modern formuliert) „Klassen“, nämlich den Adel und das Priestertum, für Spengler sind dies die beiden Urstände. Aus diesem mittelalterlich inspirierten Ständemodell entwickelt er dann auch seine aristokratische Weltanschauung, aber nicht nur auf Deutschland oder Europa bezogen, sondern für die gesamte „zivilisierte Welt“ (kulturgeschichtlich).
Insgesamt wird Spenglers Theorie aber als eine Form von „Geschichtspessimismus“ charakterisiert.
Mit dieser besonderen geistigen und auch politischen Disposition trat also Moeller in die neue Weimarer Zeit ab 1919 ein. Hier sollte er schnell politische Freunde bzw. ideologisch Gleichgesinnte finden; eine Gruppe von weltanschaulich homogenen Männern (tatsächlich gab es in diesen Zirkeln nahezu keine Frauen), die aufgrund ihres Symboles als „Ring-Bewegung“ eine gewisse Bekanntheit erlangen sollten. Eine „Teilorganisation“ der Ring-Bewegung ist der sog. Juni-Klub gewesen (siehe unten).
Auch wenn diese Ring-Bewegung keine herkömmliche Organisation oder gar „Partei“ gewesen ist, hat es doch bestimmte Strukturen bzw. Einrichtungen gegeben, so ab 1920 einen eigenen Versammlungsort des Juni-Klubs (eine Art Vereinsheim) in Berlin-Schöneberg, in dem regelmäßige Treffen und öffentliche Veranstaltungen abgehalten wurden.
Ebenfalls 1919 erschien zum ersten Mal die Zeitschrift „Gewissen“, das publizistische Organ der Ring-Bewegung, in dem Moeller eine wichtige Rolle spielte, vor allem als Herausgeber und Kolumnist.
Moeller war daher zumindest innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Milieus kein Unbekannter, als er Anfang 1923 sein bekanntestes Werk veröffentlichte.
Das Thema „Ostideologie“, welches bei Moeller (wie bei eigentlich allen „Nationalrevolutionären“) stark ausgeprägt gewesen ist, wird weiter unten behandelt. Ebenso die „theoretische“ Abgrenzung zum Nationalsozialismus; Moellers persönliche Abneigung gegenüber Hitler beruhte wohl auf insgesamt lediglich zwei direkten privaten Kontakten der beiden im Frühjahr 1922: einmal anlässlich eines öffentlichen Vortrags im „Juni-Klub“, der anscheinend für Hitler in einem Fiasko endete; danach noch in einer persönlichen Aussprache im kleinsten Kreis. (6)
Moeller war von Hitlers ganzer Erscheinung, noch mehr von seinen „Vorstellungen“ alles andere als begeistert.
„Was Moeller anlangt, so zeigte er sich auch in den folgenden Jahren bis zu seinem Tode äußerst reserviert gegenüber den nationalsozialistischen Bestrebungen. Nach dem mißlungenen Putschversuch in München meinte er: ‚In München ereignete sich, was vorausgesehen wurde: Verbrechen aus Dummheit!‘ (…) Und noch deutlicher (…): ‚Hitler ist an seiner proletarischen Primitivität gescheitert.’“ (7)
Ob Moeller, der ja bereits 1925 gestorben war, auch noch zehn Jahre später solch kritisch-abwertende Aussagen über den späteren „Führer und Reichskanzler“ ungestraft hätte tätigen oder gar veröffentlichen können, wird man doch stark bezweifeln müssen. Viele der frühen Kritiker oder gar Gegner Hitlers aus dem rechtskonservativen Lager hatten ab 1933 mit Verfolgungsmaßnahmen etc. zu rechnen; bezeichnenderweise kamen etliche im Rahmen des sog. Röhm-Putsches ums Leben: Rache wird gerne kalt serviert.
II) Das Dritte Reich
Obwohl der Buchtitel eigentlich eine ganz bestimmte inhaltliche bzw. ideologische Aussage zu beanspruchen scheint, beruhte er mehr oder weniger auf einem Versehen bzw. kann als Produkt des Zufalls gesehen werden.
Ursprünglich von Moeller angedacht, sollte sein Werk als „Die dritte Partei“ betitelt werden; was nach der anfänglichen Konzeption eigentlich auch passender gewesen wäre:
„Moellers Hauptanliegen war nämlich keineswegs eine Vertiefung des Reichsgedankens, sondern eine Generalkritik an dem Parteiensystem der Weimarer Republik“. (8)
Rein äußerlich betrachtet, umfasst dieses Buch knapp über 320 Seiten Sachtext – zusätzlich ab der ersten Auflage noch ein Vorwort des Autors, in dem sich Moeller an seinen Freund und Kollegen Heinrich von Gleichen wendet, um das grundsätzliche Programm des Buches zu skizzieren.
Ab der dritten Auflage, die für diesen Beitrag hier genutzt wird, erfolgt zusätzlich noch ein weiteres Vorwort von Hans Schwarz, ebenfalls ein persönlicher Freund und Mitarbeiter Moellers. Dieser betreute nach Moellers Freitod noch einige Zeit dessen literarischen Nachlass.
Der Sachtext wird in acht Kapiteln unterteilt; erst das letzte Kapitel, welches auch noch am kürzesten ausfällt, trägt die Überschrift „Das dritte Reich“ – mit dem Untertitel: „Wir müssen die Kraft haben, in Gegensätzen zu leben.“
Dieses auf Hegels Dialektik abzielende Credo steht, wie bereits angedeutet, im Zusammenhang mit Moellers umfassender Kritik bzw. Demontage der Weltanschauungsparteien zur Zeit der Weimarer Republik, siehe hierzu weiter unten.
1) Das erste Kapitel, gleichsam zum Einstieg, wird quasi-apodiktisch mit „Revolutionär“ überschrieben, der Untertitel lautet kämpferisch: „Wir wollen die Revolution gewinnen!“
Dies erstaunt und die Frage drängt sich auf, welchen Revolutionsbegriff Moeller seinen Überlegungen zugrunde legt (ähnlich wie beim Begriff vom „Sozialismus“).
Diese Frage zielt im Übrigen auf das grundsätzliche Verständnis davon ab, was eine „Revolution“ ausmacht bzw. kennzeichnen sollte: Sind es eher die Maximen der Französischen Revolution (zumindest dergestalt, wie es das „Schulwissen“ in Deutschland vermittelt), ist dies mehr auf das Credo der US-amerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen gerichtet, die besonders den Freiheitsbegriff in den Mittelpunkt stellten, oder aber ist der Begriff von der „Revolution“ auch „nationalistisch“ ausgeprägt?
Gleich in den einleitenden Sätzen des ersten Kapitels stellt Moeller fest:
„Ein Krieg kann verloren werden. Ein unglücklicher Krieg ist niemals unwiderruflich. Der ärgste Friede ist niemals endgültig. Aber eine Revolution muß gewonnen werden. (…) Eine Revolution ist die ureigenste Angelegenheit einer Nation, die das betreffende Volk nur mit sich selbst auszumachen hat.“ (9)
Bereits aus diesen wenigen Zeilen kann die grundsätzliche Haltung Moellers (und seiner Bewegung) herausgelesen werden: Dem verlorenen Ersten Weltkrieg wird nach wie vor nachgetrauert und der Ausgang wird eigentlich noch nicht als wirklich und endgültig begriffen. Als würde noch – trotz der einschneidenden Ereignisse von 1918/19 – eine verborgene Möglichkeit des Schicksals existieren, zumindest bestimmte Abläufe in der politischen Entwicklung Deutschlands zu korrigieren.
Dazu musste es allerdings zu einer echten Revolution in Deutschland kommen, da nach Moellers Auffassung im November 1918 lediglich ein Zusammenbruch der alten, völlig abgewirtschafteten Ordnung stattgefunden habe, wodurch die ungelösten Probleme des Krieges gerade nicht weggefallen sind:
„Wir wollen Krieg und Revolution zu einem Mittel machen, mit dem wir Probleme unserer Geschichte zu einer politischen Lösung bringen, die ohne Krieg und Revolution niemals lösbar gewesen wären“. (10)
„Moeller betrachtete den Vorgang einer Revolution als einzigartige Möglichkeit für eine Nation, sich politisch auszurichten und als gestärkte Einheit aus ihr hervorzugehen. (…) Es wird offensichtlich, daß die revolutionären Tendenzen von 1848 und die Neuausrichtung von 1918 keineswegs als Revolution im Sinne des Autors gelten. Lediglich im ‚unverbrauchten Volkstum‘ sah Moeller ein Potential“. (11)
Von diesen speziellen begrifflichen Merkmalen einer „Revolution“ abgesehen, ist aber auf jeden Fall bedeutsam, dass Moeller keineswegs eine Restauration des alten Kaiserreichs, insbesondere unter der Führung der Hohenzollern, anstrebte. Für Moeller war der Dilettantismus Kaiser Wilhelms II. kaum zu überbieten:
„Eine wilhelminische Restauration müsste die sinnloseste sein.“ (12)
Hierin stimmte Moeller mit nahezu allen Vertretern der „Konservativen Revolution“ überein; unabhängig ob sog. „Jungkonservative“ (national-revolutionär) oder „National-Bolschewisten“ (hier wird eigentlich immer Ernst Niekisch an erster Stelle genannt). Danach lag es vor allem an einer fehlenden politischen Idee, mit welcher der innere Zusammenbruch 1918 verhindert worden wäre.
Denn im Gegensatz zur obskuren Dolchstoßlegende (als besonders wirkungsvoller Verschwörungstheorie) im Stile Ludendorffs und anderer politischer Gehirnprothesenträger, war Moeller und weiteren Vertretern des nationalrevolutionären Gedankens durchaus bewusst, dass die innenpolitischen Gründe für den Zusammenbruch darin lagen, dass nach der Reichsgründung 1871 keine zukunftsweisenden Ideen mehr entwickelt worden seien (doch welche dies hätten sein sollen, wird fast immer offen gelassen bzw. auf eine Meta-Ebene verlagert, wie die „Nation“ oder das „Volk“ bzw. die „Rasse“).
Selten wird dabei als Ansatz einer Lösung die „soziale Frage“ genannt, welche als enorme Auswirkung bzw. Konsequenz der allumfassenden „Industriellen Revolution“ ab Mitte des 19. Jahrhunderts ins Bewußtsein von Millionen Menschen gerückt ist – meist, weil dies dann eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem „Sozialismus“ erforderlich gemacht hätte. Hiervor scheuten aber viele „Jungkonservative“ zurück.
2) Das zweite Kapitel in Moellers Buch trägt daher interessanterweise die Überschrift „Sozialistisch“, mit dem Untertitel: „Jedes Volk hat seinen eigenen Sozialismus.“
Dennoch erschöpft sich Moeller fast nur in einer umfangreichen Kritik des Marxismus, statt selbst über die Ursachen der offensichtlichen sozialen Probleme nachzudenken oder gar Ansätze zur Lösung zu entwickeln.
Er nimmt die von Marx dezidiert formulierte materialistische Betrachtungsweise im Prinzip überhaupt nicht ernst, sondern wirft der marxistischen Lehre vor, die jeweils besonderen historischen Überlieferungen der einzelnen Völker mißbraucht bzw. ignoriert zu haben, um damit den „Proletariern aller Länder“ ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu vermitteln (oder auch bloß zu suggerieren); ein solches könne es aber nach Moeller schon deshalb nicht geben, weil es zu den grundsätzlichen Tatsachen der Geschichte gehöre, dass die (großen) Völker sich in einem ständigen Überlebenskampf befinden würden.
Hier werden besonders die Entwicklungen in Europa im 19. Jahrhundert von Moeller herangezogen – was sich aufgrund der historischen Zyklen ergeben würde und auch nachweisen ließe. (13)
Zumindest spricht es für Moeller, dass es bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges gerade kein „gesamteuropäisches“ Proletariat bzw. ein grenzübergreifendes Solidaritätsverständnis (z.B. zwischen deutschen und französischen Arbeitern) gegeben hat. Denn sowohl die zahlreichen SPD-Anhänger und Gewerkschaftsmitglieder unter den deutschen Industriearbeitern wie auch die vergleichbar organisierten französischen Kollegen schwenkten sofort nach Kriegsausbruch Anfang August 1914 in das (teils extreme) nationalistische Lager; in Deutschland als „Augusterlebnis“ beschönigt – in Wahrheit nur ein PR-Trick des Kaisers.
Bedenkt man, dass es noch bis Sommer 1914 Treffen sozialistischer Politiker und Gewerkschafter auf europäischer Ebene gegeben hatte, die sich gegen einen drohenden Krieg in Europa wandten, war es doch sehr erstaunlich (bzw. ernüchternd), wie schnell sich weite Teile des Proletariats von den nationalistischen Strömungen vereinnahmen ließen; erst ab Winter 1916/17 sollte ob der prekären Versorgungslage ein Umdenken bei den Arbeitern in Europa einsetzen, was dann z.B. im Frühjahr 1917 zum Sturz des russischen Zaren führen und auch in Deutschland wie in Frankreich Unruhen auslösen sollte. (14)
Aus diesen Zusammenhängen erklärt sich auch Moellers Auffassung und auch Forderung, dass jedes (zivilisierte) Volk seinen „eigenen“ Sozialismus haben müsste – und bezogen auf Deutschland:
„Wir sprechen schon heute von einem deutschen Sozialismus. Wir meinen damit nicht den demokratischen Sozialismus (…), noch den nach wie vor konsequent-marxistischen Kommunismus, der den Klassenkampfgedanken der Internationale noch immer nicht aufgeben will. Wir verstehen unter deutschem Sozialismus vielmehr eine körperschaftliche Auffassung von Staat und Wirtschaft, die vielleicht revolutionär durchgesetzt werden muß, aber alsdann konservativ gebunden sein wird. (…) Und im innenpolitischen Umkreise weist der Berufsständegedanke auf den Freiherrn vom Stein zurück, wie der Rätegedanke auf das Zunftwesen des Mittelalters zurückweist. Gedanken aus ältester Überlieferung und Gedanken der jüngsten Zielerfassung weisen auf diesen deutschen Sozialismus hin. Der Gedanke der Gemeinwirtschaft weist auf ihn hin, der das Leben in der Zelle erfaßte. Und der Führergedanke einer neuen Jugend weist auf ihn hin, der das Leben nicht dem Menschen überläßt, welcher folgt, sondern demjenigen, welcher vorangeht. Dieser deutsche Sozialismus ist nicht atomistisch. Er ist organisch. (…) Wir wollen nicht, daß die Unterschiede trennen. Wir wollen, daß sie verbinden. Sozialismus ist für uns: Verwurzelung, Staffelung, Gliederung.“ (15)
Diese fast überbordende Aufzählung unterschiedlicher Zielvorstellungen mag heute verwirren und für die meisten auch unverständlich sein; zu Beginn der Weimarer Republik hat dieses Programm durchaus Charme.
Dass die späteren NS-Ideologen auf Moeller rekurrierten, war angesichts seiner Fixierung auf den „Führergedanken“ absolut nachvollziehbar, auch wenn Moeller garantiert nicht Adolf Hitler als Verkörperung eines nationalen Führertums propagieren wollte.
Moeller, wie die allermeisten Anhänger dieser nationalrevolutionären Ideologien, war Verfechter eines Elite-Gedankens im klassischen Sinne. Gerade nicht die plebejische Masse sollte mit der Führung eines Staates betraut werden, sondern die Optimaten/Patrizier oder Aristokraten.
Das war im Grunde der reaktionäre Kern im revolutionären Gewande; allerdings mit Lenins Vorstellungen von einer kommunistischen „Avantgarde“ zum Beispiel durchaus vereinbar (weitere Gesichtspunkte zur „Ostideologie“ s.u.).
3) Im dritten Kapitel, knapp betitelt mit „Liberal“, rechnet Moeller mit dem – aus seiner Sicht – verderblichen „Westlertum“ ab; daher auch der Untertitel: „An Liberalismus gehen die Völker zugrunde.“
Hierbei bezieht sich Moeller auf seinen Aufsatz mit demselben Titel, der bereits 1922 veröffentlicht worden war und nahezu wortgleich übernommen und nur leicht überarbeitet worden ist. (16)
Bereits die das Kapitel einleitenden Worte sollen eine suggestive Wirkung ausüben:
„Über dem Land liegt der Verdacht, daß an der Nation ein Betrug verübt worden ist. Es ist nicht nur der Betrug von Versailles. (…) Der Betrug, der geschah, ist vielmehr so alt wie der Mißbrauch, der mit einer Ideologie getrieben wurde, die in der Politik mit Ideen arbeitete, um Interessen zu wahren.“ (17)
Moeller fasst seine Einstellung prägnant zusammen:
„Der Liberalismus ist die Freiheit, keine Gesinnung zu haben, und gleichwohl zu behaupten, daß eben dies Gesinnung ist.“ (18)
Die von Moeller vorgebrachte antiliberale Generalkritik war nach dem Ersten Weltkrieg in den Kreisen der „Konservativen Revolution“ (in allen Spielarten) weit verbreitet – obwohl unter damaligen wirtschaftspolitischen Aspekten betrachtet, besonders viele der „Jungkonservativen“ eine wirtschaftsliberale Agenda vertraten (heute unter dem Stichwort vom „shareholder value“ bekannt).
Doch Moeller hatte keine ökonomischen Ambitionen, sondern wollte seine Ausführungen für eine umfassende Demontage des Liberalismus westlicher Prägung und des Weimarer Parteiensystems nutzen. (19)
Damit hatte er auch einigermaßen Erfolg, weil mit seiner Generalkritik konnte er einerseits vor allem die westeuropäischen Staaten und politischen Systeme angreifen, andererseits auch die heimischen Parteien bloßstellen – zu Recht oder zu Unrecht, das soll an dieser Stelle gar nicht entschieden werden:
„Die Politiker wurden als skrupellose Geschäftemacher präsentiert, die in den Parlamenten ihr Unwesen trieben. Der Liberalismus wurde von Moeller aber nicht nur für die Existenz des ungeliebten republikanischen Regierungssystems verantwortlich gemacht, sondern, was schwerer wog, auch für den Ausgang des Ersten Weltkrieges. Nach Moellers Auffassung war der Liberalismus eine genuin westliche Weltanschauung, deren theoretische Idealform den deutschen Widerstandswillen systematisch zersetzt hatte. Nach dem Waffenstillstand habe der Liberalismus aber sein wahres Gesicht gezeigt“. (20)
Dieser betont antiwestliche Affekt beruht auf einer tiefsitzenden Ablehnung der Französischen Revolution und auch einer gehörigen Skepsis gegenüber der „Aufklärung“, die Moeller sogar als moralische Rechtfertigung einer unmoralischen Lebensführung, Staatslenkung und Völkergängelung geißelt.
Die zumindest schädlichen Auswirkungen der (europäischen) Aufklärung müssten laut Moeller erst überwunden werden bzw. es müsse eine Umkehr erfolgen, bevor eine Zeitenwende anbrechen könne, durch die sich die Rückständigkeit Deutschlands erledigte.
Welche konkreten Maßnahmen aber für eine solche Zeitenwende nötig wären (und auch was die Umsetzung betrifft), hierzu verrät Moeller indes jedoch nichts. Er bleibt bewusst im „Ungewissen“ (wie auch größtenteils Spengler: oft reine Spekulation).
4) Das anschließende, wieder etwas kürzere Kapitel, trägt die Überschrift „Demokratisch“ mit dem Untertitel: „Demokratie ist Anteilnahme eines Volkes an seinem Schicksal.“
Die erste Zeile des Kapitels zur Demokratie lautet vielsagend: „An der Demokratie eines Volkes erkennt man, ob es weiß, was es will.“ (21)
Moeller sieht die damalige Ausprägung von „Demokratie“ in der Weimarer Republik als unmittelbare Folge der Versailler Politik, also von den Siegern aufgezwungen. Der Makel dieser parlamentarischen bzw. repräsentativen Form der Demokratie westlicher Prägung war für Moeller ein Hemmschuh auf dem Weg zu einer wirklichen Volksdemokratie (u.a. weil es den von ihm verachteten Weltanschauungsparteien und Cliquen ermöglichte, sich am Staat zu bereichern bzw. am Volksvermögen zu bedienen).
Seine Vorstellung von Demokratie sah daher auch ganz anders aus:
„Nicht eine anonyme Masse von Abgeordneten sollte das politische Schicksal der Deutschen bestimmen, sondern eine Art Volkskaiser mit überragenden Machtbefugnissen. Eine konkrete staatsrechtliche Definition dieser angestrebten Schlüsselperson konnte der Autor nicht präsentieren. Insofern bleibt der Führerbegriff recht schwammig. Es steht jedoch außer Frage, daß dieses Modell einer Führerdemokratie an historische Überlieferungen anknüpfen sollte.“ (22)
Moeller bringt dies im Kapitel über die Demokratie wie folgt auf den Punkt:
„Wir waren ursprünglich ein demokratisches Volk. Als wir aus unserer Vorgeschichte in unsere Frühgeschichte eintraten, da brachten wir eine Antwort auf jene Frage bereits mit, wie Anteilnahme des Volkes an seinem Schicksale möglich sei – keine naturrechtlich überlegte Antwort, aber dafür die natürlichste, die es gibt: die Demokratie war das Volk selbst. Sie beruhte auf dem Blute, und nicht auf einem Vertrage. Sie beruhte auf einer Geschlechterverfassung, die ihrerseits auf die Familie zurückging und von hier aus durch die Geschlechter die Volksgemeinschaft zusammenband. Sie beruhte auf den Verbänden überhaupt, auf den Gemeinschaften (…). Demokratie war die Selbstverwaltung des Volkes gemäß seinen Lebensbedingungen. Der Staat der deutschen Völker wiederholte das Gefüge ihres Lebens: und er war selbst ein Gefüge. Aus der Selbstverwaltung ergab sich im Genossenschaftsrecht die große Teilung der Rechte und Pflichten“. (23)
Aufgrund dieser „Definition“ leitet Moeller z.B. folgende Konsequenzen ab:
„Nicht die Staatsform macht eine Demokratie aus, sondern die Anteilnahme des Volkes am Staate“ – oder „Die Frage der Demokratie ist nicht die Frage der Republik. (…) Wir haben mit der Monarchie durch Jahr- hunderte hin die besten Erfahrungen gemacht: dies machte uns als Volk monarchisch. Aber dann kam ein Menschenalter, in dem wir mit der Monarchie eine schlechteste Erfahrung machten: dies machte uns am Ende demokratisch. (…) In der Tat hängt das Schicksal der deutschen Demokratie von den Erfahrungen ab, die das deutsche Volk mit ihr machen wird.“ (24)
Insgesamt lassen sich Moellers Ausführungen zu der von ihm bevorzugten „Staatslehre“ ganz unstreitig als antiliberal und auch antiparlamentarisch beschreiben, aber er war kein unbedingter Gegner demokratischer Partizipation des Volkes (besonders im Bereich der „Selbstverwaltung“ hat er einen unschätzbaren Anwendungsbereich für demokratische Verfahren gesehen).
5) Das fünfte und sogar längste Kapitel ist dem Thema „Proletarisch“ gewidmet: „Proletarier ist, wer Proletarier sein will.“
Trotz seiner elitär-aristokratischen Grundausrichtung bedeutete das „Proletariat“ für Moeller die wichtigste Säule der Revolutionszeit. Voraussetzung war aber, dass die breite Masse der Proletarier dem materialistischen Klassendenken des Marxismus entrissen werden musste: „Deshalb gelte es, den Sozialismus von seinen materialistischen Bestandteilen zu reinigen. Nur so könne der Sozialismus das Proletariat zu einem neuen Wertgefühl hinleiten, wodurch die Arbeiterschaft in die Nation integriert werden könne.“ (25)
Augenscheinlich stand Moeller vor dem Problem, dass das Proletariat als eigenständige Klasse nicht in sein üblicherweise präferiertes „Staatsmodell“ (einer elitären Ausrichtung der Staatsführung) passte bzw. dazugehörte. Dies erklärt dann vielleicht auch den o.g. Zirkelschluss (Proletarier ist, wer einer sein will). Logisch ist diese Art von Ableitung jedoch keinesfalls.
Im Gegensatz zu den späteren faschistischen Bewegungen und ganz besonders auch zum Nationalsozialismus hatte Moeller kein wirklich tragfähiges Konzept, wie mit der „Massengesellschaft“, die sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts ankündigte, umzugehen sei.
Die Massen als Bewegung und als Ziel konnte Hitler dagegen dadurch gewinnen, indem er sich als Sprachrohr der Massen präsentierte – zur Not auch ganz ohne strukturiertes Programm, allein durch sein Gebrüll am Rednerpult (und später mittels „Volksempfänger“ bis in jedes Wohnzimmer).
6) Die beiden folgenden Kapitel sind den Themen „reaktionär“ und „konservativ“ gewidmet, sollen aber an dieser Stelle nur kurz angerissen werden (obwohl beide in Moellers Buch fast 90 Seiten ausmachen).
Einerseits dürften heute viele junge Leser beide Begriffe einfach gleichsetzen, zumindest kaum Unterschiede feststellen. Andererseits wiederholt Moeller in beiden Kapiteln lediglich meist bereits zuvor geäußerte Kritik am Marxismus und seine Ansichten zu seinem antiegalitären Weltbild.
Danach war für ihn reaktionär, wer durch Revision den vergangenen Status quo einfach wiederherstellen wollte. Innerhalb der damaligen Parteienlandschaft machte Moeller die Deutschnationale Volkspartei als Hort der politischen Reaktion aus; denn diese Partei stand im Gegensatz zu den wahren Konservativen, die sich dadurch auszeichneten, dass sie einen ganzheitlichen, auf Gesetzmäßigkeiten ausgerichteten Geschichtsbegriff vertraten. Und dass der Konservatismus in Moellers Sinne als der große Gegenentwurf zum liberalistischen System erschien. Reaktionäre standen für ihn lediglich in Opposition zum Proletatiat, die dadurch verhinderten, dass sich die Arbeiterschaft der nationalen Bewegung anschloss.
„Bezüglich der konkreten Staatsverfassung war Moellers Konservatismus auf keine spezielle Formgebung beschränkt. Vielmehr nahm der Autor an, daß eine entsprechende Staatsform organisch aus den volksmäßigen Überlieferungen wachsen müsse.“ (26)
7) Das achte und letzte Kapitel ist dann, wie bereits eingangs erwähnt, dem eigentlichen Titel des Buches gewidmet: „Das dritte Reich“. Unmittelbar nach dem dialektisch anmutenden Untertitel („Wir müssen die Kraft haben, in Gegensätzen zu leben.“) steigt Moeller wie folgt in dieses Kapitel ein: „Die dritte Partei will das dritte Reich. Sie ist die Partei der Kontinuität deutscher Geschichte. Sie ist die Partei aller Deutschen, die Deutschland dem deutschen Volke erhalten wollen.“ (27)
Jetzt wäre diese „Deutschtümelei“, dieser völkisch-nationalistische Ton völlig unverständlich, wenn nicht die eigentliche Zielrichtung Moellers für seine Forderung nach dem „Dritten Reich“ benannt wird: die Bloßstellung und Anprangerung des Parteiensystems in der Weimarer Republik – und zwar von „links“ bis „rechts“.
Zuvor versucht der Autor jedoch, noch einen Überblick über die beiden vorherigen „Reiche“ zu geben. Wie die Germanen als Barbaren und Heiden das Erbe der Mittelmeerkultur übernommen hätten und letztlich schon im Mittelalter die Grundlagen für ein nationales Bewusstsein gelegt worden seien. Dabei sei das zweite Reich (die Reichsgründung von 1871) nur als „Zwischenreich“ zu begreifen, das unvollendet blieb.
Der verlorene Erste Weltkrieg habe dann schließlich zu einer endgültigen Verstümmelung geführt, so dass man das verbliebene „Deutsche Reich“ (in den Grenzen von 1919) gar nicht als solches anerkennen könne.
Dieses sei schließlich nur das Produkt des Unterdrückungswillens der westlichen Siegermächte und somit ein Ausdruck des von ihnen vertretenen politischen Systems.
Hier setzte nun Moellers weitere Kritik an. Er wollte sich vom verhassten Parlamentarismus westlicher Prägung abgrenzen und die seiner Meinung nach schädlichen Auswirkungen, die durch den modernen „Berufspolitiker“ (ein spezieller „Gewerbetreibender“) verursacht würden, und die letztlich allesamt auf den Liberalismus zurückzuführen seien, aufzeigen und auch überwinden.
Die seiner Meinung nach probaten Mittel hätten sein sollen: ein berufsständischer Aufbau der Gesellschaft und der Föderalismus (bei ihm als die Betonung der natürlichen Wesensarten der einzelnen deutschen „Stämme“) als mögliche Staatsorganisation; jedoch blieb Moeller eine konkretere theoretische Ausarbeitung oder gar eine praktische Umsetzung schuldig. Wie bereits in den vorherigen Kapiteln, besonders zum Sozialismus und der Demokratie, werden verschiedenste Ansätze und Ideen aufgeworfen und abgewogen, aber ohne dass eine wirkliche Synthese erfolgt – es finden sich eigentlich lediglich lauter Programmsätze, die im Unverbindlichen bleiben.
„Moellers Zielrichtung war folglich die Errichtung eines klassenüberwindenden „nationalen Sozialismus“, der konservativ-revolutionär errungen werden sollte, um dem ewigen Ziel des „dritten Reiches“ näherkommen zu können“. (28)
Daraus folgt im Hinblick auf die spätere politische Entwicklung in Deutschland: „Der Reichsgedanke ist hauptsächlich als Mythos zu charakterisieren“ bzw. „So bleibt Moeller van den Brucks Idee vom Dritten Reich letztendlich in mystischem Halbdunkel.“ (29)
Der Moeller-Biograph Schwierskott führt hierzu aus: „Um die Jahrhundertwende erlebte der Reichsgedanke in Deutschland eine neue literarische Blüte. Sie ist zu erklären aus der Unzufriedenheit mit der Lösung der Reichsidee im deutschen Kaiserreich. Eine tiefere Wirkung war dieser Literatur in jener Zeit noch nicht beschieden. (…)
Erst als 1918 das Reich Bismarcks zusammenbrach, griff man auf der Suche nach zu erhaltenden Werten wieder auf die Reichsidee und auch die Deuter der Jahrhundertwende zurück. (…) Es war Moeller, der als erster wieder das Dritte Reich forderte, der das Wort verkündete, das zum »Schlüsselwort der Deutschen Bewegung« werden sollte, zum »Mythos der deutschen Revolution« (…). Die gewaltsame Loslösung deutscher Volksteile durch den Versailler Vertrag war Anstoß und unmittelbare Zielsetzung seiner Reichskonzeption.“ (30)
Wie ebenfalls bereits weiter oben bemerkt, war von Moeller ursprünglich ein anderer Titel vorgesehen, der auf Anraten von Freunden aber nicht genommen wurde: „Schließlich einigte man sich, auf die Gefahr hin, für reaktionär bzw. monarchistisch angeprangert zu werden, aus publizistischen Erwägungen heraus auf den Titel »Das dritte Reich«. Wie sich erweisen sollte, hatte man die richtige Wahl getroffen, denn der Name dieser uralten Vorstellung (…) konnte nicht verfehlen, eine „magische Werbekraft“ auszustrahlen. (…) „Das dritte Reich“ fand erst nach dem Tode seines Autors mit der zweiten Auflage und dann vor allem mit der billigen Massenauflage der Hanseatischen Verlagsanstalt eine überaus große Lesergemeinde“. (31)
Neben diesen literarischen bzw. auch kommerziellen Erfolgen, die die steigenden Verkaufszahlen mit sich brachten und den Erben zuflossen, sollte der Begriff vom „dritten Reich“ an sich zur Losung werden:
„Unter den Kampfbünden der Weimarer Republik vertrat insbesondere der Bund „Oberland“ die Idee vom Dritten Reich. (…) Durch Otto Strasser wurde das Dritte Reich zur Kampflosung der Nationalsozialisten (…). Otto Strasser, der jüngere Bruder des während des Röhm-“Putsches“ ermordeten Gregor Strasser, gehörte (…) zum Juni- Klub und war Autor (…). Mit dem sicheren Instinkt für die Werbekraft des Symbols wurde das Dritte Reich von den Nationalsozialisten propagiert.“ (32)
Zwischenergebnis:
Hundert Jahre nach der ersten Auflage von Moellers bekanntestem Buch schleicht sich der Verdacht ein, hätte der Autor einen anderen Titel gewählt (z.B. den ursprünglich angedachten „Die dritte Partei“) oder wäre später nicht „Das dritte Reich“ von den Nazis kurzerhand für ihre Propaganda angeeignet worden, würde heute niemand mehr von dem Werk oder auch vielleicht vom Autor sprechen.
Denn außer der Parteienkritik, die nach wie vor und in letzter Zeit wieder verstärkt geäußert wird, haben Moellers Aussagen und Thesen keinerlei praktische Bedeutung mehr. (33)
Denn einerseits wurden all seine Überlegungen zum Staatssystem und dem schädlichen Einfluss des westlichen Politikgedankens durch den Zusammenbruch 1945 völlig überholt; andererseits war es gerade die Übersteigerung (fast schon Hysterie) des Nationalismus, die in diesen Untergang geführt hatte.
Allerdings war es ja nicht einfach bloß „Nationalismus“, sondern gepaart mit einem völkisch-biologischen Rassismus, der sich bei Hitler bis zum Rassenwahn steigern sollte, der die tatsächliche Situation im realen Dritten Reich bestimmen sollte.
Daher soll abschließend noch kurz auf zwei Aspekte eingegangen werden: Warum hatte der von Moeller geprägte Mythos vom „dritten Reich“ besonders bei den Anhängern der „Konservativen Revolution“ eine solche Faszination ausgelöst? Und hatten bestimmte Gedanken Moellerscher Prägung doch eine fatale Wirkung auf die (innen-)politische Situation des NS-Regimes?
III) Die „Konservative Revolution“ und die Wechselwirkung zum Nationalsozialismus
Wie mehrfach betont, waren es besonders die gesellschaftspolitischen Erschütterungen im Inneren, die durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg hervorgerufen, zu einer Mystifizierung des „Reichsgedankens“ und einer ins Unermessliche gesteigerten nationalistischen Hysterie beitrugen.
Moeller avancierte hierbei zum geistigen Zentrum eines ganz bestimmten Netzwerkes rechtsintellektueller Strömungen:
„Für Hagen Schulze ist er neben Spengler »der einflussreichste Denker im rechten Lager«. Moeller, dieser Meisterdenker des „Dritten Reiches“, ist der geistige Führer der »Konservativen Revolution«“. (34)
Der „Sammelbegriff“ von der Konservativen Revolution, in der von Armin Mohler geprägten Form, ist jedoch derart aufgebläht, dass es nahezu unmöglich ist, hierbei von einer Führungsperson zu sprechen. (35)
Innerhalb des Berliner Milieus der sog. Nationalrevolutionären Bewegung kann man Moeller aber schon eine hervorgehobene Stellung zumessen; insbesondere wegen seiner Tätigkeit im Juni-Klub. (36)
In diesem „rechtsintellektuellen“ Zirkel (eine Mischung aus Stammtisch, der Leseabende und Vorträge organisierte, und publizistisch erfolgreichem Verlagsorgan) wurden zahlreiche Ideen und Konzepte entworfen und meist auch publikumswirksam veröffentlicht; es wurde sogar ein politisches Kolleg ins Leben gerufen, das zumindest als eine Art Kaderschmiede betrachtet werden kann.
Zusammen mit anderen Vereinigungen, die teils als Vorläufer oder auch zeitlich überlappend agierten, wurde ein ganz bestimmtes Gedankengut erarbeitet und als Grundlage für Veröffentlichungen genutzt; wobei der etwas kuriose Name auf das Datum der (allgemein missbilligten) Unterzeichnung des Versailler Vertrages abhebt, und die ganz unverhohlene Kritik an dem als Schand-Diktat gebrandmarkten „Friedensvertrag“ war auch der wesentliche Impetus für die politische Arbeit der Klubmitglieder. Der Juni-Klub zählte zur sog. „Ringbewegung“, die zahlreiche Unterstützer auch von parteipolitischer Prominenz hatte (bis hin zu Vertretern, die ab 1930 an den Präsidialregierungen beteiligt waren).
Somit war die gemeinsame Überzeugung vom Unrechtsgehalt des Versailler Vertrages und die als unerträglich empfundenen Auswirkungen der Friedensbedingungen zumindest ungeschriebene Klubregel und Voraussetzung für eine Teilnahme (oder auch für Einladungen).
Dabei ging die grundsätzliche Überzeugung von der vermeintlichen Unerträglichkeit der Bestandteile des Versailler Vertrages durch alle sonst üblichen politischen Grundanschauungen: vom reaktionären Junker östlich der Elbe bis zu sozialistisch eingestellten Arbeiterführern (die hitzigen Debatten, die im Mai und Juni 1919 in ganz Deutschland geführt wurden, als es um Annahme oder Ablehnung der von den Siegern vorgesetzten Bedingungen ging, sind deutlicher Beleg).
Dennoch war es nicht bloß die plumpe Ablehnung des Versailler Diktats, welche eine sinnstiftende Basis für den Juni-Klub und die meisten anderen der nationalrevolutionären Gruppen bildete.
Exkurs: Ostorientierung und Ostideologie in der nationalrevolutionären Szene
Es kamen noch weitere spezielle „Merkmale“ hinzu, welche für große Teile der sog. Konservativen Revolution (aber auch anderen rechtsgerichteten Kreisen in der Weimarer Republik) integraler Bestandteil waren und auch starke emotionale Wirkung hatten; größtenteils handelte es sich um außenpolitische Themen. Und erstaunlicherweise zählte z.B. besonders die sog. „Ostideologie“ (bzw. Ostorientierung) hierunter.
Im Kern betraf dies das Verhältnis zur damaligen Sowjet-Union (bis Ende 1922 Sowjet-Russland), also dem staatlichen Gebilde, das nach der Oktoberrevolution von 1917 globale Bedeutung erlangen sollte und eigentlich wegen der kompromisslos marxistischen Ausrichtung der Bolschewiki der ideologische Gegner für jeden Nichtmarxisten schlechthin hätte sein müssen.
Doch das ganze Nachkriegsdeutschland war derart zerrissen, dass selbst sonst „natürliche“ Frontstellungen nicht mehr galten, wie sich besonders in den illegalen Kontakten zwischen Reichswehr und Roter Armee über sehr lange Zeit hinweg zeigte.
Daher war es auch für weite Teile der Konservativen Revolution (insbesondere für die „Nationalbolschewisten“) überhaupt kein Problem, eine Zusammenarbeit oder zumindest nähere Kontakte zu den Sowjets zu begrüßen bzw. zu fordern. (37)
Jetzt können an dieser Stelle nicht alle Details zu diesem sicher ungewöhnlichen Themenkomplex dargestellt werden; lediglich im Überblick sollen die historische Grundlage, die materielle Bedeutung und politische Entwicklung während der Weimarer Republik und auch mögliche Bezüge für die Gegenwart angesprochen (z.B. in den östlichen Bundesländern) werden:
Als historisches Vorbild bzw. Ideengeber für diese „Ostideologie“ wird meist Friedrich d. Gr. genannt, der aus dem Beinahe-Zusammenbruch Preußens während des Siebenjährigen Krieges (hier 1762/63) die wegweisende Lehre gezogen hatte, künftig immer auf ein gutes, zumindest spannungsfreies (neutrales) Verhältnis zu Russland bedacht zu sein. Knapp 150 Jahre hatte dieser Ratschlag des preußischen Königs an seine Nachfolger gegolten und z.B. auch die Reichsgründung 1871 (mit-)ermöglicht bzw. Deutschlands Stellung in Europa gesichert. Von Heinrich Mann stammt die tiefsinnige Bemerkung, jeder preußische König einschließlich des alten Fritz habe den Zaren als seinen Vorgesetzten gehalten: „Die preußische Monarchie hat angelehnt an die russische als ihr Zögling bestanden.“ (38)
Die Bewunderung für die Staatskunst russischer Zaren gehörte in Preußen-Deutschland zur Staatsräson. Erst der „letzte“ Kaiser 1914 und dann der böhmische Gefreite 1941 verstießen gegen diese goldenen Regeln der preußisch-deutschen Ostpolitik; die katastrophalen Konsequenzen sind hinlänglich bekannt.
Speziell auf die nationalrevolutionäre Szene in Deutschland nach 1918 bezogen, hatte die „Ostideologie“ besonders zum Inhalt, unbedingt eine Annäherung an das postzaristische Russland zu suchen (auch wenn die marxistische Ausrichtung der Sowjets störte), um gemeinsam die von den westlichen Siegermächten diktierte Nachkriegsordnung in Mittel- und Osteuropa zu bekämpfen (zur Not auch mit militärischen Mitteln).
Sowohl Sowjet-Russland (vor allem Revolutionsführer Lenin) als auch die meisten der führenden Kräfte im nunmehr republikanischen Deutschland (vom Zentrum über die Deutsch-Nationalen bis zur hohen Generalität – von der KPD natürlich ganz zu schweigen) versprachen sich durch außen- und wirtschaftspolitische Zusammenarbeit oder wenigstens Kooperation eine Überwindung der jeweiligen Isolation und des Ausschlusses von der (großen) Weltpolitik; das Schlagwort von der „friedlichen Koexistenz“ wurde geprägt. Der große Wurf wurde daher im Vertrag von Rapallo gesehen. (39)
Der Moeller-Biograph Schwierskott schildert die einschlägige Entwicklung um die „nationalbolschewistische Bewegung“ im Deutschen Reich ab 1919 wie folgt:
„In der Tat wurde Versailles zum Ausgangspunkt sämtlicher Tendenzen, die auf ein deutsch-sowjetisches Bündnis drängten. Hugo Stinnes ging daran, mit dem am 3.2.1919 gegründeten, mächtigen Reichsverband der deutschen Industrie die osteuropäischen Märkte zu erschließen. Die Generäle Hans von Seeckt und Kurt von Schleicher suchten Kontakte mit der roten Armee (…). Als die Entente die Blockade Sowjetrußlands verfügte, sprach sich die Mehrheit des deutschen Reichstages gegen eine Unterstützung aus. (…) Als dann im Juli 1920 die überraschende Gegenoffensive der Roten Armee gegen die polnischen Invasionstruppen einsetzte, und die Entente sofortige Hilfsmaßnahmen für Polen beschloß, verkündete der Reichstag demonstrativ die Neutralität Deutschlands, welche das Verbot des Waffentransports durch deutsches Hoheits-gebiet einschloß. In Danzig streikten die deutschen Hafenarbeiter und boykottierten damit den wichtigsten Nachschubweg Polens. (…) So ist seit 1920 eine zunehmende Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland bei gleichzeitiger Verschlechterung der Beziehungen zwischen Deutschland und den Westmächten zu konstatieren. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in der Zeit der Ruhrbesetzung, wobei es zu offiziellen Solidaritätsbekundungen an Deutschland von russischer Seite kam. Auf diesem Hintergrund bildeten sich in Deutschland Gruppierungen, die, bei streng nationaler Gesinnung und unter Ablehnung des Marxismus, eine Intensivierung der außenpolitischen Beziehungen zur Sowjetunion propagierten und förderten. (…) das faßte man in der Weimarer Republik unter dem Schlagwort „nationalbolschewistisch“ zusammen. Als dritte Kraft zwischen der national gesinnten KPD und der chauvinistischen NSDAP entstand eine Bewegung, die (weder parteimäßig formiert, noch zentral geleitet) von den verschiedenen Gruppen und Bünden getragen wurde. Allen gemeinsam aber waren zwei Ansatzpunkte, von denen die ganze nationalbolschewistische Bewegung ihren Ausgang nahm. Das waren einmal die Bestimmungen von Versailles mit ihren Tributforderungen und Gebietsabtretungen im Osten und zum andern die sozialistische Idee, der sich auch rechtsgerichtete Kreise nicht mehr verschließen zu können glaubten.“ (40)
Die prosowjetrussische Einstellung erfolgte also primär aus der Überzeugung, dadurch zumindest teilweise die eigene deutsche Machtstaatlichkeit wiederzuerlangen (sprich: die Feinde meiner Feinde sind, wenigstens vorübergehend, notgedrungen meine Freunde): Ging man mit Sowjetrussland zusammen, konnte man dadurch den gemeinsam als Bedrohung empfundenen westlichen Siegermächten Paroli bieten; so die Theorie! Somit lässt sich die ganze Ostideologie auch kurz als „anti-westliche“ Strategie zusammenfassen. (41)
Russland war in diesem besonderen Szenario eine Art „Zentrum der Gegenversailler Welt“ (so eine Bezeichnung von Ernst Niekisch); es wurde zu einem beinahe schon überhöhten Vorbild einer ganz speziellen Widerstandsbewegung bei den „National-Revolutionären“. Dieser vor allem gegen Westeuropa und die USA gerichtete Affekt zählt somit zu den wichtigsten Grundlagen der „Konservativen Revolution“ (für viele der Anhänger sogar auch noch weit nach 1945).
Aber auch im Jahre 2022 gibt es bekanntlich im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine (besonders in den östlichen Bundesländern) Stimmen, die doch Verständnis für den russischen Machthaber wecken möchten; dabei ist ein Argumentationsversuch, dem „bösen“ Westen (allen voran den Yankees) zumindest eine Mitschuld an den Hintergründen für den Konflikt um die Ukraine zu geben.
Sicherlich wird man der US-amerikanischen Außenpolitik der letzten Jahrzehnte viele Versäumnisse, grobe Fehler und blanke Machtpolitik vorwerfen und auch nachweisen können; außerdem ist das dort geprägte Wirtschaftsmodell des globalen Kapitalismus für die allermeisten sozialen Verwerfungen und ökologischen Zerstörungen weltweit verantwortlich.
Dennoch wurde der Marschbefehl für die Heerestruppen des Ukraineüberfalls im Kreml, nicht im Weißen Haus erteilt – der bereits 2014 erfolgten Invasion der Krim ging ebenfalls keine unmittelbare Aggression der NATO/USA voraus.
Im Gegensatz zum Krimkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts liegen die geopolitischen Verantwortlichkeiten im 21. Jahrhundert ganz woanders. Seinerzeit konnte eine wohlwollende Neutralitätspolitik Preußens gegenüber dem Zaren als sinnvolle Nichteinmischung interpretiert werden (außerdem waren etliche deutsche Prinzessinnen nach Russland verheiratet und daher auch verwandtschaftliche Bande geknüpft worden: der letzte Zarewitsch war halber Darmstädter; – auch ein Bismarck fühlte sich in seiner Zeit als preußischer Botschafter am Zarenhof sehr wohl).
Schwieriger wird dies schon bei der Beurteilung der Gründe für eine teils massive Unterstützung Sowjetrusslands durch deutsche „National-Bolschewisten“ während der Weimarer Republik; viele der seinerzeit angestellten außenpolitischen Überlegungen waren auch offen kriegstreiberisch (zumindest in Bezug auf das von beiden Seiten verhasste Polen); mit humanitären Überlegungen hatte dies rein gar nichts zu tun.
Um wieder auf Moeller zurückzukommen, so gibt es in seinem speziellen Fall für seine starke Affinität für Russland im allgemeinen Sinne eine rein private Erklärung: Moeller bewunderte den russischen Schriftsteller Dostojewski über alle Maßen. (42)
Dabei übernahm der Deutsche vom Russen dessen dezidiert anti-westliche Haltung in kultureller Hinsicht, vor allem Dostojewskis ausgeprägte Zivilisationskritik, und übertrug sie aufs Politische. Das anti-westliche Moment stammte somit aus einer bestimmten kulturellen Prägung. Daraus erklärt sich auch, warum rechtskonservative Kreise diese spezielle Ostideologie adaptieren konnten.
Unter Ausblendung der marxistischen Lehre lehnten sich die deutschen Konservativen an die russischen Führer an, weil sie hofften, dadurch auch an universalen Kräften teilhaben zu können (der deutsche Idealismus und die Romantik des 19. Jahrhunderts ließen dabei noch einmal grüßen).
Daher kann man durchaus festhalten, dass auch die in extremnationalistischen Kreisen in Deutschland verbreitete „Ostideologie“, wie die Vorstellung vom „Dritten Reich“, einen eher mystischen Ursprung hatte; für ein konkretes parteipolitisches Programm (oder zu Wahlkampfzwecken) jedoch ungeeignet gewesen ist. Doch wie stark hatte dieser Mythos vom dritten Reich und ähnlicher Konstrukte Einfluss oder Auswirkung auf das spätere NS-Regime?
Dass Moeller bereits 1925, also lange vor Hitlers Aufstieg und Machtergreifung verstorben war, und dass er, wie auch viele andere erzkonservative Vertreter der „Oberschicht“, von Hitlers Primitivität peinlich berührt, geradezu abgestoßen war, verhinderte ja nicht, dass sich die Nazis eines Teils seiner Arbeit bemächtigten oder auch viele weitere inhaltliche und personelle Verflechtungen entstanden und auffällig sind.
Nahezu alle Biographen betonen die großen Unterschiede und Differenzen zwischen Moellers Ansichten und der faschistischen Weltanschauung der Nazis. (43)
Mit Sicherheit war Moeller nicht so derart antidemokratisch oder antirepublikanisch und radikal im Tonfall eingestellt wie Hitler und seine ideologischen Mitstreiter. Doch würde man das Parteiprogramm der NSDAP von 1920 (die 25 Punkte) mit Kernaussagen aus Moellers Buch oder weiteren Veröffentlichungen vergleichen, gäbe es schon Übereinstimmungen (gerade im „ökonomischen Bereich“ und bei der Eigentumsordnung).
„Gemeinsam waren der »Ring«-Bewegung und der Bewegung des Nationalsozialismus verschiedene Ressentiments, die in der Enttäuschung über den Ausgang des Krieges und in der Erbitterung über die harten, als schmachvoll empfundenen Friedensbedingungen wurzelten. Es wäre aber – das sei schon hier bemerkt – eine ungerechtfertigte Vereinfachung, Moeller als Wegbereiter des Nationalsozialismus oder sogar schlechthin als Nationalsozialisten abtun zu wollen.“ (44)
Sicherlich, und das wird man allen Befürwortern der These, Moeller sei kein Nazi gewesen, zugutehalten können und auch müssen, gab es im intellektuellen Bereich zwischen Moeller und anderen „Nationalbolschewisten“ (bzw. Anhängern der Konservativen Revolution, siehe z.B. nur das umfangreiche Verzeichnis bei Armin Mohler) im Vergleich zu den geistigen Ergüssen Hitlers himmelweite Unterschiede.
Außerdem erreichten weder der Juni-Klub (solange Moeller darin aktiv war, nach seinem Freitod zerfiel dieser ohnehin) noch andere nationalbolschewistische Kreise (wie der Widerstandskreis von Niekisch oder der sog. Tatkreis von Hans Zehrer) auch nur ansatzweise die Außenwirkung wie es die Nationalsozialisten schafften.
Man kann daher sagen, je intellektueller die Beteiligten waren, desto geringeren Zulauf hatten sie. Hieße dann auch: der größte Schreihals hatte die meisten Gefolgsleute. (45)
Dies gilt auch ganz besonders für die rassistisch-biologistischen Passagen in Hitlers Ideologie, die wesentlich nur aus plumpen völkischen Hasstiraden bestanden.
An diesem Punkt gab es schon merkliche Unterschiede, denn immerhin hatten einige der Nationalkonservativen selbst jüdische Wurzeln oder zumindest viele jüdischstämmige Personen in ihrem sozialen Umfeld (was viele aber ab Frühjahr 1933 nicht hinderte, diese zu verleugnen, siehe die unzähligen Beispiele an den Universitäten, in der Kunst und Kultur u.ä. Fälle).
Ein ebenfalls nicht zu leugnender Unterschied zwischen Nationalbolschewisten/Jungkonservativen und Hitler bestand beim Thema „Ostorientierung“. So hat z.B. Hitler seine Auffassung von der Minderwertigkeit der Slawen bzw. der östlichen Völker/Nationen stets offen zur Schau gestellt; völlig im Gegensatz zur geschilderten Ostideologie bei den allermeisten Anhängern der Konservativen Revolution:
„Zu Beginn der dreißiger Jahre zeigten sich die ideologischen Differenzen zwischen Nationalsozialismus und Konservativer Revolution hinreichend deutlich.“ (46)
Dennoch bleibt der Aspekt einer bestimmten geistigen Nähe der Nationalrevolutionären zum Nationalsozialismus. Am Beispiel Moellers lässt sich folgendes festhalten:
Sein dezidiert vorgetragener Antiliberalismus führt zu entsprechenden Rückschlüssen, wen er als national „unzuverlässig“ einstufte und daher auch als ungeeignet für das dritte Reich empfand.
Hierbei kann aus seinem „Schreibstil“, also seiner besonderen Ausdrucksweise (welche Begriffe werden in bestimmten Zusammenhängen verwendet) ein bestimmtes Schema entwickelt werden, wonach es ihm mit sprachlichen Mitteln gelingt, bestimmte soziale und ethnische Gruppen zu diffamieren und dadurch auszuschließen.
Was Hitler, Ludendorff und viele andere der damaligen Realitätsverweigerer mit Begriffen wie Novemberverbrecher und der Dolchstoßlegende zu belegen versuchten, nämlich die Schuld am moralischen, intellektuellen und staatlichen Untergang der Nation ganz bestimmten Personengruppen zuzuweisen, macht Moeller in ähnlicher Weise, indem er alle aus seiner Sicht negativen Entwicklungen dem „Liberalismus“ zuschreibt. (47)
Dabei legt er weniger Wert auf historische Genauigkeit, sondern er will mit politischen Schlagwörtern komplexe Zusammenhänge (unzulässig) vereinfachen, um damit die „Schuldigen“ auszudeuten und zu stigmatisieren. Hierin (also in der Methode) finden sich die größten Überschneidungen zur NS-Ideologie. Außerdem reichen (zumindest aus heutiger Sicht) etliche Formulierungen und sprachliche Bilder, die Moeller verwendet, sehr nah an antisemitische Ressentiments oder sind gar offen rassistisch; dies bleibt aber bei einer derartigen Überhöhung des „nationalen Gedankens“ auch nicht aus. Bestimmte Sprachmuster waren vor hundert Jahren einfach so verbreitet (im Übrigen auch im eher linken Milieu), dass sich niemand daran störte, wenn von fremden Rassen oder rückständigen Völkern gesprochen wurde. Vorsicht ist daher auf jeden Fall geboten, wenn auch in der Gegenwart einschlägige Kreise aus dem völkischen Lager auf Personen, die der Konservativen Revolution während der Weimarer Republik angehörten, Bezug nehmen oder gar als Vorbild nennen. (48)
Wie bereits weiter oben festgehalten, wäre Moellers Buch (und wohl auch der Autor) heute völlig in Vergessenheit geraten, hätte man 1923 einen anderen Titel gewählt. (49)
Dennoch sind es zumindest zwei Gesichtspunkte, die Moeller stark thematisiert hat, die auch heute (immer noch oder wieder besonders relevant) in der gesellschaftlichen Diskussion breiten Raum einnehmen:
Eine umfassende, teils radikale Parteienkritik (genauer: Kritik an den Berufspolitikern) und die Kardinalfrage, wie mit der östlichen Großmacht Russland (bzw. seinen politischen Führern) umgehen.
Beides hängt natürlich auch mit dem Thema der „Liberalität“ bzw. der Freiheit (aber auch der Fähigkeit) pluralistischen Denkens zusammen. Damit werden Grundfragen der allgemeinen Staatslehre berührt, z.B. von Souveränität und Autonomie, die seit Kant und Hegel noch immer einer Beantwortung harren.
Autor: Thomas Fuchs, Assessor iur., Rechtshistoriker
Anmerkungen
1) Kurzbiographie auf DHM: https://www.dhm.de/lemo/biografie/arthur-moeller-van-den-bruck.html
2) Beschreibung auf dem Portal für rheinische Geschichte: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/arthur-moeller-van-den-bruck/DE-2086/lido/5f980becab0d55.80380416
3) Beiner, in Arendt: Das Urteilen, S. 185.
Aus Platzgründen kann leider nicht näher auf die Bedeutung Nietzsches für zentrale Positionen im Werk von Hannah Arendt eingegangen werden; so hat sie ihn anerkennend zu den großen Psychologen des 19. Jahrhunderts gezählt (vgl. Arendt, Revolution, S. 143). Daher lohnen sich wenigstens einige Vergleiche:
„Die gleiche Denkstruktur erfüllt sowohl Arendts Begriff des Urteils wie Nietzsches Gedanken der ewigen Wiederkunft oder Wiederkehr. Man könnte sagen, daß beide aus so etwas wie dem gleichen Denkexperiment hervorgehen: Stelle dir einen Augenblick vor, der völlig losgelöst ist von allen anderen (…), ein Augenblick von intensiver existentieller Bedeutung. Wie kann dieser Augenblick aus sich heraus den Sinn einer ganzen Existenz stützen? Bei Nietzsche wird solche ontologische Verankerung durch die Antizipation seiner unendlichen Wiederholung erreicht; bei Arendt erfolgt sie durch den rückwärts gerichteten Blick des historischen Urteils.“ (Beiner, a.a.O., S. 183). „In ihrem ganzen Werk wird Arendt nicht nur von Kant, sondern auch von Augustin und Nietzsche geführt“ (Beiner, a.a.O., S. 195).
Aus der gemeinsamen Vorliebe für die klassische Philosophie im antiken Griechenland konnten Nietzsche wie Arendt ihre jeweils ganz eigenen Grundüberzeugungen gewinnen. War es bei Nietzsche vor allem die Figur des Dionysos, so entwickelte Arendt ihren ganz eigenen Begriff von „Gebürtlichkeit“ (Natalität). Sie führte 1958 den Begriff „Natalität“ in ihre Theorie des Handelns ein. In ihrem philosophischen Hauptwerk Vita activa oder Vom tätigen Leben (engl. The Human Condition) fragte sie nach den Bedingungen menschlicher Existenz. Sie nannte diesbezüglich „das Leben selbst und die Erde, Natalität und Mortalität, Weltlichkeit und Pluralität“. Arendt verstand diese Natalität als Grundbedingung der menschlichen Existenz: „Es ist uns aus der Philosophie vertraut, den Menschen als ein sterbliches Wesen zu verstehen (…). Ob seiner Sterblichkeit willen, weil er die Gesellschaft irdischer Menschen wieder verlassen muß, ward dem Menschen die Gabe des Denkens gegeben (…). Und um seiner Gebürtlichkeit willen, weil er selbst als ein Neuanfang in der Welt er- scheint, ward ihm die Gabe des Handelns zuteil; (…) Erfahrung, daß der Mensch in der Tat dies vermag – einen Anfang machen, novus ordo saeclorum.“ (Arendt, Revolution, S. 319f.).
4) Außerdem soll noch nebenbei bemerkt werden, dass Nietzsche wie auch Moeller beide unter einem sog. Nervenzusammenbruch zu leiden hatten; ihre psychische Erkrankung bzw. nervöse Leiden entsprangen einer übersensiblen geistigen Natur. Erstreckte sich die Geisteskrankheit bei Nietzsche auf einen Zeitraum von über elf Jahren, beendete Moeller seinem Krankheitsstadium bereits nach einem knappen halben Jahr durch Selbstmord ein Ende.
5) Durchaus vergleichbar mit der Auffassung vom Wesen des „Staates“ bei Hegel: als einer Wirklichkeit der sittlichen Idee (siehe Hegels Grundlagen der Rechtsphilosophie).
6) Vgl. bei Schwierskott, S. 144.
7) Zitiert bei Schwierskott, S. 145.
8) Maaß, S. 93.
9) Moeller, S. 1.
10) Ders., S. 27f.
11) Maaß, a.a.O., S. 95.
12) Moeller, a.a.O., S. 23.
13) Vgl. Maaß, a.a.O., S. 98.
14) Gerade die „internationalistische“ Strömung innerhalb der linkssozialistischen Bewegung muss geschockt reagiert haben, als dann ab August 1914 die bisher vertretenen proletarischen Ideale von den eigenen Anhängern missachtet wurden und die weit überwiegende Mehrzahl der Industriearbeiter voller Überzeugung für die jeweils eigene Armee auf die Schlachtfelder zogen. Hätte z.B. Rosa Luxemburg ihre berüchtigten Reden in Frankfurt/M. Ende September 1913 auch dann noch gehalten, im Wissen, wie wenig die internationalistischen Appelle bei den Arbeitern im Ergebnis bewirkt hatten? Immerhin nahm sie dafür jahrelang Straf- und Schutzhaft in Kauf, nur um zu erleben, wie einfach es der französischen wie deutschen Propaganda gelang, die jeweilige Arbeiterschaft für ihre Kriegsziele zu mobilisieren und zu instrumentalisieren.
Von diesem besonderen Punkt abgesehen, wäre es dennoch sehr aufschlussreich, einmal die politische Agenda Rosa Luxemburgs mit den programmatischen Ansätzen bei Moeller zu den Themen Rätesystem oder auch Planwirtschaft zu vergleichen: Überraschungen wären nicht ausgeschlossen.
15) Moeller, a.a.O., S. 75. Durchaus dem damaligen Zeitgeist verpflichtet, wurden auch Minderheitenpositionen, wie die „Gemeinwirtschaft“, auf die Agenda gesetzt. Moeller hatte in bestimmten Bereichen unstreitig Potential; ebenso wie andere Anhänger des Nationalbolschewismus, z.B. Niekisch. Aber auch andere Akteure, wie ein Silvio Gesell oder ganz besonders Walther Rathenau, konnten in sozioökonomischen Fragen originelle, teils sogar zukunftsweisende Vorschläge machen, die sich aber zu oft nicht gegen die reaktionären Beharrungskräfte der „herrschenden Meinung“ durchsetzen konnten. Die wenigen echten Experimente (wie die Münchner Räterepublik, an der Niekisch und Gesell aktiv beteiligt waren, Rathenau passiv beobachtete) scheiterten dann schnell an ideologischen Gegensätzen und der massiven Waffengewalt des althergebrachten Obrigkeitsstaates (egal, ob in Bayern oder im preußischen Berlin).
16) Dieser frühere Aufsatz ist vollständig abgedruckt bei Maaß, a.a.O., S. 133 – 163.
17) Moeller, a.a.O., S. 79.
18) Dito, S. 80.
19) Vgl. bei Maaß, a.a.O., S. 99ff.
20) Maaß, a.a.O., S. 100.
21) Moeller, a.a.O., S. 130.
22) Maaß, S. 102. Dass dieser „Ersatzkaiser“ dann im Frühjahr 1925 mit Hindenburg als Reichspräsident tatsächlich installiert werden würde, konnte Moeller aufgrund seines Nervenzusammenbruchs gar nicht mehr realisieren; den Amtsantritt des ehemaligen kaiserlichen Generalfeldmarschalls hat er dann auch gar nicht mehr erlebt. Somit auch nicht die auf Artikel 48 der Weimarer Verfassung gestützten Präsidialregierungen ab 1930, die dann auch völlig ohne parlamentarische Mehrheit und demokratische Legitimierung „regieren“ konnten – eigentlich genau die Vorstellung eines Staatssystems im Moellerschen Sinne. Doch hätte es für ein derartiges „Politikmodell“ auch geeignete Führungspersönlichkeiten gebraucht – ein Grundproblem seit der Antike: bereits Plato hat davor gewarnt, wenn „Geschäftemacher“ an die Regierung gelangen; daran hätte auch Moeller denken sollen!
23) Moeller, a.a.O., S. 138. Ähnlich wie bei der Beschreibung des „deutschen Sozialismus“ werden sehr viele Einzelaspekte aufgezählt (Selbstverwaltung, Genossenschaftsrecht, Volksgemeinschaft oder die Vielfalt der deutschen Stämme, hier im Sinne von Volksgruppen, als föderatives Element), ohne dass eine klare Struktur deutlich wird. Als soziologische Betrachtung mag dies genügen, für ein politisches Programm ist Moellers Versuch, eine „deutsche Demokratie“ im Sinne von Volksherrschaft zu beschreiben, aber zu vage.
24) Ders., S. 133 und S. 149.
25) Maaß, S. 104. Den Gedanken, die Masse des Proletariats (vor allem die Industriearbeiter), in den Staat zu integrieren, verfolgte bereits Bismarck. Dessen Sozialpolitik zielte aber nur auf „materielle“ Absicherung ab; eine „geistige Beteiligung“ am Staatsleben – so wie dies Moeller tatsächlich vorschwebte – wollten die preußischen Junker partout vermeiden. Allerdings konnte auch Moeller keinen praktischen Vorschlag machen.
26) Ders., S. 108f.; zusätzlich S. 106f.
27) Moeller, a.a.O., S. 300.
28) Maaß, S. 109.
29) Ders., S. 110 bzw. S. 123 mit weiteren Nachweisen.
30) Schwierskott, a.a.O., S. 104f.
31) Ders., S. 105.
32) Ders., S. 111.
33) Erstaunlich ist es allerdings schon, dass auch hundert Jahre später immer noch (bzw. aktuell verstärkt) vehemente Kritik an den politischen Parteien und den Berufspolitikern geübt wird; gepaart mit sog. Politikverdrossenheit. Dabei sind die äußeren Auslöser für mediale „Aufreger“ ebenfalls denen vor hundert Jahren sehr ähnlich: persönliche Bereicherung, Vorteilsnahme für sich oder nahe Angehörige, Korruption in allen Varianten (sog. Maskendeals in Coronazeiten, dubiose Beraterverträge o. „Scheinarbeitsverhältnisse“ für die Ehefrau bis zu Dienstwagenaffären etc.) – von Parteispendenskandalen (Flick, Kohl, Schäuble oder auch in der Hessen-CDU) und zahlreichen Plagiatsvorwürfen gar nicht zu reden. Von persönlichen (auch strafrechtlich relevanten) Verfehlungen einmal abgesehen, bleibt jedesmal zumindest ein negativer Eindruck hängen: Viele der Berufspolitiker haben sich vom (Wahl-)Volk abgekoppelt; die ursprünglichen Bedeutungsinhalte von „Politik“ (griech. etwa für „was die Stadt angeht“) und „Republik“ (lat. für öffentliche Sache, so bei Cicero: res publica res populi) interessieren nicht mehr und sind schleichend (oder auch rasant) umgewertet worden. Um diese teils gravierenden Entwicklungen zu erkennen, braucht es zwar keiner Belehrung von Moeller, sondern hauptsächlich gesunden Menschenverstand (im Gegensatz zur heute sonst üblichen „KI“), aber als Vergleichsmaterial sind solche Bezüge durchaus nützlich; außerdem waren ja nicht alle Kritiker der Verhältnisse während der Weimarer Republik eingefleischte Anti-Republikaner. An dieser Stelle beginnt allerdings die Frage nach den Ursachen für das Scheitern von „Weimar“; diese sind jedoch sehr unterschiedlich.
Neben genuin „antidemokratischem“ Denken (besonders in rechten und „gutbürgerlichen“ Kreisen) hatten aber auch die Auswirkungen äußerer Umstände (gleich mehrfaches Besatzungsregime durch die Sieger, vor allem im Rheinland oder dem Ruhrgebiet und anderen Regionen, die Hyperinflation im Herbst 1923, aufkommende Weltwirtschaftskrise und besonders die Massenarbeitslosigkeit und -armut) ihren Anteil daran, dass immer größere Teile der Bevölkerung wenig Zutrauen in den Staat von Weimar hatten – und dass von verantwortlicher Seite den Menschen meist keinerlei nachvollziehbare und verständliche Erklärung für die jeweiligen Ursachen gegeben wurde; alles Entwicklungen, die auch hundert Jahre später wieder sehr aktuell sind.
34) Werth, S. 97.
35) Im Überblick zur „Konservativen Revolution“ als Sammelbegriff (oder als „semantische Absurdität“): https://de.wikipedia.org/wiki/Konservative_Revolution
36) Vgl. zum „Juni-Klub“: https://de.wikipedia.org/wiki/Juniklub
37) Für Ernst Niekisch siehe dessen Biograph Pittwald, S. 119 – 128; für Moeller siehe Schwierskott, a.a.O., S. 123 – 141.
38) Mann, S. 131f.
39) Zum Vertrag von Rapallo und der besonderen Bedeutung Walther Rathenaus s. meinen Beitrag: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/walther-rathenau-100-jahre-nach-dem-attentat/
40) Längere Fundstelle bei Schwierskott, a.a.O., S. 124f.
41) Vor allem wegen seiner bewusst vertretenen pro-westlichen Haltung wurde daher auch Rathenau als Störfaktor empfunden, der notfalls gewaltsam ausgeschaltet werden musste.
42) Hierzu vgl. bei Schwierskott, S. 127f., 130 und Werth, S. 98.
43) Vgl. Maaß, S. 128 oder die Zusammenfassung bei Werth, S. 121ff.
44) Schwierskott, S. 142f.
45) Kein Zufall, dass ein Ende 1932 unternommener Versuch, weite Teile der Konservativen Revolution in einer Nationalkommunistischen Partei (als Sammelbewegung) zusammenfassen zu wollen, scheiterte; vgl. Schwierskott, S. 141.
46) Mohler, S. 193.
47) Eine interessante „lexikografische“ Textanalyse bei Lobenstein-Reichmann ab S. 191.
48) Vergleicht man z.B. Moellers Sprache mit der des im Beitrag öfter erwähnten Niekisch, ist dessen gesamter Sprachstil eklatant antisemitischer geprägt als die von Moeller gewählte Ausdrucksweise. Niekisch – trotz seiner Verfolgung und langen Inhaftierung im realen dritten Reich – hat seine antisemitisch geprägten Denk- und Sprachmuster sogar nach 1945 nicht wirklich ablegen können; vgl. Pittwald, S. 158 – 161.
49) Moellers Bedeutung in der zeitgeschichtlichen Forschung hat tatsächlich relativ schnell abgenommen; so hat ihm Bracher in seiner bekannten Analyse zum Scheitern der Weimarer Republik nur wenige Zeilen eingeräumt, um kurz die romantische Erwartung an Moellers Reichsidee zu beschreiben, siehe Bracher, S. 125.
Literatur
Arendt, Hannah: Das Urteilen. Texte zu Kants Politischer Philosophie. Hrsg. v. Ronald Beiner, übers. v. Ursula Ludz, München 1985.
Arendt, Hannah: Über die Revolution, hrsg. v. Thomas Meyer. Mit einem Nachwort v. Jürgen Förster. Erweiterte Neuausgabe (Studienausgabe), München 2020.
Bracher, Karl Dietrich: Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, 5. Aufl., Villingen 1955.
Lobenstein-Reichmann, Anja: Liberalismus – Demokratie – Konservativismus: Moeller van den Bruck, das Begriffssystem eines Konservativen zu Beginn der Weimarer Republik, in: Cherubin, Dieter/Jakob, Karlheinz/Linke, Angelika (Hrsg.): Neue deutsche Sprachgeschichte. Mentalitäts-, kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge. – Berlin (u.a.) 2002, S. 183 – 206.
Maaß, Sebastian: Kämpfer um ein drittes Reich: Arthur Moeller van den Bruck und sein Kreis, Kiel 2010.
Mann, Heinrich: Ein Zeitalter wird besichtigt, Berlin 1947.
Moeller van den Bruck, Arthur: Das dritte Reich, Berlin 1923 (1. Aufl.); Hamburg 1931 (3. Aufl.).
Mohler, Armin /Weissmann, Karlheinz: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 – 1932. Ein Handbuch, 6. Aufl., Graz 2005.
Pittwald, Michael: Ernst Niekisch: Völkischer Sozialismus, nationale Revolution, deutsches Endimperium, Köln 2002. (Zugleich Universität Osnabrück, Dissertation 2000)
Schwierskott, Hans-Joachim: Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus der Weimarer Republik, Göttingen 1962.
Werth, Christoph H.: Sozialismus und Nation. Die deutsche Ideologiediskussion zwischen 1918 und 1945. Mit einem Vorwort von Karl Dietrich Bracher. Opladen 1996. (Zugleich Universität Bonn, Dissertation 1996)