
31. Juli 1941: Auftrag Görings an Heydrich zum Erstellen eines organisatorischen Gesamtentwurfs für die „Endlösung der Judenfrage“
Die Endlösung der Judenfrage war der von Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Regime geplante und durchgeführte systematische Massenmord an den europäischen Juden. Mit diesem beschönigenden Begriff bezeichneten die Nationalsozialisten den Prozess, der später als Holocaust bekannt wurde – die vollständige Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Europas. Rund sechs Millionen Juden fielen diesem beispiellosen Verbrechen zum Opfer. Die Endlösung war dabei keine spontan entstandene Idee, sondern das Ergebnis einer stufenweisen Radikalisierung der nationalsozialistischen Judenpolitik, die sich über Jahre hinweg immer weiter steigerte.
Schon vor Kriegsbeginn hatte die NS-Führung den Kurs auf eine „Lösung der Judenfrage“ eingeschlagen. Adolf Hitler drohte bereits im Januar 1939 in einer berüchtigten Reichstagsrede, dass ein neuer Weltkrieg zur „Vernichtung der Juden“ in Europa führen werde. Als dann im September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begann, verschärfte sich die anti-jüdische Politik drastisch. In den besetzten polnischen Gebieten wurden Juden zunächst systematisch entrechtet, ausgeraubt und in umzäunte Stadtviertel, die Ghettos, gezwungen. Doch diese ursprünglich erzwungene Jüdische Auswanderung und Ghettoisierung waren nur Vorstufen – die nationalsozialistische Führung zielte letztlich auf die vollständige Ausrottung der Juden ab. Die folgenden Kriegsjahre führten über immer radikalere Maßnahmen zur tatsächlichen Umsetzung dieser sogenannten Endlösung, die in einem beispiellosen Völkermord mündete.
Hitler und der Weg zur „Endlösung“
In den ersten Jahren der NS-Herrschaft versuchte das Regime, die sogenannte Judenfrage vor allem durch Vertreibung der Juden aus Deutschland zu lösen. Die Auswanderung der jüdischen Bevölkerung wurde forciert und es gab Pläne, die verbliebenen deutschen und europäischen Juden weit weg zu deportieren. So erwog man etwa nach dem Sieg über Frankreich im Sommer 1940 den Madagaskar-Plan, der die Deportation der Juden auf die abgelegene Insel Madagaskar vorsah. Auch das Auswärtige Amt war in diese Überlegungen einbezogen. Doch da Großbritannien nicht besiegt werden konnte, blieben solche Pläne unrealisiert.
Mit dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 nahm die anti-jüdische Politik eine neue, noch radikalere Dimension an. Hitlers rassistischer Vernichtungsfeldzug im Osten richtete sich ausdrücklich auch gegen die jüdische Bevölkerung. Sein fanatischer Antisemitismus schlug nun in offen mörderische Maßnahmen um. Im Juli 1941 ermächtigte Hermann Göring den Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, alle nötigen Schritte einzuleiten, um eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussbereich in Europa vorzubereiten. Damit war der Weg zur physischen Vernichtung der Juden Europas faktisch vorgezeichnet – die angestrebte „Endlösung“ sollte nun in die Tat umgesetzt werden.
Einsatzgruppen: Massenerschießungen im Osten
Nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 begann in den besetzten Ostgebieten ein bisher ungekanntes Ausmaß an Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung. Im Gefolge der vorrückenden Wehrmacht verübten vier mobile Sonderkommandos – die sogenannten Einsatzgruppen der SS – von nun an systematische Massenerschießungen. In kürzester Zeit erschossen diese Einheiten Hunderttausende jüdische Zivilisten, darunter bald auch Frauen und Kinder. Ganze Gemeinden wurden ausgelöscht: Die Erschießungskommandos trieben die Menschen in abgelegene Gebiete, ließen sie Massengräber ausheben und richteten sie dann kaltblütig durch Gewehrsalven hin.
Diese Form des Tötens war jedoch selbst für die Täter auf Dauer psychisch belastend und galt als ineffizient. Im Herbst 1941 begannen Heinrich Himmler und andere Verantwortliche daher, nach Alternativen zu suchen. Erstmals wurden nun mobile Gaswagen eingesetzt, in denen die Opfer durch Abgase getötet wurden. Diese Schritte markierten den Übergang von spontanen Massakern zu einem planvollen Völkermord: Noch bevor die Endlösung offiziell koordiniert wurde, war der Genozid in Osteuropa bereits in vollem Gange.
Die „Endlösung der Judenfrage“: Koordination auf der Wannsee-Konferenz
Die praktische Umsetzung der angestrebten Endlösung wurde ab Herbst 1941 intensiv vorbereitet. Am 31. Juli 1941 erteilte Göring Reinhard Heydrich schriftlich den Auftrag, nun alle nötigen Vorbereitungen zu treffen. In Görings Schreiben wurde gefordert, Heydrich solle „mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen“.
Um die Zusammenarbeit aller betroffenen Stellen zu gewährleisten, lud Heydrich ranghohe Ministerialbeamte zu einer „Besprechung über die Endlösung der europäischen Judenfrage“ ein. Ursprünglich für Dezember 1941 geplant, fand diese Konferenz schließlich am 20. Januar 1942 in einer Villa am Berliner Wannsee statt. Den Vorsitz führte SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der als Chefplaner die Gesamtkoordination übernahm. Vertreter verschiedener Reichsministerien (Innen, Justiz, Auswärtiges u.a.) sowie der SS und des Polizeiapparats diskutierten die Organisation der geplanten Deportationen und Morde. Im Protokoll der Sitzung wurde festgehalten: „Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt.“
Heydrich präsentierte eine Liste aller in Frage kommenden Juden Europas. Laut dieser Übersicht wurden rund 11 Millionen in Europa lebende Juden verzeichnet – einschließlich der Gemeinden in Ländern wie Großbritannien, Irland, der Türkei oder dem Protektorat Böhmen und Mähren, die (noch) nicht unter deutscher Kontrolle standen. Es war vorgesehen, die jüdische Bevölkerung schrittweise nach Osten zu verbringen und dort zu ermorden. Das Protokoll sprach von der „Evakuierung“ der Juden in ein Arbeitslagergebiet im Osten. Zunächst sollten die arbeitsfähigen Männer und Frauen durch Zwangsarbeit beim Straßenbau auf ein Minimum dezimiert werden. Die überlebenden Restbestände – so die zynische Planung – müssten dann „entsprechend behandelt“ werden, womit nichts anderes als die Tötung gemeint war.
Die Wannsee-Konferenz, oft kurz als Wannseekonferenz bezeichnet, diente somit der bürokratischen Vorbereitung des Völkermordes. Nach dieser Besprechung war die systematische Ermordung der Juden Europas in geordnete Bahnen gelenkt – die endgültige Durchführung der Endlösung war nun nur noch eine Frage der Zeit.
Deportieren der europäischen Juden in die Vernichtungslager und der Holocaust
Noch bevor die Einzelheiten der Endlösung bürokratisch festgezurrt waren, hatten die Nationalsozialisten Fakten geschaffen. Mit der praktischen Organisation der europaweiten Deportationen war Adolf Eichmann betraut, der bereits auf der Wannsee-Konferenz als Protokollführer fungiert hatte. Bereits Ende 1941 nahm mit dem Vernichtungslager Chelmno (Kulmhof) das erste reine Tötungszentrum den Betrieb auf. Hier wurden die Opfer in abgedichteten Lkw (Gaswagen) mit Motorabgasen erstickt. Wenig später begann unter der Leitung von SS-Brigadeführer Odilo Globocnik in Lublin die sogenannte „Aktion Reinhardt“ – der Plan zur Ermordung der rund 2 Millionen Juden im Generalgouvernement (dem besetzten Polen). Zu diesem Zweck errichtete die SS drei weitere Vernichtungslager: Bełżec (bereits seit März 1942 in Betrieb), Sobibor (Eröffnung im Mai 1942) und Treblinka (Eröffnung im Juli 1942). Im April 1942 erreichten die Massendeportationen aus den Ghettos ihren ersten Höhepunkt.
Zeitgleich wurden nun auch aus fast allen von Deutschland beherrschten Ländern die jüdischen Einwohner deportiert. Die meisten der aus West- und Südeuropa deportierten Juden gelangten in das weitläufige Lagerkomplex Auschwitz-Birkenau, wo sie unmittelbar nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. In Auschwitz hatte bereits im September 1941 die erste Vergasung von Häftlingen (Sowjet-Kriegsgefangenen) stattgefunden; ab 1942 entwickelte sich dieses Lager zum zentralen Vernichtungsort für die europäischen Juden. Der NS-Staat ließ seine Opfer bis zuletzt keinen Anlass zur Hoffnung: Man täuschte vielen Deportierten vor, sie würden „umgesiedelt“ oder zur Arbeit in neue Gebiete gebracht – in Wahrheit bedeutete die „Evakuierung“ fast immer den Transport in den Tod.
Bis 1943 hatte die sogenannte Aktion Reinhardt ihr Ziel weitgehend erreicht. Die Ghettos im Generalgouvernement waren liquidiert, und die Lager Bełżec, Sobibor und Treblinka wurden nach der Ermordung der meisten polnischen Juden geschlossen. Auch das KZ Auschwitz wurde im Herbst 1944, nach der Ermordung von über 1 Million Menschen (darunter etwa 960.000 Juden), als Tötungsstätte stillgelegt. Damit war das Schicksal der jüdischen Gemeinden Europas besiegelt – von den vormals blühenden Gemeinden waren nur noch Trümmer und wenige Überlebende übrig.
Schlussbetrachtung
Der Holocaust, also die nationalsozialistische Vernichtung der europäischen Juden, war ein Verbrechen ohne historisches Vorbild. Insgesamt fielen dem gezielten Völkermord rund sechs Millionen jüdische Menschen zum Opfer. Die wenigen Überlebenden wurden nach der Befreiung zu Zeugen dieser beispiellosen Gräueltaten. Historiker wie Peter Longerich haben herausgearbeitet, dass die „Endlösung der Judenfrage“ kein plötzlich gefasster Einzelbefehl war, sondern das Ergebnis eines schrittweisen Prozesses, der sich im Verlauf des Krieges immer weiter radikalisierte. Die systematische Planung und industrielle Durchführung dieses Massenmords markiert einen Zivilisationsbruch in der Geschichte.
Die moralischen Lehren aus der Erfahrung des Holocaust prägen bis heute Politik und Gesellschaft. Der Begriff „Nie wieder“ – niemals wieder Völkermord – wurde zu einem zentralen Mahnruf der Nachkriegszeit. Die Erinnerung an die Opfer und das Bewusstsein für die Gefahren von Rassenhass und Antisemitismus bleiben essentielle Aufgaben, um zu verhindern, dass sich ein Verbrechen wie dieser Völkermord jemals wiederholen kann.
Fachliteratur
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Verfügbar unter: https://encyclopedia.ushmm.org/content/de/article/final-solution-overview (abgerufen am 23. Oktober 2025)