Seit der Machtergreifung im Winter des Jahres 1933 hatten Juden sich im von den Nationalsozialisten kontrollierten Deutschen Reich zunehmender Verfolgung ausgesetzt gesehen, die am 15. September 1935 mit den Nürnberger Gesetzen gesetzlich angeordnet wurde und ihren vorläufigen Höhepunkt in den Novemberpogromen des Jahres 1938 fand. Konzentrationslager für politische Gegner und andere unliebsame Personen hatte es ebenfalls schon seit der Machtergreifung gegeben. Mit Kriegsbeginn im September 1939 versuchten die Nazis aber nicht einmal mehr, den Schein zu wahren. Das Vorgehen gegen die vermeintlichen „Volksschädlinge“ wurde noch offensiver. Am 1. Februar 1940 erging eine Weisung an den Inspekteur der Konzentrationslager, Richard Glücks (1989 – 1945) vom Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 – 1945) persönlich auch in den nun besetzten Gebieten Polens geeignete Strukturen zu finden, auf deren Grundlage man Konzentrations- und Vernichtungslager bauen könnte. Parallel dazu lief im Reichsgebiet die „Aktion T4“ oder wie die Nazis die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ ganz euphemistisch nannten die „Euthanasie“ an. Hierbei wurden körperlich, seelisch und geistig Behinderte gezielt getötet und man testete so auch die „effektivsten“ Methoden zur industriellen Ermordung von Menschen aus.
Im Sommer 1941 erging dann der Befehl des Reichsmarschalls Hermann Göring (1893 – 1946) an den Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich (1904 – 1942), sich mit der „Endlösung der Judenfrage“ zu befassen. Dieser Befehl Görings stellt im Übrigen den einzigen Beweis dafür dar, dass eine Anordnung für den Holocaust aus der NS-Führung kam. Adolf Hitler (1889 – 1945) selbst hat es vermieden, einen schriftlichen Beweis für sein größtes Verbrechen zu hinterlassen, was aber niemanden zu der Annahme verleiten sollte, er habe keine Kenntnis davon gehabt. Die Hierarchie innerhalb des NS-Regimes war komplett auf Hitler ausgerichtet: Ob nun Partei, Staat, SS, Wehrmacht oder Presse, ob Judikative, Exekutive oder Legislative alle Fäden liefen bei Hitler zusammen. Jede Weisung, jeder Befehl von Tragweite ging vom „Führer“ aus. Niemand hätte es gewagt, eigenmächtig einen so folgenschweren Beschluss zu fassen wie den zur Vernichtung der Juden Europas. Der Antisemitismus war zudem schon bei Parteigründung der DAP durch Anton Drexler (1884 – 1942) im Jahre 1919 fest in der Ideologie der Partei verwurzelt und mit dem Anti-Kommunismus der DAP verknüpft. So bezeichnete Drexler den Bolschewismus als „jüdische[n] Betrug“. Hitler war der Partei im September 1919 beigetreten und hatte 1921 Drexler vom Parteivorsitz verdrängt. Die Umbenennung von Deutscher Arbeiterpartei zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war 1920 erfolgt.
Die Wannsee Konferenz
Heydrich lud im Dezember 1941 die wichtigsten Entscheidungsträger zu einer Zusammenkunft am 20. Januar 1942 in einer Villa am Großen Wannsee ein. Neben Heydrich selbst nahmen folgende Personen teil:
- SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906 – 1962): offiziell Protokollant, in Wahrheit der eigentliche Kopf und sogenannter „Architekt des Holocausts“
- Josef Bühler (1904 – 1948): Staatssekretär im Amt des Reichsrechtsführers und Generalgouverneurs Hans Frank (1900 – 1946), den er bei der Konferenz vertrat, in Krakau
- SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS und General der Polizei Otto Hofmann (1896 – 1982): Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS
- Staatssekretär in der Reichskanzlei und SS-Gruppenführer Gerhard Klopfer (1905 – 1987): Ministerialdirektor in der Parteikanzlei der NSDAP, Leiter der Staatsrechtlichen Abteilung III
- Friedrich Wilhelm Kritzinger (1890 – 1947): Ministerialdirektor und Staatssekretär in der Reichskanzlei
- Karl Roland Freisler (1839 – 1945): Staatssekretär im Reichsjustizministerium
- SS-Standartenführer Rudolf Lange (1910 – 1945): Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD für Lettland; vertrat seinen Vorgesetzten SS-Brigadeführer und Generalmajor Walter Stahlecker (1900 – 1942)
- Georg Leibbrandt (1899 – 1982): Reichsamtsleiter des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete
- Martin Luther (1895 – 1945): Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt
- Alfred Meyer (1891 – 1945): Staatssekretär im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, Gauleiter Westfalen-Nord
- SS-Gruppenführer Heinrich Müller (1900 – 1945): Chef des Amtes IV (Gestapo) des Reichssicherheitshauptamtes
- Erich Neumann (1892 – 1951): Staatssekretär im Amt des Beauftragten für den Vierjahresplan
- SS-Oberführer Karl Eberhard Schöngarth (1903 – 1946): Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement
- Wilhelm Stuckart (1903 – 1952): Staatssekretär im Reichsministerium des Innern; maßgeblicher Mitverfasser der Nürnberger Gesetze
Diese Männer beschlossen sie final: die Vernichtung aller Juden im vom Deutschen Reich kontrollierten Gebiet, was ihren Plänen nach irgendwann die ganze Welt sein sollte. Diese wurde einerseits durchgeführt vom Schutzstaffel Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (SS-WVHA), andererseits von den Angehörigen der sogenannten „Aktion Reinhardt“.
„Aktion Reinhardt“ oder „Aktion Reinhard“?
Da viele zeitgenössische Quellen einschließlich Himmlers den Vornamen Heydrichs fälschlicherweise mit „dt“ und nicht mit einfachem „d“ am Ende schrieben, ist die heutige Forschung sich einig, dass der Name der „Aktion Reinhardt“ sich auf Heydrich bezieht und eine Ehrung darstellen soll, da Heydrich bei einem Attentat Ende Mai 1942 schwer verletzt wurde und wenige Tage später verstarb. Daher begriffen die Nazis ihr Vorgehen auch als Vergeltung, obwohl Heydrich es zu Lebzeiten noch selbst geplant hatte.
Die „Aktion Reinhardt“ konzentrierte sich auf das Generalgouvernement, und Himmler betraute SS-und Polizeiführer des Distrikts Lublin Odilo Globocnik (1904-1945) mit der Durchführung. Schon vor der Wannseekonferenz, am 1. November 1941 begann der Bau des Vernichtungslagers Belzec und bald darauf von Chelmno, das schon kurze Zeit später den Betrieb aufnahm, was wohl auf Drängen zweier Männer geschah: SS-Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Rolf-Heinz Höppner (1910 – 1998), der auch Führer des Leitabschnitts des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS in Posen war, und Arthur Greiser (1897-1946), Gauleiter des Warthelands. Je nachdem, ob man nun Baubeginn oder Inbetriebnahme als Maßstab nimmt, könnte man jeweils Belzec oder Chelmno als erstes Vernichtungslager einstufen. Bald darauf kam das KZ Sobibor hinzu und letztlich KZ Treblinka. Ob das KZ Chelmno wirklich zur „Aktion Reinhardt“ dazu gezählt wurde, ist abhängig von der Quellenlage nicht ganz eindeutig zu beantworten. Unabhängig waren noch die Lager KZ Majdanek und KZ Auschwitz in Polen in Betrieb.
Der Holocaust in Polen
Die SS versetzte über hundert Männer, die an der „Aktion T4“ beteiligt waren, in die Lager, wo sie federführend die Ermordung von etwa 1,4 Millionen Menschen durchführten. Das Wachpersonal wurde ergänzt durch nicht-deutsche Männer aus dem SS-Ausbildungs- und Arbeitslager Trawniki. Die wirkliche Arbeit vor Ort verrichteten aber Zwangsarbeiter, die aus den ankommenden Häftlingen heraus selektiert wurden.
Die Lager befanden sich stets in unmittelbarer Anbindung an das Eisenbahnnetz. Am Gleis angekommen sagte man den aussteigenden Juden, die in die Lager deportiert worden waren, sie befänden sich in einem Durchgangs- oder Arbeitslager. Oft teilte man Essen aus. Wichtig war, dass die Menschen nicht in Panik ausbrachen, weil das „den Ablauf gestört hätte“. Nachdem arbeitsfähige Personen selektiert worden waren, befahl man den Gefangenen, sich zu entkleiden und in die Nassräume zu gehen, in die dann Gas eingeleitet wurde: Kohlenstoffmonoxid, also Motorabgase. Die Zwangsarbeiter mussten die Leichen nach den Gaskammern dann nach versteckten Wertsachen wie Goldzähnen absuchen und anschließend verscharren. Waren die Arbeiter „verbraucht“ und nicht mehr arbeitsfähig, wurden sie ebenfalls ermordet. Als die Rote Armee weiter nach Westen vorrückte, lief „Sonderaktion 1005“ an. Das bedeutete, dass Zwangsarbeiter die verscharrten Leichen exhumieren und verbrennen mussten. Auch sonst waren die Nazis bemüht, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen, töteten aber bis zur Zerstörung der Lager in ihnen noch Menschen.
Was wurde aus den Tätern?
Und was wurde aus den Tätern? Heinrich Himmler und der SS- und Polizeiführer Odilo Globocnik begingen, als sie bei Kriegsende gefangen genommen wurden, Suizid. Hitler selbst brachte sich im Bunker mit Gift und einer Kugel um. Göring nahm sich einen Tag vor seiner Hinrichtung in Nürnberg das Leben. Heydrich und auch etliche der Lagerkommandanten erlebten das Kriegsende nicht, andere kamen mit milder oder ohne Strafe davon. Bleibt Eichmann. Dem gelang die Flucht nach Argentinien, wo der Mossad ihn 1960 aufspürte und nach Israel vor Gericht brachte. Er wurde zum Tode verurteilt und am 1. Juni 1962 kurz nach Mitternacht erhängt. An den Orten erinnern Gedenkstätten an die fast zwei Millionen Opfer.
Autorin: Martina Meier
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Gutman, Israel / Eberhard Jäckel / Peter Longerich (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. München 1998.
Herbert, Ulrich / Karin Orth / Christoph Dieckmann: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Frankfurt/M 2002.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999.
Krakowski, Shmuel: „Das Todeslager Chelmno / Kulmhof – Der Beginn der ,Endlösung’“, Wallstein Verlag, Göttingen 2007.
Rückerl, Adalbert (Hrsg.): „Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno“, München 1977 (dtv 2904).
Deutschlandfunk Beitrag: Umkämpfte Erinnerung, vergessene Orte. Das Gedenken an die Opfer der „Aktion Reinhardt“