Teilnehmer der Wannseekonferenz: Staatssekretär Erich Neumann (Vierjahresplanbehörde)
Im Sommer 1941 befahl Reichsmarschall Hermann Göring (1893 – 1946) SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich (1904 – 1942), eine „Endlösung der Judenfrage“ zu finden, woraufhin dieser fünfzehn ranghohe Vertreter des NS-Regierungsapparates und der SS zu einer Konferenz am 20. Januar 1942 in eine Villa am Großen Wannsee in Berlin einlud, um dort die Ermordung aller Juden Europas zu planen. Heydrich war die rechte Hand des Reichsführers SS Heinrich Himmler (1900 – 1945), welcher bereits erste Schritte für die folgende Vernichtung großer Teile der jüdischen Bevölkerung in den vom Deutschen Reich kontrollierten Gebieten eingeleitet hatte. Neben Heydrich selbst gilt vor allem SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906 – 1962) als eigentlicher Kopf hinter dem Holocaust. Zu den fünfzehn geladenen Vertretern gehörte auch Staatssekretär Erich Neumann (1892 – 1951), welcher in der Vierjahresplanbehörde unter Göring selbst arbeitete. Da das Exemplar des Sitzungsprotokolls von Unterstaatssekretär Martin Luther (1895 – 1945) den Krieg überstand, hat die Nachwelt ein ziemliches klares Bild vom Ablauf der Wannseekonferenz und den Positionen ihrer Teilnehmer.
Erich Neumann wurde am 31. Mai 1892 in Forst (Niederlausitz) als Sohn eines Fabrikbesitzers in eine evangelische Familie hineingeboren. Nachdem er sein Abitur gemacht hatte, studierte Neumann zunächst an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, später an der Universität Leipzig und zum Schluss an der Friedrichs-Universität Halle Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft. Er war von 1911 bis zum Universitätswechsel auch Mitglied des Corps Rhenania Freiburg, allerdings als Inaktiver. Im Ersten Weltkrieg kämpfte Neumann bis 1917, also die ersten drei Jahre, ehe er als Oberleutnant aus dem Militärdienst ausschied.
Im Oktober 1920, knapp zwei Jahre nach Kriegsende, trat Neumann erneut in den Staatsdienst ein, diesmal allerdings als Zivilist. Als Folge des Friedensvertrags von Versailles war das Deutsche Reich auch in weiten Teilen entmilitarisiert worden. Neumann wurde Regierungsassessor im Preußischen Innenministerium, somit noch kein vollwertiger Staatsbeamter. Bald darauf wechselte Neumann in den Landkreis Essen. Nach drei Jahren wurde er dann im Oktober 1923 zum Regierungsrat befördert. Im Dezember des Folgejahres betraute man Neumann mit einer Tätigkeit im Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe. Im November 1926 wurde er Landrat des Landkreises Freystadt in Niederschlesien, ein Amt, das er innehatte, bis er im Oktober 1928 als Ministerialrat ins Preußische Ministerium für Handel und Gewerbe zurückkehrte. Da er als Wirtschaftsfachmann galt, gehörte die Vertretung des Deutschen Reichs auf internationalen Konferenzen zu seinen Hauptaufgaben. Im September 1932 ernannte man Neumann dann zum Ministerialdirektor im Preußischen Staatsministerium, wo er für Verwaltungsreformen zuständig war.
Als die Nationalsozialisten gut einen Monat nach Adolf Hitlers (1889 – 1945) Ernennung zum Reichskanzler bei den schon nicht mehr wirklich freien Wahlen am 5. März 1933 43,9 % der Stimmen holten, trat der bisherige DNVP-Politiker Neumann im Mai aus seiner alten Partei aus und in die NSDAP, die nun ohnehin alle anderen Parteien verbot oder gleichschaltete, ein. Im August wurde Neumann zudem auch Mitglied der Schutzstaffel (SS), wobei er dem Stab des SS-Hauptamts zugewiesen wurde. Im Folgemonat wurde er zusätzlich zu seinen bisherigen Aufgaben, mit denen er als NSDAPler nun auch weiter betraut war, Schriftführer im Preußischen Staatsrat. Er stieg politisch und militärisch weiter auf: 1935 arbeitete er noch im Preußischen Staatsministerium, leitete für Göring eine Gruppe zur Beurteilung der allgemeinen inneren und äußeren Wirtschaftslage, ab Oktober 1936 war er Teil von Görings Vierjahresplanbehörde, die die wirtschaftliche Autarkie und militärische Aufrüstung bis 1940 sicherstellen sollte. Neumann unterstand in der Vierjahresplanbehörde die Geschäftsgruppe Devisen. In der SS hatte stieg er mit seiner Beförderung am 13. September 1936 zum Obersturmbannführer auf.
Bis 1939 konnte Neumann in seiner Geschäftsgruppe recht ungehindert arbeiten. Anders als andere Abteilungen der Vierjahresplanbehörde war die Geschäftsgruppe Devisen nicht von Änderungen in der Organisation betroffen. Zu Neumanns Aufgaben zählten allgemeine Geschäfte aller sechs Gruppen und die Verbindungen bzw. Kooperationen zwischen den Gruppen sowie die Aufstellungen von Erlassen der Verordnungen und Gesetze in diesem Bereich. Als Neumann im Juli 1938 auch zum Staatssekretär und Vertreter von SS-Obergruppenführer Paul Körner (1893 – 1957) wurde, war er fortan auch für die Fortführung der „Arisierung“ der Wirtschaft und die Kennzeichnung jüdischer Bürger verantwortlich. Körner selbst galt als „rechte Hand“ Görings und leitete im Grunde die Vierjahresplanbehörde. Für Neumann bedeutete das innerhalb seines Aufgabenbereichs de facto an vierter Stelle zu stehen, denn Göring war nur Hitler Rechenschaft schuldig und Neumann war der Vertreter von Görings rechter Hand. 1939 stieg er auch innerhalb der SS noch weiter auf und erhielt den Ehrenrang des SS-Oberführers.
Neumann war auch mit bestimmten Aspekten des Krieges mit der Sowjetunion und der Ostfront betraut, insbesondere mit der Agrarproduktion der Länder im Visier des Regimes, die eigentlich dem Deutschen Reich zugutekommen sollte. Wie Neumann aber in einem Vortrag am 19. April 1941 bei der Verwaltungsakademie Berlin, den sein persönlicher Referent, Professor Otto Donner (1902 – 1981), verfasst hatte, feststellte, würden die zu erobernden Gebiete wegen eines Mangels an Importen von Futtermitteln nicht mehr zur Überschussproduktion in der Lage sein, was im Umkehrschluss bedeutete, dass sie zu Zuschussgebieten werden würden, also dem Deutschen Reich wirtschaftlich schaden und nicht nützen würden. Am 2. Mai thematisierte Neumann diese Problematik auch bei einem Gespräch mit Paul Körner und Herbert Backe (1896 – 1947). Backe war sowohl Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft (RMEL) als auch Leiter der Geschäftsgruppe Ernährung in der Vierjahresplanbehörde. Im selben Jahr wurde Neumann stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Kontinentalen Erdöl AG, die die Ölvorkommen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion ausbeuten sollte.
Dann Anfang 1942 die Teilnahme an der Wannseekonferenz: Hier vertrat er die Vierjahresplanbehörde und somit wirtschaftliche und militärische Interessen. Neumanns Befürchtung war, dass die Deportation und Ermordung der Juden auch Zwangsarbeiter in sogenannten „kriegswichtigen“ Betrieben einschließen könnten. Er forderte daher, dass man die jüdischen Zwangsarbeiter aus entsprechenden Betrieben erst deportieren dürfe, wenn entsprechender Ersatz zur Verfügung stünde, womit wohl Zwangsarbeiter aus eroberten Gebieten gemeint waren. Da dies ohnehin der damals aktuellen Vereinbarung zwischen Wirtschaftsrüstungsamt des OKW und Reichssicherheitshauptamt entsprach, machten die von Eichmann am 31. Januar 1942 aufgestellten Deportationsrichtlinien eine Ausnahme für deutsche Juden in Rüstungsbetrieben und Landwirtschaft. In der Tat war es am Ende die Zwangsarbeit in kriegswichtigen Betrieben, die zumindest einige Juden vor der Gaskammer schützte.
Im August 1942 wurde Neumann Generaldirektor des Deutschen Kalisyndikats, weshalb er die Leitung der Geschäftsgruppe Devisen an Ministerialdirigent Friedrich Gramsch (1894 – 1955) abgab. Als 1945 der Zweite Weltkrieg endete und das NS-Regime gestürzt wurde, wurde Neumann verhaftet und interniert, jedoch Anfang 1948 aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Drei Jahre später, am 23. März 1951, starb Erich Neumann in Garmisch-Partenkirchen.
Literatur zu Erich Neumann / Wannseekonferenz / Vierjahresplanbehörde sowie Einzelnachweise
Bärbel Holtz (Bearb./Ed.): Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums 1925-1938/38. Bd. 12/II.: 1925–1938.Olms-Weidmann, Hildesheim 2004,(Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Hg.]: Acta Borussica. Neue Folge.)
Christoph Kreutzmüller: Erich Neumann. Beauftragter für den Vierjahresplan. Ein farbarmer, willfähriger Preuße. In: Hans-Christian Jasch, Christoph Kreutzmüller (Hrsg.): Die Teilnehmer. Die Männer der Wannsee-Konferenz. Berlin : Metropol, 2017, S. 263–276.
Youtube Video über Neumann