Zu den Strafprozessen gegen Angehörige der KZ-Wachmannschaften
Am 23. Juli 2020 ging vor dem Landgericht Hamburg ein Strafprozess zu Ende, der aufgrund der aktuellen Ereignisse in der Corona-Pandemie etwas unterzugehen droht.
Nach derzeitigem Kenntnisstand wurde zwar bis Ende Juli von zwei Vertretern der Nebenklage (Opferanwälte) Revision angekündigt bzw. fristwahrend eingelegt, diese wurde aber bis Anfang August wieder zurückgenommen. Daher ist davon auszugehen, dass das Urteil endgültig rechtskräftig geworden ist.
Dessen ungeachtet, wird bereits jetzt von einem historischen Urteil gesprochen, weil die deutsche Justiz damit erstmals festgestellt hat, dass auch der einfache Wachdienst in den „kleineren“ Lagern (hier das KZ Stutthof) ein Verbrechen gewesen ist. (1)
Auf jeden Fall handelte es sich bei diesem Verfahren um eine der letzten Möglichkeiten zur justiziellen Aufarbeitung der Tätigkeit von Angehörigen der Wachmannschaften (oder vergleichbares Personal) in den Konzentrationslagern. Über 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft läuft nämlich der deutschen Justiz endgültig die Zeit davon.
Im Folgenden sollen drei Aspekte, gleichsam exemplarisch, zumindest etwas näher betrachtet werden:
- Der konkrete Strafprozess im Hinblick auf notwendige Besonderheiten.
- Beispielhaft eine der überlebenden Zeuginnen, die als Nebenklägerin am Prozess beteiligt ist.
- Das Versagen der (bundes-)deutschen Nachkriegsjustiz und -gesetzgebung.
1) Der Prozess vor der Jugendstrafkammer beim Landgericht: Nachweis individueller Schuld und der konkrete Zurechnungszusammenhang
Der Angeklagte, der in Hamburg vor Gericht stand, wurde für Handlungen verurteilt, die im Zusammenhang mit seinem Einsatz als SS-Wachmann ab Spätsommer 1944 bis Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig stehen. (2)
Das KZ Stutthof wurde bereits Anfang September 1939 – zunächst als Gefangenenlager – errichtet und änderte im Verlauf des Weltkrieges seine Funktion und Zuständigkeit: Einerseits als ein typisches Arbeitslager für Zwangsarbeiter, um die NS-Kriegswirtschaft zu unterstützen, andererseits ab Frühjahr 1944 auch und immer stärker als ein echtes Vernichtungslager. (3)
Das Urteil selbst lautet auf zwei Jahre Jugendstrafe (ausgesetzt zur Bewährung) wegen Beihilfe des Mordes in 5.232 Fällen, somit auch entsprechend viele Opfer. Jugendstrafe konnte nur deshalb verhängt werden, da der Angeklagte zu Beginn des Tatzeitraums erst 17 Jahre alt war, so dass nach heute geltenden strafprozessualen Maßstäben zwingend das sog. Jugendstrafrecht angewendet werden musste. Für alle jugendlichen Leser, die noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind: Im Jugendstrafrecht gilt der sog. „Erziehungsgedanke“ als Begründung und Zweck für einen Strafausspruch. Daher gibt es im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht einen ganz anderen Katalog an Sanktionen; Jugendstrafe wird bei Ersttätern eher selten verhängt (klingt paradox bei einem solch monströsen Schuldvorwurf).
Der 1927 geborene Angeklagte (ein typischer Vertreter der sog. Hitlerjugend- bzw. Flakhelfer-Generation) ist bei Verkündung des Urteils allerdings bereits 93 Jahre alt gewesen. Der übliche Sanktionsrahmen im Jugendstrafrecht kommt daher 75 Jahre zu spät zur Anwendung. Nur eine der Merkwürdigkeiten, die aufgrund des meist jugendlichen Alters vieler KZ-Wachmänner zum Ende des Zweiten Weltkrieges, die in den letzten knapp 10 Jahren vor Gericht standen, zu beachten sind.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Beweisaufnahme davon auszugehen ist, dass der Angeklagte selbst keine Tötungshandlungen durchgeführt hat, z. B. durch eigenhändige Erschießung oder Mitwirkung an der Auswahl, welche Gefangenen getötet werden sollten und welche weiterhin Zwangsarbeit verrichten mussten. Er stand also nicht als (Haupt-)Täter im Sinne von § 25 Strafgesetzbuch (StGB) vor Gericht, sondern als sog. „Gehilfe“, § 27 StGB. Es ging „lediglich“ um seinen Dienst auf dem Wachturm – so verwunderlich dies zunächst klingen mag.
Was wurde dem Angeklagten aufgrund seines „Dienstes“ als KZ-Wachmann im Lager Stutthof also konkret vorgeworfen? Die für die Anklageerhebung zuständige Staatsanwaltschaft hat in ihrer umfangreichen Anklageschrift (lt. Medienberichten weit über 70 Seiten) den Angeklagten im Wesentlichen beschuldigt, „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ zu haben. Aufgrund dieser „Unterstützung“ musste er sich wegen Beihilfe verantworten.
Was konnte dem Angeklagten bei Anwendung der üblichen Beweismittel davon aber auch sicher nachgewiesen werden, war er aufgrund seines jugendlichen Alters in einem ausreichenden Maße fähig, das Unrecht der ihm vorgeworfenen kriminellen Handlungen einzusehen bzw. kann im vorliegenden Fall ein sachtypischer Geschehensablauf für den Nachweis der Kausalität strafbarer Handlungen angenommen werden?
Dies sind zunächst generelle Fragen, die bei jedem Strafprozess (auch außerhalb von Jugendstrafverfahren) geprüft werden müssen, wobei der letztgenannte Punkt, die juristische Kausalität von inkriminierter Handlung und dem strafbewehrten „Erfolg“, bei Nazi-Verbrechen nicht nur wegen der damit verbundenen Emotionalität, von besonderem Interesse ist.
Interessant sind daher die konkreten Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft und die Einlassungen des Angeklagten zu den ihm gemachten Vorwürfen, soweit diese bisher veröffentlicht sind. Jetzt soll an dieser Stelle kein strafrechtliches Seminar zum Thema „Täterschaft und Teilnahme“ bzw. zur Autonomie und Handlungsfreiheit des Menschen im Allgemeinen, also der Schnittstelle von Recht, Moral und Philosophie, erfolgen. Hierfür gibt es einschlägige Fachliteratur und Diskussionsforen.
Im konkreten Fall hat sich der Angeklagte insoweit eingelassen, er sei nur deshalb zur Waffen-SS (und dort zu den Wachmannschaften) abgestellt worden, weil er nicht voll wehrdiensttauglich gewesen sei und daher kein regulärer Kampfeinsatz infrage gekommen wäre. Er habe sich demnach also weder selbst zur Waffen-SS gemeldet oder um den Einsatz in einem Konzentrationslager nachgesucht. Diese Einlassungen konnten auch nicht widerlegt werden. Demnach schob der Angeklagte im Wesentlichen nur Wache an den Außenposten des Konzentrationslagers und hätte im Ernstfall auf flüchtende Gefangene schießen müssen. Laut Verteidigung habe der Angeklagte aber tatsächlich niemals von seiner Waffe Gebrauch machen müssen, so dass aus Sicht der Verteidigung der Angeklagte keinem der Gefangenen konkret geschadet habe.
Im Vergleich zum typischen Massenmörder in SS-Uniform scheint der Angeklagte weit weg vom eigentlichen Schrecken des Konzentrationslagers gewesen zu sein. Vielmehr versuchte er eher ein Bild zu vermitteln, die dortigen Verbrechen lediglich „beobachtet“, aber niemals aktiv am Geschehen teilgenommen zu haben.
Eindeutig dagegen stützt sich aber die Anklage für ihren Vorwurf der Unterstützung zur heimtückischen und grausamen Tötung in über 5.000 Fällen im Kern darauf, dass der übliche Wachdienst von Angehörigen einer KZ-Wachmannschaft bereits ausgereicht habe, das menschenverachtende System der Konzentrationslager zu befördern und aufrechtzuerhalten, da die abschreckende Wirkung von Wachposten, insbesondere in der martialischen SS-Uniform, als Teil der Drohkulisse zu gelten habe, mit der die im Lager ankommenden Gefangenen, vor allem Juden, in Schach gehalten worden seien, und die den äußeren Rahmen für die Verbrechen an diesen Menschen gebildet habe. So die äußerst gegensätzliche Ausgangslage: entweder Unschuld vom Lande oder Gehilfe am Massenmord.
Wie bereits angedeutet, fällt es über 75 Jahre nach dem eigentlichen Geschehen schwer, überhaupt noch vorhandene Beweismittel für die Schuldfrage objektiv zu würdigen. Insbesondere die Vorsitzende Richterin der Jugendstrafkammer hat trotzdem immer wieder versucht, die Abläufe im Lager zu ermitteln und vor allem den Angeklagten selbst zu Aussagen zu bewegen. Da aber kein klassisches „Geständnis“ erfolgte, musste das Gericht von typischen Geschehensabläufen ausgehen. Hier konnte sich das Landgericht auf die gewandelte Rechtsauffassung seit dem „Fall Demjanjuk“ vor ca. zehn Jahren stützen (die letztlich auch der Staatsanwaltschaft den Weg zum Ermittlungs- und Anklageverfahren eröffnet hatte).
Seit dem Urteil des Landgerichts München II aus dem Jahre 2011 erfolgte eine deutliche Ausweitung des strafbaren Verhaltens von NS-Gehilfen in den Konzentrationslagern. Nunmehr werden auch Handlungen und damit auch zusätzliche Täter, verfolgt, die vorher über 60 Jahre lang nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sind, also gerade bei den unteren Diensträngen bzw. Mitarbeitern im einfachen Verwaltungsbereich. (4)
Insoweit wird auf die erst seit dem Urteil im Münchner Demjanjuk-Verfahren, das eine Wende in der Rechtsprechung markierte, gefundene Lösung abgestellt, wonach überhaupt wieder ehemalige NS-Täter strafrechtlich verfolgt werden können. Bis dahin hatten die meisten Staatsanwälte bzw. Strafrichter angenommen, dass den SS-Wachmännern und anderen Helfern konkrete Taten im Einzelnen nachgewiesen werden mussten, um sie verurteilen zu können, siehe unten. Da dieser konkrete Nachweis individueller Schuld meist nicht geführt werden konnte (z. B. weil die herkömmlichen Beweismittel nicht ausreichten, da überlebende Zeugen die inzwischen stark gealterten Beschuldigten oft nicht mehr identifizieren konnten oder aus den Unterlagen der KZ-Verwaltungen nicht eindeutig hervorging, welcher SS-Mann für welche Tätigkeiten eingeteilt worden war), musste im Zweifel für die Angeklagten geurteilt werden, sprich Freispruch zweiter Klasse.
Im Ergebnis war dies unbefriedigend, zumindest für die Ermittler, die wirklich an einer Strafverfolgung bzw. Sachaufklärung interessiert waren und nicht lediglich aus Gründen „politischer Landschaftspflege“ so taten, als würden sie dem Recht dienen, aber insgeheim froh waren, dass diese Verfahren im Sande verliefen. Diese Art optischer Täuschung ging über 60 Jahre gut: bis zur Strafsache John Demjanjuk und in der Folge gegen Oskar Gröning. (5)
Seither gilt auch der einfache Wachdienst (und andere untergeordnete Tätigkeiten) von SS-Männern als Unterstützungshandlung (Förderung der Haupttat), vor allem das Wissen der Beteiligten, dass alle im Rahmen der Tötungsmaschinerie auszufüllenden Funktionen mit zuverlässigen, gehorsamen Untergebenen besetzt waren und dies eine reibungslose Umsetzung der Vernichtungsaktionen garantierte; eine Konkretisierung individueller Tatbeiträge einzelner Mitwirkender ist daher rechtlich nicht mehr von Belang. (6)
Trotzdem wurde die Arbeit für die Anklagebehörden, aber auch für die Strafrichter nicht unbedingt einfacher. Die Ausweitung der Strafbarkeit einfacher Bediensteter in den Konzentrationslagern führt z. B. dazu, dass vor Gericht Feststellungen getroffen werden müssen, ob es für solche Bedienstete, die nur untergeordnete („niedere“) Dienste erfüllen mussten, überhaupt vorstellbar und erkennbar war, Teil einer großangelegten Vernichtungsmaschinerie gewesen zu sein.
Wenn z. B. der Angeklagte vorgebracht hat, dass er auf seinem Außenposten so weit weg vom Lagergeschehen war, dass er sich eher wie ein Beobachter, nicht als Akteur vorkam, berührt dies die Frage strafrechtlicher Zurechnung und Verantwortung zumindest insoweit, als ein eindeutiger Funktionszusammenhang zwischen seinem Tun, das wohl im Regelfall rein passiv gewesen ist, und dem übergeordneten Zweck des Lagers und der dort typischen Abläufe hergestellt werden muss.
Dieser „funktionale“ Zusammenhang wird bei Wachmännern wie dem Angeklagten, dem ein aktives Eingreifen und Mitwirken an konkreten Einzeltaten zumindest nicht nachgewiesen werden konnte, gerade noch begründbar sein (unter Beachtung des Wortlauts von § 27 StGB als Maßstab und Begrenzung der zulässigen juristischen Auslegungsmethoden), so dass die seit dem Demjanjuk-Fall entwickelten Kriterien für eine Gehilfenstrafbarkeit auch beim Angeklagten einschlägig sind – was aber sehr von den Feststellungen (Befragungen) in der Hauptverhandlung abhängt, sprich von der Professionalität des Gerichts.
Wer nun aber darauf hofft, in den schriftlichen Urteilsgründen genau nachlesen zu können, was der Angeklagte im Detail ausgesagt hat, wird im Regelfall enttäuscht: § 273 Strafprozessordnung (StPO) bestimmt, dass im Verhandlungsprotokoll der Ablauf und die Ergebnisse der Hauptverhandlung lediglich „im Wesentlichen“ wiedergegeben werden müssen, eine Art Zusammenfassung. Gerade vor den Landgerichten gibt es keine Wortlautprotokolle: weder von den Aussagen der Angeklagten, noch von Zeugenvernehmungen oder mündlichen Ausführungen der Gutachter.
Besonders versierte Vorsitzende Richter haben geradezu eine Kunst entwickelt, ihre Urteile revisionssicher abzufassen, wortgetreue Wiedergabe von Aussagen und Vernehmungen würden da nur stören! (Ein Grund, warum für Laien gerade die höchstrichterlichen Entscheidungen meist völlig unverständlich sind: ein Relikt längst vergangener Zeit, aber nicht ungewöhnlich im deutschen Recht. Gleiches gilt für die Geringschätzung der Schöffen, die oft nur schmückendes Beiwerk darstellen).
Aber wie weit kann die seit der Demjanjuk-Entscheidung zulässige Ausweitung der Gehilfenstrafbarkeit gehen, wenn über Wachmänner hinaus auch andere Lagerbedienstete betrachtet werden (sollen)? Angefangen mit den sog. Funktionshäftlingen („Kapos“). Auch wenn von dieser speziellen Gruppe der Lagerinsassen heute wohl keiner mehr leben bzw. vernehmungsfähig sein dürfte, gab es doch sehr viele dieser „Kapos“, die nicht nur persönlich mit den Aufsehern kooperierten, sondern wissentlich in bestimmte Ablaufstrukturen des KZ-Alltags eingebunden waren (bis hin zu den Besuchen der Lagerbordelle – eine besonders perfide Einrichtung, die unmittelbar auf Heinrich Himmler zurückging: Zwangsprostituierte für Zwangsarbeiter; meist waren „Kapos“ die Begünstigten, aber abkassiert hat die SS).
Auch hier wäre zumindest theoretisch zu überprüfen, ob es sich um solche „Rädchen im Getriebe“ der Vernichtungsmaschinerie der Konzentrationslager gehandelt hat, ohne die derartig komplexe Einrichtungen gar nicht funktionieren konnten. Wie steht es um andere, meist „zivile“ Kräfte, die in das „Alltagsleben“ der Lager eingebunden waren? Krankenschwestern, Küchenpersonal oder Handwerker etc. (bis hin zu den Lokführern und Zugbegleitern der Reichsbahn, die die Transporte quer durch Europa erledigten)? Oder der Fall, in dem es sich um die „kleine Sekretärin“ aus der Lagerverwaltung handelt? (7)
Der Wortlaut des § 27 StGB stößt ab einem gewissen Punkt dieser ausgedehnten Kausalitätskette an seine Grenzen: Dann handelt es sich in einem Rechtsstaat um eine Aufgabe für den Gesetzgeber und nicht mehr um eine zulässige Wahrnehmung richterlicher Kompetenzen im Sinne des Grundsatzes der Gewaltenteilung (zum Versagen des Gesetzgebers s. u.).
Ein solcher Grenzfall, der dann nur noch schwer mit dem Wortlaut des § 27 StGB in Einklang gebracht werden könnte (sonst „unzulässige Analogie“), hat nach den Feststellungen des Landgerichts beim Angeklagten nicht vorgelegen, so dass zumindest im Ergebnis der Ansicht des Hamburger Jugendstrafgerichts gefolgt werden kann und von den Beteiligten auch gefolgt werden sollte, dass der Angeklagte auch durch seinen größtenteils passiven Dienst auf dem Wachturm objektiv Beihilfe zum Massenmord geleistet hat.
Trotzdem mussten aber auch noch andere wesentliche Kriterien für eine Verurteilung des Angeklagten erfüllt worden sein. Hier geht es insbesondere um die Fragen der Rechtfertigung und Schuldfähigkeit.
Im Gegensatz zu vielen anderen Verfahren gegen NS-Verbrecher hat sich der Angeklagte, soweit ersichtlich, nicht auf den sonst oft vorgeschobenen sog. Befehlsnotstand berufen. Dieser wurde als Versuch einer Rechtfertigung genutzt, die Schuld auf Vorgesetzte abzuwälzen („Befehl ist Befehl“ oder aber die Vereidigung der Wehrmachtssoldaten auf Adolf Hitler persönlich). Ein derartiger Rechtfertigungsversuch wäre aber aus Sicht des Angeklagten widersprüchlich gewesen, da er sich ja nur als passiven Beteiligten angesehen hat.
Bedeutsamer für eine Verurteilung war die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten oder ob es ein rechtmäßiges Alternativverhalten gegeben hätte.
Gerade in Jugendgerichtsverfahren kommt es nicht selten vor, dass das jugendliche Alter an sich oder sog. Entwicklungsstörungen bei den Angeklagten die Frage aufwerfen, ob diese eine ausreichende Fähigkeit (und zwar zum Tatzeitpunkt, nicht 75 Jahre später!) besessen haben, das Unrecht und die Tragweite ihres Tuns einzusehen.
Liegt diese Einsichtsfähigkeit nicht vor, kann nach deutschem Recht keine Verurteilung erfolgen, zumindest im Grundsatz (von Sonderfällen, wie die Vorverlagerung der Schuld, „actio libera in causa“, abgesehen, wie bei der sog. Rauschtat, was aber in der Praxis nur bei Erwachsenen vorliegen wird). Im Falle von Minderjährigen sind die hierfür einschlägigen Schutzvorschriften zwingend anzuwenden. Bei unter 14-Jährigen geht der Gesetzgeber von einer völligen Schuldunfähigkeit aus, so dass dies für die Ermittlungsbehörden sogar ein Anklage- bzw. Prozesshindernis darstellt. Für „Jugendliche“ (14 bis unter 18 Jahre alt) gibt es bereits seit fast 100 Jahre ein eigenes Gesetz, das auf die speziellen Besonderheiten eingeht: das Jugendgerichtsgesetz, JGG. (8)
Um die Frage der Einsichtsfähigkeit, die nach § 3 JGG einen zentralen Platz im Verfahren gegen Jugendliche einnimmt, klären zu können, hat die Jugendstrafkammer des Landgerichts Hamburg im Juni 2020 ein psychiatrisches Gutachten einholen lassen und dies in den Prozess eingeführt. Der Sachverständige hat in seinen mündlichen Erläuterungen ein Bild des Angeklagten als Einzelgänger gezeichnet, der Konflikten aus dem Weg gegangen sei und bereits zuhause gelernt hatte zu gehorchen. Auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin an den Sachverständigen, ob dieser Zweifel habe, dass der Angeklagte nicht erkannt hätte, dass im KZ Stutthof Verbrechen stattfanden, wurde dies vom Gutachter eindeutig beantwortet: Der Angeklagte besaß ausreichende Kenntnisse über die KZ-Verbrechen. Allerdings konnte er keine eindeutige Antwort geben, ob sich der Angeklagte bewusst gewesen sei, dass auch sein (individueller) Dienst auf dem Wachturm Teil des Unrechts war. Ob sich der Angeklagte mit solchen Gedanken überhaupt beschäftigt habe, bleibe unklar. (9)
Gerade bei solch strittigen Punkten traten beim Angeklagten große Erinnerungslücken auf; sicher der sehr langen Zeitspanne geschuldet, aber auch zum Selbstschutz (was dann ins Bild des Gutachters vom konfliktscheuen Einzelgänger passt). Zumindest im Ergebnis führte die jugendpsychiatrische Begutachtung nicht zu einem Ausschluss der Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 3 JGG, so dass insoweit auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit festgestellt werden kann.
Dann wurde allerdings vor Gericht auch die Frage aufgeworfen, ob der Angeklagte die Möglichkeit hatte, sich aus dem KZ Stutthof weg versetzen zu lassen, um zu vermeiden, dass er an den SS-Verbrechen irgendwie beteiligt werden würde. Hier geht es um den Ausschluss strafrechtlicher Zurechnung und Verantwortung in den Fällen, wenn selbst ein rechtmäßiges Alternativverhalten den Eintritt des „strafrechtlichen Erfolges“ nicht verhindert hätte. Letztlich geht es um den Einwand, was hätte der Angeklagte als ganz kleines Licht im gesamten Lagergeschehen anders machen können, um das ihm nun vorgeworfene Unrecht zu verhindern.
Im Demjanjuk-Prozess wurde dem damaligen Angeklagten, der ja selbst zunächst Kriegsgefangener war, bevor er sich „freiwillig“ als SS-Helfer zum Lagerdienst gemeldet hatte, vorgehalten, er habe versuchen können (und dann als eine Art Pflicht auch müssen), aus dem Konzentrationslager zu fliehen. Auch wenn ihn dies selbst der Todesgefahr ausgesetzt hätte, sei es ihm zumutbar gewesen, denn er hätte ja Glück haben können, einen Fluchtversuch zu überleben. Eine sehr konstruierte Sicht, zumal es psychologisch kaum vermittelbar ist, ein solches Risiko eingehen zu müssen, um ein anderes Risiko zu vermeiden.
Derartige Situationen stellen ein klassisches Dilemma dar, umgangssprachlich die Wahl zwischen Skylla und Charybdis (10) oder zwischen Pest und Cholera. In solchen Fällen ist der Betroffene gezwungen, zwischen zwei Gefahren wählen zu müssen, ohne wirklich sicher verhindern zu können, aus dieser Situation ohne Schaden (Rechtsgutverletzung) herauszukommen. Gleiches trifft auf die Konstellation der „Pflichtenkollision“ zu: Wenn eine Person, der eine Garantenstellung zukommt, objektiv nicht in der Lage ist, mehrere gleichrangige Rechtsgüter zu schützen, gleich welche Wahl derjenige trifft, er wird Opfer in Kauf nehmen müssen. (11)
Man sieht auch daran, dass es bestimmte ethisch-moralische Problemstellungen gibt, für die die Rechtsordnung lediglich skizzenhafte Lösungen und Verhaltensanweisungen vorgibt. Wenn ein Angeklagter auf eine derartige Problemstellung hinweist, muss das Gericht dem zumindest nachgehen.
Im Falle des Angeklagten ging es um die Möglichkeit, dass er um Versetzung aus dem Lager Stutthof hätte nachfragen können, um dem dortigen Wachdienst zu entgehen. War eine solche Möglichkeit aber tatsächlich gegeben bzw. realistisch? Eine „allgemeine Dienstanweisung“, wonach jeder Versetzungsantrag wohlwollend zu prüfen sei, hat es weder bei der Wehrmacht noch bei der Waffen-SS gegeben und wäre zur Zeit des Weltkriegs auch völlig unrealistisch gewesen.
Dabei kommt es natürlich auch auf die konkreten Umstände beim Angeklagten an: Immerhin war der vor Gericht nicht widerlegte Grund für die Einteilung des Angeklagten zum Wachdienst bei der SS, dass er nicht voll kriegstauglich gewesen ist. Hätte er dann kurze Zeit später doch auf einen regulären Fronteinsatz bestehen sollen, obwohl die medizinischen Befunde anders lauteten? Eine bloße Versetzung in ein anderes Konzentrationslager hätte das Grundproblem ja auch nicht beseitigt, denn es hat bekanntlich in keinem KZ wirklich „anständige“ Jobs gegeben.
Und selbst wenn man diese eher formale Betrachtung beiseite lässt, welche Auswirkungen hätte ein solcher Antrag auf Versetzung haben können? Im Gesamtzusammenhang mit dem Kriegsgeschehen ab Mitte 1944 wird man nicht davon ausgehen können, dass ein Versetzungsantrag des damals 17-Jährigen Angeklagten tatsächlich sein Dilemma zufriedenstellend gelöst hätte.
Im ungünstigsten Fall wäre ein solcher Versetzungsantrag nicht nur abgelehnt worden, sondern er hätte mit gravierenden negativen Folgen rechnen müssen, bis hin zu einem militärgerichtlichen Verfahren. Wer die damaligen Militärgerichte kennt, weiß, dass dort keine rechtsstaatlichen Maßstäbe gegolten haben (keine unabhängige Ermittlung, meist keine Möglichkeit, einen Anwalt selbst wählen zu können und viele andere Einschränkungen).
Dies ist nicht bloß „graue Theorie“, sondern 1944/45 wurden sogar hohe Offiziere wegen defätistischer Äußerungen vor Kriegsgerichte gestellt (nach dem 20. Juli 1944 reichten Kleinigkeiten für Disziplinarverfahren aus; die „NS-Führungsoffiziere“ warteten nur auf solche Gelegenheiten). Dann hätte auch die Gefahr bestanden, dass seine Familie ebenfalls belastet oder gar von den „Sicherheitsbehörden“ (allen voran die Gestapo) verfolgt worden wäre. (Stichwort „Sippenhaft“).
All dies müsste bei dem Einwand, der Angeklagte hätte theoretisch um Versetzung aus dem KZ Stutthof nachfragen können, bedacht werden. Da sich aber der Angeklagte offensichtlich nicht mit derartigen Fragen beschäftigte, sonst wäre bei der peniblen Bürokratie, die in den Lagern herrschte, ein entsprechender Vorgang aktenkundig geworden, geht es also nur um eine hypothetische Frage. Aber für den Prozess vor der Jugendstrafkammer ist es doch von einigem Interesse, dass zur Frage, ob eine Versetzung aus einem KZ zumindest dem Grunde nach möglich gewesen wäre, ebenfalls ein Sachverständiger hinzugezogen wurde, der hierzu ein Gutachten erstellte.
Danach hat es (zumindest theoretisch) durchaus derartige Fälle gegeben; allerdings wenige Einzelfälle. Jedoch gab es für Angehörige der KZ-Wachmannschaften keinen eventuell auch einklagbaren Rechtsanspruch auf eine gewünschte Versetzung, wie es heute in der Verwaltungspraxis im Öffentlichen Dienst durchaus üblich ist. Dies wird dann meist unter „Fürsorgepflicht“ des Dienstherrn subsumiert. Eine solche gab es natürlich in der NS-Zeit überhaupt nicht; weder vor 1939 noch während des Zweiten Weltkrieges: Derartige Einzelfälle wurden eher „informell“ geregelt, so dass es durchaus fraglich ist, ob insoweit eine Verallgemeinerung in Bezug auf die Person des Angeklagten erfolgen kann.
Solange das schriftliche Gutachten des Sachverständigen nicht zugänglich ist, können dessen Ausführungen daher auch nur bruchstückhaft eingeordnet werden. Insoweit kann man den Unwillen des Angeklagten (zumindest teilweise) nachvollziehen, weil er davon ausgeht, dass ihm nach über 75 Jahren einfach unterstellt wird, er hätte ja 1944 eine rechtmäßige Alternative zum „Dienst“ im KZ Stutthof wählen können, die er dann zumindest fahrlässig (keine Gedanken gemacht) ausgeschlagen habe: Nach so langer Zeit tatsächlich auch nur schwer zu begreifen. Dies hängt natürlich auch mit einer weiteren psychologischen Grundausrichtung zusammen: Sofern sich nämlich der Angeklagte mit anderen Angehörigen des Jahrgangs 1927 bzw. seines unmittelbaren Umfeldes vergleicht.
Klassenkameraden o. ä., die zur „einfachen“ Wehrmacht eingezogen wurden, sind wegen ihres Einsatzes an der Front niemals strafrechtlich belangt worden (obwohl sie Teil eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gewesen sind). Selbst Kameraden, die ebenfalls zur Waffen-SS eingezogen wurden, aber keinen Dienst in einem KZ erfüllen mussten, kamen ungeschoren davon.
Da es eine typisch menschliche Angewohnheit ist, sich mit anderen zu vergleichen, soll auch hier wenigstens an zwei prominenten Vertretern des Jahrgangs 1927 ein derartiger Vergleich angedeutet werden: Günter Grass und Joachim Fuchsberger.
Grass, bekanntlich 1999 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, über 50 Jahre als Intellektueller eine Ikone im linken Lager, prominenter Wahlkämpfer für Willy Brandt, hat über 60 Jahre seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS größtenteils verschwiegen bzw. sich einfach nur geschämt.
Erst 2006 ging er mit diesem Teil seiner Vergangenheit an die Öffentlichkeit und musste den zu erwartenden Shitstorm ertragen. Wobei sein Rechtfertigungsversuch auch etwas lächerlich klingt: Als Ladeschütze in einem Panzer-Regiment der SS sei er nur mit dem Nachladen, nicht aber mit dem aktiven Schießen betraut gewesen. Das klingt schon in gewisser Weise nach der Einlassung des Angeklagten, er habe sich auf dem Wachturm in Stutthof nur als Beobachter gefühlt.
Fuchsberger, ab den späten 1950er Jahren ein bekannter Schauspieler und danach beliebter Fernsehmoderator, wäre aufgrund seiner äußeren Erscheinung geradezu die ideale Verkörperung eines SS-Mannes gewesen. Es war lediglich dem zufälligen Umstand geschuldet, dass er wegen seiner sportlichen Fähigkeiten als Nachwuchsausbilder bei der Wehrmacht begehrt war, so dass ihm eine zwangsweise Verpflichtung bei der Waffen-SS erspart geblieben ist. Es hätte auch anders verlaufen können: Ein 17-Jähriger hatte 1944 (außer durch Beziehungen) keine Einflussmöglichkeiten, wo er von den verbrecherischen NS-Dienststellen zum Zwecke des Kriegseinsatzes hingeschickt wurde. Es sind etliche Fälle bekannt, in denen ursprüngliche Wehrmachtseinheiten über Nacht zur Waffen-SS eingeteilt wurden und deren Uniformen tragen mussten. Wer hätte dagegen erfolgreich protestieren sollen? Daher ja auch die Scham einer ganzen Generation. (12)
Wobei ein Grund für diese Scham natürlich auch die geradezu verinnerlichte Kriegsbegeisterung vieler Jugendlicher (Teenager) im Zweiten Weltkrieg gewesen ist. Diese Kriegsbegeisterung wurde natürlich bereits schon vor 1939 von den Nazis geschürt und mit Beginn des Weltkriegs geradezu zum Selbstzweck der gesamten Erziehung der damaligen Kinder und Jugendlichen.
Doch auch in der Generation direkt vor dem Angeklagten gab es gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges einen Überschwang jugendlicher Begeisterung für die Teilnahme am Krieg. Der Mythos von der „Schlacht bei Langemarck“ (am 10.11.1914 gingen mehrere Tausend kriegsfreiwillige Oberschüler, „Gymnasiasten“, schlecht ausgerüstet, ohne jede Erfahrung, dafür aber angeblich mit dem Deutschlandlied auf den Lippen, in Flandern in den Tod) wurde schon vor den Nazis in rechtsradikalen Kreisen aufrechterhalten, dann aber durch die NS-Propaganda noch einmal befeuert. Kinder und Jugendliche sind nun einmal besonders leicht zu manipulieren!
Für den Angeklagten und seine Altersgenossen findet daher durchaus das Wort des Philosophen Adorno Anwendung: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Denn egal welche Option ein Teenager wie der Angeklagte vorgezogen hätte:
Entweder eigenes Todesrisiko an der Front bzw. Verstrickung in Verbrechen der Wehrmacht oder Dienst als Wachmann o.ä., um dann über 70 Jahre später dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, Teil einer menschenverachtenden Tötungsmaschinerie gewesen zu sein, der er sich als „kleines Rädchen“ im Alltag seines Wachdienstes faktisch gar nicht entziehen konnte.
Wenn daher der Angeklagte nicht wirklich in der Lage gewesen ist, das ihm im Strafprozess vorgeworfene Unrecht einzusehen, insbesondere weil ihm der emotionale und kognitive Zugang zum damaligen Lagergeschehen fehlt (oder vielleicht nur zum Teil möglich ist), kann man ihn auch als einen typischen Vertreter seiner Generation bezeichnen und er fühlte sich jetzt im Prozess gleichsam als „Stellvertreter“ für alle anderen seines Jahrgangs, die sich nicht mehr strafrechtlich verantworten mussten.
Spätestens an diesem Punkt stellt sich die Erkenntnis oder wenigstens die Ahnung ein, dass auch eine Jugendstrafkammer mit ihren besonderen Vorgaben und Kenntnissen bei Befragung von jugendlichen Angeklagten und der Berücksichtigung jugendpsychiatrischer Begutachtung an ihre Grenzen stößt.
Ob sich für den Angeklagten in der ihm noch verbleibenden Lebenszeit etwas an seiner Wahrnehmung und Bewertung der Geschehnisse vor über 75 Jahren ändern wird, kann kein Richter voraussehen. Die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung kann man daher auch als eine Art Kredit (Vorschuss) des Gerichts bewerten, dass der Angeklagte zum Ende seines Lebens eventuell doch das Bedürfnis nach Sühne empfinden mag.
Seinen Kindern und Enkeln, die ihn vor Gericht „moralisch“ zu unterstützen suchten, kann vielleicht ein Hinweis auf das Alte Testament helfen, mit dem Strafprozess gegen den Vater und Großvater abzuschließen und diesen Teil der Vergangenheit in der eigenen Familie zu bewältigen. Im 2. Buch Mose (Exodus), Kapitel 34, Vers 7, wird der Umfang der Strafgewalt des Gottes Israel beschrieben: „ … aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied.“ Zitiert nach der traditionellen Bibelübersetzung Luthers.
Da aber der Angeklagte die (wahrscheinlich unverdiente) Gnade erhalten hat, noch im biblischen Alter von 93 Jahren in eigener Person Gelegenheit zur Sühne zu bekommen, hat er seine Nachfahren immerhin von dieser schweren Bürde befreit. Obwohl dieser Strafprozess an einigen Stellen die Grenzen irdischer Gerichtsbarkeit aufgezeigt hat, bietet er dem Angeklagten doch auch Gelegenheit, sich „den letzten Dingen“ zu stellen.
2) Noch lebende Zeugen als Nebenkläger, exemplarisch Judy Meisel
Um ein Wort von Elie Wiesel (Schriftsteller, Philosoph und Friedensnobelpreisträger, Überlebender der Lager Auschwitz und Buchenwald) leicht abzuwandeln: Nicht die Mörder, die Opfer sind mein Problem. Daher soll hier auf diese besondere Gruppe von Prozessbeteiligten etwas näher eingegangen werden: noch lebende Opfer als Zeugen bzw. Nebenkläger. Zumindest in einem Punkt teilen Täter und Opfer das gleiche Los: Aufgrund des hohen Alters wird es demnächst keine (über-)lebenden Personen mehr geben, weder als Zeitzeugen für Aussagen vor Gericht oder anderen Institutionen noch als Angeklagte bzw. Verantwortliche.
Im Gegensatz zu NS-Strafverfahren in früheren Jahrzehnten werden in den letzten Jahren bei Prozessen gegen KZ-Wachmänner relativ viele Opfer als Zeugen vor Gericht geladen (soweit es ihnen gesundheitlich möglich ist, nehmen diese ihre Zeugenpflichten persönlich wahr oder lassen sich zumindest anwaltlich vertreten). Aufgrund der ungeheuerlichen Zahlen und des Ausmaßes der Verbrechen ist es sicher legitim, wenn die deutsche Justiz den Opfern ausreichend Gehör schenkt (wird ja auch mal Zeit, könnte man meinen). Insbesondere wenn, ebenfalls aus guten Gründen, auf die Befragung der jeweiligen Angeklagten viel Zeit und Energie vor allem durch die Vorsitzenden Richter/innen aufgewandt wird, ist es ein Gebot rechtsstaatlicher Grundsätze, auch die Sicht der Opfer umfassend zu hören und zu würdigen. (13)
Auch wenn viele der hochgesteckten Erwartungen der Opfer und ihrer Hinterbliebenen nicht erfüllt werden, auch gar nicht erfüllt werden können (in diesem Punkt gibt es unverkennbare Parallelen z. B. zum NSU-Prozess), da dies die Verfahrensvorschriften (Strafprozessordnung, Gerichtsverfassungsgesetz usw.) nicht vorsehen und die Ressourcen in der Strafgerichtsbarkeit auch beschränkt sind, so dass sehr oft (zu oft?) aus Gründen sog. Prozessökonomie bestimmte Tatkomplexe gar nicht verhandelt werden oder im Wege der sog. Gesamtstrafenbildung untergehen.
Dennoch entspricht es dem Wesen eines Prozesses als Interaktion, dass während einer Verhandlung überraschende Wendungen eintreten oder menschliche Gesten entstehen können. So war es für viele Zeugen im Prozess gegen Oskar Gröning im Jahre 2015 ein besonderes Ereignis, als sich der Angeklagte nicht nur zu seinen Fehlern bekannt, sondern auch die Opfer um Verzeihung gebeten hatte.
Ähnliches haben sich im aktuellen Stutthof-Prozess wohl auch einige Opfer bzw. deren Anwälte erhofft; diese Hoffnung hat sich nur teilweise erfüllt. Viele hatten auf eine Art Altersweisheit beim Angeklagten gehofft, im Prozess tatsächlich erlebt haben sie eher eine Art Alterssturheit bzw. gerontologische Bockbeinigkeit. Für eine Jugendrichterin sicher auch keine alltäglich Erfahrung (normalerweise bekommen Jugendrichter eher adoleszente Trotzigkeit zu spüren). Die zum Schluss der Verhandlung abgegebene persönliche Erklärung des Angeklagten war nur bedingt geeignet, zu einer späten Versöhnung mit den Opfern und Hinterbliebenen beizutragen.
Zu denjenigen Zeuginnen bzw. Nebenklägerinnen, die auch am aktuellen Verfahren beteiligt waren und auf ein Zeichen der Reue des Angeklagten hofften, zählt auch Frau Judy Meisel, die seit Ende des Krieges in den USA lebt. Sie konnte zwar mit nunmehr knapp 91 Jahren die Reisestrapazen nicht mehr auf sich nehmen, war aber auch schon vor dem aktuellen Verfahren bei anderen NS-Prozessen als Zeugin aufgetreten. 2020 hat sie sich durch ihren Enkelsohn vertreten lassen.
Geboren 1929 im damals selbständigen Litauen, das in konsequenter Anwendung des Hitler-Stalin-Abkommens vom August 1939 (wenige Tage vor Ausbruch des 2. Weltkrieges geschlossen, um die Einflusssphären und Gebietsgewinne aufzuteilen) zunächst von Rotarmisten besetzt wurde, um dann umgehend nach dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion im Juni 1941 von deutschen Soldaten und Angehörigen der SS eingenommen zu werden.
Judy Meisel stammte aus einer säkularen jüdischen Familie und musste nach der deutschen Besetzung zunächst in ein „typisches Ghetto“ und wurde dann zusammen mit Schwester und Mutter erst nach Auschwitz und später ins KZ Stutthof deportiert. Am 21. November 1944 stand sie bereits bei ihrer Mutter in der Schlange vor dem Gebäude, in dem die Gaskammer und das Krematorium lagen, als ein Aufseher sie zu sich rief und damit eher zufällig vor dem Tod rettete, denn ihre Mutter blieb in der Schlange der Wartenden und wurde kurz darauf getötet. Logisch lässt sich ein derartiger Kausalverlauf sicher nicht erklären, genauso wenig, warum ihre Schwester im Lager schwer erkrankte, sie aber nicht.
Nach 1945 kam Judy Meisel über Skandinavien in die USA, heiratete und lebte (zumindest nach außen) ein normales Leben mit Kindern und Enkeln. Sie sah es aber als Verpflichtung und Chance an, wie andere Überlebende des Holocausts, über ihre Erlebnisse in den Lagern zu berichten und besonders die jüngeren Generationen zu informieren. (14)
Hinzu kommt bei Judy Meisel aber noch ein anderer Antrieb, nämlich ihre besonderen Erfahrungen mit der Rassentrennung in den USA der 1950er und 1960er Jahre.
Auf ihrer Homepage findet sich folgende Beschreibung:
„When I saw a mob of people hunting a family that moved into a neighborhood that was all white, written on the house, ‚N- go home,‘ that to me was repeating the Holocaust all over.“ (Judy Meisel) Das „N-Wort“ bedeutet nicht die, zumindest im Deutschen, scheinbar harmlosere Variante „Neger“, sondern die besonders in den Südstaaten auch heute noch gebräuchliche besonders rassistische Abwertung.
Diese persönliche Erfahrung Judy Meisels kann wohl durchaus als traumatisch bewertet werden, zumindest hat es ihren Ansporn, sich gegen Rassismus und Gewalt zu engagieren, bis ins hohe Alter aufrecht erhalten.
Dies soll an dieser Stelle erwähnt und darauf hingewiesen werden, dass sich das Engagement in der Bürgerrechtsbewegung der USA auch heute noch nicht erledigt hat: Nicht nur am 25. Mai 2020 hat es brutale Übergriffe von Polizisten gegen Farbige oder andere Minderheiten in den USA gegeben; dieses Problem existiert dort seit mindestens 200 Jahren. Aber auch bei uns in Deutschland wird dieses Thema, meist unter dem Stichwort „racial profiling“, diskutiert und deutet auf einen wunden Punkt: Sind es lediglich Einzelfälle oder handelt es sich um ein strukturelles, institutionelles Problem? Als Überlebende des Holocausts ist dieses Engagement Judy Meisels sicher besonders zu würdigen.
Aus diesem Grund ist auch ihr Enkel, Ben Cohen, schon seit Jahren z. B. mit Interviews in deutschen Medien bemüht, die besondere Lebensgeschichte seiner Großmutter zu bewahren und an ihre Anliegen zu erinnern. (15)
Im aktuellen Stutthof-Prozess hatte sich Judy Meisel juristisch von einem bekannten Strafrechtsprofessor gerichtlich vertreten lassen. In diesem Zusammenhang ein kurzes Zitat:
Cornelius Nestler, der die Überlebende Judy Meisel vertritt, verlas eine Erklärung im Namen seiner Mandantin. „Sie sieht die schwierige Situation, in der der Angeklagte als 17-Jähriger war“, sagte Nestler, „aber Stutthof war der organisierte Massenmord durch die SS, ermöglicht durch die Mithilfe der Wach-männer.“ Meisel hoffe, dass Bruno D. bereit sei, in einen Dialog einzutreten und sich seiner Verantwortung zu stellen. „Stutthof war ein Ort, an man nicht mitmachen durfte.“ (16)
Der von ihr erhoffte Dialog hat sich aber nicht entwickelt, worauf auch ihr Enkel mit einem gewissen Bedauern hingewiesen hat. Insoweit muss auch Judy Meisel, wie die anderen noch lebenden Stutthof-Opfer, mit dem Unbehagen leben, der Angeklagte habe sich letztlich doch nur vor seiner Verantwortung gedrückt.
Weniger vor der juristischen Verantwortung (keiner der Nebenkläger wird die speziellen Besonderheiten in diesem Jugendgerichtsverfahren begreifen, da gerade in den USA ganz andere Maßstäbe gelten; dort können sogar 14 -17-Jährige in bestimmten Bundesstaaten zu lebenslanger Haft verurteilt werden), sondern vor der menschlichen Verantwortung: jenseits des Strafgesetzbuches.
Ob Judy Meisel, ebenso wie die anderen Zeugen in Hamburg, das gefällte Urteil im Detail verstehen wird, hängt auch vom Geschick ihres juristischen Beistands ab, dies zu vermitteln. Das Urteil selbst stützt sich auf das Ergebnis der Beweisaufnahme. Gemäß § 261 StPO gilt der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung: Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. Auf die Besonderheit des § 273 StPO wurde bereits hingewiesen.
Für die Nebenkläger als juristische Laien, vor allem wenn diese aus einem anderen Rechtskreis stammen, wird sich erst nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe tatsächlich weisen, ob sie mit dem Ergebnis dieser Entscheidung leben können.
3) Das Versagen der (bundes-)deutschen Nachkriegsjustiz und -gesetzgebung
Im vorliegenden Beitrag wurde bisher mehrfach auf „Eigentümlichkeiten“ der Justiz hingewiesen. Wobei noch einmal die sachtypisch begrenzte Funktion eines Strafprozesses betont werden muss: Juristen beschäftigen sich mit anderen Fragestellungen, Themen und Problemen als z. B. Historiker. Wenn z. B. der renommierte britische Fachmann Ian Kershaw bei der Beschäftigung mit dem Thema „Nationalsozialismus“ die These vertritt, es sei hierbei unmöglich, kein moralisches Urteil zu fällen, unterstreicht dies die teils völlig unterschiedliche Bewertung ein und desselben Sachverhalts je nach professioneller Methodik.
Die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, wie z. B. solche im Jugendstrafrecht, als wesentlicher Bestandteil eines rechtsstaatlichen Verfahrens kann dann auch dazu führen, dass Sachverhalte, die zwar „historisch“ brisant und auch relevant sein können, „rein juristisch“ unbeachtlich bleiben oder bei der Strafzumessung untergehen.
Gerade die „Formalisierung“ juristischer Verfahren dient der Objektivierung mit dem Ziel (manchmal auch bloß der Hoffnung), die vom Gesetzgeber bestimmten Rechtsgüter zu schützen: Spätestens seit Aristoteles gilt die Prämisse, dass jedes Gesetz und jeder Richterspruch der Umsetzung der Rechtsidee zu gelten habe; soweit die Theorie. In der Praxis kommt es dann allerdings oft genug zu Zielkonflikten (Rechtssicherheit gegen Einzelfallgerechtigkeit oder wie hier: Jugendschutz limitiert die strafrechtliche Zurechnung und damit auch den Umfang der Bestrafung).
Die traditionellen Versuche, „Gerechtigkeit“ zu definieren, gleichsam in Fallgruppen einzuteilen, hat seit der Antike zur Unterscheidung zwischen ausgleichender und austeilender Gerechtigkeit (iustitia commutativa und distributiva) geführt. Unter die austeilende Gerechtigkeit fällt dann auch der staatliche Strafanspruch, der nach einer langen Entwicklung – vom archaischen Rache- und Fehdegedanken – zur modernen Strafjustiz geführt hat. Solche Entwicklungen nehmen erfahrungsgemäß Zeit in Anspruch, nicht jedes Gesetz erfüllt seinen Zweck oder aber es sind Lücken und Schlupflöcher vorhanden. Dann bedarf es wiederum gesetzgeberischer Maßnahmen, solche als „unbillig“ erkannten Schlupflöcher zu schließen.
Allerdings hat es eine ganz andere Dimension, wenn ein Rechtssystem jahrzehntelang überhaupt nicht reagiert und das historische Geschehen völlig ignoriert. Bis zur o. g. Demjanjuk-Entscheidung trug die bundesdeutsche Strafjustiz gleichsam Scheuklappen beim Umgang mit den einfachen/normalen Angehörigen von KZ-Wachmannschaften und sonstiger Lagerbediensteter. Diese speziellen Scheuklappen sind nicht mit der sonst üblichen Augenbinde Justitias zu verwechseln, denn diese soll (theoretisch) unparteiisch sein.
Erst mit den Urteilen der Landgerichte München (Demjanjuk) und Lüneburg (Gröning), welches dann 2016 vom Bundesgerichtshof (BGH) bestätigt wurde, erfolgte eine Neubewertung der Gesamtzusammenhänge. Diese wurde dann mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln juristischer Methodik umgesetzt, wobei nicht immer deutlich wird, wo die klassische Auslegung gesetzlicher Tatbestandsmerkmale aufhört und Rechtsschöpfung beginnt: Die jeden Jurastudenten umtreibenden Fragen der Hermeneutik und des richterlichen Vorverständnisses treten dabei offen zu Tage.
Die Nichtverfolgung von SS-Wachmännern bis dahin war aber kein Ausdruck von Unparteilichkeit, sondern vielmehr eine bewusste Entscheidung, ganze Tätergruppen in Ruhe zu lassen. Ausgangspunkt war u. a. eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1969 (Az. 2 StR 280/67), wonach jedem einzelnen Beschuldigten ein konkreter Tatbeitrag zu einer Tötung nachgewiesen werden müsse, nur dann sei eine Verurteilung möglich. Es waren also individuelle Tatnachweise notwendig: Eine „Irgendwie“-Tätigkeit war nicht ausreichend.
Die Folge dieser alten Rechtsprechung war, dass in der Bundesrepublik Deutschland von ehemals ca. 7.500 Aufsehern von Konzentrationslagern bis zum Urteil über Demjanjuk gerade mal 29 rechtskräftig verurteilt wurden bzw. verurteilt werden konnten (die Staatsanwaltschaften unterließen jahrzehntelang die Einleitung konkreter Ermittlungsverfahren, allenfalls wurden unverbindliche Vernehmungen durchgeführt).
Nach der Logik der o. g. BGH-Entscheidung wurden z. B. die Vorgesetzten von Demjanjuk im KZ Sobibor, die ganz offensichtlich deutlich mehr Schuld auf sich geladen hatten als der „kleine“ hilfswillige Ukrainer, teilweise sogar freigesprochen, weil keine substantiierte Zurechnung einzelner Taten möglich gewesen ist.
Doch war es lediglich die freundliche Unterstützung der Justiz, die über ein halbes Jahrhundert viele Täter vor strafrechtlicher Verfolgung bewahrt hatte? Eindeutig nein. Betrachtet man nur die alte Bundesrepublik nach 1949, dann hat es eine Gemengelage verschiedener politischer Interessen gegeben, die mit massiver Unterstützung der beteiligten Ministerialbürokratie problemlos dazu führen konnte, dass noch bis Ende der 1960er Jahre der berühmte Mantel des kollektiven Schweigens und Vergessens über eine ganze Generation gelegt wurde. Wer diesen Mantel lüften wollte, galt gleich als Nestbeschmutzer bzw. fünfte Kolonne Ost-Berlins und Moskaus. Exemplarisch sei hier nur der damalige Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, genannt. Dabei standen auch die Bemühungen um umfangreiche Aufklärung und Verfolgung von NS-Verbrechen in der ehemaligen DDR unter dem Vorbehalt politischer Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit.
Allerdings gab es in Westdeutschland ganz andere Netzwerke und Einflussmöglichkeiten für alte Nazis und ihre Gesinnungsfreunde, ab 1949 (und auch schon kurz vorher) nahezu zwei Jahrzehnte auf die bundesdeutsche Politik (und Politiker) massiv einzuwirken. Exemplarisch seien nur die Namen Hans Globke und Eduard Dreher genannt. (17)
Alt-Nazis, die ihre einflussreichen Stellungen im Kanzleramt bzw. Bundesjustizministerium geschickt zu nutzen wussten. Der eine, um z. B. Ermittlungen gegen Adolf Eichmann in Deutschland zu sabotieren, der andere durch trickreiche Gesetzesvorlagen („Verjährungsskandal“ von 1968, als in einer völlig unscheinbaren Passage im Text zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten plötzlich die Verjährungsfrist für die Gehilfenstrafbarkeit rückwirkend verkürzt wurde, so dass auf einmal ab 1960 alle Beihilfetaten zu NS-Verbrechen verjährt waren. Nachdem der Bundestag, dessen große Koalition dieses Änderungsgesetz ohne zu zögern beschlossen hatte, diese äußerst peinliche Begünstigung für Alt-Nazis endlich bemerkt hatte, musste mit einem erneuten Gesetz die alte Verjährungsfrist für Beihilfe wieder eingeführt werden; verantwortlich für diesen Skandal war Dreher, der noch lange Zeit danach als Autor eines bekannten Kommentars zum Strafgesetzbuch weiter wirkte).
Wäre das falsche Spiel von Dreher nicht aufgeflogen und rechtzeitig korrigiert worden, hätte der Einwand der Verjährung auch das Stutthof-Verfahren in 2020 (wie viele andere in den letzten 10 Jahren auch) von vorne herein verhindern können.
Doch neben den beiden genannten Personen hat es noch viele weitere heimliche Unterstützer eines außerordentlich milden Umgangs mit ehemaligen Helfern und Helfershelfern aus der NS-Zeit gegeben. Besonders in Justiz, dort bei vielen Oberlandesgerichten bzw. beim BGH, und einschlägigen Verwaltungsbehörden, obere Landes- und Bundesbehörden.
Diese Einstellung wurde besonders bei der Strafjustiz auch dadurch erleichtert, dass für die Verfolgung von NS-Verbrechen die allgemeinen Straftatbestände angewandt wurden, eine spezielle gesetzliche Regelung zur Strafverfolgung und Aburteilung von NS-Verbrechen hat es in der bundesdeutschen Justiz nach 1949 nicht gegeben. (18)
Die zuvor durchgeführten Nürnberger Prozesse beruhten auf dem Internationalen Militärstatut der Siegermächte, nach deren Abschluss und der Übertragung der Zuständigkeit auf deutsche Behörden und Gerichte galt das herkömmliche deutsche Recht. Natürlich hätten die West-Alliierten – besonders im Rahmen der Beratungen zum Grundgesetz – Einfluss auf die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen nehmen können. Dies wurde unterlassen, nicht zuletzt, um die innenpolitische Entwicklung der jungen Bundesrepublik nicht zu belasten.
Da aber auch die Adenauerregierungen keine Anstalten machten, effektiv gegen Alt-Nazis vorzugehen, konnte sich sehr schnell die Mentalität des „Schlussstrichziehens“ einstellen, was gerade in Zeiten des Wirtschaftswunders besonders opportun wurde. Daher lassen sich die oben beklagten Verzögerungen alle nachvollziehen, um Zufälle hat es sich dabei sicherlich nicht gehandelt.
Dass dann doch noch weit nach dem Jahr 2000 einige spektakuläre Prozesse gegen Beteiligte von NS-Verbrechen stattgefunden haben und sogar mit Verurteilungen endeten, war daher fast ein halbes Jahrhundert mehr als unwahrscheinlich.
4) Kurzes Fazit
Trotz der Besonderheiten im vorliegenden Fall und der Unabwägbarkeiten bzw. Unsicherheit, ob der Angeklagte ausreichend verhandlungsfähig bleiben würde bzw. überhaupt noch ein rechtskräftiges Urteil erlebt, wird man sagen können, dass sowohl das Ergebnis als auch die Prozessführung angemessen und sachgerecht ausfallen. Eine Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, bewahrt auch die Gefängnisverwaltung in Hamburg vor einigem Kopfzerbrechen (in „Santa Fu“ muss keine zusätzliche Zelle senioren- und behindertengerecht umgebaut werden, der Aufenthaltsraum im Gefängnis wird zu keiner rechten Wallfahrtsstätte), sollten Bewährungsauflagen erfolgen, werden diese moderat ausfallen (bei einem Greis erzieherische Maßregeln anwenden zu wollen, verfehlt den gesetzlichen Auftrag).
Das Gericht und die Staatsanwaltschaft waren somit um größtmögliche Objektivität bemüht; und wenn nunmehr feststeht, dass die eingelegten Revisionen zurückgenommen wurden, wird dies vor allem der Überzeugung der Rechtsbeistände geschuldet sein, den richtigen Zeitpunkt für den Abschluss der Strafsache gefunden zu haben.
Wäre der Angeklagte in einem laufenden Revisionsverfahren gestorben, wie 2012 Demjanjuk, hätte nämlich kein rechtskräftiges Urteil vorgelegen. Aus taktischen Gründen hätte insbesondere der Strafverteidiger des Angeklagten diesen Weg wählen können, doch hat sich auch der Verteidiger mit peinlichen Profilierungsversuchen zurückgehalten. Dies sollte schon deshalb erwähnt werden, da es in jüngerer Zeit genügend Negativbeispiele gibt, wo sich z. B. in Strafprozessen gegen Neonazis etc. Strafverteidiger (wohl eher Winkeladvokaten) als Selbstdarsteller gerierten, weniger um den jeweiligen Angeklagten zu helfen, mehr um in der „Szene“ gut dazustehen (so der eine oder die andere Verteidiger/in im NSU-Prozess oder auch aktuell im Mordfall Lübcke). Allerdings hat sich auch schon der eine oder andere RAF-Strafverteidiger in den 1970er Jahren mit „eigenwilligen“ Pressekonferenzen in Szene setzen wollen (und ging später ob seines schauspielerischen Talents in die Politik und reüssierte bis in höchste Ämter).
Und sogar die Kostenentscheidung kann salomonisch genannt werden: Trotz Verurteilung muss der Angeklagte nur die Kosten seines Strafverteidigers übernehmen, die deutlich höheren Kosten z. B. der Nebenklägervertreter fallen der Staatskasse zur Last. Hier findet der Gedanke der Mitverursachung Anwendung, denn immerhin haben staatliche Stellen fast 70 Jahre untätig verstreichen lassen. Hätte andererseits der Angeklagte mehrere zehntausend oder gar hunderttausend Euro an Kosten gefangen (im NSU-Prozess ist wohl ein zweistelliger Millionenbetrag entstanden, den keiner der Verurteilten jemals legal bezahlen können wird), wäre noch im hohen Alter von 93 Jahren möglicherweise der Weg in die Privatinsolvenz gefolgt (zumindest bei den späteren Erben des Angeklagten wäre einiger Frust entstanden).
Soweit die Darstellung des Urteils und seiner Folgen aus der Sicht der Beteiligten. Das große Ganze sollte allerdings auch nicht aus den Augen verloren gehen: Das mörderische NS-Regime mit vielen Millionen getöteter KZ-Gefangener, gefallener Soldaten auf allen Seiten und spätestens ab Ende 1944 auch zahlreichen Opfern unter der eigenen Bevölkerung (durch standrechtliche Erschießungen u. ä., nicht durch direkte Kriegseinwirkungen) hat eine ganze Generation junger Männer (Jugendliche und Heranwachsende) zu Tätern, oft genug aber auch (nachträglich) zu Opfern ihrer eigenen Unzulänglichkeit gemacht.
Weder als Wehrmachtssoldat noch als SS-Mann hat es einen legitimen Einsatz gegeben und die Verführbarkeit der Jugend durch die NS-Propaganda lässt sich durch nichts rechtfertigen: Es ist keinesfalls „süss und ehrenhaft“, in einem völkerrechtswidrigen Massenvernichtungskrieg für das Vaterland zu sterben. (19) Eine restlose Aufarbeitung wird es wahrscheinlich niemals geben. Viele Chancen wurden seit 1945 nicht, nur halbherzig oder halt zu spät genutzt.
Abschließend soll auf einen Beitrag zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz hingewiesen werden; die Autoren sind der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland: Beide unterstreichen die Bedeutung der Erinnerungskultur, die Juden und Christen verbindet, aber auch die völlig unterschiedlichen Ausgangspunkte bei der Erfahrung mit der Schoa werden verdeutlicht. „Im Zentrum der jüdischen wie auch der christlichen Tradition steht eine Erinnerungskultur, welche die eigene Existenz aus der Geschichte begreift und als Geschichte mit Gott deutet.“ (20) Der evangelische Landesbischof weiß um die Wirkung solcher Anlässe des gemeinsamen Gedenkens, aber auch um die Ursachen der schuldhaften Verstrickung der Kirchen in der NS-Zeit.
Insoweit auch die Frage der „Unterstützung“ des Faschismus durch die christlichen Konfessionen zu stellen, nicht nur in Deutschland, war lange überfällig und kam nach 1945 erst langsam ins Bewusstsein. Bedenkt man hierbei die besonders unrühmliche Rolle des Vatikan und anderer katholischer Organisationen nach 1945 bei der Ausstellung gefälschter Papiere, damit NS-Kriegsverbrecher problemlos meist Richtung Südamerika fliehen konnten (sofern es „gute“ Katholiken waren; die sog. Rattenlinie), um sich der Strafverfolgung zu entziehen, hätten auch gegen solche „Würdenträger“ Ermittlungs- und Strafverfahren durchgeführt werden müssen. Davon abgesehen, dass heute keiner der beteiligten kirchlichen Amtsträger mehr lebt, hätte die diplomatische Immunität den Strafverfolgern einen Strich durch die Rechnung gemacht: Recht haben und Recht bekommen sind bekanntlich zweierlei Dinge…
Autor: Thomas Fuchs, Assessor iur., Rechtshistoriker
Ergänzend sei hier noch der Beitrag von Manfred Wilke genannt. „Ein widerständiges Leben: Heinz Brandt“ auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung. Hier geht es zu dem Artikel.
Anmerkungen
1) Auf die Ankündigung, dass von Teilen der Nebenklage Revision eingelegt wird, hatte auch der Verteidiger des Angeklagten – im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft – ebenfalls dieses Rechtsmittel erwogen. Zur Berichterstattung bis Ende Juli z.B. F.A.Z.-Net v. 29.07.2020. Neuester Stand v. 10.08.20: Alle Revisionen sind wohl zurückgenommen worden, so dass das landgerichtliche Urteil rechtskräftig geworden sein dürfte. Siehe: https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburger-Urteil-gegen-frueheren-KZ-Wachmann-rechtskraeftig,stutthof200.html Zu den früheren bzw. weiteren Stutthof-Prozessen: s. https://de.wikipedia.org/wiki/Stutthof-Prozesse
2) Aus den Medien ergibt sich der Name des Angeklagten: Bruno Dey. Da es im Beitrag aber weniger um seine Person, vielmehr um das System der Strafverfolgung geht, wird im Text auf die Namensnennung verzichtet. Mit der neutralen Formulierung des „Angeklagten“ wird dies unterstrichen.
Bruno Dey ist eher als typischer Vertreter seines Jahrgangs (1927), des letzten, der noch regulär von der Wehrmacht eingezogen wurde, anzusehen. Bei der sog. Machtergreifung der Nazis keine fünf Jahre alt und völlig der Gehirnwäsche in der NS-Gesellschaft ausgeliefert; ein Fakt, der bei der Sozialisation dieser Generation nicht außer Acht gelassen werden sollte (ohne hier verharmlosen zu wollen).
Später geborene Jugendliche (im Regelfall ab Jahrgang 1928) mussten dann in den sog. Volkssturm, der Himmlers SS unterstand, eintreten und mit ihren Großvätern (ab 60 J.) zuhause mit Panzersperren den allseits erwarteten Endsieg erringen: alles für den Führer. Die wenigen Jugendlichen, die nicht dem Hitler-Wahn verfallen waren, konnten allerdings auch keinen „Ersatzdienst aus Gewissensgründen“ antreten.
3) Selbst bis kurz vor Kriegsende dauerte das Leid der Gefangenen des KZ Stutthof an: Am 3. Mai 1945 lief eine Fähre in den Ostseehafen von Mürwik bei Flensburg, gerade zum Sitz der „geschäftsführenden Reichs-regierung Dönitz“ bestimmt worden, ein; an Bord waren ursprünglich über 1000 Häftlinge des KZ Stutthof eingeschifft worden, lediglich 630 hatten die Überfahrt überlebt, vgl. Gerhard Paul, Inferno und Befreiung. Der letzte Spuk, auf Zeit online: https://www.zeit.de/2005/19/A-Flensburg
4) Das Urteil des LG München II v. 12.05.11, Az. 1 Ks 115 Js 12496/08, ist in vielen Fachzeitschriften abgedruckt. Überblick: dejure.org
Das gesamte Strafverfahren gegen John (gebürtig Iwan) Demjanjuk stellte vor über zehn Jahren aus mehreren Gründen ein Novum im deutschen Strafrecht, besonders in der Aufarbeitung der NS-Kriegs- u. KZ-Verbrechen, dar. Beginnend mit der Frage, ob das dt. Strafgesetzbuch überhaupt angewendet werden konnte: Demjanjuk war zur Tatzeit kein dt. Staatsangehöriger, das sog. Generalgouvernement (Sitz des Lagers Sobibor) war nie völkerrechtlicher Bestandteil des Dt. Reiches und die allermeisten Gefangenen waren „Ausländer“. Die Klärung dieser teils sehr komplizierten Vorfragen (Anwendung des dt. Strafrechts bei Auslandstaten berührt die Merkmale „Tatzeit“ und „Tatort“) betraf die Rechtmäßigkeit des gesamten Verfahrens gegen Demjanjuk, anderenfalls hätte ein solches Verfahren in Deutschland nicht stattfinden dürfen. Dann war lange Zeit die genaue Identität des Angeklagten unklar, da die notwendigen Feststellungen (Papiere etc.) scheinbar lückenhaft waren. Dann waren bereits vorher im Ausland Strafverfahren gegen Demjanjuk durchgeführt worden. Aber vor allem: es konnten dem Angeklagten Demjanjuk keine individuell zurechenbaren Tathandlungen vorgeworfen werden. Daher waren die Strafverfolgungsbehörden gezwungen, einen Sachzusammenhang zwischen der typischen Tätigkeit eines Wachmanns und dem eigentlichen Zweck eines Konzentrationslagers, vor allem in der Form des Vernichtungslagers, herzustellen. Dies gelang der Staatsanwaltschaft, indem auf den Gesamtzusammenhang, dem typischen Geschehensablauf innerhalb eines Konzentrationslagers abgestellt wurde. Danach war nicht mehr so entscheidend, ob sich der einzelne SS-Wachmann individuell strafbar gemacht hat, sondern dass er als Teil einer gesamten Maschinerie erschienen ist. Wenn man so will, ein Sonderfall psychischer Beihilfe als Fördern der Haupttat (durch Abschreckung).
So tiefsinnig diese Konstruktion bzw. Rechtsauslegung auch sein mag, ergeben sich dennoch gewisse Probleme: Die Abgrenzung, wie weit ein solcher Zusammenhang ausgedehnt werden kann (also welche Gruppen von Lagerbediensteten potentielle Gehilfen sein konnten) und ob es sich denn überhaupt noch um juristische Auslegung handelt oder aber die Justiz nicht ihre verfassungsmäßige Kompetenz überschreitet.
5) Siehe z. B.: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/auschwitz-war-ein-ort-an-dem-man-nicht-mitmachen-durfte/
6) S. Beschluss des BGH v. 20.09.2016, Az. 3 StR 49/16 in der Revision gegen Oskar Gröning: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=76632&pos=0&anz=1
7) Im Herbst 2019 wurden Vorermittlungen gegen eine ehemalige Lagersekretärin durch die Staatsanwaltschaft Itzehoe eingeleitet. Nähere Angaben hierzu fehlen aber noch, außer dass diese Frau damals bereits 94 Jahre als gewesen sein soll. Ob jetzt im Sommer 2020 nach dem Urteil des LG Hamburg noch weiter ermittelt werden kann, ist nicht sicher.
8) Das erste Jugendgerichtsgesetz von 1923 geht auf den damaligen Reichsjustizminister Gustav Radbruch zurück. Dieser Fachmann (er war außerhalb seiner politischen Karriere bei der SPD ein angesehener Strafrechtsprofessor, der in seiner relativ kurzen Amtszeit als Justizminister einige moderne Ansätze im Strafrecht versucht hatte, die teilweise erst Ende der 1960er Jahre weiter verfolgt wurden) hatte während der Weimarer Republik einige wichtige Akzente setzen können, so auch bei der Aufklärung der Verbrechen, die im Zusammenhang mit der „Organisation Consul“ standen. Da aber seine Partei Anfang November 1923 die damalige Koalition platzen ließ, musste auch Radbruch vom Ministeramt zurücktreten, so dass zum Zeitpunkt des Hitler-Ludendorff-Putsches vom 9. November 1923 das Amt an der Spitze des Justizministeriums vakant war. Ein Mann, mit seiner Durchsetzungsfähigkeit, hätte das anschließende Strafverfahren gegen die Putschisten durchaus in andere prozessuale Bahnen lenken können, sprich die Zuständigkeit des Reichsgerichts in Leipzig, nicht die des Münchner Landgerichts bestimmen können: nur eine von vielen nicht genutzten Chancen, den damals noch „jungen“ Hitler in die Schranken zu weisen bzw. den österreichischen Staatsbürger des Landes zu verweisen, sprich loszuwerden.
9) Vgl. Berichterstattung z. B. in der F.A.Z. v. 20.06.2020, Nr. 141, S. 4: „Schon früh gelernt zu gehorchen“.
10) Bereits in der Antike existierte die Redewendung: Wer Charybdis meiden will, gerät an Skylla (indicit in Scyllam, qui vult vitare Charybdim).
11) Aktuell trifft dies auf die Situation der sog. „Triage“ zu: Mehrere gleich schwer erkrankte
Covid-19-Patienten, aber zu wenige Beatmungsgeräte. Egal welche Entscheidung ein Arzt in einer solchen Stresssituation trifft, mit seiner Auswahl wird er diejenigen Patienten, für die keine adäquate Behandlung erfolgen kann, einem erhöhten Todesrisiko aussetzen, das sich oft genug realisiert. Der Dt. Ethikrat kann nur allgemeine Empfehlungen geben. Im Zweifel werden Angehörige/Hinterbliebene mit der Auswahl nicht einverstanden sein und Anzeige gegen die Ärzte und Krankenhausbetreiber erstatten. Wenn dann z. B. die Dokumentationen im Krankenhaus lückenhaft oder unklar sein sollten, kann es gegen die betroffenen Ärzte Ermittlungsverfahren geben. Derartige Konstellationen können niemals alle Betroffenen zufriedenstellen.
12) Gerade diese prominenten Vertreter des Jahrgangs 1927 zeigen, wie schwierig der Umgang mit der eigenen Vergangenheit als Jugendlicher in der Endphase der Hitlerzeit gewesen und was danach nötig geworden ist, sich damit auch intensiv zu beschäftigen. Grass versuchte dies insbesondere in der „Blechtrommel“ zu veranschaulichen. Fuchsberger konnte seine Freundschaft zu dem gleichaltrigen US- amerikanischen Sänger und Schauspieler Harry Belafonte nutzen, diesen in seinem Engagement in der farbigen Bürgerrechtsbewegung der USA zu unterstützen. Ohne die schwierigen Erfahrungen vor 1945 wäre dies vielleicht alles nicht erfolgt.
13) Die aus dem römischen Recht stammende Maxime „audiatur et altera pars“ (ein fundamentaler Grund-satz im Zivil- u. Strafprozess) dürfte nirgends gerechtfertigter sein als bei Prozessen der vorliegenden Art. Nicht nur weil dadurch das „Recht“ als Teil der Kultur einer Gesellschaft erscheint, nicht lediglich als bloße Problemlösungstechnik, sondern auch, weil die Justiz damit die Gelegenheit bekommt, zumindest einen Teil ihrer nach 1949 verlorenen Redlichkeit wieder zurückzugewinnen. Es lässt sich nämlich nicht leugnen, dass bei vielen Opferorganisationen, nicht nur bei jüdischen, der Ein-druck entstanden ist, nach den teils spektakulären Prozessen der 1960er Jahre habe die (west-)deutsche Justiz „das Buch zugemacht“, um die allermeisten der kleinen Helfer und Helfershelfer zu schonen.
14) Für Judy Meisel wurde zu diesem Zweck eine eigene Internetpräsenz angelegt: http://www.judymeisel.com/
15) Siehe u.a. das Interview Cohens nach der Urteilsverkündung in der F.A.Z. v. 25.07.20, Nr. 171, S. 8: „Ich will sie und ihre Geschichte ehren“. Aber auch andere Interviews von ihm z. B. in der „Welt“.
16) Siehe den Artikel v. Per Hinrichs: „Jugendstrafrecht für einen Greis“, auf Welt online, veröffentlicht am 17.10.2019 am Ende: https://www.welt.de/politik/article202074388/Prozess-gegen-frueheren-SS-Wachmann-Jugendstrafrecht-fuer-einen-Greis.html
17) Siehe meinen Beitrag „Ein Skandalurteil“: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/ein-skandalurteil-oder-der-ganz-normale-wahnsinn-im-dritten-reich/ In der PDF-Version wird das Problem auf S. 41 – 45 behandelt.
18) Anders in Israel: Dort wurde 1950 ein umfassendes Gesetz beschlossen, das viele Strafverfahren gegen Täter aus der NS-Zeit ermöglichte. Das bekannteste, aber bei weitem nicht einzige Strafverfahren dieser Art war der „Eichmann-Prozess“ 1961/62. Da die Bundesrepublik an einer Verfolgung Eichmanns nicht interessiert war, konnten israelische Stellen tätig werden: Diese erledigten ihre Aufgaben sehr effektiv.
19) Die auf Horaz zurückgehende Sentenz „dulce et decorum est pro patria mori“ war schon für dessen Zeitgenossen eine bewusst doppeldeutige Anspielung.
20) Josef Schuster u. Heinrich Bedford-Strohm: „Dies hätte nie geschehen dürfen“, F.A.Z. v. 01.08.20, Nr. 177, S. 10.