Als die Alliierten Hitler an seiner Achillesferse packten
„Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt – den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.“
So lautet die neunte These des am 20. Februar 1909 von Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944) publizierten „Futuristischen Manifests“. Die vor allem in Italien verbreitete Künstlerbewegung der Futuristen ist bis auf die Plastik „Einzigartige Formen der Kontinuität im Raum“ des Bildhauers Umberto Boccioni (1882 – 1916) von 1913, weil diese die italienische 20-Cent-Münze ziert, in Vergessenheit geraten. Doch ihr geistiges Erbe riss die Welt in die größte Katastrophe, seit ein Asteroideneinschlag alle Dinosaurier bis auf die Vögel vom Angesicht der Erde fegte. Die Ideen der Futuristen inspirierten nämlich einen jungen italienischen Politiker, dem es auch nach Aufbruch und Umwälzung verlangte: Benito Mussolini (1883 – 1945). Zunächst hatte Mussolini versucht, linke, sozialistische Kreise für sich zu gewinnen, doch dann – basierend auf der Weltanschauung der Futuristen – entwickelte er die Idee des Faschismus, einer rechtsextremen, nationalistischen Ideologie, die jedoch die revolutionäre Idee der politischen Linken mit aufgriff. Der Name Faschismus geht zurück auf die Fasces, das Liktorenbündel. Die Liktoren waren die Leibwächter hoher Beamter (einst Königen, später Prätoren, Konsuln und Diktatoren) im Römischen Reich und trugen die Fasces genannten Rutenbündel vor eben diesen her. Die Fasces symbolisieren also Macht und Stärke durch Zusammenhalt: die Gemeinschaft als Waffe. Bis heute finden sich die Fasces im Siegel des Senats der Vereinigten Staaten, dem Hoheitszeichen Frankreichs (ersetzte 1912 das Wappen, welches die Fasces ebenfalls enthielt), den Wappen Kameruns und Ecuadors und den Stadtwappen von Breitenheim, Legau oder Ühlingen-Birkendorf.
Von Italien aus breitete sich der Faschismus in Europa aus: Spanien, Griechenland, Kroatien und natürlich das Deutsche Reich. Mussolini, der „Duce“, war Adolf Hitlers (1889 – 1945) großes Vorbild. Als Hitlers Macht jedoch wuchs, wurde aus seinem Vorbild eine Art Haustier (neben Blondie), ein kleiner bissiger Kampfhund, den sich der Diktator hielt. Aus der Sicht der Westalliierten war Hitlers Wadenbeißer zugleich seine Achillesferse oder – weil die Nazis ja das Deutschtum so verehrten – jene Stelle, an der das Lindenblatt an Siegfrieds Rücken gelandet war. Der britische Premierminister Winston Churchill (1874 – 1965) bezeichnete Italien und insbesondere dessen Süden als „weichen Unterleib“ der Achse Berlin-Rom.
Vom 14. bis zum 24. Januar 1943 sollte ein Treffen Churchills mit Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945) und Stalin (1878 -1953) in Casablanca stattfinden. Stalin blieb der Konferenz wegen der Schlacht von Stalingrad, die gerade tobte und, wie er meinte, seine Führung und seinen militärischen Sachverstand in der Sowjetunion unverzichtbar machte, der Konferenz jedoch fern. So konnte er allerdings gegenüber den anderen beiden Regierungschefs seinen Wunsch nach einer zweiten Front gegen Hitler in Frankreich, die die Rote Armee entlastet hätte, nicht durchsetzen. Da die Westalliierten in Afrika militärische Erfolge gegen das deutsch-italienische Bündnis erzielt hatten, was ihnen die Vormachtstellung im Mittelmeerraum eingebracht und Italien demoralisiert hatte, schien Süditalien das optimale Ziel für eine erste Offensive gegen die Nazis und ihre Verbündeten an Land. Der Angriff sollte Hitler als quasi Schutzherr Italiens zum Handeln zwingen und so das deutsche Heer in Italien binden und zugleich aufreiben und schwächen, um die Chancen für die erfolgreiche Invasion des besetzten Frankreichs zu erhöhen, die für Frühjahr 1944 geplant war.
Den Oberbefehl über die europäischen Streitkräfte der Anti-Hitler-Koalition hatte auch damals schon der spätere US-Präsident und damalige General Dwight D. Eisenhower (1890 – 1969). Der Auftakt des Italienfeldzugs erhielt den Codenamen Operation „Husky“ und sah wie folgt aus: Von Afrika, das nun von den Alliierten kontrolliert wurde, aus setzten die britische 8. Armee unter dem Kommando von General Bernard Montgomery (1887 – 1976) und die 7. US-Armee unter dem Kommando von Lieutenant General George S. Patton (1885 – 1945) am 10. Juli 1943 nach Sizilien über und landeten auf dem Küstenstreifen zwischen Syrakus im Osten bis Licata im Westen an. Die Überraschung der Verbände von Wehrmacht und Esercito Italiano glückte nicht zuletzt, weil die Alliierten Falschinformationen hatten durchsickern lassen, die eine geplante Landung auf Sardinien oder in Spanien suggerierten. Die Verbände der Achsenmächte auf Sizilien bestanden aus dem XIV. Panzerkorps der Wehrmacht unter dem Kommando von Generaloberst Hans-Valentin Hube (1890 – 1944) und der italienischen 6. Armee unter dem Oberkommando von Generale d’Armata Alfredo Guzzoni (1877 – 1965). Zusammen brachten es die Verbände der Achse auf über 400.000 Mann (365.000 Italiener, 40.000 Deutsche), während die Alliierten mit „nur“ 160.000 Soldaten, 600 Panzern und 1.800 Geschützen angriffen.
Trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit war es den italienischen und deutschen Truppen nicht möglich, den Vorstoß der alliierten Streitkräfte ins Landesinnere aufzuhalten. Am 17. August 1943 befand Sizilien sich vollständig in der Hand der Alliierten. ~9.000 Soldaten der italienischen (4.325) und deutschen (4.678) Streitkräfte verloren ihr Leben, 46.000 (Italien: 32.500/Deutsches Reich: 13.500) wurden verwundet und 121.000 (Italien: 116.681/Deutsches Reich: 5.532) gefangen genommen. Auf der Seite der Alliierten starben etwa 5.500 Mann (Vereinigtes Königreich: 2.721/USA: 2.237/Kanada: 562) und etwa 18.500 (Vereinigtes Königreich: 10.122/USA: 6.544/Kanada: 1.848) wurden verwundet. Rund 100.000 (40.000 deutsche und 60.000 italienische) der Achse wurden vor der vollständigen Einnahme Siziliens aufs italienische Festland überführt.
Für Benito Mussolini hatte der Angriff weitreichende Folgen. Die Einnahme Siziliens und die nun beginnenden Luftangriffe auf Rom führten dazu, dass das Volk dem Diktator die Gefolgschaft aufkündigte: Am 25. Juli 1943 enthob der Große Faschistische Rat Mussolini mit einem Mehrheitsbeschluss seiner Macht. Der noch immer als Staatsoberhaupt amtierende König Vittorio Emanuele III. (1869 – 1947) ließ Mussolini verhaften und durch den neuen Ministerpräsidenten Pietro Badoglio (1871-1956) ersetzen, was letztlich zur faktischen Zweiteilung Italiens führte, da Badoglio entgegen der Aufforderung des Königs, man solle weiter treu zu den deutschen Verbündeten halten, zum Trotz am 3. September 1943 einen Waffenstillstand mit den Alliierten vereinbarte. Am 8. September machte Badoglio das zunächst geheime Abkommen publik, woraufhin sich die deutschen Truppen wie zuvor schon geplant gegen ihre italienischen Waffenbrüder von einst wandten, sie entwaffneten und dann Norditalien und Rom besetzten. Das von Badoglio geführte Süditalien erklärte dem Deutschen Reich daraufhin am 13. Oktober 1943 den Krieg, während im Norden der von deutschen Truppen befreite Mussolini die „Soziale Republik Italien“ als faschistischen Satellitenstaat mit de facto Regierungssitz in Salò gründete. Im Gefolge Mussolinis: Filippo Tommaso Marinetti, der jedoch die Festnahme und Hinrichtung des Diktators im Frühjahr 1945 nicht mehr erleben sollte.
Literatur
James Holland: Sicily ’43: The First Assault on Fortress Europe. Grove Atlantic, New York 2020, ISBN 978-0-8021-5720-1.
S. J. Zaloga: Sicily 1943 – The debut of Allied joint operations. Osprey Publishing, Oxford 2013, ISBN 978-1-78096-126-2.
A. N. Garland, H. McGaw Smyth: United States Army in World War II: Mediterranean Theater of Operations – Sicily and the Surrender of Italy Center of Military History US Army, Washington D.C. 1993, ISBN 978-0-16-080077-1.
Carlo D´Este: Bitter Victory – The Battle for Sicily July – August 1943, HarperPerennial 1991, ISBN 978-0-06-097313-1.
G. A. Shepperd: The Italian Campaign 1943: A Political and Military Re-Assessment. Arthur Barker, London 1968, ISBN 0-213-76404-0.
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-landung-alliierte-sizilien-100.html