Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß – das Leben von Winston Churchill
Sir Winston Churchill, der britische Premierminister während des Zweiten Weltkriegs – für die einen ein Held, für die anderen ein Verbrecher. Liegt das einzig an den verschiedenen Blickwinkeln und eigenen politischen Haltungen der Urteilenden? Nein, Winston Churchill war ein Mann voller Widersprüche, und wenn man sich seine Positionen, Handlungen und Aussagen ansieht, fällt es oft schwer zu glauben, dass diese auf denselben Mann zurückzuführen sind. Er war keineswegs wankelmütig, sondern vielmehr starrsinnig, obwohl er zeitlebens an schweren Depressionen und Selbstzweifeln litt, er nannte diese seinen „Black Dog“, den „Schwarzen Hund“.
Winston Leonard Spencer Churchill erblickte am 30. November 1874 im Blenheim Palace bei Woodstock (Oxford) das Licht der Welt. Er war zwar der Spross eines Adelshauses, erbte aber den Titel seines Vaters Lord Randolph Spencer Churchill (1849 – 1895) nicht, da dieser selbst ein zweitgeborener Sohn war. Churchill senior war jedoch Mitbegründer der Konservativen Partei. Winstons Mutter war die Amerikanerin Jennie Jerome (1854 – 1921). Sein Sohn war schon als Kind schwierig und unangepasst, seine Eltern setzten wenig Hoffnung in ihre „Bulldogge“, wie sogar schon sie ihn nannten. Erst mit dem Eintritt in die Armee blühte Churchill auf. Nach seiner Ausbildung an der Royal Military Academy Sandhurst nahm er als Second Lieutenant of Cavalry (Kavallerieleutnant) an Feldzügen in Kuba, Indien und dem Sudan teil. Im Burenkrieg wurde er 1900 als Kriegsberichterstatter gefangen genommen. Ihm gelang eine spektakuläre Flucht, die ihm landesweite Berühmtheit einbrachte.
Im selben Jahr wurde er dann Mitglied der Konservativen Partei und Abgeordneter des House of Commons (Unterhaus). Da er soziale Reformen anstrebte, wechselte er 1904 zur progressiveren Liberalen Partei und galt den Konservativen fortan als Verräter. Politisch rückte der spätere Anti-Kommunist Churchill zunächst immer weiter nach links. Als die Liberale Partei die Wahlen gewann, wurde er zunächst Unterstaatssekretär für die Kolonien (1906), Handelsminister (1908) und Innenminister (1910). Nun setzte der angeblich linksliberale das Militär gegen streikende Bergarbeiter ein und befahl persönlich ein Haus, in dem Anarchisten festgesetzt wurden, anzuzünden und die Anarchisten lebendig zu verbrennen.
1914 brach der Erste Weltkrieg aus und Churchill verließ 1915 kurzzeitig die politische Bühne und kehrte als Lieutenant Colonel in die Armee zurück. Schon 1916 zog er wieder als Abgeordneter ins Parlament ein und wurde 1917 Munitionsminister in der Regierung von David Lloyd George (1863 – 1945). Nach Kriegsende wurde Churchill erst Kriegs- und Luftfahrtminister, später Kolonialminister. Er war Zionist und das, was man im Englischen als „white supremacist“ bezeichnet, d. h. er war von der Überlegenheit der weißen „Rasse“ überzeugt. So waren ihm Menschen wie Mohandas Karamchand Gandhi (1869 – 1948) ein Dorn im Auge. Einmal äußerte er: „Ich verstehe diese Zimperlichkeit beim Einsatz von Giftgas nicht. Ich bin ausdrücklich dafür, Giftgas gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen.“ Entsprechend sah seine politische Haltung hinsichtlich der Kolonialgebiete aus.
Als die Liberale Partei zerfiel, kehrte Winston Churchill zur Konservativen Partei zurück und wurde Schatzkanzler. Er führte den Goldstandard ein, was das Britische Pfund so stark machte, dass Exporte einbrachen und die Arbeitslosigkeit wuchs. Die Aufstände und Demonstrationen wollte er mit Waffengewalt niederschlagen. 1929 zog er sich dann aus der Politik zurück, widmete sich seinen literarischen Arbeiten, die ihm später den Literaturnobelpreis einbringen sollten.
Die 1930er-Jahre: Im Deutschen Reich waren die Nationalsozialisten auf dem Vormarsch und Churchill warnte schon früh vor Adolf Hitler (1889 – 1945), jedoch nicht, weil er eine grundlegende Ablehnung gegen den Faschismus gehabt hätte, für Benito Mussolini (1883 – 1945) hatte er durchaus Sympathien, besuchte den „Duce“ in Italien. Den Hauptfeind sah Churchill nämlich in Stalin (1878 – 1953). Nach Kriegsende sollte er seine Ablehnung gegen Hitler und den Schulterschluss mit Stalin, um Hitler loszuwerden, sogar bereuen und äußern: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet.“ Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wetterte er aber gegen Hitler, warnte vor dessen Ambitionen und kritisierte die Appeasement-Politik („appeasement“ = „Beschwichtigung“) von Premierminister Arthur Neville Chamberlain (1869 – 1940). Chamberlain glaubte, dass Hitler den Frieden wahren würde, wenn das Vereinigte Königreich ihm gegenüber Zugeständnisse machen würde. Damals hoffte der Westen noch darauf, Hitler als Verbündeten gegen die staatssozialistische Sowjetunion gewinnen zu können. Doch mit dem Kriegsbeginn 1939 konnte niemand im Vereinigten Königreich mehr die Augen vor Hitlers wahren Plänen verschließen. Churchill wurde zunächst Erster Lord der Admiralität.
Am 10. Mai 1940 startete das Deutsche Reich mit dem Angriff auf Frankreich die Westoffensive. Plötzlich stand Churchill nicht mehr als „Kriegstreiber“ da, sondern als „Prophet“, der Hitler durchschaut hatte. Zudem war Churchill maßgeblich am Aufbau der Royal Navy und der Geheimdienste beteiligt gewesen. Er verstand, wie diese neue Form der Kriegsführung, die die Nazis heraufbeschworen, funktionierte. Auf Druck der Öffentlichkeit und der Opposition hin wurde Churchill am 10. Mai 1940 Premierminister und Verteidigungsminister in Personalunion. Die Labourpartei hatte ihr Mitwirken an der Allparteienregierung im Kriegszustand von Churchills Ernennung abhängig gemacht. In seiner Rede vor dem Unterhaus am 13. Mai machte Churchill klar, was man von ihm als Premier zu erwarten habe: „Ich habe nichts anzubieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß!“
Am 4. Juni erklärte er in einer anderen Rede: „Wir werden ausharren, wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen, wir werden mit wachsender Zuversicht und zunehmender Stärke in der Luft kämpfen, wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es uns auch kosten möge, wir werden an den Dünen kämpfen, wir werden auf den Landungsplätzen kämpfen, wir werden auf den Feldern und in den Straßen kämpfen, wir werden auf den Hügeln kämpfen, wir werden uns niemals ergeben.“
Daran hielt er fest. Das Vereinigte Königreich, längst keine Weltmacht mehr, war die kleine Maus, die sich dem gefräßigen Löwen entgegenstellte (, wie es eine andere britische Ikone formulierte). Nach der Besetzung Frankreichs stellte Churchill dem Vichy-Regime ein Ultimatum, die sich nun in deutscher Hand befindliche französische Mittelmeerflotte zu übergeben. Als das Ultimatum verstrich, vernichtete Churchill die Flotte kurzerhand. 1200 französische Soldaten starben, doch Churchill rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass diese Toten viele Briten gerettet hätten.
Die Bombardierungen britischer Städte im Blitzkrieg beantwortete Churchill wiederum mit Bombardierungen ziviler Ziele im Deutschen Reich. Auch nachdem sein Plan, die Deutschen so zum Sturz des Regimes zu nötigen, eindeutig fehlgeschlagen war, setzte Churchill die Bombardierungen fort – bis zum letzten Kriegstag, also sogar, als klar war, dass Hitler geschlagen war. Wer nicht gewillt ist, die Verbrechen der Nazis gegen die Bombenteppiche aus Großbritannien aufzurechnen, kommt nicht umhin festzuhalten, dass Winston Churchill somit ein Kriegsverbrecher war.
Wissend, dass das Vereinigte Königreich das Deutsche Reich nicht bezwingen konnte, warb er schon früh um einen Kriegseintritt der USA, doch die wollten sich raushalten, begrüßten sogar eiskalt berechnend die Verluste in Europa auf beiden Seiten, weil so NS-Regime und UdSSR geschwächt würden. Erst nach dem Angriff auf Pearl Harbor traten die USA in den Krieg ein. Churchill war Initiator der „Grand Alliance“ zwischen USA, UK und UdSSR, wurde aber von den Amerikanern beiseite gedrängt. Präsident Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945) und General Dwight D. Eisenhower (1890 – 1969) bestimmten die Strategie im Europakrieg fortan.
1945 konnten die Alliierten den Krieg in Europa für sich entscheiden. Churchill traf den nach Roosevelts Tod nachgerückten US-Präsidenten Harry S. Truman (1884 – 1972) und Stalin bei der Potsdamer Konferenz in Schloss Cecilienhof, wurde aber vor Konferenzende als britischer Premierminister abgewählt und durch Clement Attlee (1883 – 1967) ersetzt. Churchill, der Stalin und den Staatssozialismus ebenso wie den Kommunismus (eine Unterscheidung zwischen diesen beiden wurde jener Tage von den wenigsten gemacht), verabscheute, wetterte gegen Stalin nun so wie dereinst gegen Hitler. Am 5. März 1946 sprach er in einer Rede vom „Eisernen Vorhang“ und prägte so das Bild von der Sowjetunion als neuem Reich des Bösen im Westen maßgeblich. Für ein Standhalten gegen Stalin warb er etwa bei einer Rede in Zürich für ein geeintes Europa: „Darum sage ich Ihnen: Lassen Sie Europa entstehen!“ Die Briten selbst bezog er bei diesen Plänen allerdings keineswegs ein.
1951 wurde Churchill noch einmal zum Premierminister gewählt und zeigte sich nun etwas versöhnlicher. 1953 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Ab 1955 zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er starb am 24. Januar 1965 in London. Obwohl er seit seiner Militärausbildung Zigarren rauchte, viel Alkohol trank und dem Sport eher abgeneigt war, wurde Winston Churchill 90 Jahre alt und überlebte zwei seiner fünf Kinder.
Literatur
Peter Alter: Winston Churchill (1874–1965). Kohlhammer, Stuttgart 2006.
David Cannadine: Winston Churchill. Abenteurer, Monarchist, Staatsmann. Berenberg, Berlin 2005.
John Charmley: Churchill. Das Ende einer Legende. Ullstein, Berlin 1997.
Martin Gilbert, Randolph Churchill: Winston S. Churchill. 8 Bände mit Begleitbänden. Thornton Butterworth, London 1966/1988.
Sebastian Haffner: Winston Churchill. Kindler Verlag, Berlin 2001.
Thomas Kielinger: Winston Churchill. Der späte Held. Eine Biographie. C. H. Beck, München 2014.
Andrew Roberts: Churchill und seine Zeit. Dtv, München 1998.
Video seiner Rede zum Sieg 1945.