Begriff
Mit dem Begriff Faschismus werden eine Reihe von politischen Bewegungen und Systemen beschrieben, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden und charakteristische Gemeinsamkeiten besitzen: ausgeprägte Orientierung auf eine Führerperson, nationalistische, antikommunistische, antidemokratische und antipluralistische Einstellung sowie ein gewalttätiger Wille zur Macht und Verherrlichung des Militärischen. Die faschistischen Bewegungen verstehen sich als Ideologien, denen es um eine weltanschauliche Gestaltung des Denkens und Handelns der Menschen geht. Das Volk wird als willenlose „Masse“ begriffen, die beliebig formbar ist. Antisemitisches und rassistisches Gedankengut finden sich in allen faschistischen Bewegungen, am ausgeprägtesten in Deutschland. Das Wort Faschismus leitet sich vom italienischen „fascio“ bzw. lateinischen „fascis“ (dt. „Bund“). „Fasces“ waren ursprünglich die Rutenbündel, die die römischen Liktoren in der Antike als Zeichen ihrer Machtbefugnisse trugen.
Geschichte der faschistischen Bewegungen
Der Ursprung in Italien
Im Jahr 1919 gründeten in Mailand rund 200 radikale Nationalisten und Sozialrevolutionäre unter der Führung von Benito Mussolini die „fasci Italiani di combattimento“ (Italienische Kampfbünde). Solche „Fasci“ gab es bereits zuvor in Italien vorwiegend mit linker, sozialrevolutionärer Stoßrichtung. So nannte sich bereits 1890 eine Landarbeiterbewegung auf Sizilien „fasci revoluzionari“. Auch Mussolini war zunächst in der radikalen Linken aktiv, entwickelte aber bereits im ersten Weltkrieg starke nationalistische Ambitionen, ohne dabei seinen revolutionären Ansatz aufzugeben. Die Enttäuschung vieler Italiener über den Ausgang des Weltkrieges und die unerfüllten Territorialwünsche vor allem in Dalmatien und auf die jugoslawische Stadt Fiume verschaffte den Faschisten Auftrieb. Im September 1919 erobert der Schriftsteller und Weltkriegskämpfer Gabriele D`Annunzio mit einer Privatarmee aus Militärentlassenen und Dissidenten Fiume. 15 Monate lang führte D`Annunzio eine Privatdiktatur und schuf das erste Modell eines faschistischen Staates. Er ließ sich vom Balkon seines Sitzes von den Massen feiern – mit dem faschistischen Gruß der erhobenen rechten Hand. Auch die spätere faschistische Uniform des „Schwarzhemden“ fand hier schon Verwendung.
Den „fasci“ gab dieser Erfolg entschlossener Gewaltanwendung ungeheuren Auftrieb: Bereits 1921 hatten sie rund 250.000 Mitglieder. In noch stärkerem Maß als später die SA bestimmten sie – formiert als sogenannte „squadri“ – das politische Klima Anfang der 20er Jahre. Allein von Januar bis Mai 1921 wurden mehr als 200 Menschen bei Überfällen der Faschisten getötet. Der Versuch Mussolinis, parlamentarische Mehrheiten zu erreichen, schlug dagegen fehl. Bei der ersten Wahl 1919 erreichte er nicht einmal den Einzug ins Parlament. Bei den Mai-Wahlen 1921 erreicht Mussolini gerade 35 von 535 Parlamentsplätzen. Als er im Oktober 1922 mit einem „Marsch auf Rom“, also mit einem Putsch droht, beruft König Viktor Emanuele Mussolini zum Ministerpräsidenten in ein Minderheitenkabinett. Der Marsch auf Rom, den er anschließend inszeniert, dient nur noch der Propaganda. In Wahrheit wurde Mussolini von rechtskonservativen Kräften, denen teils der Mut, teils der Wille zum Widerstand fehlte, an die Macht gebracht. Der italienische Faschismus, der bis zur Ermordung Mussolinis 1945 das Land bestimmen wird, kann jedoch nur allmählich seine Machtbasis ausbauen. Zunächst gibt es noch ein Parlament, eine Opposition und kritische Zeitungen. Auch in der Partei ist der „Duce“ (Führer) Mussolini nicht so uneingeschränkt anerkannt wie später Hitler. Erst 1925 gelingt es ihm, die sozialistische Partei und antifaschistische Organisationen zu verbieten. Das formale Oberhaupt des Königs bleibt jedoch bis zum Ende erhalten. Auch der „faschistische Großrat“, mit dem Mussolini regiert, ist weniger willfährig als etwa die Entourage, die Hitler um sich sammelt. Der italienische Faschismus schuf mit seinem ausgeprägten Führerkult – dem „mussolinismo“ – das Modell für spätere faschistische Bewegungen. Militärische Massenaufmärsche und Großkundgebungen bestimmten das Bild der Diktatur. Der „Duce“ selbst präsentierte sich dabei als echter Volksführer: Bilder zeigen ihn als Erntearbeiter, Familienvater, sportlichen Schwimmer und Skiläufer, sogar als Rennfahrer und Flugzeugpilot. Dazwischen gab es immer wieder Präsentationen mit Uniform und martialischem Auftreten. Dem „Ministerium für Volkskultur“ – dem italienischen Propagandaministerium, kam es vor allem auf die Demonstration der Allgegenwart des „Duce“ an. Orientierungspunkt für den italienischen Faschismus blieb das Prestige und Vorbild des antiken römischen Weltreiches.
Nationalsozialismus und italienischer Faschismus
Bereits in der Zeit vor der Machtergreifung erscheint der Nationalsozialismus in seiner äußeren Erscheinung wie eine Kopie des italienischen Faschismus. Die paramilitärischen Verbände der SA mit ihrer Braunhemd-Uniform und den von ihnen provozierten gewalttätigen Straßenschlachten muten wie eine Imitation der faschistischen Schwarzhemden an. Auch die gewalttätige Rhetorik Hitlers, die gleichermaßen nationalistisch wie sozialrevolutionär ist, erinnert an Mussolinis Auffassung. Nicht zuletzt erscheint Hitlers Putschversuch vom 9. November 1923 mit seinem inszenierten „Marsch auf die Feldherrnhalle“ wie eine Kopie von Mussolinis Marsch auf Rom. Allerdings wird Hitler erst 10 Jahre später als Mussolini an die Macht kommen. Aber auch hier gibt es eine Parallele: Wie Mussolini wird auch Hitler vor allem durch die alten Eliten an die Macht gehievt und wie dieser verklärt er dies als Machtergreifung. Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede: Der Antisemitismus, der in Italien nicht besonders ausgeprägt war, wurde im Nationalsozialismus zu einem wesentlichen ideologischen Element. Auch der Rassegedanke und die Blut- und Bodenmythologie wurde erst im Nationalsozialismus zum tragenden Element der Politik bis hin zum Ausrottungs- und Vernichtungskrieg in Osteuropa gegen die minderwertigen slawischen Rassen. Während der italienische „Duce“ den deutschen „Führer“ anfangs allenfalls als Juniorpartner sah, geriet er später in immer größeren Einfluß des deutschen Reiches. Nach 1943, als Mussolini zunächst abgesetzt wird und dann von deutschen Truppen befreit und wieder installiert wird, ist er nur noch eine Marionette Hitlers. Italien ist nur noch propagandistisch ein Verbündeter, faktisch längst ein besetztes Land.
Faschismus in anderen Ländern
Spanien
Im Oktober 1936 gelang es General Franco nach einem mehrmonatigen Bürgerkrieg zwischen dem republikanischen Spanien und der extremen Rechten Diktator zu werden. Nicht zuletzt verdankte er dies der deutschen militärischen Hilfe (Legion Condor). In Form und Praxis ähnelte die Franco-Diktatur stark italienischen Verhältnissen. Stärker noch als in Italien behielt die katholische Kirche, zugleich Unterstützer und Korrektiv, Einfluß. In der europäischen Außen- und Kriegspolitik zeigte der spanische Faschismus dagegen keine Ambitionen. Trotz vielfacher diplomatischer Kontakte und Bemühungen gelang es weder Hitler noch Mussolini, Spanien zum Kriegseintritt zu bewegen. Dadurch konnte das faschistische System nach 1945 weiterbestehen.
Österreich
In Österreich gab es bereits gegen Ende des 1. Weltkrieges eine Vielzahl von nationalistischen und protofaschistischen Gruppen – allerdings mit einer überwiegend diffusen Programmatik und einer teilweisen prokatholischen Haltung. Die bedeutendste dieser Gruppen war die „Heimwehr“, die auch von Mussolini unterstützt wurde, während die österreichische Sektion der NSDAP geringeren Einfluß hatte. Allerdings erreicht sie Anfang der 30iger Jahre teilweise auf Landtagsebene zweistellige Wahlerfolge. Programmatisch vertaten sie einen Anschluß an Deutschland. Allerdings gab es in ihren Reihen auch viele Anhänger Othmar Spanns, der einen rückwärtsgewandten Ständestaat errichten wollte. Dies wurde von den deutschen Nazis und insbesondere von Hitler selbst abgelehnt. Auch die österreichischen Nationalsozialisten unternahmen einen Putschversuch gegen die rechtsradikale Diktatur Dollfuß, die sich jedoch gegen einen Anschluß Österreichs an Deutschland aussprach. Zwar wurde Dollfuß ermordet, der Putsch jedoch scheiterte. Führende österreichische Nazis, soweit sie nicht ums Leben kamen, flohen ins Deutsche Reich. Nachfolger wurde sein bisheriger Stellvertreter Kurt von Schuschnigg. Innenpolitisch ist die Zeit zwischen 1933/34 bis zum Einmarsch deutscher Truppen und Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 geprägt durch einen diktatorischen Führungsstil, der sich immer mehr faschistischen Methoden annäherte: Oppositionelle Gruppen und Parteien ebenso wie Gewerkschaften wurden rücksichtslos unterdrückt. Viele ihrer Repräsentanten wurden verhaftet. Manche Historiker sprechen für diese Zeit daher von einer „austrofaschistischen Diktatur“.
Ungarn
In Ungarn existierten bereits nach dem ersten Weltkrieg eine Reihe rechtsextremer Parteien und Organisationen. Teilweise gab es auch direkt am Vorbild der deutschen SA und SS geformte paramilitärische Verbände. Die bedeutendste und klar faschistische Formation war die Pfeilkreuzler-Bewegung (Hungaristen) unter ihrem Führer und ungarischem Generalstabsoffizier Férenc Szálasi. Unter ihm kommt es auch zur Gründung der „Ungarischen Nationalsozialistischen Partei“, die sich in vielem am deutschen Nationalsozialismus orientierte. Allerdings bekannte Szálasi sich weiterhin zum Katholizismus und sah in seinem Hungarismus eine religiöse Bewegung. Er glaubte an ein „Karpato-danubisches Großes Vaterland“, das völkisch durch eine eigene Rasse bestimmt sei. Der Nationalsozialismus in Deutschland müsse diese Sphäre akzeptieren. Szálasi Anhänger kannten auch einen biologischen Rassismus und organisierten rassekundliche Schädelmessungen. Die Juden sollten nach der erfolgten Machtergreifung das Land verlassen müssen. Die Machtübernahme gelang aber nicht, trotz einer großen Popularität und eines großen Einflusses in der Politik. Szálasi scheiterte an einem bestehenden autoritären Regime, das zwar nicht nationalsozialistisch war, aber sich doch als rechte Militärdiktatur formierte. Erst gegen Ende des Krieges, am 16. Oktober 1944, konnte Szálasi doch noch Regierungschef werden, nachdem die Deutschen mittels eines Putsches die Regierung Horthy zum Rücktritt gezwungen hatten.
Rumänien
Rumänien war aus dem 1. Weltkrieg zwar mit territorialen Gewinnen hervorgegangen, aber es war ökonomisch rückständig. Eine stabile politische Lage konnte sich nicht ausbilden. Nach den ungarischen Pfeilkreuzlern war die faschistische „Legion Erzengel Michael“ („Eiserne Garde“) unter ihrem Führer Codreanu in den 30er Jahren die zweitgrößte faschistische Bewegung außerhalb Italiens und Deutschlands. Wie die SA oder die italienischen „Squadri“ trug auch sie durch Terror zur Destabilisierung des rumänischen Staates bei. Die „Eiserne Garde“ weist dabei alle für faschistischen Bewegungen typische Elemente auf: Sie versteht sich als weltanschauliche Bewegung, mithin als religiöse Kampfgemeinschaft, sie besitzt einen ausgeprägten Führerkult und eine Verherrlichung des Militärischen und des Kampfes. Kultische Rituale einer pseudoreligiösen Gemeinschaft sind bei den rumänischen Faschisten vielleicht noch ausgeprägter als in anderen Regionen. So gab es eine Aufnahmezeremonie, bei der die Neulinge Blut aus Schnittwunden an den Armen anderer Mitglieder saugen mußten. Und es gab einen Schwur, der die Mitglieder verpflichtete, auf Befehl zu töten. Die rumänische „Eiserne Garde“ war die einzige faschistische Bewegung, die einen ähnlich radikalen Antisemitismus vertrat wie der deutsche Nationalsozialismus. Allerdings traf sie in ihrem Machtstreben auf den rumänischen König Carol, der seinerseits autoritäre Ansprüche hatte. In einem eigenen Staatsstreich läßt dieser alle Parteien verbieten und ein Kabinett von seinen Gnaden einsetzen. Codreanu wird ermordet. Im September 1940 übernimmt der Generalstabschef Ion Antonescu die Macht und regiert das Land diktatorisch. Rumänien wird Verbündeter von Deutschland, und hat vor allem wegen seiner Ölvorkommen strategische Bedeutung. Die „Eiserne Garde“ wird zerschlagen und ihre neuen Führer zum Tode verurteilt. Allerdings um den Preis einer quasifaschistischen Diktatur.
Frankreich
Wie in anderen europäischen Ländern gab es auch in Frankreich eine Reihe von nationalistischen und teilweise antisemitisch ausgerichteten Gruppen. Die bedeutendste dieser Gruppen, die in den 20er Jahren eine gewisse Bedeutung erlangte, war die „Action francaise“ unter ihrem Führer Charles Maurras. Aus dieser Bewegung spaltete sich unter Georges Valois die Bewegung „Le Faisceau“ ab, die offen einen nationalen Sozialismus propagierte und dem italienischen Vorbild nacheiferte. Ähnliche kleinere Gruppen entstanden ebenfalls, die sich teilweise – mit mäßigem Erfolg – zur Wahl stellten. Alle Gruppen waren mehr oder weniger antisemitisch. Versuche zur Machtübernahme gab es nicht, auch konnten die französischen Faschisten das politische System nicht erschüttern. Mit der Besetzung Frankreichs durch das nationalsozialistische Deutschland mußte die faschistische Bewegung automatisch in einen inneren Widerspruch geraten: die mehr oder weniger ausgeprägte Vorbildwirkung der faschistischen Regime Italien und Deutschland vertrug sich schlecht mit dem propagierten französischen Nationalismus.
Großbritannien
1932 gründete Oswald Mosley – ein ehemaliges Führungsmitglied der Labour-Party – die „British Union of Fascists“ (BUF). Auch diese Organisation versuchte einen Führerkult zu installieren und inszenierte öffentliche Aufmärsche. Mit Schlägertrupps versuchte sie, wie überall die Faschisten in Europa, das politische System zu destabilisieren, was ihr aber nicht gelang. Programmatisch betonte sie ein Übermenschentum und die Weltbedeutung Großbritanniens. Ihr Schwerpunkt lag allerdings bei einer Umgestaltung des Landes in ökonomischer Hinsicht. Anfangs kaum antisemitisch, entwickelte sich ein zunehmend schärferer antijüdischer Kurs, der aber niemals die Dimension des deutschen Nationalsozialismus erreichte. Mit Beginn des 2. Weltkriegs verlor Mosley nicht nur weitere Anhänger, seine Bewegung wurde aufgelöst und er selbst ins Gefängnis gebracht.
Skandinavien
In den skandinavischen Ländern Dänemark, Schweden und Norwegen gab es starke faschistische Bewegungen. In Schweden seit 1930 die SNP (Schwedische Nationalsozialistische Partei), später NSAP (Nationalsozialistische Arbeiterpartei), in Dänemark die DNSAP (Dänische Nationalsozialistische Arbeiterpartei) und in Norwegen die „Nasjonal Samling“ (Nationale Sammlung). Alle orientierten sich eher am deutschen Nationalsozialismus als am italienischen Faschismus. Als selbsternannte Vertreter der nordischen Herrenrasse konnte sie hier auch größere programmatische Berührungspunkte finden. In allen drei Staaten traten sie bei Wahlen an, ohne auch je nur zweistellige Ergebnisse zu erzielen. Sie blieben in den politischen Systemen bedeutungslos. Erst mit der Besetzung Dänemarks und Norwegens durch die deutsche Wehrmacht, bekamen die Faschisten politischen Einfluß. Das NS-Regime konnte aus diesen Bewegungen willfährige Kooperationspartner rekrutieren. Berüchtigt in diesem Zusammenhang ist das Beispiel des norwegischen Nazi-Führers Quisling, der eine Marionetten-Regierung von Hitlers Gnaden anführte.
Fazit
Für das Erstarken einer faschistischen Bewegung müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein: starke innenpolitische Probleme wie Spannungen aus ökonomischen Problemen oder Konflikten zwischen ethnischen Gruppen. Oder auch das Gefühl der Depravierung nach dem Krieg. Dies erklärt, warum etwa in England oder auch in Schweden der Faschismus kaum eine Chance hatte. Zweitens: Keine faschistische Bewegung hat es – ihrem eigenen Ideal entsprechend – geschafft, durch einen Gewaltakt, also durch eine wirkliche Machtergreifung an die Macht zu kommen. Wo Faschisten einen solchen Putsch versucht haben, wie in Deutschland oder Österreich – sind sie gescheitert. Wo sie an die Macht gelangten, dann mit Hilfe alter Eliten und rechtsgerichteten Regierungen.
Faschismus-Theorien
Bereits unmittelbar nach dem Entstehen der ersten faschistischen Bewegungen war die Philosophie und politische Theorie herausgefordert, das neue Phänomen zu deuten. Im Überblick lassen sich schwerpunktmäßig folgende Theorien über den Faschismus unterscheiden, die sich untereinander allerdings wiederum in unterschiedliche Teilkonzepte differenzieren.
Faschismus als Kapitalismus
Nach dieser Theorie ist der Faschismus keine eigenständige Bewegung, sondern eine besondere Form des Kapitalismus. Aus der Perspektive einiger marxistischer Denker waren Anfang des 20. Jahrhunderts die Klassengegensätze so stark, daß eine Revolution des Proletariats wahrscheinlich wurde. Um dies zu verhindern, hätten die Träger des Finanz- bzw. Monopolkapitals den Faschismus installiert. Zugleich hatte der Faschismus die Funktion mit seiner Rede von „Volksgemeinschaft“ die realen Klassengegensätze zu vertuschen. Im Interesse der Kapitalisten war auch die große Rüstungsproduktion, die neue Profite sicherte. Der Faschismus ist, wie bereits 1924 die Komintern (Kommunistische Internationale) festhielt, die „offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Vertreten wurde diese These auch in der offiziellen Geschichtsschreibung der realsozialistischen Staaten. Allerdings zeigte eine genaue Analyse, daß die Großindustrie eher auf die konservativ nationalen Kräfte setzte und die faschistische Rechte erst mit ihren zunehmenden Erfolgen deutlicher unterstützte. Auch sprechen die betont antikapitalistischen Attitüden der frühen Bewegungen gegen eine planmäßige Steuerung durch das Kapital.
Faschismus als Phänomen einer Epoche
Nach dieser Interpretation ist der Faschismus ein Produkt der spezifischen politischen Bedingungen des frühen 20. Jahrhundert. Besondere Bedeutung haben dabei die geistigen und politischen Umwälzungen infolge des 1. Weltkrieges und das Aufkommen der bolschewistischen Sowjetunion. Bekanntester Vertreter dieser These ist der Historiker Ernst Nolte, der sie bereits in den 60er Jahren formuliert hatte. Im Kern stützt er sich auf eine vergleichende Interpretation von italienischem Faschismus, der französischen „Action francaise“ und dem Nationalsozialismus. Noltes Methode orientiert sich dabei an der Phänomenologie, das heißt der Faschismus soll nicht durch von außen herangetragene Interpretationsmuster – etwa ökonomische oder philosophiehistorische gedeutet werden, sondern vom Selbstverständnis dieser Bewegung selbst heraus. Der Faschismus erscheint so primär als Gegenbewegung gegen Kommunismus und Marxismus, im besonderen gegen die sozialistische Revolution in Rußland und ihrer drohenden Ausbreitung nach Westeuropa. Auf dieser Basis konnte sich der Faschismus auch Ängste mit Liberalen und Konservativem zu Nutze machen und in einem Bündnis mit ihnen diese selbst letztlich vernichten. Faschismus, so Nolte sei demzufolge „Gegenrevolution mit revolutionären Mitteln“. Noltes Thesen haben noch in den 90er Jahren einen heftigen Historikerstreit ausgelöst, der vor allem außerhalb wissenschaftlicher Fachkreise im Vorwurf gipfelte, Nolte relativiere den Faschismus und verharmlose ihn dadurch. Denn Historisierung bedeute auch gleichzeitig die mangelnde Gegenwartsrelevanz.
Faschismus als politische Religion
Diese These geht von der Grundsituation der Säkularisierung der Welt in der Moderne aus, also dem Verlust allgemein bindend anerkannter religiöser Glaubenswahrheiten. Dieser Prozeß, von den Zeitgenossen bewußt oder unbewußt als Verlust erlebt, sei vor allem in den Industriegesellschaften gegen Ende des 19. Jahrhunderts dramatisch vorangeschritten. Der Faschismus erscheint – im Empfinden seiner Anhänger – als eine Kompensation des Glaubensverlustes. Durch äußere Ritualisierung und Anspruch auf Weltanschauung imitiert er die verlorengegangene Religion. Tatsächlich zeigt sich, daß vor allem die öffentliche Inszenierung des Faschismus religiöse Rituale kopierte. An Stelle der Gemeinschaft der Gläubigen im Christentum trat nun die Volksgemeinschaft geeint durch einen weltanschaulichen Glauben. Der Führer wurde inszeniert als eine Art Messias und wurde als gottgleicher Übermensch verehrt. Vor allem die deutschen Reichsparteitage erinnerten in vielen Elementen an religiöse Zeremonien: Der Einzug der Fahnen, ritualisierte Schwüre und Glaubensbekenntnisse, die von Zehntausenden gleichzeitig skandiert wurden, dienten diesem Zweck. Die Fahnenweihe, bei der die Blutfahne – angeblich bei Hitlers gescheitertem Putsch von 1923 mitgeführt – durch bloße Berührung alle anderen Parteifahnen heiligte, imitierte christlichen Reliquienkult. Auch die Reden vieler NS-Führer haben Anklänge an religiöse Zeremonien. Hitler konnte sogar einmal eine Parteitagsrede mit einem „Amen“ beenden. Die Propaganda betont immer wieder, daß Hitler von der „Vorsehung“ oder gar vom „Himmel“ geschickt worden sei. Auch der Gruß „Heil-Hitler“ ist in diesem Kontext zu sehen. „Heil“ im Kontext von „Heil Christi“ selbst wurde aus dem religiösen Zusammenhang gelöst und sollte nun signalisieren, das „Heil“ komme nun durch Hitler. Dieser Zusammenhang zwischen Religion und Politik war übrigens schon den Zeitgenossen aufgefallen. Der jüdische Religionskundler Hans-Joachim Schoeps hatte ebenso wie der katholische Philosoph Romano Guardini die Imitation des Religiösen durch den Faschismus kritisiert.
Faschismus als Totalitarismus
Eine der frühesten und zugleich einflußreichsten Interpretationen des Faschismus ist die des Totalitarismus. Ausgehend von der Voraussetzung einer liberalen Demokratie, die durch individuelle Freiheit, Pluralismus sowie eine klare Trennung zwischen Staat, Ökonomie und Privatem bestimmt wird, erscheint der Faschismus als negatives Gegenkonzept. Eine einzige Ideologie wird als allgemein verbindlich erklärt und, noch wichtiger: Diese soll alle Bereiche des gesellschaftlichen, staatlichen und ökonomischen Lebens durchdringen. So wurden beispielsweise im Nationalsozialismus nicht nur Staat und Verwaltung weltanschaulich ausgerichtet und nach dem Führerprinzip organisiert, auch in der Ökonomie wurde das Verhältnis von Arbeitgeber zu Arbeiter zu einem Verhältnis von „Betriebsführer“ und „Gefolgschaft“. Auch im Privatleben wurde vom „Volksgenossen“ verlangt, ganz nationalsozialistisch zu sein. Die Familie sollte ein Kameradschaftsverband sein und Kinder waren ein verlangter Beitrag zur Volksgemeinschaft. Die Totalitarismus-Interpretation beschreibt zutreffend einige Grundprinzipien des Faschismus. Bereits Mussolini sah im Faschismus das Konzept des „stato totalitario“. So bestechend diese Argumentation ist, birgt sie doch die Gefahr, daß das Spezifische des Faschismus übersehen wird. Vor allem läßt sich aus diesem Konzept weder der extreme Antisemitismus oder gar der Holocaust des deutschen Nationalsozialismus erklären. Das Totalitarismuskonzept birgt so die Gefahr, gerade diesen zu relativieren. Vor allem in der Zeit des Kalten Krieges war das Totalitarismuskonzept sehr populär, ermöglichte es doch die Gleichsetzung von faschistischen und kommunistischen Regimen und damit deren besondere Abwertung.
Faschismus und Moderne
Eine besonders heftige Diskussion in der Forschung besteht über die Frage des Verhältnisses von Faschismus zu Moderne und Aufklärung. Dabei stehen sich grundlegend zwei Positionen gegenüber: Die erste geht davon aus, der Faschismus sei mit seinen pseudoreligiösen Ritualen, seiner dubiosen Rassenlehre und den weltanschaulichen Mystizismen ein Rückfall in vormoderne Verhältnisse. Faschismus erscheint in dieser Perspektive geradezu als Gegenpol zu Aufklärung und Vernunft. Andererseits hat der Faschismus selbst – abgesehen von einigen politisch bedeutungslosen Splittergruppen innerhalb der Bewegung – keinen Rückgang in vormoderne, etwa mittelalterliche Zeiten angestrebt. Im Gegenteil: Sein ausgesprochener Fortschritts- und Technikfanatismus, sein Jugend- und Körperkult, sein Glaube an die nahezu beliebige Machbarkeit verkörpern eher moderne Tendenzen. Propagandaminister Goebbels beispielsweise hat die „stählerne Romantik“ als Hingabe und Technik gegenüber der alten rückwärtsgewandten Romantik eingefordert. Auch die Entwicklung einer effizienten Bürokratie, die ohne emotionale Beteiligung der einzelnen Akteure den Holocaust und die Vernichtung geistig Behinderter in großem Stil durchführt, sind eher moderne Elemente. Begreift man als Leistung von Aufklärung und Moderne vor allem die Ausbildung von liberalen, individualistischen und pluralistischen Gesellschaftsmodellen, dann ist der Faschismus fraglos eine reaktionäre Bewegung. Sieht man in der Moderne vor allem eine Entwicklung zur Technik und Effizienz und dem Anspruch eine Gesellschaft nicht von Gott gegeben zu sehen, sondern beliebig zu gestalten, dann wird der Faschismus als Bewegung der Moderne gesehen werden müssen.
Zusammenfassung
Alle Theorien über Faschismus – und es gibt zu jeder wiederum eine Vielzahl von Varianten – haben ihre Stärken und Schwächen. Jede erfaßt einen gewissen Aspekt des Faschismus, keine ist bisher in der Lage, den Faschismus insgesamt hinreichend zu erklären. Aber auch eine einfache Mischung der Theorien macht keinen Sinn, weil ihre Ansätze zu inkohärent sind. Man sollte die Faschismuskonzeptionen daher vor allem als Fragestellungen verstehen, als Forschungsansätze, die bestimmte Problemlagen zu klären helfen. In diesem Kontext ist die Frage nach dem Verhältnis des Faschismus zur modernen Gesellschaft besonders bedeutend. Denn von der Frage, ob es sich beim Faschismus um ein abgeschlossenes historisches System handelt oder um ein – wenigstens in manchen Aspekten – modernes Phänomen, hängt es ab, wie weit der Faschismus oder faschistische Denkstile auch künftig eine reale Gefahr für die Gesellschaft darstellen.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
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