Der stählerne Diktator der Sowjetunion
Am 6. bzw. 18. Dezember (julianischer/gregorianischer Kalender) des Jahres 1878 erblickte Iosif Vissarionovič Džugašvili (eingedeutscht: Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili) in Gori als Sohn eines Schuhmachers und einer Waschfrau das Licht der Welt. Gori gehörte damals zum Gouvernement Tiflis des Russischen Kaiserreichs, heute ist es Teil von Georgien. In die Geschichte eingehen sollte Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili aber unter einem anderen Namen, einem Kampfnamen, den er 1912 annahm: Stalin, was „der Stählerne“ bedeuten soll und die Erbarmungslosigkeit und Standhaftigkeit des sowjetischen Diktators durchaus treffend umschreibt. In Russland wird er bis heute von vielen als großer Staatsmann verehrt, für den Westen war er bis 1939 hinein ein solch bedrohlicher Gegner, dass Briten, Franzosen und Amerikaner zuließen, dass Hitler zum Krieg rüstete. Man glaubte damals, ein starkes, nationalistisches Deutsches Reich könne als Bollwerk gegen den Staatssozialismus und die Sowjetunion fungieren. Am Ende verbündete sich der Westen mit ihm, um Hitler loszuwerden – ein Bündnis von kurzer Dauer, denn kaum war der Zweite Weltkrieg vorbei, war die UdSSR wieder der Feind. Sehr viel mehr wissen die meisten von uns auch nicht über Stalin.
Iosseb Dschughaschwili befasste sich schon während seiner Zeit im russisch-orthodoxen Priesterseminar in Tiflis, das er ab 1894 besuchte, mit den Schriften von Karl Marx (1818 – 1883) und anderen kommunistischen Autoren. 1898 trat er der von Lenin (1870 – 1924; geboren als Wladimir Iljitsch Uljanow) und Julij Martow (1873 – 1923; geboren als Julius Zederbaum) gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) bei. Ein Jahr später schloss man ihn wegen seiner revolutionären Tätigkeiten aus dem Priesterseminar aus, obwohl diese höchste Bildungsanstalt Georgiens ein Zentrum der Opposition zum Zarentum darstellte.
Dschughaschwili wurde zum Berufsrevolutionär. Die Tatsache, dass er das Priesterseminar wohl nur besuchte hatte, weil es ihm als angesehene Bildungseinrichtung bessere Karrierechancen ermöglichte, zeigt aber schon, dass Dschughaschwili eine opportunistische Ader hatte. Lenin selbst, der Dschughaschwili zunächst förderte und für sein Organisationstalent lobte, sollte vor seinem Tod noch vor dem Machthunger Stalins warnen. Als die SDAPR sich 1903 in Lenins radikale Bolschewiki („Mehrheit“) und Martows gemäßigte Menschewiki („Minderheit“) spaltete, schlug Dschughaschwili sich auf die Seite der Bolschewiki und wurde noch im selben Jahr nach Sibirien verbannt, wo er Ketewan Swanidse (1880 – 1907) heiratete.
1904 gelang Dschughaschwili die Flucht. Fortan plante er Raubüberfälle für die Revolutionäre, die – ähnlich wie in Deutschland später bei der RAF – die Bewegung finanzieren sollten. Dschughaschwilis größter Coup war der Überfall auf die Reichsbankfiliale in Tiflis am 25. Juni 1907. Immer wieder wurde Dschughaschwili verhaftet, konnte aber wohl wegen Kontakten zur Geheimpolizei stets nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß kommen. 1912 dann berief Lenin ihn ins Zentralkomitee der Bolschewiki und er nahm den Kampfnamen Stalin an. 1913 wurde Stalin wieder nach Sibirien verbannt und konnte erst nach dem Ende der Zarenherrschaft wieder heimkehren. So wurde er 1917 mit der Oktoberrevolution Volkskommissar für Nationalitätenfragen in Lenins Regierung und Mitglied der Redaktionsleitung der Zeitschrift „Prawda“ („Wahrheit“).
Im Rahmen der ersten Regierungsjahre und des Bürgerkriegs bewies er, dass sich seine Härte nicht auf das Durchsetzen der Revolution beschränkte. Mit äußerster Brutalität gliederte er die Länder am Kaukasus in die UdSSR ein und bekämpfte die Aufstände in Polen in seiner Funktion als Politischer Kommissar. Hierbei kam es dann auch zum Bruch mit Leo D. Trotzki (1879-1940). Bei der Neuorganisation der Partei im Jahre 1919 war Stalin die einzige Person, die sowohl Mitglied des Polit- als auch des Organisationsbüros wurde. Ferner wurde er Volkskommissar für Arbeiter- und Bauerninspektion. Er heiratete ein zweites Mal, diesmal Nadeschda Sergejewna Allilujewa (1901 – 1932). 1922 wurde er dann zum Generalsekretär, ein neu einzig für ihn geschaffenes Amt.
Der gesundheitlich stark angeschlagene Lenin hatte vor seinem Tod noch vor den Machtambitionen Dschughaschwili gewarnt, jedoch vergebens: Die zweite Hälfte der 1920er nutzte Stalin, um alle Konkurrenten in der Partei – allen voran Trotzki – auszuschalten, seine Machtbasis zu festigen und zum Alleinherrscher aufzusteigen. Die Maxime, die Stalin 1929 dann verkündete, lautete „Sozialismus in einem Land“. Stalin begann Bürger im Rahmen von Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft zu enteignen und die Industrialisierung innerhalb eines Fünfjahresplans mit äußerster Härte voranzutreiben. Die schon unter Lenin erkennbare Verfälschung der Ideale von Marx wurde hier nun ganz eklatant. Statt einer Verstaatlichung der Produktionsmittel und einer Umverteilung von oben nach unten, verstaatlichte er Besitztümer zur persönlichen Bereicherung. Die sozialistische Diktatur, die laut Marx nur ein kurzzeitig notwendiges Übel wäre, um den kapitalistischen in einen kommunistischen Staat zu überführen, erhielt Stalin aufrecht, indem er einen „permanenten Revolutionszustand“ verkündete. Ferner sah Marx die Industrialisierung als eine notwendige Voraussetzung für die sozialistische Revolution, nicht als etwas, was ihr folgen sollte.
Aber Josef Stalin brach auch mit Lenin. Im Rahmen der „Großen Säuberung“ wurden zwischen 1934 und 1939 die Mitglieder der alten Führungsriege der Bolschewiki in Schauprozessen verurteilt und öffentlich hingerichtet. 1939 schlossen Stalin und Adolf Hitler (1889 – 1945) einen geheimen Nichtangriffspakt, den Hitler bekanntlich brach, was zum Krieg zwischen Sowjetunion und Deutschem Reich führte. Stalins Sohn aus erster Ehe, Jakow, starb in deutscher Kriegsgefangenschaft, weil sein Vater keinen Finger rührte, um ihn freizubekommen.
Stalin schloss im Zuge des Zweiten Weltkriegs eine brüchige Allianz mit den Westalliierten Vereinigtes Königreich, USA und Frankreich und konnte 1945 bei der Konferenz von Jalta viele seine Interessen durchdrücken. Der spätere Warschauer Pakt expandierte bis in die Mitte Europas hinein, was zur Teilung Deutschlands in Bundesrepublik Deutschland (Westalliierte) und Deutsche Demokratische Republik (UdSSR) führte. 1948 versuchte Stalin dann sogar, das bis dahin geteilte Berlin mit einer Blockade ganz für sich einzunehmen. Mittels einer Luftbrücke versorgte der Westen seine Exklave im DDR-Gebiet und vereitelte sein Vorhaben so.
1950 brach mit dem Koreakrieg der erste Stellvertreterkrieg zwischen den Demokratien des Westens, geführt durch die USA, und dem staatssozialistischen Warschauer Pakt, geführt durch die UdSSR, aus. Doch so sehr Stalin auch nach Macht und Expansion strebte, 1952 bot er gar die Wiedervereinigung und Wiederbewaffnung ganz Deutschlands an, um dem Westen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) auszureden, die später mit der NATO in noch viel größerem Ausmaß verwirklicht wurde.
In der Nacht vom 28. Februar auf den 1. März 1953 erlitt Josef Stalin in seiner Datscha in Kunzewo bei Moskau einen Schlaganfall. Er war allein in seinen Räumlichkeiten und niemand wagte es, ihn dort zu stören. So dauerte es, bis der Zustand des Diktators bemerkt wurde. Doch zögerte sein innerer Kreis seine ärztliche Behandlung selbst dann noch wohl bewusst hinaus, sodass Stalin am 5. März 1953 verstarb.
Literatur
Helmut Altrichter: Der Herr des Terrors. Verlag C. H. Beck, München 2018.
Anton Antonow-Owssejenko: Porträt einer Tyrannei. Piper, München/Zürich 1983, ISBN 3-492-02760-1; Ullstein, Frankfurt/Berlin 1986.
Jörg Baberowski: Gesichter eines Despoten in unveröffentlichten Fotografien. In: Zeithistorische Forschungen 12 (2015), S. 344–355.
Jörg Baberowski: Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt. C.H. Beck, München 2012.
Kreml-Geheimnisse. Marienburg, Würzburg 1956.
Richard Overy: Russlands Krieg 1941–1945. Reinbek 2003.
Geoffrey Roberts: Stalin’s Wars. From World War to Cold War, 1939–1953. Yale University Press, New Haven 2007, (Rezension).
Maximilien Rubel: Josef W. Stalin in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt, Reinbek 1975.
Stalin-Biografie: Misstrauisch und ohne Mitleid. Podcast auf Deutschlandfunk Kultur.