Kommandant des KZ Auschwitz
Das Konzentrationslager Auschwitz ist Inbegriff der Vernichtung der Juden Europas. Rudolf Höß war sein Kommandant. Unter seiner Leitung wurde Auschwitz zum größten Vernichtungslager, in dem weit über eine Million Menschen ermordet wurden. Trotzdem ist Höß‘ schrecklicher Ruhm nicht nur auf seine Tätigkeit als Lagerkommandant zurückzuführen. Vielmehr ist er bekannt, weil wir so viel über seine Verbrechen von ihm selbst wissen. Nachdem Höß von einer britischen Einheit im März 1946 gefangen genommen wurde, erwies er sich als äußerst redseliger Häftling, der bereitwillig und bis ins Detail seine Tätigkeiten in Auschwitz offen legte. In polnischer Haft schrieb er Anfang 1947 sogar seine Memoiren, die einen psychologischen Einblick in die Persönlichkeit eines der furchtbarsten nationalsozialistischen Verbrecher bietet. Höß‘ Autobiographie schockiert aber nicht dadurch, dass sie das Bild eines brutalen Sadisten zeichnet. Im Gegenteil beschreibt sich der Lagerkommandant selbst als pflichtbewusst und sensibel, als tierlieb und als Familienmensch. Gerade hierin liegt das Groteske und Furchtbare seiner Aufzeichnungen.
Rudolf Höß wurde 1901 geboren. Vieles in seiner Biographie ist auch exemplarisch für einen wichtigen Teil seiner Generation. Als Freiwilliger kämpfte er im Ersten Weltkrieg, danach schloss er sich einem Freikorps an, das sowohl in Lettland als auch im Ruhrgebiet zum Einsatz kam. Höß nahm auch an den Kämpfen in Oberschlesien teil, in denen polnische und deutsche Einheiten die Grenzziehung durch den Völkerbund zu ihren Gunsten zu beeinflussen suchten. Nach Auflösung des Freikorps‘ hörte er in München eine Rede Adolf Hitlers. Er trat sofort in die NSDAP ein.
1923 wurde Höß wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er hatte an einem Attentat gegen einen „Verräter“ im Kampf gegen die französische Besatzung des Ruhrgebietes teilgenommen. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten trat er in die SS ein und wurde in Dachau eingesetzt, ein Lager, das zum Modell für das gesamte Konzentrationslagersystem werden sollte. Mit der Gründung des KL Auschwitz im Frühjahr 1940 wurde Rudolf Höß auch dessen Kommandant. Er sollte es bis Ende November 1943 bleiben. Danach wurde er wegen eines Korruptionsskandals abberufen, ist aber 1944 zurückgekehrt, um die Ermordung von über 400.000 ungarischen Juden zu überwachen. Am 16. April 1947 wurde das von einem polnischen Gericht verhängte Todesurteil gegen Rudolf Höß in Auschwitz vollstreckt.
Auschwitz entwickelte sich während Höß‘ Dienstzeit von einem kleinen Konzentrationslager zu einem riesigen Konzentrations- und Vernichtungslager. Hier wurde Anfang September 1941 zum ersten Mal das Gas Zyklon B eingesetzt; mehrere hundert sowjetische Kriegsgefangene wurden an diesem Tag vergast. In den Jahren darauf wurden wohl über 1 Million Menschen auf diese Weise getötet, in ihrer Mehrheit Juden.
Insgesamt sechs Millionen Juden wurden während der nationalsozialistischen Herrschaft ermordet. Nicht alle starben in Auschwitz. Auch in den Lagern der „Aktion Reinhard“ – Belzec, Treblinka und Sobibor – wurden in sehr kurzer Zeit über eine Million Juden aus dem Generalgouvernement vergast. Viele Menschen wurden auch in „Erschießungsaktionen“ ermordet oder starben beim Arbeitseinsatz unter den furchtbaren Bedingungen in den Konzentrationslagern.
Es wäre ganz sicher falsch, die Ursachen der Shoa auf den Sadismus einiger weniger Einzeltäter zu reduzieren. Die Frage, wie so etwas passieren konnte, lässt sich anhand des Lebenslaufes eines Rudolf Höß‘ freilich nicht einmal in Ansätzen beantworten. Trotzdem sind seine Memoiren eine wichtige Quelle, die Aufschluss über die Befindlichkeit eines unmittelbar an einem der furchtbarsten Verbrechen der Geschichte Beteiligten gibt. Es lässt einen schaudern, wenn man Sätze liest wie: „Mag die Öffentlichkeit ruhig weiter in mir die blutdürstige Bestie, den grausamen Sadisten, den Millionenmörder sehen – denn anders kann sich die breite Masse den Kommandanten von Auschwitz gar nicht vorstellen. Sie würde doch nie verstehen, dass der auch ein Herz hatte, dass er nicht schlecht war.“
Erklärung unter Eid von Rudolf Höß, seinerzeit Kommandant des KZ Auschwitz, im Nürnberger Pohl-Prozeß über die Massenmorde in Auschwitz, 1946/47
„Ich befehligte Auschwitz bis zum 1. Dezember 1943 und schätze, daß mindestens 2.500.000 Opfer dort durch Vergasung und Verbrennen hingerichtet und ausgerottet wurden; mindestens eine weitere halbe Million starben durch Hunger und Krankheit, was eine Gesamtzahl von ungefähr 3.000.000 Toten ausmacht. Diese Zahl stellt ungefähr 70 oder 80% aller Personen dar, die als Gefangene nach Auschwitz geschickt wurden, die übrigen wurden ausgesucht und für Sklavenarbeit in den Industrien im und um das Konzentrationslager verwendet […]
Massenhinrichtungen durch Vergasung begannen im Laufe des Sommers 1941 und dauerten bis zum Herbst 1944. Ich beaufsichtigte persönlich die Hinrichtungen in Auschwitz bis zum 1. Dezember 1943. Nachdem ich das Vernichtungsgebäude in Auschwitz errichtet hatte, verwandte ich Zyklon B, eine kristallisierte Blausäure, das durch eine kleine Öffnung in die Todeskammern eingeworfen wurde. Die älteren Vernichtungslager Belzec, Treblinka und Wolzek hatten Monoxydgas verwendet.“
Autor: Redaktion Zukunft braucht Erinnerung
Literatur
Broszat, Martin (Hg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höß, München 2004.
„Höss, Rudolf“, in: Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd. 2, hrsg. von Peter Longerich, Eberhard Jäckel und Julius H. Schoeps, München 1982.
Gutman, Yisrael / Michael Berenbaum / Raul Hilberg (Hrsg.): Anatomy of the Auschwitz Death Camp, Indiana University Press 1998.