
Zyklon B Etikett
Handelsname von Blausäure bzw. Cyanwasserstoff (HCN), war ein hochgiftiges Gas. Nur in chemisch reinem Zustand ist Blausäure als Flüssigkeit beständig. Der Siedepunkt liegt bei 25,7°C. Daher verdunstet Blausäure sehr rasch und geht in die gasförmige Phase über. Ihre Wirkung bei Lebewesen beruht auf der Hemmung oder Unterbindung der Sauerstoffversorgung der Zellen. Dadurch wird die Atmung zum Stillstand gebracht. Es genügen ca. 70 mg Blausäure, um einen erwachsenen Mann zu töten, d.h. ca. ein Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Bei der für Entwesungen üblichen Konzentration von 10g/m3 enthalten ungefähr 10 Atemzüge die tödliche Dosis. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts ist Blausäure, zunächst in flüssiger Form, als Schädlingsbekämpfungsmittel bekannt und benutzt worden. Das Vorgängerprodukt von Zyklon B war Zyklon A, ein flüssiges Blausäuremittel, das für Entwesungszwecke Verwendung gefunden hat. Sein Verschwinden aus der Begasungspraxis ist weniger auf seine technischen Mängel als auf die größere Wirtschaftlichkeit und die technischen Vorzüge des später eingeführten Zyklon B zurückzuführen. Die Herkunft des Namens „Zyklon B“ lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen. Einerseits stand er als Abkürzung für Zyklon-Blausäure, auf der anderen Seite könnte er auch nur die alphabethische Reihenfolge A, B, als Nachfolgeprodukt von Zyklon A kennzeichnen. Im nicht-deutschsprachigen Raum trifft man auch häufig auf die Bezeichnung Cyklon, Cyklon B, oder französisch „Làcide cyanhydrique“ oder „Cyanure d` Hydrogene“. Auf den Büchsenetiketten stand oft auch nur die Bezeichnung „Zyklon“.

Zyklon B – gefunden bei der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Majdanek. Polen, nach Juli 1944. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum
Bei Zyklon B ist eine chemische Stabilisation durch Oxalsäure oder Chlorkohlensäuremethylester mit einer mechanischen Stabilisierung durch Aufsaugung in porösem Material (Erco) verbunden. Als Warn- oder Reizstoff wurde Bromessigsäuremethylester verwendet. Als Verpackung dienten Blechdosen durch Umbördeln der Böden und Deckel unter Einlage einer dünnen Gummidichtung abgedichtet. Die Verpackung in Dosen ermöglichte die Abfüllung von Einheiten zu je 100, 200, 500, 1000, 1200 und 1500 Gramm. Die Dosen hatten eine Wandstärke von 0,35 -0,42 mm und hielten je nach dem Durchmesser einen Innendruck von 6-10 atü aus. Sie konnten nach Gebrauch wiederverwendet werden. Es bestand keine Explosionsgefahr, da die eingesetzten Konzentrationen des Zyklon B zweihundert mal geringer waren, als die Konzentration zur Erzeugung eines hochexplosiven Gasgemisches hätte sein müssen.
Mit Zyklon B ermordeten die deutschen Faschisten (Nationalsozialisten, wie sie sich selbst bezeichneten) in den Konzentrationslagern in Auschwitz, Majdanek, Sachsenhausen, Ravensbrück, Stutthof, Mauthausen und Neuengamme in den Jahren 1941 – 1945 Millionen Menschen aus ganz Europa, Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene, politische und andere Verfolgte des Naziregimes. Der Einsatz von Zyklon B zur Ermordung von Menschen testete die SS erstmals im Herbst 1941 in Auschwitz, als verschiedene Institutionen im Reich und den besetzten Gebieten nach einer Methode zur Ermordung der europäischen Juden suchten. Im September 1941 wurde im Lager Auschwitz 1 eine Gruppe sowjetischer Kriegsgefangener und anderer Häftlinge mit Zyklon B getötet. Von da an wurde in Auschwitz II Birkenau Zyklon B zur fabrikmäßigen Vergasung der aus allen Teilen des besetzten Europa deportierten Juden verwendet. Im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek wurden Zyklon B und Kohlenmonoxyd zur Vergasung von Häftlingen eingesetzt, in geringerem Maße auch in den Konzentrationslagern Stutthof und Neuengamme. Im Gegensatz dazu erfolgten die Ermordungen in den Vernichtungslagern Chełmno, Belzec, Sobibor und Treblinka mittels Kohlenmonoxyd in Flaschen oder durch Motorenabgase.
Die Herstellung von Zyklon B und seine Lieferung an die Lager lagen in der Hand der 1919 gegründeten Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH). Herstellungsbetriebe waren die Dessauer Werke für Zucker und Chemische Industrie (Dessauer Zuckerraffinerie), die Kaliwerke Kolin (ab 1935/36, heute in Tschechien) und im Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Degussa und der französischen Ugine in Villers-Saint-Sépulcre. Der Hauptproduzent war in Dessau. 1930 trat die IG Farben in den Gesellschafterkreis der Degesch ein und war mit 30% an ihr beteiligt. Bis dahin galt die Degesch als 100%ige Tochterfirma der Degussa. Sitz der Degesch war in den Räumen der Degussa in Frankfurt am Main, später in Friedberg/Hessen. 1936 wurde ein neuer Vertrag abgeschlossen. Dementsprechend gehörte die Degesch zu 42,5% der IG Farben, zu 42,5% der Degussa und zu 15% dem Theo Goldschmidt Konzern. Der Firmenleitung von Degesch kann die Verwendung ihres Produkts Zyklon B nicht verborgen geblieben sein. Die SS beauftragte Mitte 1943 die Gesellschaft, den als Warnsignal vorgeschriebenen, besonderen Geruch des Gases, der vor der Gefährlichkeit der Substanz warnen sollte, zu beseitigen.
Autoren: Forschungsgruppe Zyklon B Dessau
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Forschungsgruppe Zyklon B, Dessau: Zyklon B, BOD, Norderstedt, 2007.
Gutman, Israel / Eberhard Jäckel / Peter Longerich (Hrsg.): Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. München 1998.
Hilberg, Raul: Die Vernichtung der europäischen Juden, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/Main, überarbeitete Auflage Dez. 1990.
Kalthoff, Jürgen /Martin Werner. Die Händler des Zyklon B, Hamburg 1998.
Marsalek, Hans: „Die Vergasungsaktionen im KZ Mauthausen“, Dokumentation, Wien 1988.
Pressac, Jean-Claude: Die Krematorien von Auschwitz – Die Technik des Massenmordes, Piper, Frankfurt am Main, 1995.
Tillion, Germaine: Frauenkonzentrationslager Ravensbrück, zu Klampen-Verlag, Lüneburg 1998.