Das Thema der Jugend im Widerstand ist eines, wie es breit gefächerter nicht sein könnte. Die Jugendorganisationen hatten zwar gemeinsame Feindbilder wie die HJ, Hitler selbst oder das gesamte Regime, ihre Bedeutung und ihr Wirkungsgrad ist von grundlegenden Unterschieden geprägt.
Die Swingjugend wurde in den Gestapoakten als ”wilde Jugendgruppe” vermerkt, was sie nicht als Widerstandsgruppe im eigentlichen Sinne deklarierte, sondern viel mehr als rebellische Jugendliche. Die Jugendlichen entstammten meist dem gehobenen Mittelstand, manche Sprösslinge auch reichen oder adeligen Familien; selten war unter ihnen ein Mitglied aus der ”Arbeiterschicht” zu finden und sie waren etwa zwischen 14 und 21 Jahren.
Diese oppositionelle Jugendkultur bildete sich vorwiegend in Städten wie Hamburg, Berlin und Frankfurt. Die Jugend suchte bewusst den englisch- amerikanischen Lebensstil und hob sich durch ihre Kleidung und Erscheinung, lange Haare, Sakkos und Hüte, ab. Sie änderten Swingtitel so, dass daraus Spottverse auf die HJ und die Nationalsozialisten wurden, sie grüßten einander mit ”Swing Heil!”. Die Bewegung war in der Regel unpolitisch, wurde aber mit der zunehmenden Verfolgung durch die Gestapo und teilweise sogar durch die HJ immer politischer, um dann schließlich in der Ablehnung des Regimes zu gipfeln.
Als Heinrich Himmler im August 1941 den Befehl gab, das ”Übel aufs radikalste auszurotten“ und verfügte, die Anführer seien für 2-3 Jahre in ein KZ zu überstellen, löste das eine gewaltige Verhaftungswelle aus; 300 ”Swingkids” fasste die Gestapo. Je nach ”Rang in der Organisation” wurde ihr ”Verbrechen” mit Abschneiden der Haare bis hin zu KZ- Haft bestraft. Den “Swing Kids” wurde 1993 im gleichnamigen Film ein Denkmal gesetzt.
Der Widerstand wurde in Jugendgruppen organisiert und durch Gegenmaßnahmen radikalisiert
In den Gestapoakten wurden zahlreiche solcher Banden, die es teilweise bis zu einem Stellungskampf gegen die HJ brachten, einfach unter dem Sammelbegriff ”illegale bündische Umtriebe” vermerkt, zu denen Gruppierungen wie die dj.1.11, die Edelweißpiraten, die Swing Kids und zahlreiche Studentenbünde zählten, der bekannteste wohl die Weiße Rose. Wenn man von der Weißen Rose absieht, waren die Ziele meist relativ einfache wie Freiheit in der Freizeitgestaltung oder die Abschaffung des Index. Durch die unzähligen Verfolgungen schwangen die einfachen Motive um und die Gruppen engagierten sich für die Abschaffung der HJ und wie in selteneren Fällen, für den Sturz des Regimes.
Eine Gruppierung, die ich bereits erwähnte, waren die Edelweißpiraten, wie die Swingjugend eine ”wilde Jugendgruppe”. Das Verbot der Gruppierung erfolgte 1936; die Gründung lag zu diesem Zeitpunkt etwa 27 Jahre zurück, der Verein wurde kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges als Wandergruppe gegründet. Vor allem Jugendlichen aus der Arbeiterschicht sollte hier die Möglichkeit geboten werden, an günstigen Fahrten in Großstädte, Wanderungen in den Bergen und Zelten bei Natur, Lagerfeuer, Lektüre und Musik teilzuhaben. Hier wurde ihnen Gemeinschaft und abwechslungsreiche Freizeitgestaltung geboten, zu einer Zeit, als dies nicht selbstverständlich war. Bevor sie als ”jugendliches Rebellentum” verboten wurden, hatten die 1.200 Gruppen etwa 100.000 Mitglieder, von denen sich etliche dem aktiven Widerstand anschlossen.
Obwohl die Gruppen über das gesamte ”Großdeutsche Reich” verteilt waren, gab es immer ein bindendes Glied zwischen ihnen: die Gegnerschaft mit der HJ. Was die Edelweißpiraten aber von einigen anderen Gruppierungen unterschied, war, dass sie auch Mädchen aufnahmen, was natürlich wieder für einige Aufregung bei der HJ sorgte, dachte man dabei fast ausschließlich an erotische Hintergründe.
Die Edelweißpiraten entwickelten einen eigenen Stil mit kurzen Lederhosen, Halstüchern, Wanderschuhen und Hemden. Auch diese Abweichung von ”normaler” Kleidung, also der HJ-Uniform, brachte selbstverständlich wieder einige Probleme mit sich, da einige der HJ bereits Erfahrung mit Menschen dieser ”Art” gemacht hatten und dies führte nicht selten zu unangenehmen Zusammenstößen.
1942 wurde Köln als Zentrum der Edelweißpiraten aufgedeckt und über 3.000 bei der Gestapo vermerkt; wie die Swingkids traf auch die Edelweißpiraten eine Verhaftungswelle. Die genaue Anzahl der Verhafteten ist nicht bekannt, führten die Mitglieder doch keine Bücher und kannten sich oft nur am Vor- oder Spitznamen. Eine unbekannte Zahl Jugendlicher wurde mit KZ-Haft bestraft, was in gewisser Weise einem Todesurteil, das andere erhielten, gleichkam. Manche wurden in eine Strafkompanie versetzt und zur Räumung von Minenfeldern verwendet, auch das, oftmals, ein Todesurteil mit Umweg.
Neben den Straßenschlachten gegen die HJ arbeiteten die Mitglieder weitaus subtiler Methoden aus, wie zum Beispiel Flugblätter. Die meisten hatten einen kurzen, prägnanten Text, der einer offenen Provokation der Gestapo gleichkam. Ob ihre kurzen, einfachen Texte auf mangelndes Talent oder auf Kalkül zurückzuführen sind, ist bis heute umstritten. Fest steht jedoch, dass man einen Text wie ”Weg mit der Scheiße aus dem Reichstag” leichter liest und behält als die Flugblätter der Weißen Rose, die teilweise zweiseitig waren und ein gewisses Maß an Intellekt voraussetzten. Sie schreckten aber auch nicht vor ”Großprojekten” zurück, wo sie zum Beispiel ganze Häuserblocks mit abgeänderten Wehrmachtsparolen beschmierten.
1984 wurde Jean Jülich, ein führendes Mitglied der Kölner Edelweißgruppe, in Yad Vashem als ”Gerechter unter den Völkern” geehrt. Seit 2003 erinnert eine Gedenktafel in Köln an die hingerichteten Edelweißpiraten.
Bei der folgenden Gruppierung kann man durchaus vom Wegbereiter anderer Widerstandsbewegungen sprechen: Die dj.1.11. Die Deutsche Jungenschaft, mit Gründungsdatum 1.11.1929, war eine Bezeichnung zahlreicher Jungenbünde, die meisten zwischen 10 und 18 Jahren alt. Der Gründer der dj.1.11 hieß Eberhard Koebel, er führte die Bewegung lange Zeit an und ging im Jahr 1934 ins Exil, um den Nachstellungen der Nationalsozialisten zu entkommen. Tatsächlich waren die Nazis, allen voran die Gestapo und der SD, der deutsche Geheimdienst, an der Niederschlagung der Gruppe interessiert und das hatte zahlreiche Gründe: Koebel und viele andere der Anführer brachten den Mitgliedern Nordland- und Russlandromantik näher, außerdem verbotene Literatur und Liedertexte. Auch sie hatten einen eigenen Kleidungsstil und waren sehr weltoffen und neugierig auf Neues wie moderne Kunst und Architektur. Sie spielten Banjo, Gitarre und Balalaika, sie lernten zu fechten und zogen sich oft stundenlang an einsame Flecken in der Natur zurück.
Ab 1934 wurden alle Jungschaftler, die nach Hitlers Machterschleichung ihren Idealen treu blieben, verhaftet und nicht selten in eines der ersten Konzentrationslager gebracht. Auch Koebel konnte der Gestapo nicht entkommen, doch in Haft beging er einen Selbstmordversuch, der ihm im Nachhinein das Leben retten sollte: Die Gestapo entließ ihn und er konnte nach Großbritannien fliehen, wo er bis an sein Lebensende lebte.
Obwohl sich einige der Jungschaftler nach dem Ausscheiden aus der Gruppe eine nationalsozialistische Überzeugung aneigneten, kann man die dj.1.11. durchaus als eine der wichtigsten “Erzieher” das Gegnermilieus bezeichnen, denn, um nur einige Beispiele zu nennen, Willi Graf und Hans Scholl, beide später Mitglieder der Weißen Rose, und Helle Hirsch, einer der Köpfe der Edelweißpiraten, gehörten in ihrer frühen Zeit der dj.1.11. an und bildeten dort ohne Zweifel ihre Meinung aus. Weiters kann man die dj.1.11. als einen ”intellektuellen” Widerstand sehen, man denke nur an die Literatur, die einen Schwerpunkt bildete und später für die Weiße Rose wichtig sein sollte, ließen sie doch immer wieder Zitate in ihre Texte einfließen.
Abschließend möchte ich nun die Weiße Rose besprechen: eine Gruppe, wie sie symbolträchtiger nicht sein könnte, die durch ihren heldenhaften Einsatz und ihren Glauben nie den Mut verlor, auch oder schon gar nicht in der Stunde der Niederschlagung. Heute ist sie das Synonym für den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime und seine Verbrechen. Die Weiße Rose war eine Widerstandsgruppe in München, bestand von Juni 1942 bis Februar 1943 und die Mitglieder verfassten, druckten und verteilten Flugblätter, die zum Widerstand aufriefen.
Die führenden Mitglieder waren die Studenten Hans und Sophie Scholl, Willi Graf, Christoph Probst, Alexander Schmorell und der Universitätsprofessor Kurt Huber. Neben diesen Mitgliedern gab es noch zahlreiche Sympathisanten, andere Studenten, den Architekten Manfred Eickemayer, der sein Atelier zur Verfügung stellte, den Kunstmaler Wilhelm Geyer, der das eben erwähnte Atelier mietete und den Buchhändler Joseph Söhngen, der seine Buchhandlung als Versteck für die Flugblätter verwendete. Wie schon erwähnt, waren einige Mitglieder aktiv in einer bündischen Jugend tätig gewesen, Hans Scholl und Willi Graf waren deshalb schon einmal von der Gestapo verhaftet und verhört worden, allerdings ohne nennenswerte Folgen.
Die Herkunft des Namens Weiße Rose ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt. Er könnte sich vom Roman “Die Weiße Rose” von B. Traven oder vom Roman “La Rosa Blanca” von Brentano ableiten; beide Bücher waren den Mitgliedern bekannt und wurden vor allem von Hans Scholl sehr geschätzt. Allerdings sind diese Aussagen in den Gestapo-Verhören notiert worden, es wäre also möglich, dass Hans Scholl nichts bekannt geben wollte, was vielleicht eine Deutung ermöglichte und einen tieferen Sinn erkennen ließ. Möglicherweise war die Idee auch nicht ganz so komplex und Willi Graf und Hans Scholl leiteten den Namen und das “Logo” einfach von der Kirschblüte, dem Symbol der dj.1.11, ab. Eine andere Theorie ist, dass Sophies Lieblingsblumen weiße Rosen waren; ihr Bruder schätzte sie unter den Geschwistern immer am meisten.
Die meisten Mitglieder waren sehr gläubig erzogen worden und empörten sich größtenteils über die Behandlung und Deportation von Juden und Regimegegnern. Die jungen Männer in der Gruppe waren größtenteils Medizinstudenten (Hans, Willi, Alexander, Christoph) und wurden statt des üblichen Einsatzes an der Front in den Lazarettdienst eingewiesen. Dort bekamen sie auch einige Dinge zu hören, die eindeutig nicht für sie bestimmt waren: Hans Scholl hörte beispielsweise ein Gespräch von SS-Führern, die über Massenerschießungen und KZs plauderten als wäre es nichts weiter. Alexander Schmorell hörte ähnliches. Nachdem sie zurückgekehrt waren, genügte ihnen das Diskutieren und Lesen nicht mehr, die ersten vier Flugblätter erschienen im Juli 1942 und wurden im Raum München an Intellektuelle versandt. Im Winter stießen Hans’ Schwester Sophie und Willi Graf dazu.
Ende Juli 1942 wurden die Studenten wieder abkommandiert, im Spätherbst kehrten sie zurück. Das fünfte Flugblatt “Aufruf an alle Deutsche!” wurden in verschiedenen deutschen Städten und auch in Österreich verteilt. Die Auflage war geradezu gigantisch; sie fertigten das Flugblatt in einer Auflage zwischen 6.000 und 9.000 Stück an, teilweise arbeiteten die Studenten die Nächte durch, denn während der Vorlesungen allzu häufig zu fehlen, war unnötig auffällig.
Im Januar 1943, als die sechste Armee in Stalingrad niedergemetzelt wurde und die Reste zur Kapitulation gezwungen wurden, waren ganze Straßenzüge in München mit Teerfarbe bemalt; “Nieder mit Hitler!” und “Freiheit” war in großen Buchstaben zu lesen.
Als diese erste Niederlage das deutsche Volk stark verunsicherte, glaubte die Gruppe, nun endlich einen Durchbruch erringen zu können. Das sechste Flugblatt “Kommilitoninnen! Kommilitonen!” war einerseits Glanzstück, andererseits Verhängnis der Gruppe. Es war von Professor Kurt Huber verfasst worden und wurde wieder in einer unglaublichen Auflage gedruckt. Nicht alle Exemplare konnten verschickt werden, also erklärten sich die Geschwister Scholl bereit, die Reste in der Universität zu verteilen. Sie verteilten die Zettel und ein Päckchen von etwa 500 Zetteln warf Sophie in den Lichthof, aus einer Höhe etwa dem zweiten Stock entsprechend. Sie versuchten die Uni zu verlassen, doch der Hausmeister entdeckte sie und lieferte sie der Gestapo aus. Noch am Tag ihrer Verhaftung, dem 18.Februar.1943, begannen die Verhöre, Hans und Sophie nahmen alle Schuld auf sich, sie wollten ihre Freunde schützen. Am 19. gelang der Gestapo ein weiterer Fang: Christoph Probst war verhaftet worden. Die Scholls wurden zusammen mit Probst vor den Volksgerichtshof gestellt, wo sie Roland Freisler, ein Richter, der alleine an der Vollstreckung von Hitlers Wille interessiert war und für seine Wutausbrüche berühmt war, zum Tode verurteilte. Das Urteil wurde noch am 22.Februar durch das Fallbeil vollstreckt. Kurt Huber und Alexander Schmorell wurden am 13.Juni.1943 hingerichtet; Willi Grafs Hinrichtung erfolgte erst am 12.Oktober.1943; die Gestapo ersuchte in dieser Zeit neue Namen aus ihm herauszupressen. Mit seiner Hinrichtung war auch der letzte führende Kopf der Gruppierung ermordet, die “Kleinen” in der Bewegung wurden, wenn sie gefasst wurden, zu Haftstrafen unterschiedlicher Länge verurteilt. Genau genommen hatte das Ende der Weißen Rose schon am 18.Februar begonnen, die Zerschlagung war ab diesem Zeitpunkt nur noch eine Frage der Zeit.
Und sonst? Zuerst einmal muss man wohl den Mut hervorheben. Selbst als Hans schon wusste, dass ihm die Gestapo auf den Fersen war, machte er weiter. Als er und seine Schwester verhaftet wurden, waren sie sich wohl ihrem Schicksal bewusst, legten alles daran, ihre Freunde zu schützen und auch eine Fortführung zu ermöglichen. Ihre Standhaftigkeit und ihr Wille gegenüber Freisler und auch vor ganz Deutschland, das mit dem Finger auf sie zeigte und sie als Verräter brandmarkte. Und niemals vergessen, Hans’ Ausruf, nur Sekunden vor seinem Tod: “Es lebe die Freiheit!”
Die Gruppe setzte sich zum Großteil aus jungen Leuten zusammen; ihnen allen wäre es möglich gewesen, so wie dem Gros der Masse, den einfachen Weg zu wählen, den Weg, den Millionen Menschen gewählt haben und so Werkzeuge eines Verbrechens wurden. Doch sie wählten den holprigen Pfad und heute sind es die anderen, die von nichts gewusst haben wollen, auf die mit dem Finger gezeigt wird und die Verräter von einst sind heute Helden, die Opfer einer Idee wurden, nur weil sie nicht zu allem “Ja” sagten.
Und was unterscheidet sie von anderen Gruppen? Im Grunde: Nichts. Aber in den Details steckt mehr, als man denkt. Sie waren besser organisiert, hatten eine einheitliche Richtung und strebten ein Ziel an, das sich sonst wohl nur die Widerständler in der Wehrmacht zutrauten; sie wollten nicht nur Freiheit für sich, sondern Freiheit für Deutschland, für Europa, für die Welt.
Was waren sie in Wirklichkeit? Ein Freundeskreis, der mehr Mut und Zielstrebigkeit bewies als ein Großteil des Volkes, alle mit einem Gedanken, der sie Tag und Nacht beschäftigte und sie und ihr Leben, ihr Tun und ihre Arbeit beeinflusste, wie nichts anderes: Nieder mit Hitler!
Autorin: Martina Halak
Literatur
Butler, Rupert: Die Gestapo, Klagenfurt 2004.
Klönne, Arno: Jugend im Dritten Reich, Köln 2003.
Koch, Gertrud / Regina Carstensen: Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandskämpferin, Hamburg 2003.
Scholl, Inge: Die Weiße Rose, Frankfurt/M 1993.
Uberschär, Gerd: Für ein anderes Deutschland, Frankfurt/M 2006.
Vinke, Hermann: Das kurze Leben der Sophie Scholl, Ravensburg 1997.