Der Bankier des Führers: Hjalmar Schacht
Wenn man sich der 24 Angeklagten des Hauptkriegsverbrecher Prozesses in Nürnberg 1946 erinnert, ist man schnell geneigt, davon auszugehen, dass die bloße Anklage gemeinhin in einem Schuldspruch endete. Sei es nun, weil man der Lesart der Angeklagten selbst folgend von „Siegerjustiz“ ausgeht oder weil man meint, dass wer da einmal auf die Anklagebank gezerrt worden war, schon gewaltig Dreck am Stecken haben musste. Doch kam es bei sechs Angeklagten nicht zu einem Schuldspruch. Martin Bormann (1900 – 1945), der Leiter der Reichskanzlei, galt als vermisst, war aber in Wahrheit bereits tot. Robert Ley (1890 – 1945), der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, entzog sich dem Urteil durch Suizid in seiner Zelle. Das Verfahren gegen den Großindustriellen Gustav Georg Friedrich Maria Krupp von Bohlen und Halbach (1870 – 1950) wurde aus gesundheitlichen Gründen eingestellt. Für drei Angeklagte endete der Prozess jedoch mit einem Freispruch: Hans Fritzsche (1900 – 1953) vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP), den ehemaligen Reichskanzler Franz von Papen (1879 – 1969) und den zeitweiligen Reichsbankpräsidenten und Reichsminister für Wirtschaft Hjalmar Schacht (1877 – 1970). Hitlers Bankier, wie er häufig genannt wird, plädierte vor Gericht gar, sich im Widerstand gegen Adolf Hitler (1889 – 1945) befunden zu haben, was – und das ist das vielleicht Verblüffendste daran – sogar gestimmt haben könnte.
Hjalmar Schacht wurde am 22. Januar 1877 in Tinglev (Nordschleswig) geboren. Er stammte aus einer armen Kaufmannsfamilie. Von 1895 – 1899 studierte er zunächst Medizin, dann Germanistik in Kiel und letztendlich Wirtschaftswissenschaften in München, Leipzig, an der Sorbonne (Paris), in Berlin und am Ende wieder in Kiel. Nach dem Abschluss arbeitete für einen Handelsvertragsverein und ab 1903 für die Dresdner Bank, bei der er bis 1908 vom Archivar zum stellvertretenden Direktor aufstieg. 1916 wechselte Schacht zur privaten Nationalbank für Deutschland, wo er einen Direktorenposten bekam, 1920 sogar Geschäftsinhaber wurde. In der Weimarer Republik war Schacht 1918 dann Mitbegründer der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Als die Nationalbank für Deutschland mit der Darmstädter Bank für Handel und Industrie zur Danat-Bank fusionierte, wurde Schacht damit zum Leiter einer der deutschen Großbanken. Im November 1923 beendete Schacht als neuer Reichswährungskommissar durch die Einführung der Rentenmark die Hyperinflation. Reichskanzler Gustav Stresemann (1878 – 1929) ernannte Schacht daraufhin entgegen des Widerstands rechter Parteien, Teilen von Industrie und Kapitalwirtschaft und des einstimmigen Votums des Reichsbankdirektoriums zum Reichsbankpräsidenten. So war Schacht 1924 auch der deutsche Vertreter bei den Verhandlungen über den Dawes-Plan, der unter US-Amerikanischer Führung eine Neuregelung der Reparationszahlungen vorsah.
1926 kam es wegen einer mangelnden Abgrenzung der DDP zu Plänen von SPD und KPD entschädigungslosen Enteignung der deutschen Fürstenhäuser zum Bruch Schachts mit seiner Partei. Bei einem entsprechenden Volksentscheid hatte die DDP keine Empfehlung ausgesprochen, was Schacht nun veranlasste Kontakt mit den Parteien des nationalistischen und rechten Spektrums aufzunehmen. 1929 war er dann Leiter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen über den Young-Plan, der dem Dawes-Plan nachgefolgt war. Schacht wandelt sich im Folgejahr vom Befürworter zum Gegner des Young-Plans, was wohl auch an der Agitation der rechten Oppositionskräfte lag. Als der Reichstag den Young-Plan billigte, trat Schacht als Reichsbankpräsident zurück. Er hatte dann erste Kontakte zu Hitler und auch zu Hermann Göring (1893 – 1946), weshalb er den neuen Reichskanzler Heinrich Brüning (1885 – 1970) vom Zentrum 1931 drängte, er möge die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) an der Regierung beteiligen – nach Brüning sollten noch zwei Reichskanzler ohne Regierungsbeteiligung der NSDAP folgen, ehe Hitler selbst dazu ernannt wurde: Franz von Papen und Kurt von Schleicher (1882 – 1934). Am 11. Oktober 1931 trat Schacht der „Harzburger Front“, einem Bündnis deutschnationaler Gruppierungen wie Stahlhelm, Reichslandbund und Alldeutschem Verband und der Parteien NSDAP und DNVP gegen die Republik und die Regierung Brüning, bei, bei deren einziger Tagung an jenem 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg Schacht als Redner auftrat.
Etwa ein Jahr später, im November 1932, initiierte Schacht als Mitglied des „Freundeskreises der Wirtschaft“, einer Gruppe Industrieller und Bankiers, eine Petition an Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847 – 1934), er möge Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, was am 30. Januar 1933 dann Realität wurde. Am 16. März ernannte man Schacht erneut zum Reichsbankpräsidenten – nun aber unter Führung der Nationalsozialisten. Am 27. Juli 1934 wurde Schacht zunächst ins Reichswirtschaftsministerium berufen und am 2. August zum Geschäftsführenden Reichsminister für Wirtschaft in Hitlers Kabinett ernannt. Er löste damit als parteiloser Politiker das NSDAP-Mitglied Kurt Schmitt (1886 – 1950) ab. Im Mai 1935 wurde Schacht zudem Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft. Er war in dieser Position auch durchaus erfolgreich, da er mit der Einführung eines Geldbeschaffungssystems und durch Devisenlenkung die Finanzierung von Aufrüstung und Arbeitsbeschaffung ermöglichte. In den Folgejahren kam es zu immer mehr Unstimmigkeiten zwischen Schacht und der NS-Führung. So mischte Göring sich zur Realisierung des Vierjahresplans immer wieder in Schachts Geschäftsbereich ein und Schacht bestand erfolglos auf der Konsolidierung der Finanzen, um der fortschreitenden Geldentwertung entgegenzuwirken. Im November 1937 trat er dann endgültig als Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter zurück. Er blieb bis Hitler ihn auch daraus 1943 entließ ein einflussloser Minister ohne Geschäftsbereich. Nachdem Schacht in einer Denkschrift die Finanz- und Rüstungspolitik angeprangert hatte, entließ Hitler ihn am 20. Januar 1939 auch als Reichsbankpräsident.
Am 23. Juli 1944 wurde Hjalmar Schacht wegen angeblicher Kontakte zur Gruppe um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907 – 1944), General der Infanterie Friedrich Olbricht (1888 – 1944) und Generalmajor Henning von Tresckow (1901 – 1944), die am 20. Juli ein Sprengstoffattentat auf Hitler verübt hatte und einen Staatsstreich hatte durchführen wollen, von der Gestapo festgenommen. Nachdem er vier Monate lang im Berliner Gefängnis der Gestapo eingesessen hatte, wurde Schacht erst im Konzentrationslager Ravensbrück, dann im Konzentrationslager Flossenbürg und dann im Konzentrationslager Dachau interniert. Nachdem Schacht erst am 8. April 1945 nach Dachau verlegt worden war, transportierte die SS ihn wenige Tage später als einen von 141 Sonder- und Sippenhäftlingen in die „Alpenfestung“ Niederdorf in Südtirol, wo er am 30. April 1945 befreit wurde. An seiner neugewonnen Freiheit konnte er sich nicht lange erfreuen, wurde er doch bald darauf in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher angeklagt. In seinem Schlussplädoyer beharrte Schacht darauf, den Kriegsbemühungen entgegengewirkt zu haben. Man sprach ihn dann tatsächlich in beiden Anklagepunkten (Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden) frei und auch das 1947 von einer Stuttgarter Spruchkammer gefällte Urteil zu acht Jahren Arbeitslager als „Hauptschuldiger“ wurde ein Jahr später durch die Berufungskammer des Ludwigsburger Internierungslagers aufgehoben. Nach seiner Entlassung veröffentlichte Schacht die Schrift „Abrechnung mit Hitler“.
Schacht war danach weiter als Bankier tätig, arbeitete als Wirtschafts- und Finanzberater für Staaten wie Indien, Ägypten, Indonesien, Syrien und Pakistan und gründete 1953 die Düsseldorfer Außenhandelsbank Schacht und Co. 1963 ging er mit 86 Jahren in den Ruhestand. Hjalmar Schacht starb am 3. Juni 1970 in München. Das Geheimnis, ob er wirklich Kontakt zum Widerstand hatte und an Umsturzplänen beteiligt war, nahm er mit ins Grab.
Literatur
Christopher Kopper: Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier. Hanser, München 2006.
Heinz Pentzlin: Hjalmar Schacht. Leben und Wirken einer umstrittenen Persönlichkeit. Ullstein, Berlin/Frankfurt am Main/Wien 1980.
Jens van Scherpenberg: Hjalmar Schacht, Enrico Mattei und Bayerns Anschluss an das Ölzeitalter. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), S. 181–227.
André Wilmots: Hjalmar Schacht, Grand argentier d’Hitler. Le Cri, Brüssel 2001.
Schacht bei den Nürnberger Prozessen (Video)