Geschichte der Hasag Schlieben
Der Leipziger Betrieb Hasag Hugo Schneider AG, welcher sich ab 1933 zum drittgrößten deutschen Rüstungsunternehmen entwickelte und nach Kriegsbeginn maßgeblich an der Aneignung, Raub polnischer Industriebetriebe, der Ausbeutung von Kriegsgefangenen, ausländischen Zwangsarbeitern und wie kein anderes Unternehmen die Vernichtung durch Arbeit von jüdischen Menschen und Angehörigen der Volksgruppe Sinti und Roma in Kauf nahm, begann 1938 in Schlieben (heute Land Brandenburg) mit der Errichtung einer Produktionsstätte für verschiedene Arten von Munition. Im Auftrag des Oberkommandos des Heeres OKH entstand auch eine Schießbahn zur Erprobung der hergestellten Munition. Bis 1944 wurde das Werk ständig ausgebaut und erweitert. Es umfaßte schließlich ein Areal von 390 Hektar. Als Entwickler und Produzent der Panzerabwehrwaffe “Panzerfaust“ erhielt die Hasag 1944 vom Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer die Sondervollmacht “Hochlauf Panzerfaust“. Dadurch konnte die Firma ihre Standorte in Deutschland ausbauen und neue Werke errichten. Das geschah in Leipzig, Meuselwitz, Taucha, Altenburg, Colditz, Schlieben (vorher auch Betriebsteil Herzberg genannt) und Flößberg. Am 19. Juli 1944 wurden 998 Frauen, in der Mehrzahl Sintezza vom Konzentrationslager Ravensbrück, nach Schlieben deportiert. Ursprünglich als Außenstelle vom KZ Ravensbrück geplant, wurde das Frauenlager am 31. August 1944 dem KZ Buchenwald unterstellt. Schlieben sollte nun als Männerlager genutzt werden. Am 14. August 1944 traffen 1387 jüdische Männer vom KZ Buchenwald ein. Fast alle dieser Männer waren vorher im Hasag Arbeits- und Todeslager Skarżysko-Kamienna, Generalgouvernement, ausgebeutet worden. Ein Großteil der weiblichen Häftlinge wurde nach Ankunft der Männer zur Hasag Altenburg abtransportiert. In Schlieben verblieben lediglich etwa 250 Frauen, Sintezza und Frauen aus Frankreich, Luxemburg, Belgien und anderen unterdrückten europäischen Ländern. In der SS-Statistik wurde Schlieben mit einem so genannten “arischen“ und “jüdischen“ Kommando als gemischtes Lager geführt. In der Folgezeit erhöhte sich die Anzahl der Gefangenen ständig. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren brutal, die hygienischen Zustände katastrophal.
Um der geforderten Stückzahl von 1,5 Millionen „Panzerfaust“ im Monat durch die Hasag zu entsprechen, arbeiteten die Schliebener Häftlinge in einem mörderischen Akkordsystem. Die zivilen Hasag-Meister erhielten für jede Normsteigerung Prämien. In den Häftlingen sahen sie nur Mittel zur Produktionssteigerung, nicht aber Menschen. Diese starben durch Hunger, Krankheiten, Arbeitsunfälle, Misshandlungen, oder wurden durch kriminelle Kapos und SS-Wachmannschaften ermordet. Nicht mehr arbeitsfähige, kranke Häftlinge brachte die SS zurück in das Stammlager Buchenwald und ersetzte sie durch neue Arbeitssklaven. Völlig erschöpfte und kranke Sintezza verbrachte die SS zur endgültigen Vernichtung in das KZ Auschwitz. Am 12. Oktober 1944 zerstörte eine gewaltige Explosion die gesamte Fabrikanlage. Laut einer Veränderungsmeldung vom KZ Buchenwald starben 96 jüdische Häftlinge. Die Anzahl der Verletzten oder an den Folgen der Explosion gestorbenen Gefangenen dürfte weitaus höher liegen. Ob für die Explosion Sabotage, Unfall, oder ein alliierter Luftangriff verantwortlich war, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Vieles deutet auf Sabotage. Durch Anforderung neuer Häftlingskontingente und Aufstockung des SS-Kommandos forcierte die Hasag den Wiederaufbau der Produktionsanlagen in kürzester Frist. Diesem mörderischen Arbeitstempo und damit verbundenen verstärkten Misshandlungen fielen unzählige Häftlinge zum Opfer. Die Zeit ab Oktober 1944 bezeichneten Überlebende später als “Hölle von Schlieben“. So kann die Hasag Schlieben im Sinne von Vernichtung durch Arbeit durchaus als Todeslager bezeichnet werden. Im April 1945 verließen zwei Transporte Schlieben, Zielort war das KZ Theresienstadt.
Auf den Todesmärschen verloren noch viele Häftlinge ihr Leben. Am 21. April 1945 befreite die Rote Armee noch ungefähr 130 überlebende Männer und Frauen. Durch Auswertung noch vorhandener Unterlagen ergibt sich, dass bis zu 5000 Menschen die Hasag Schlieben erleiden mussten. 217 Namen von in Schlieben getöteten Häftlingen sind dokumentiert, eine genaue Feststellung der weit höheren Opferzahlen wird wohl kaum mehr möglich sein.
Umgang mit dem Erbe der Hasag Schlieben
Nach 1945 wurden noch vorhandene Steinbaracken zu Wohnungen für Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten umgebaut, auf dem ehemaligen Hasag Areal entstanden Industriebetriebe, ein Teil des Geländes nutzte die Armee der DDR und später die Bundeswehr als Betriebsstoffdepot. Nachdem eine Holzbaracke in der Nähe der Stadt als Tanzlokal und bis Anfang der siebziger Jahre als Turnhalle diente, erinnert heute außer einigen Ruinen der Panzerfausproduktionsstätte und nichtzugänglichen Bunkern nichts mehr an die Hasag. 1963 entstand neben dem ehemaligen Gästehaus der SS eine kleine Gedenkstätte. Nach 1990 geriet sie in Vergessenheit. Es ist der Schliebener Familie Uwe Dannhauer zu verdanken, dass die kleine Gedenkstätte 2007 renoviert wurde. Allerdings muss nach einem neuen Zugang gesucht werden, denn der Bewohner des angrenzenden Gebäudes erlaubt eine Benutzung seines privaten Weges nicht. Auf dem Friedhof der Stadt Schlieben wurden die sterblichen Überreste von Häftlingen beigesetzt, welche vorher auf dem Häftlingsfriedhof und in einem Massengrab gefunden worden waren. Über ihre letzte Ruhestätte errichtete man 1952 ein Denkmal mit der Inschrift ODF 1933 – 1945 (Opfer des Faschismus) . In der DDR fanden hier die Gedenkveranstaltungen zur Ehrung der Opfer des Faschismus statt. In den Jahren 2000/2001 restaurierte die Stadt die Anlage aufwendig. Am Denkmal nennen zwei Tafeln die Namen von jüdischen Opfern, allerdings ist auch vermerkt, dass deutsche Wehrmachtssoldaten hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Diese Gleichsetzung Opfer – Täter ist nicht verständlich und für Überlebende der Hasag und deren Familien, welche Schlieben besuchen, nicht nachvollziehbar. Diese Besucher empfingen und begleiteten die offiziellen Vertreter der Stadt stets freundlich und aufmerksam. Doch entstand auch der Eindruck, dass man in Schlieben über die jüngere Geschichte nicht genug weiß oder vorhandenes Wissen nicht gerne weitergegeben möchte. Eine Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Explosion fand in der Kirche unter mangelnder Beteiligung der Bevölkerung statt, Teilnehmer eines Ostermarsches mussten vom beabsichtigten Besuch der Gedenkstätte Abstand nehmen, da das Amt Schlieben trotz mündlicher Zusage keine Übernachtungsquartiere stellte. Bemerkenswert war ein Projekt interessierter Schüler, Lehrer und Bürger, welche ein Modell der Hasag bauten. Nach Aussagen ehemaliger Schüler gab es weiter keine Thematisierung im Unterricht an der Schule. Ein ABM-Projekt zur Erforschung des Außenlagers förderte die Stadt, die Ergebnisse fanden Einzug in eine Broschüre. In das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit gelangte die Hasag Schlieben im Jahr 2005, als der Historiker und Antifaschist Dr. Walter Strnad sein Buch “Das KZ Außenlager Schlieben” veröffentlichte. An den Herstellungskosten bzw. Druck beteiligte sich die Stadt nach einer Anfrage des Autors. Unverständlich bleibt, warum selbst nach Erscheinen dieses Buches in einer Broschüre zum 1050-jährigen Bestehens der Stadt und einem heimatkundlichen Lesebuch des Ortschronisten das Außenlager kaum oder nur oberflächlich behandelt wurde. Auf Lesezuschriften in der Regionalzeitung “Lausitzer Rundschau“ mit Meinungen zum Umgang der Stadt Schlieben mit dieser Thematik reagierte das Amt ausgesprochen nervös. Im April 2007 stellte Dr. Walter Strnad seine, in Zusammenarbeit mit der Jugend der Gewerkschaft Verdi, entstandene Ausstellung zu Geschichte und Wesen der deutschen Konzentrationslager mit einem Schwerpunkt Hasag Schlieben “Wider dem Vergessen“ zur Verfügung. Am 13. April 2007 besuchte eine Delegation aus Frankreich die Stadt. Ihr gehörten Überlebende der Konzentrationslager mit ihren Angehörigen und Schüler an, welche an einem Wettbewerb der Organisation AMICALE teilgenommen hatten. Unter ihnen war auch als Überlebende der Hasag Schlieben Frau R. Sarrelabout (früher Cesbron mit der Schliebener Häftlingsnummer 15029). Der Bürgermeister begrüßte die Gäste und machte deutlich, dass die Stadt Schlieben sich zu ihrer Geschichte bekennt. Die Gäste besichtigten die Ausstellung, das ODF-Mahnmal, das ehemalige Hasag Areal mit Teilen der Bunkeranlagen und legten am kleinen Denkmal ein Gebinde ab. Sie brachten ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass die Reste des Außenkommandos weiter erhalten bleiben und die Gedenkstätten gepflegt werden. Ein berechtigter Wunsch, wurde doch schon der Verkauf und so genannter Rückbau weiter Teile des Geländes angedeutet. Es bleibt zu hoffen, dass ein neuer Eigentümer des Areals vielleicht eine Möglichkeit findet, etwas von der alten Substanz als Lehrbeispiel und Mahnung für künftige Generationen zu erhalten. Man kann der Stadt Schlieben neben einer weiteren kontinuierlichen Entwicklung zum Wohle ihrer Bürger nur mehr Mut und Eigeninitiative für den Umgang und bei der Erforschung des KZ Buchenwald, Außenkommando Hasag wünschen. Beispiele wie Tröbitz oder die Lessingstadt Kamenz zeigen, dass sich Stadtentwicklung, Tourismus und das Bewahren und Erinnern auch dunkler Kapitel der eigenen Geschichte nicht ausschließen. Im Gegenteil! Es gilt noch genug zu erforschen, Material dazu befindet sich zur Genüge in Archiven und Privatbesitz. Auch gibt es noch Menschen in aller Welt die Zeugnis über ihr Schicksal ablegen können und wollen.
Autor: Uwe Schwarz