Hitlers Machtzentrale im Zweiten Weltkrieg
Adolf Hitler (1889 – 1945) war ein Diktator, der ungern die Zügel aus der Hand ließ. Die einzelnen Organisationen von Partei, Staat und Heer wurden in ständiger Konkurrenz zueinander gehalten, es herrschte Polykratie. Die ganzen Befehlshierarchien liefen bei nur einer Person zusammen: Hitler selbst, dem „Führer“. Das bedeutete für den Diktator aber auch, in ständigem Austausch mit seinen Ministern, Generälen und Gau-Leitern zu stehen. Er musste oft vor Ort sein. Zu diesem Zweck gab es knapp zwanzig sogenannte Führerhauptquartiere, die als lokale Lagezentren, Befehlsstände und Besprechungsräume neben der Reichskanzlei und Hitlers Domizil auf dem Obersalzberg existierten. In den Führerhauptquartieren traf sich Hitler mit Wehrmachtsoffizieren, um sich vor Ort ein Bild zu machen, Lagebesprechungen abzuhalten und Befehle auszugeben. Sie trugen Namen wie Siegfried (Held der Nibelungensage), Adlerhorst, Werwolf, Bärenhöhle, Felsennest, Riese, Wolfsschlucht, Tannenberg und Olga. Das zweifelsohne bekannteste von ihnen war aber die Wolfsschanze. Den Namen hatte Hitler selbst erwählt, da der Name Adolf sich von „Adalwolf“ herleitet, was so viel wie „edler Wolf“ bedeutet. „Wolf“ war daher ein Pseudonym, das Hitler früher schon verwendet hatte, aber etwa auch ein Kosename Eva Brauns (1912 – 1945) und besonders enger Freunde für ihn.
Die Wolfsschanze befand sich in Ostpreußen nahe Rastenburg (heute: Kętrzyn) beim Dorf Görlitz (heute: Gierłoż), heute gehört das Gebiet zu Polen. Es gab hier ein ganzes System von Befehlsständen und Bunkeranlagen, von denen die meisten sich bei Kriegsende noch im Bau befanden: 20 km von der Wolfsschanze entfernt, bei Mauerwald (Mamerki) befanden sich das Hauptquartier des Oberkommandos des Heeres (OKH) und das Quartier des Heereshauptversorgungsdienstes, offizielle Bezeichnung OKH Mauerwald. Nahe Possessern (heute: Pozezdrze) wurde die Feldkommandostelle Hochwald gebaut, wo der Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 – 1945) sein Hauptquartier haben sollte. In Breitenheide (heute: Szeroki Bór) entstand wiederum ein Quartier für Reichsmarschall Hermann Göring (1893 – 1946). Bei Rosengarten (heute: Radzieje) sollte Reichkanzleichef Hans Heinrich Lammers (1879 – 1962) sein Quartier haben. In Goldap (heute: Gołdap) entstand das Lager Robinson als Versuchsanlage der Luftwaffe. In Nikolaiken (heute: Mikołajki) hätte die Abwehr eine Zentrale gehabt. Und zu guter Letzt wäre in der Feste Boyen in Lötzen (Heute: Giżycko) die Abwehrabteilung Fremde Heere Ost unter der Leitung von Generalmajor Reinhard Gehlen (1902 – 1979) stationiert gewesen, deren Aufgabe es war, Informationen aus sowjetischen Kriegsgefangenen „herauszubekommen“.
Die Organisation Todt hatte 1940 mit dem Bau der Wolfsschanze begonnen, es war am Ende eine Anlage mit etwa einhundert Gebäuden. Es handelte sich jedoch bei den meisten Gebäuden nicht um Bunker, stattdessen schützten nicht brennbare Tarnnetze, tarnender Mörtel und das dichte Waldgebiet, in dem die Gebäude der Wolfsschanze errichtet worden waren, die Anlage vor der feindlichen Luftaufklärung. Sollte sich dennoch ein feindlicher Flieger blicken lassen, war die Anlage mit zahlreichen Flakgeschützen zur Flugabwehr geschützt. Nach dem Beginn des Unternehmens „Barbarossa“, also dem Krieg des Deutschen Reichs mit der Sowjetunion, verbrachte Hitler einen Großteil seiner Zeit in der Wolfsschanze.
Die Anlage war von einem 50 bis 150 Meter breiten Minengürtel umgeben, rundum mit Stacheldraht eingezäunt und in drei Sperrkreise, die man nur mit entsprechendem Passierschein betreten konnte, unterteilt: Sperrkreis 1 hatte die höchste Sicherheitsstufe und beherbergte Hitler, der sich meist in Bunker Nr. 13, einem von sieben massiven Stahlbetonbunkern mit bis zu acht Meter dicken Decken befand, und ranghohe Wehrmachtsoffiziere und NSDAP-Funktionäre. Hier stand auch die Beratungsbaracke. In Sperrkreis 2 befanden sich die Unterkünfte des „Führer-Begleit-Bataillons“, einfache Holzbaracken. Alles übrige gehörte zu Sperrkreis 3. Von den rund hundert Gebäuden waren vierzig Wohn-, Wirtschafts- und Verwaltungsgebäude und weitere vierzig leichte Bunker. Die Wolfsschanze war an das Bahnnetz angeschlossen und verfügte sogar über einen eigenen Flughafen. Über Notstromaggregate und eigene Heizungsgebäude war die Anlage autark. Sie verfügte über einen eigenen Fahrdienst mit Garage, Offizierscasinos, ein eigenes Kino und Teestuben. Es bestanden ständige Funk- und Telefonverbindungen nach Berlin und zu den Frontabschnitten. Neben Hitler selbst hatten auch Reichskanzleichef Martin Bormann (1900 – 1945), Reichspressechef Otto Dietrich (1897 – 1952), Reichsmarschall Hermann Göring, Generaloberst Alfred Jodl (1890 – 1946), SA-Obergruppenführer Fritz Todt (1891 – 1942), Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer (1905 – 1981), Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel (1882 – 1946), Hitlers Leibarzt Theo Morell (1886 – 1948), Görings Adjutant General der Flieger Karl Bodenschatz (1890 – 1979), SS-Brigadeführer Walter Hewel (1904 – 1945), Vizeadmiral Hans-Erich Voss (1897 – 1969), SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Karl Wolff (1900 – 1984) und SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Hermann Fegelein (1906 – 1945) eigene Unterkünfte auf dem Gelände der Wolfsschanze.
All die Sicherheitsvorkehrungen wappneten die Wolfsschanze aber nicht gegen Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907 – 1944), der am 20. Juli 1944 einen Koffer mit einer Sprengladung in der Beratungsbaracke neben Hitler platzierte und detonieren ließ. Wäre die Besprechung wie in den Vormonaten in einem Bunker abgehalten worden, hätte die Sprengladung, die Stauffenberg als ranghoher Offizier ohne Durchsuchung in Sperrkreis 1 bringen konnte (Wachoffiziere hatten nicht einmal die Befugnis zur Durchsuchung), ausgereicht, um Hitler zu töten. Stauffenberg wusste um den Ort der Besprechung, hielt die Ladung aus zwei Kilogramm Plastik W aber für ausreichend, da im Bunker schon ein Kilogramm genügt hätte. So überlebte Hitler und die Verschwörer wurden großteils gefasst und hingerichtet.
Am 20. November 1944 verließ Hitler die Wolfsschanze. Sie wurde zwischenzeitlich noch von der 4. Armee unter dem Kommando von General Friedrich Hoßbach (1894 – 1980) genutzt, ehe die Wehrmacht sie am 24. Januar 1945 schon auf dem Rückzug vor der anrückenden Roten Armee befindlich mit 8 Tonnen Sprengstoff sprengte.
Nachdem die etwa 54.000 Minen rund um die Anlage in den zehn Jahren nach dem Krieg entschärft worden waren, wurde die Wolfsschanze oder vielmehr das, was noch davon übrig war, zu einer Touristenattraktion, in der noch heute Menschen auf die Suche nach verstecktem Nazigold gehen.
Weiterführende Informationen:
Christel Focken: FHQ „Führerhauptquartiere“ Wolfsschanze (Masuren). Helios-Verlag, Aachen 2008, ISBN 978-3-938208-84-7.
Walter Frentz: Wolfsschanze. Lempertz, Königswinter 2011, ISBN 978-3-939284-06-2.
Martin Kaule: Wolfsschanze. »Führerhauptquartier« in Masuren. Ch. Links Verlag, Berlin 2014, ISBN 978-3-86153-768-7.
Uwe Neumärker, Robert Conrad, Cord Woywodt: „Wolfsschanze“. Hitlers Machtzentrale im Zweiten Weltkrieg. 4. Auflage. Ch. Links Verlag, Berlin 2007.
Alfons Schulz: Drei Jahre in der Nachrichtenzentrale des Führerhauptquartiers. 2. Auflage. Christiana, Stein am Rhein 1997.
Jan Zduniak, Agnieszka Zduniak: Wolfsschanze und Hitlers andere Kriegshauptquartiere in Wort und Bild. Kengraf, Kętrzyn 2006.