Ein relativ unbekanntes Kapitel der Tschechischen und auch der Liechtensteiner Geschichte, das bis heute aktuell ist. Nach 1945 beschlagnahmte die Tschechoslowakei Besitz von Bürgern des neutralen Landes – auch das Fürstenhaus war betroffen. Der Rechtsstreit mit Prag um Millionenwerte, der seit Jahrzehnten das Verhältnis der beiden Staaten trübt, geht 2020 auf eine neue Ebene. (Süddeutsche Zeitung vom 20.8.2020)
Einführung
„Höre nicht auf, Deutsche zu hassen“ (Nepřestaň nenavidět Němce), mahnte 1945 die tschechische Flugschrift „Unsere zehn Gebote“ (Naṧe desatero). Diese Mahnung galt lange weiter, auch wenn sich das Verhältnis der Völker langsam normalisierte. Das tschechische „Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung“ (CVVM), das seit Beginn der 1990-er Jahre alljährlich die ethnischen Sympathien und Antipathien der Tschechen erkundet (N = 1.000 +) zeigt: An der Spitze der nachgefragten 17 Völker stehen Slowaken und Österreicher, den Schluss bilden Albaner, Roma und Araber. Deutsche liegen aktuell in der Mitte.
In keiner CVVM-Dokumentation tauchen die Schweiz oder das Fürstentum Liechtenstein auf. Bei der neutralen Schweiz versteht sich das, aber Liechtenstein ist seit über 70 Jahren ein seltsamer „Nebenkriegsschauplatz“: Nach Kriegsende wurden die Liechtensteiner unter Aufbietung von Lügen und Fälschungen als „Deutsche“ deklariert und als solche der Entrechtung und den Enteignungen ausgesetzt, die die „Dekrete“ von Präsident Edvard Beneṧ für Deutsche, Ungarn und weitere „Feind und Verräter“ vorsahen. Und das sind sie bis heute, obwohl längst bewiesen ist, dass Prag log und weiter lügt, um die „deutschen“ Liechtensteiner zu „berauben“.
Václav Klaus (*1941, Bild) war 2003 bis 2013 tschechischer Staatspräsident, zuvor auch Premier. Als solcher überbrachte er 1996 in Brüssel den tschechischen Wunsch nach EU-Beitritt, der am 1. Mai 2004 vollzogen wurde. Seit Ende seiner Präsidentschaft warf Klaus das EU-Ruder herum, ganz im Sinne der Mehrheit seiner Mitbürger, die die EU ablehnen und den Euro fürchten (Ablehnung 2003 42 %, 2016 83 %, 2020 76 %). „Es ist Zeit, einen Austritt aus der Europäischen Union vorzubereiten“, und zwar nach britischem Vorbild, als „Czexit“. Großbritannien hat Europa dreimal „gerettet“ – vor Napoleon, vor Hitler und derzeit „vor einem gewissen Monster, der Brüsseler Elite“ (Klaus). Die EU, so Klaus 2016 in seinem Buch „Völkerwanderung“ (s. Bibliographie am Schluss), ist längst „das Eigentum Frau Merkels und »ihrer« Brüsseler Administration“, die mit ihrer „verderblichen Praxis des heuchlerischen Wohlfahrtsgetues“ den ganzen Kontinent ins Verderben steuert. „Die Tschechen sind in das künftige deutsche Europa integriert“, und die EU funktioniert bereits nach dem HJ-Lied „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ (Dnes nám patří Německo, zítra celý svět). So schrieb 2020 Václav Makrlík, Aktivist in der Fraktion der Deutschenkritiker, die ihre Aversionen in Blogs wie „Česká pozice“ (* Dez. 2010) ausbreiten. Ihre Brüder im Geiste sind die „Patriotischen Vereine“, die antideutsche Lügenpropaganda aus kommunistischen Zeiten bruchlos fortsetzen. Keine Deutschenhasser oder Euro-Gegner sind tschechische Wirtschaftler, die warnen: „Nach dem Czexit kommt eine dunkle Zeit und unser Standard fällt auf das Niveau von Belarus“.
Diese Aktivisten haben gegenüber Deutschen einen „riesigen Komplex“ (obrovský komplex), den sie partiell durch Reminiszenzen an „Leiden als Opfer des aggressiven Nachbarn“ übertönen, damit auch eigene Misserfolge überdecken: Nach 1990 vereinte sich Deutschland wieder, während die Tschechoslowakei zerbrach. Derweil „sinkt der Lebensstandard der Bevölkerung unter dem Einfluss einer massiven Devastierung der Wirtschaft“.
Tschechen litten unter ihrer verqueren „Geografie“, die ihnen Leben und Nachbarschaft erschwerte. Die ist historisch verankert, demonstriert Bergmann (s. Bibliografie): Deutsche und ihr Land sind seit Jahrhunderten Dreh- und Angelpunkt eines West-Ost-Gefälles interethnischen „Despekts“ (wie es die Tschechen nennen): „Österreicher schauen auf Tschechen mit demselben Despekt wie Tschechen auf Slowaken“. Die Tschechen klagen in charakteristischer Eigenliebe von „400 Jahren Sklaverei“ unter Habsburg, von ihrer „Gefangenschaft im österreichischen Völkergefängnis“, wo das Gegenteil zutrifft, befand Bergmann:
„Gerade das aufrichtige Bemühen der Tschechen, es den deutschsprechenden Mitbürgern gleichzutun, führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur enormen wirtschaftlichen und politischen Emanzipation des tschechischen Volkes, zur Grundlegung der modernen tschechischen Industrie, des Bankensektors und der dynamischen Entfaltung tschechischer Städte“.
Die „deutsche“ Infrastruktur Tschechiens steht noch, aber heute leben dort knapp 19.000 Deutsche, Rest von rund dreieinhalb Millionen, deren Vertreibung Präsident Beneṧ im Oktober 1943 in einer Rundfunkansprache ankündigte: „In unserem Land wird das Ende dieses Krieges mit Blut geschrieben werden. Den Deutschen wird mitleidlos und vervielfacht all das heimgezahlt werden, was sie in unserem Land seit 1938 begangen haben. Die ganze Nation wird sich an diesem Kampf beteiligen“. Detaillierte Regieanweisungen für diese Blutdrohung enthielten 143 „Dekrete des Präsidenten der Republik“, von Beneṧ 1940-1945 erlassen, die die Jagd auf Deutsche freigaben. Das betraf vor allem die Dekrete 3 (19. Mai 1945) und 12 (21. Juni 1945) „Über die Enteignung und beschleunigte Aufteilung des Landbesitzes von Deutschen und Ungarn sowie von Verrätern und Feinden des tschechischen und des slowakischen Volkes“. Damit legitimierte Prag, dass nach Kriegsende über drei Mio. Deutsche vertrieben und über 300.000 Deutsche ermordet wurden.
Die Konfiskationen sollten keine „verbündeten und neutralen Staaten“ betreffen, z.B. nicht Schweden oder Schweiz. Liechtenstein bildete mit der Schweiz seit 1923 ein gemeinsames Zollgebiet, was es nun nicht schützte. Landwirtschaftsminister war der Kommunist Julius D‘uriṧ (1904-1986), der am 26. Juni 1945 in einem ministeriellen Erlass die Liechtensteiner nicht namentlich erwähnte, sie aber unverkennbar denunzierte: Sie bekamen ihren Besitz von Habsburg, für Kriegsdienste, agierten seit Jahrhunderten als Deutsche, seien „bis heute Feinde des tschechischen und des slowakischen Volks“ etc. Diese Deutung war selbst unter den damaligen Ministern umstritten, z.B. bei Außenminister Jan Masaryk (1886-1948). Michal Růžička, Prager Repräsentant der „Stiftung Fürst von Liechtenstein“, weiß warum:
„Vor Liechtensteinern hatten tschechoslowakische Ämter, im Unterschied zu Schweizern, keine Angst. Liechtensteiner Bürger, die das Dekret betraf, waren nur 30, und von ihnen erwartete man keinen großen Widerstand. Die fürstliche Familie wehrte sich sofort und gerichtlich gegen die Konfiskation. Wäre 1948 nicht der kommunistische Putsch gewesen, dann hätte sie wohl obsiegt“.
Liechtenstein und Tschechien: Kräftemessen
Prag hat die antideutsche Zielrichtung der Enteignungen willkürlich ausgeweitet. Das betrifft vor allem das kleine, ökonomisch starke und politisch souveräne Alpen-Fürstentum Liechtenstein (Bild), dessen 39.000 Einwohner von Tschechien seit 1945 als „Deutsche“ angesehen werden – aus Gründen, die tschechische Führungen nicht einmal eigenen Untertanen begreiflich machen konnten, geschweige denn dem Ausland. Liechtenstein entstand am 23. Januar 1719 und misst 180,5 km² Fläche, weniger als die Hälfte der „Hauptstadt Prag“ (Hlavní město Praha, 496 km²), aber fast so groß wie Nürnberg (186 km²). In der Antarktis trieb 2017 ein Eisberg, der mit 140 km Länge und 48 km Breite größer als Liechtenstein war. Gemessen daran ist Tschechien ein Großreich: 79.000 km² Fläche, 10,5 Mio Einwohner, administrativ aufgeteilt in 14 Regionen (kraj), von denen jede mehrfach größer ist als das Fürstentum Liechtenstein. Dieses bemüht sich seit über sieben Jahrzehnten um die (partielle) Rückerlangung enteigneter Besitztümer in Tschechien, 22 Burgen und Schlösser, dazu 1.600 km² Land und Wald – zwei Prozent der Fläche Tschechiens, aber rund das Zehnfache des Territoriums Liechtensteins.
Liechtenstein erwarb erste Besitztümer vor über 700 Jahren, Tschechien („Böhmen“) verschwand 1526 in der Habsburger Monarchie. In dieser galt es als Heimat wunderlicher Wesen, wie Christian Morgenstern um 1910 in seinem Gedicht „Das böhmische Dorf“ sagte: „Unverständlich bleibt ihm alles dort/ von dem ersten bis zum letzten Wort“. Als Böhmen 1918 mit Mähren und der Slowakei zur Tschechoslowakei fusionierte, besaß Liechtenstein 160.000 ha Land, wovon ihm in einer „Landreform“ 1918/19 91.500 ha weggenommen wurden; dafür versprach man ihm eine „Entschädigung“, die nie gezahlt wurde. Dem Fürstentum verblieben 69.000 ha Land, zumeist Wälder, auch „Burgen, Schlösser, Häuser, Fabriken und Aktien“, wie Pavel Juřík, Historiker und Experte für Liechtenstein, vorrechnete. Dieser Rest wurde in der Nachkriegszeit in drei Etappen total und ohne Entschädigung geraubt:
- I. Etappe 1945: Enteignung fast des gesamten Besitzes von Deutschen, Ungarn und „Verrätern“. Das fand vorwiegend in den grenznahen Regionen statt, aus denen Deutsche vertrieben wurden. Dieser Zusammenhang ließ den Einfluss der Kommunistischen Partei (KSČ) enorm ansteigen.
- II. Etappe 1947 (Gesetz Nr. 142/1947): „Revision“ der Landreform vom 16. April 1919 und ihrer partiell legalen Basis. Die Bodenverteilung achtete streng darauf, dass „Angehörige der deutschen oder ungarischen Volksgruppe“ nichts bekamen.
- III. Etappe vom 21. März 1948, nach dem kommunistischen Putsch als „neue Landreform“ durchgeführt, wobei privater Landbesitz nicht mehr als 50 ha betragen durfte. Diese „Reform“ fiel zum Teil mit der kommunistischen Zwangskollektivierung zusammen, von der die Staatsführung stets behauptet hatte, es würde „bei uns keine Kolchosen“ geben, die dann in Form „landwirtschaftlicher Genossenschaften“ doch entstanden. Die „neue Landreform“ schädigte auch die Kirchen, denen „mit geringen Ausnahmen (Pfarr- und Klostergebäude, Gärten) die völlige Enteignung kirchlichen Eigentums“ diktiert wurde.
Die Tschechen devastierten viele der geraubten Besitzungen. In Südmähren besaß Liechtenstein Schloss Valtice (dt. Feldberg), eines der schönsten Barockschlösser Tschechiens und zusammen mit dem benachbarten Schloss Lednice (Eisgrub) seit 1996 verzeichnet im UNESCO-Weltkulturerbe. Zu dieser Zeit war Valtice noch eine Ruine: Nach 1945 hatten die Tschechen alle Innenwände eingerissen, um das Schloss als Traktoren-Garage zu nutzen. Die Restauration dauerte Jahrzehnte, erst am 25. Juni 2015 konnte Valtice feierlich wiedereröffnet werden – im Beisein seiner rechtmäßigen Besitzer, Prinzessin Maria-Pia Kothbauer, Botschafterin Liechtensteins in Prag, und Prinz Constantin (*1972), jüngster Sohn des Fürsten von Liechtenstein.
Die Tschechen hätten ihren Gästen die Türschlüssel übergeben sollen, mit der Bitte um Verzeihung für das doppelte Unrecht, das ihnen 1945 Beneṧ und Genossen antaten, als man ihnen ethnische Identität und legalen Besitz raubte. Dass ihnen Enteignungen drohten, war im Frühjahr 1945 absehbar. Der Schweizer Generalkonsul in Prag Albert Huber (1897-1959) warnte am 19. Juni 1945 den tschechoslowakischen Außenminister vor einem Übergriff auf das „Oberhaupt eines souveränen Staates. Aber es war zu spät: Der Fürst, seit 1928 Inhaber eines liechtensteinischen Diplomatenpasses und selbst bei der örtlichen Polizei als „Liechtensteiner Bürger“ verzeichnet, wurde im Sinne der Beneṧ-Dekrete als „Person deutscher Nationalität“ geführt, dessen Besitz dem Staat verfiele.
Dagegen erhob der fürstliche Anwalt Dr. Emil Sobička (1906-1990) Einspruch, den das Außenministerium milderte: Enteignung ja, aber es müsse eine finanzielle Entschädigung (finanční nahrada) gezahlt werden. Ein weiterer Rechtsbeistand war Prof. Frantiṧek Weyr (1879-1951), Nestor der tschechischen Rechtswissenschaft. Die kommunistisch dominierten Ministerien für Inneres und für Landwirtschaft verschoben den Fall „auf unbestimmte Zeit“ (na neurčito). Der Fürst klagte die Entschädigung ein, aber am 21. November 1951 wurde er abgewiesen. Solches Treiben bewirkte, dass über 64 Jahre lang, bis 2009, zwischen Prag und Vaduz keine diplomatischen Beziehungen bestanden. Brüchig blieben die Beziehungen auch später, und vor 2019 hatte Tschechien 26 Monate lang keinen Botschafter in Vaduz.
Umsichtig nutzt Liechtenstein die Rechtsberatung des Prager Völkerrechtlers Dr. Vít Makarius (*1976), der es optimal berät, welche strafwürdigen Rechtsbrüche Tschechien ihm gegenüber begeht:
„In erster Linie geht es bestimmt nicht nur um Besitz, sondern um gewichtige Verletzungen der Rechte, die von der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert sind. Konkret handelt es sich um die Verletzung des Diskriminierungsverbots, des Rechts auf Schutz von Besitz und, auf einen fairen Prozess, schließlich des Rechts auf ein Privat- und Familienleben“.
Der Tscheche Makarius kehrte die Prager Behauptung, Liechtensteiner seien „Deutsche“, gegen ihre Urheber. Die hatten sich, so die Liechtensteiner, der Missachtung der Souveränität ihres Staates schuldig gemacht, wogen Makarius massiv opponierte: Er konzipierte eine „Staatenbeschwerde“ (mezistátní stížnost), die Vaduz am 18. August 2020 vor dem „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“ (EGMR) in Straßburg erhob. Auf das Urteil wird man Jahre warten müssen, aber einmal kommt es und mit ihm Liechtensteins Stunde: EGMR-Urteile sind „verbindlich und betroffene Länder haben ihnen nachzukommen“.
Fürst Hans Adam II. nannte am 8. Juni 2014 in einem Interview mit der Prager Tageszeitung „dnes“ (Heute), was sein Land wolle oder ablehnte: Er verlange sein Eigentum zurück, um einen Rechtsbruch an ihm und 38 weiteren geschädigten Liechtensteinern zu beenden. Die Idee, den entschädigungslos gestohlenen Besitz „zurückzukaufen“ (zpátky koupit), empfand der Fürst als Zumutung. Um Besitz ginge es ihm nicht, das finanzstarke Liechtenstein sei „auf der ganzen Welt“ ein gefragter Investor. Auch Prag solle erst eigenes Unrecht korrigieren, „dann werden wir investieren“.
Wie das ablaufen könne, demonstrierte Liechtenstein ab 2010 an dem alten Paulaner-Kloster in Vranov bei Brünn (u Brna). Zu diesem gehört die Wallfahrtskirche Geburt Mariä (Kostel Narození Panny Marie), in deren Untergeschoss sich das Familiengrab des Liechtensteiner Fürstengeschlechtes befindet. Hier sind 14 regierende Fürsten bestattet, beginnend mit Karl I. (1569-1627) und endend mit Franz I. (1853-1938), dazu 48 engste Familienmitglieder. Das bauliche Ensemble Vranov war von (post)kommunistischen Regimen dem Verfall preisgegeben. Mauern stürzten ein, Sarkophage verrotteten, wie Brünns Kulturchef Zdeněk Vácha beklagte. Unter solchen Umständen machte Vaduz von seiner Abneigung zu Prager Behörden, die nach 1945 auch Vranov „konfisziert“ hatten, eine „Ausnahme“. Aus seiner Privatschatulle finanzierte der Fürst dreijährige Restaurierungsarbeiten, deren Gelingen er im Herbst 2015 „zufrieden“ inspizierte.
Vaduz an Prag: „Macht aus uns keine Deutschen!“
Fürst Hans-Adam II. geboren 1945 (Bild), seit 1984 Staatsoberhaupt, hat „zu Zeiten des Eisernen Vorhangs“ die Tschechoslowakei besucht, in den „60-er und 70-er Jahren, als alles in schlechtem Zustand war, auch der Lebensstandard“. Inzwischen wurde manches besser, aber anderes ändert sich nicht, wie der Historiker Pavel Juřík 2019 zornig rügte:
„Solange wir den Liechtensteinern nicht das Eigentum zurückgeben, das von Kommunisten gestohlen wurde, verhalten wir uns weiterhin wie Kommunisten. (…) Die Tschechische Republik schöpft Milliarden Kronen aus europäischen Fonds, in die Liechtenstein einzahlt. Wir haben keine Probleme damit, weiter Geld von einem Land anzunehmen, dessen Bürger wir beraubt haben. Es ist heute allgemein bekannt, und die Rechtsvertreter der Stiftung (Fürst von Liechtenstein) haben es bewiesen, dass der Besitz von Liechtensteiner Bürgern konfisziert wurde aufgrund des Missbrauchs der Beneṧ-Dekrete, wozu Gerichte bislang den Liechtensteinern Genugtuung verweigern. (…) Wenn die Republik Tschechien Gerichtsprozessen, auch internationalen, den Vorzug vor Abmachungen gibt, lässt sie offen erkennen, dass sie die Legalisierung von Raub, den Kommunisten in den Jahren 1945-1951 inszenierten, vorzieht“.
Den erwähnte „Missbrauch“ der Beneṧ-Dekrete erläuterte noch Ende 2018 der Liechtensteiner “Erbprinz“ Alois (*1968):
„Unser Fall hat nichts zu tun mit den Beneṧ-Dekreten, wie behauptet wird. Wir bezweifeln nicht die Beneṧ-Dekrete als solche, wohl aber ihren Missbrauch gegen die Bürger Liechtensteins nach dem Zweiten Weltkrieg“.
Konkret: Die Dekrete richteten sich zuerst gegen Deutsche, und zu diesen zählte man widerrechtlich auch Liechtensteiner. Das bringt Liechtensteiner in Harnisch: „Macht aus uns keine Deutschen“ (Nedělejte z nás Němce). Deutsch ist Liechtensteiner Staatssprache, aber deren „deutsche“ Ethnizität ist eine tschechische Lüge, etwa die Behauptung, Fürst Franz-Joseph II. (1906-1989) habe 1930 bekundet, dass Liechtensteiner „Deutsche“ seien, was die „Stiftung Fürst von Liechtenstein“ längst als Betrugsversuch entlarvte:
„Die Familie Liechtenstein hat diese haltlose Beschuldigung, die Kommunisten erdacht haben, immer abgelehnt. Relevante Dokumente, die im Nationalarchiv liegen, beweisen es. Danach war Franz-Joseph II. Bürger von Liechtenstein, das im Zweiten Weltkrieg neutral war. Den Fürsten zum Deutschen zu machen, um seinen Besitz zu konfiszieren, sieht die Stiftung als grobe Verdrehung historischer Tatsachen an, auch als Verstoß gegen tschechisches und internationales Recht“.
Und was geschah wirklich? Am 1. Dezember 1930 hielt die Tschechoslowakische Republik eine Volkszählung ab. Der zweisprachige (tschechisch-deutsch) „Zählbogen“ verlangte in ein und derselben Rubrik Angaben zu Nationalität und Muttersprache, dazu Staatsangehörigkeit und „Heimatzuständigkeit“ (domovská přisluṧnost). Wer konnte diesen Wirrwarr korrekt ausfüllen? Das Fürstenhaus zu Liechtenstein, seit knapp 800 Jahre in Mähren ansässig und bis 1918 „einer der größten Grundbesitzer im Land“, fühlte sich nicht angesprochen. Man war nicht einmal präsent und überließ es Karl Loos, Forstverwalter des mährischen Schlosses „Velké Losiny“ (Groß Ullersdorf), den „Zählbogen“ für alle auszufüllen, worauf dieser unter „Nationalität (Muttersprache)“ „deutsch“ eintrug. Das klang klar, war es aber nicht.
Der tschechische Publizist Pavel Šafr (*1967, Bild) hat in Büchern und Artikeln immer wieder erwähnt, wie leicht in Tschechien Demagogie mit der „Sudeten-Karte“ fällt: Man muss nur drohen, der politische Gegner wolle die „vertriebenen Deutschen und ihre Nachkommen“ ins Land zurückholen. Im September 2019 hat Šafr in kritischer Schärfe aufgelistet, wie aus Loos‘ Eintrag von 1930 ein Lügengebäude gegen Deutsche und Liechtensteiner erwuchs, das bis heute wirksam und nutzbar ist:
„Die Familie Liechtenstein weilte nicht auf dem Territorium der ČSR und der Verwalter hatte kein Recht (zur Eintragung). Aber auf seine Inschrift stützen sich tschechische Ämter bis heute. Wir schreiben das Jahr 2019, die Tschechische Republik führt mit Liechtenstein rund zwanzig Gerichtsprozesse, die alle die Folge dessen sind, was damals der Verwalter (…) anrichtete. Die Familie Liechtenstein, die an der Spitze des souveränen Staates Fürstentum Liechtenstein steht, hat sich in der Tschechoslowakei niemals zur deutschen Nationalität bekannt und niemals mit Hitlers Drittem Reich kollaboriert. Darum konnten die Beneṧ-Dekrete auch nicht für sie gelten. Der Fall Liechtenstein unterscheidet sich von anderen Nachkriegs-Konfiskationen dadurch, dass hier die Konfiskation sogar den Dekreten widerspricht.
Die Liechtensteiner waren keinesfalls Bürger der Tschechoslowakei, sie votierten nicht für deutsches Volkstum, verrieten die Tschechoslowakei nicht. Wie konnte der Staat mit ihnen verfahren wie mit Bürgern anderer Staaten, sobald es um rechtswidrige Konfiskationen aus ethnischen Erwägungen ging, die auf Liechtenstein nicht zutrafen? Die Tschechoslowakei hat doch das Alpen-Fürstentum 1938 als souveränen Staat anerkannt. (…)
Kommunistische und prosowjetische Kräfte haben nach 1945 das gesamte Eigentum der Liechtensteiner in der Tschechoslowakei weggenommen, egal mit welchen Folgen. Dafür hatten sie drei Gründe. Ideologische (sie hassten Adlige), strategische (den neuen Machthabern missfiel ein starkes, selbstbewusstes und prowestlich denkendes Geschlecht in Mitteleuropa) und finanzielle. Was war zu tun? Der Fürst war das Oberhaupt eines souveränen Staates, der im Krieg strikt neutral geblieben war, niemals das Protektorat (Böhmen und Mähren) anerkannte, auf seinem Territorium einen Putsch von Nazis niederschlug, der zahlreichen Juden Pässe und Asyl gab, schützte sie auf eigene Gefahr vor Hitler. Auf den fürstlichen Feldern in der Tschechoslowakei waren im Krieg viele Tschechen beschäftigt. (…) Die Liechtensteiner galten in Berlin als »Feinde des Reichs« (nepřátele Říṧe).
Eine Enteignung liechtensteinischen Eigentums wegen „Kollaboration“ anzuzetteln, wagten nicht einmal die verbohrtesten kommunistischen Ideologen. Deswegen beschlossen die Ministerien des Inneren und für Landwirtschaft, aus Liechtensteinern »Deutsche« zu machen (udělat z Lichtenṧtejnů „Němce“): man behauptete, der Fürst habe sich bei der Volkszählung zum deutschen Volkstum bekannt. Aus heutigen Archiven wissen wir, dass das eine Lüge war (že to bylo lež).
Die Tschechoslowakei hat sich nach dem Krieg mit Schweizern, Österreichern, Amerikanern und Italienern verglichen, denen allen man Eigentum weggenommen hatte – zumeist auf der Basis ethnischer oder sprachlicher Zugehörigkeiten. Mit Liechtensteinern oder mit Liechtenstein kam es in keinem einzigen Fall zu einem derartigen Ausgleich. Die Tschechoslowakei blockierte lieber über lange Jahrzehnte hinweg die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, womit der tschechische Staat nach 1989 leider fortfuhr, ungeachtet der Aussagen von Außenminister Jiří Dienstbier und anderer Politiker, dass man eine Erneuerung der Beziehungen und eine Klärung offener Fragen zwischen beiden Ländern wünsche. Die diplomatischen Beziehungen wurden formal erst 2009 wieder aufgenommen, aber der einzige Schritt eines Entgegenkommens (vstřícný krok) war die Gründung einer gemeinsamen Tschechisch-Liechtensteinischen Historiker-Kommission. (…)
Die Tschechoslowakei hat sich nach dem Krieg bei der Enteignung von Besitz an keine Rechtsnormen gehalten. (…) Als sich die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen abzeichnete, warb der Staat bemüht, die restlichen Besitztümer stillschweigend auf sich zu überschreiben. Einige Katasterämter verweigerten das, denn für sie legte der Staat keine hinreichenden Beweise dafür vor, dass die Grundstücke Staatsbesitz seien. (…) Zwei Vertreterinnen des Staates argumentierte vor Gericht wie das einstige Regime der Nationalen Front: Liechtensteiner sind Deutsche, das ist allgemein bekannt. Mit anderen Worten: Hält sich die Tschechische Republik weiterhin an das ethnische Prinzip bei Besitzenteignungen, das ihrer derzeitigen Verfassung widerspricht? Mehr noch: Missachtet die Tschechische Republik die Rechte der Bürger eines souveränen Staates, mit dem sie diplomatische Beziehungen erneuert?“
Wie tschechoslowakische Behörden noch im Juli 1945 bestätigten, waren Familienoberhaupt Prinz („später Fürst“) Alois (*1865) und seine Familie „immer gemeldet als Bürger von Vaduz Liechtenstein und von Liechtensteiner Nationalität“. „Vertraulich“ gab das Innenministerium Ende Juni 1946 die Weisung aus, es sei „die Nationalität der Eigentümer des Liechtensteiner Großgrundbesitzes d e u t s c h , wie bei der Volkszählung vom 1. Dezember 1930 für alle „sieben Angehörigen“ der fürstlichen Familie ermittelt wurde. Angeblich hatte bei der Volkszählung Prinz Alois von Liechtenstein als „Vertreter der Familie“ per Unterschrift bestätigt, dass alle Liechtensteiner „Deutsche“ seien. Das tat er nicht, er hatte kein Recht dazu. Der ganze Zensus war darauf angelegt, Liechtensteiner und andere zu betrügen. Das vermutete der Historiker Robert Břeṧt’an im Dezember 2018: In dem Fragebogen gab es „eine gemeinsame Rubrik für Sprache und Nationalität“. Ein betrügerischer Trick, aber, so Břeṧt’an, „auf seine Argumente stützt sich der Staat bis heute“. Jahrzehnte nach dem Zensus prüfte Fürst Hans-Adam II. die Zensusdokumente vor Ort, fand nichts Schriftliches seines Großvaters, geschweige denn dessen Unterschrift.
Prager Attacken und Rückzugsgefechte
Lange Zeit mühte sich Liechtenstein, Prager Diskriminierungen durch Dokumentationen, diplomatische Boykotte etc. zu beseitigen, etwa 2003, als es kurzfristig den EU-Beitritt Tschechiens blockierte, was es als Mitglied des EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) konnte. Erst am 9. September 2009 nahmen beide Staaten nach jahrzehntelanger Unterbrechung wieder diplomatische Beziehungen auf. Bis Januar 2014 folgten good-will-Gesten – Gründung einer „gemeinsamen Tschechisch-Liechtensteinischen Historikerkommission“, „Memorandum über Verständigung“ (April 2010), Leistungsbilanz der beiden Außenministerien und anderes mehr, was alles „für die Katz‘“ war.
Wie erwähnt, verlangen neben dem Fürstenhaus „noch weitere 38 Liechtensteiner Bürger“ eine Rücknahme tschechischen Landraubs, dessen Opfer sie nach 1945 waren (HlidáciPes 24.03.2019). Dazu äußerte sich Fürst Hans Adam II. im August 2018 in einem Interview mit einer Prager Zeitung: „Es ging nicht nur um den Diebstahl an einer adligen Familie, sondern um Diebstahl an insgesamt 38 Personen, Liechtensteiner Staatsbürger“. Von den 38 Klägern verlangten zehn Besitztümer zurück, die in der Slowakei enteignet wurde. Aber Bratislava gibt sich in dem Konflikt so stur wie Prag. Es geht um einen Gesamtschaden von 375 Mio. €, wovon allein auf den Fürsten (und Staatsoberhaupt) 318 Mio. € entfallen. Das ist wenig, gemessen am Stiftungsvermögen von „mehreren Milliarden Franken“ oder dem Privatvermögen des Fürsten (45 Mrd. $). Bedeutsamer ist erstens das tschechische Schuldeingeständnis: Es gibt den „Fall der bestohlenen Liechtensteiner“ (případ okradení Lichtenṧtejnů), d.h. man habe Leute aus Liechtenstein „beraubt“ (oloupiti). Zweitens beklagt Liechtenstein, dass die „Souveränität des Landes von Tschechien nicht ausreichend respektiert wird“.
Unter solchen Umständen atmet Prag auf, wenn es von Liechtenstein nicht attackiert wird. Der regierende Fürst Hans Adam II., ist bekannt ob seiner gelegentlichen undiplomatischen Auftritte. So wie es im September 2008 geschah, wie die Wochenzeitung „Týden“ (Woche) am 11. September 2008 schadenfroh berichtete:
„FÜRST VON LIECHTENSTEIN NANNTE DEUTSCHLAND VIERTES REICH: Der Liechtensteiner Monarch provoziert Berlin. Hans-Adam II. ließ sich in einem Brief an das Jüdischen Museum in Berlin scharf über Deutschland aus, das er Viertes Reich nannte. (…) In dem Brief, aus dem die Schweizer Zeitung Tages-Anzeiger zitiert, schreibt Hans-Adam II. unter anderem: „Wie haben drei Deutsche Reiche überlebt (…) und ich hoffe, dass wir noch das viertes überleben“. „Diese Aussage des Fürsten ist abwegig“, reagierte auf den Satz des Monarchen der Vizevorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Salomon Korn. (…) Korn gab an, dass das Museum überlegt, ob es vom Fürsten eine Entschuldigung verlangen soll.
Das Jüdische Museum in Berlin war entsetzt, der Fürst „verharmlost die Naziverbrechen auf unverantwortliche Weise“. Aber davon abgesehen, hat Liechtenstein längst die Geduld mit Tschechien verloren. Ende Dezember 2018 verklagten die „Stiftung Fürst von Liechtenstein“ und der Fürst selber vor 26 tschechischen Gerichten die „Tschechische Republik und ihre zuständigen Institutionen“, ihre „Untätigkeit“ (nečinnost) zu beenden und die „Rückgabe des Familienbesitzes der Liechtensteiner“. Diesen Schritt kündigte Liechtenstein in 200 Briefen an Politiker, Organisationen, Medien etc. an.
Die weiter oben ausführlich zitierte Äußerung tat im September 2019 Pavel Šafr unter einem treffenden Titel: Die ganze Besitzfrage ist „ein Unrecht, das zum Himmel schreit“ (bezpraví, které volá do nebe). Šafr und andere wissen, wie sehr ihre Ansichten zur Staatspolitik kontrastieren, die das Prager Außenministerium im Dezember 2018 resümierte: „Wir geben den Liechtensteinern nichts zurück, wir werden nicht verhandeln, es gelten die Beneṧ-Dekrete“. Dabei hatten am 24. April 2002 alle tschechischen Parlamentsparteien in einer gemeinsamen Erklärung versichert, „die Beneṧ-Dekrete gelten nicht mehr“.
Auf Umwegen gelten sie doch, ihr Büttel ist das „Amt für die staatliche Vertretung in Eigentumsfragen“ (ÙZSVM), ein stets auf den staatlichen Vorteil bedachtes Gremium, das unter seinem Sprecher Radek Ležatka Recht und Wahrheit nach Gefallen biegt, besonders wenn Grundbesitz in Tschechien anliegt, den die „Stiftung Fürst von Liechtenstein“ rechtlich betreut. Bei ihren Gegnern scheinen noch Prinzipien kommunistischen „Klassenrechts“ zu gelten, wie die Presseagentur ČTK am 25. Februar 2020 Rechtsgrundsätze des Verfassungsgerichts (US) nachgeordneten Gerichten mitteilte: „Der Übergang des Eigentumsrechts auf der Basis der Dekrete geschah ex lege“. Was immer das heißen mochte, die Liechtensteiner Stiftung übersetzte es mit „illegal“ und schlug eine Aussetzung laufender Verfahren vor, um bilaterale Verhandlungen zwischen Prag und Vaduz nicht zu erschweren.
Das Gericht (US) lehnte ab, wie von seinem Vorsitzenden Radovan Suchánek (*1972) nicht anders zu erwarten war. Dieser in Prag, Bern, Tübingen und Linz ausgebildete Jurist ist eng verbunden mit der (*1990 gegründeten) „Edvard Beneṧ-Gesellschaft“ (Společnost Edvarda Beneṧe), ideelle Nachfolgerin „Dr. Edvard Beneṧ-Instituts für politisches und soziales Studium“. Beneṧ‘s Kanzler Jaromír Smutný (1892-1964) baute es nach dem kommunistischen Prager Putsch in London auf und betrieb es 1950-1964 als Zentrum zur Propagierung von Werk und Politik Beneṧ‘s.
Damit gerät die tschechische Politik in einen eskalierenden Widerspruch zur tschechischen öffentlichen Meinung, wie im November 2019 eine Repräsentativ-Umfrage (N = 1007) verdeutlichte. Gefragt wurde, wie der Staat verfahren sollte, worauf folgende Antworten kamen, teils nach Altersgruppen differenziert:
- „Der Tschechische Staat sollte Verhandlungen über einen Schluss dieses Nachkriegskonflikts beginnen und eine für beide Seiten akzeptable Lösung finden“ – 55,6 % (vorwiegend Jüngere 18 bis 29 Jahre).
- “Der Tschechische Staat sollte diese Angelegenheit den Gerichten überlassen und deren Urteil akzeptieren“ – 22 %.
- „Der Tschechische Staat sollte weiterhin jegliche diplomatische und außergerichtliche Verhandlungen ablehnen“ – 14,6 % (vorwiegend Ältere (66 + Jahre)
- „Der Tschechische Staat sollte die diplomatischen Beziehungen zu Liechtenstein abbrechen“ – 2,3 %.
- „weiß nicht, kann dazu nichts sagen“ – 5,7 %.
Prager Selbstkritik „…wir haben Bürger dieses Landes beraubt“
Selbst tschechische Kommentatoren räumen ein, dass Prags Politik „Unrecht“ ist und beweist, dass in Tschechien „keine Rechtssicherheit“ besteht. Dabei hat tschechischer Landraub an Liechtensteinern lange vor den Beneṧ Dekreten begonnen. 1919 und in den frühen 1930-er Jahren übereignete sich die junge Tschechoslowakei „zum Amtspreis“ Region und Barockschloss Koloděje, die seit dem frühen 17. Jahrhundert Liechtensteiner Besitz waren. Aus Koloděje schufen sie in Ausbau und Gestaltung unter Bernhard Petri (1767-1853), dem berühmten österreichischen Agronomen und Gartenarchitekten, einen Park, der seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Als Landräuber agierte zuvor Staatsgründer Tomáṧ G. Masaryk, der hier 1919 Weihnachtsurlaub verbracht hatte und so viel Gefallen an dem Areal fand, dass er es sich aneignete und zu seiner Sommerresidenz machte.
Masaryks Nachfolger begehen mitunter wahre Narreteien. Da verklagt der Staat Tschechien das Katasteramt im tschechischen Postějov, weil es die Überschreibung Liechtensteinischen Besitzes auf den tschechischen Staat ablehnte – „dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage“. Das Katasteramt in Postějov ist eine rühmliche Ausnahme von einer Justiz, die als korrupt, unfähig und mafiös verbandelt gilt. In Tschechien amtieren rund 3.000 Richter, die miteinander so eng verwandt sind, dass „ein mittelgroßer Staat wie Tschechien von zweihundert Familien beherrscht wird, was in der zivilisierten Welt undenkbar ist“. So höhnte am 21. Dezember 2020 „Neviditelný pes“ (Unsichtbarer Hund, erstes satirisches Internet-Blatt Tschechiens). Nach dem „revolutionären“ Jahr 1989 wechselten die Richter zwar die Front, nicht aber Gesinnung und Methoden, so dass das „aktuelle mafiöse System“ stärker wurde und unreformiert blieb (ebd.).
Doch gibt und gab es immer rechtskundige Tschechen, die Prags antideutsche Hysterie nicht mitmachen. Einer der ersten war (der erwähnte) Prof. Frantiṧek Weyr (1879-1951, Bild), Koautor der tschechoslowakischen Verfassung von 1918, nach dem Zweiten Weltkrieg Rektor der Prager Universität und engagierter Warner vor den Beneṧ-Dekreten, die er als totalen Rechtsbruch ansah. Im „Prager Frühling“ war der Dissident Jiří Dienstbier (1937-2011) engagierter Befürworter eines deutsch-tschechoslowakischen Ausgleichs, nach der „samtenen Revolution“ 1989 fuhr er als erster nichtkommunistischer Außenminister damit fort. Gegenwärtiger Kritiker des Prager Umgangs mit Liechtenstein ist der (erwähnte) Historiker Pavel Juřík (*1968), Vorsitzender der „Tschechisch-Liechtensteinischen Gesellschaft“ (Česko-lichtenṧtejnská společnost) und Autor zweier Bücher zu dieser Problematik.
Prags Missachtung der Souveränität Liechtensteins behindert seit Jahrzehnten dessen staatliche „Pflicht, den Staatsangehörigen Rechtsschutz zu gewähren“. „Weil uns nun keine andere Wahl mehr bleibt“, so Liechtensteins Außenministerin Katrin Eggenberger, hat ihr Land, wie erwähnt, Tschechien vor dem Straßburger EGMR verklagt, um rechtlich unanfechtbar „die Interessen des Staates und seiner Bürger gegenüber Tschechien zu wahren“. Der EGMR ist die Rechtsinstanz der 47 Mitgliedsstaaten des Europarates, die den „Vertrag zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ unterzeichneten. In Straßburg, wo das Gericht seit 1998 seinen Sitz hat, sind im Laufe der Jahre über 1.000 Klagen gegen Tschechien eingegangen, von Individuen eingereicht. Erstmalig geschieht es nun, dass zwei Staaten zu diesem „äußersten Schritt, der in der internationalen Diplomatie vereinzelt dasteht“, greifen. Der Kläger Liechtenstein ist kompromisslos, wie Außenministerin Eggenberger am 19. August 2020 vor tschechischen Journalisten auf einer Pressekonferenz in Vaduz erkennen ließ:
„Wir haben keine feindlichen Absichten gegen die Tschechische Republik und ihre Bevölkerung. Wir sehen nur keine andere Möglichkeit, wie wir unsere Souveränität und unsere Bürger schützen können. (…) Fundamental ist die Tatsache, dass tschechische Gerichte die Souveränität unseres Landes missachten. (…) Es ist inakzeptabel, dass tschechische Gerichte uns als Deutsche identifizieren und so auf massive Weise die Souveränität unseres Staates beschneiden“.
Liechtensteiner Revanche: Großzügigkeit
Der Konflikt Tschechoslowakei (Tschechien) – Liechtenstein währt bereits über ein Jahrhundert. Der Prager Partner mochte das politische Outfit ändern – Demokratie (1918), Halb-Demokratie (1945), Stalinistische Diktatur (1948), (tschechischer) Halbstaat (1993) etc. -, der illegale Besitzanspruch Tschechiens blieb unverändert. Selbst die postkommunistische Republik Tschechien setzte die alte Unversöhnlichkeit gegenüber Liechtenstein fort, wie Erbprinz Alois (*1968, Bild) noch 2019 in einem Interview mit einer Prager Zeitung konstatierte:
„Ständig und vor allem nach der samtenen Revolution vertraten wir die Ansicht, dass es sinnvoll wäre, alles nicht auf dem Weg über Gerichte zu klären. Sondern mittels einer politischen Übereinkunft. Leider erfuhren wir von Seiten der Tschechischen Republik bislang kein größeres Interesse, die Situation zu klären (…) Wir sind weiterhin offen für jeden Dialog“.
Liechtensteins Taktik war immer, „besser vergleichen als prozessieren“ (je lepṧí dohodnout než soudít). Dem stimmten bei Umfragen über 60 Prozent der Bevölkerung zu, nur der Staat blieb stur, Dagegen reichte, wie erwähnt, Liechtenstein Ende 2018 Klagen bei 26 Gerichten gegen den tschechischen Staat an, weil dieser „widerrechtlich auf der Basis der Beneṧ-Dekrete Besitz geraubt hat“. Dabei wurden von Anfang an erstaunliche Konzessionen eingeräumt: „Die Klage betrifft nur solche Immobilien, als deren Besitzer der Staat im Kataster eingetragen ist“. Grundstücke im Besitz von Bezirken, Gemeinden, NGOs, Universitäten oder Privatpersonen verbleiben dort, sogar der Staat durfte die Grundstücke behalten, „die zu seiner Fernstraßen-Infrastruktur gehören“. Stiftungssprecher Michal Růžička ließ Anfang 2019 durchblicken, dass Liechtensteiner Großzügigkeit wohlerwogene Grenzen hat:
„Die Stiftung, Regierungschef Fürst Hans Adam II. und weitere benachteiligte Liechtensteiner Bürger wählten eine großzügige Taktik: Es war der Staat, der die Beneṧ-Dekrete zur Annexion Liechtensteinischen Besitzes missbrauchte, nicht aber Gemeinden, Universitäten oder Privatpersonen. Sogenannte »dritte Parteien« können und sollen bei Staatsverhandlungen keine staatliche Verantwortung übernehmen“.
Der Liechtensteiner Verzicht auf große Teile seines Besitzes kam auch bei der (erwähnten) Repräsentativumfrage zur Sprache. Wie die Tschechen den Schritt der Fürsten-Stiftung beurteilten, wurde gefragt. Ihre Antworten waren klüger und einsichtiger als Aussagen tschechische Politiker, denn sie bescheinigten der Stiftung zu 66 Prozent ein „großzügiges Vorgehen“ (velkorysý přístup). Stiftungssprecher Růžička bestätigte auch die Korrektheit einer Liste von 22 Burgen und Schlössern, die in der tschechischen Presse kursierte, wobei Vaduz nur fünf zurückverlangte, darunter aber wahre „historische Kleinodien“ (skvosty). Schlösser Lednice (dt. Eisgrub) und Valtice (Feldberg), beide seit 1996 im UNESCO-Kulturerbe verzeichnet, Koloděje (bei Prag), Adamov (bei Brno), Nové zámky (in Mähren).
Liechtensteiner Großzügigkeit kollidiert mitunter mit tschechischer Bürokratie, wie der „Fall Říčan“ seit Jahren demonstriert. Es ging um „etwa einhundert Grundstücke“, zusammen 600 ha in der Gemeinde Říčan am Prager Stadtrand. Das Areal war 1945 unter Beneṧ‘s Raubdekret gefallen, war aber vom regionalen Katasteramt als Liechtensteiner Stiftungsbesitz ausgewiesen. Eigentümer Fürst Franz Joseph II. starb im Herbst 1989 eine Woche vor der „samtenen Revolution“, konnte aber noch ein gerichtliches Erbverfahren um Říčan beginnen – und gewinnen. Dieser Sieg wurde vom ÙZSVM in immer neuen Verfahren vor immer höheren Gerichten angefochten, wobei abenteuerliche „Argumente“ vorgebracht wurden: Das erste Urteil aus der Nachkriegszeit basiere auf „Fehler der Beamten“ (chyba úředniků), die nun revidiert werden müssten. Noch „schöner“ ÙZSVM-Sprecher Ležatka Mitte November 2015:
„Infolge der Konfiszierung des Besitzes von Franz Joseph II. von Liechtenstein im Jahre 1945 konnte er auf dem Territorium der Tschechischen Republik nichts von seinem Eigentum finden, das Objekt einer Vererbung sein könnte“.
Es gab natürlich keinen „Beamtenirrtum“, vielmehr hatten rechtstreue Richter Liechtenstein als rechtmäßigen Besitzer der strittigen Areale eingetragen, womit faktisch die ganze Enteignung von 1945 gegenstandslos war. Das war die grundlegende Angst Prags, dass ein gerichtlicher Sieg Liechtensteins eine Prozesslawine vormals betroffener Beneṧ-Opfer auslösen könnte. Nach dessen Dekreten konnte ja jedermann als „Feind und Verräter“ denunziert werden, ob er nun Deutscher, Ungar oder sonst wer war. Oder wie es schon 2015 Klara Obrtlíková, zuständige Richterin beim Kreisgericht Prag-Ost wohl versehentlich preisgab: „Der Staat beabsichtigt keine Wiedergutmachung von Unrecht (křivda), das vor dem Jahr 1948 begangen wurde“. Also vor dem kommunistischen Putsch, aber entsprechend Beneṧ‘s Weisung, dass das Kriegsende „mit Blut“ geschrieben würde.
(Persönliche) Schlussbemerkung
Im Spätsommer 1968 bin ich erstmalig in der Tschechoslowakei gewesen, die damals ihren „Prager Frühling“ erlebte. Am 19. August flog ich zurück, was ich mir terminlich nie verziehen habe, denn es war zwei Tage vor dem Überfall der Sowjets auf Dubčeks Reformland. Was für Bilder, Impressionen, habe ich mir da entgehen lassen – Jeṧiṧ Marjá (habe ich oft mit dem braven Soldaten Schwejk geseufzt). An unpolitischen Momenten jener Zeit sind mir erinnerlich die Warntafeln an zahllosen Häusern: „Pozor padá omítka“ (Vorsicht, Putz fällt ab). Wer mag, probiere es aus – nach dieser Warnung im Internet zu suchen. Sie ist immer noch nötig, schrieb der Publizist Miroslav Toms (*1931) 2016 in seinem Blog, sogar noch schärfer als früher: „Der fallende Putz wurde sozusagen Folklore und die Zierde (ozdoba) jeder Straße“, später fielen Balkons von den Häusern.
Für neuerliche tschechische Reparationsforderungen gibt es keine juristische noch politische Rechtfertigung. Bei den Tschechen war Václav Havel (1936-2011) – Dramatiker, Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels (1989) und Staatspräsident – einer von wenigen, die sich um einen deutsch-tschechischen Ausgleich mühten. Das haben ihm die Tschechen nie verziehen und ihn noch 2015 auf Platz vier der „negativsten Gestalten unserer Geschichte“ gesetzt. Beneṧ landete auf Platz 7, gewiss nicht wegen seiner Dekrete zur „Enteignung des Besitzes von Deutschen, Ungarn, Kollaborateuren und Verrätern“.
Tschechen als ertappte Diebe spüren Angst, besonders seit 2018/19, als Liechtenstein seine Prozesswelle vor nationalen und internationalen Gerichten startete:
„Repräsentanten Tschechiens befürchten, dass ein Zurückweichen (ústupek) Liechtensteins weitere Forderungen anderer Länder nach einer Rückgabe von Besitz im Zusammenhang mit den Beneṧ-Dekreten auslösen könnten“.
„Andere Länder“ – wer mochte damit wohl gemeint sein? Souverän erscheint in diesem Zusammenhang allein das tschechische Außenministerium, dessen Informationsabteilung seit Juni 2019 von Zuzana Štíchová geleitet wird. Sie hatte im Sommer 2020 die eiserne Stirn, Liechtensteiner Klagen nicht nur zu billigen, sondern ihnen rundheraus Erfolg zu wünschen:
„Wie halten diesen Schritt für ungewöhnlich (ne standardní), aber nicht überraschend, denn die Liechtensteiner Seite hat uns vorab informiert. Konkret berührt der Streit das Eigentum an einigen Grundstücken. Paradoxerweise könnten sich nach dem Endurteil des Gerichts unsere Beziehungen mit Liechtenstein bereinigen, keinesfalls erwartet Liechtenstein eine Verschlechterung“.
Tschechien ist Mitglied in NATO und EU, Liechtenstein nicht. Ist das hinreichend, dass Prag mit dem kleinen Fürstentum unter Missachtung von Recht und Gesetz umspringt? Hat Brüssel keine Möglichkeiten, völkerrechtlich zu intervenieren? Natürlich wird sich nichts zum Besseren wandeln. Solange EU und NATO nicht die zwei Grundreformen angehen, die Ex-Kanzler Gerhard Schröder noch unlängst anmahnte (Spiegel Nr.3, 16.01.2021):
„Erstens brauchen wir in der EU dringend Mehrheitsentscheidungen. Und (…) die Schaffung einer wirklich einsatzfähigen europäischen Armee unter der politischen Führung Europas“.
Bis dahin wird noch viel Wasser die Moldau hinabfließen. Realistischer erscheint, dass Prag vor dem EGMR gegen Liechtenstein eine Niederlage einsteckt und Liechtenstein nach Jahrzehnten Dauerkonflikt obsiegt. Wie erwähnt, sehen manche tschechische Diplomaten diesem Ausgang mit Vorfreude entgegen, denn der Konflikt mit Liechtenstein hat das Prestige Tschechiens im In- und Ausland nicht gesteigert. Der erinnert an den alttestamentarischen Showdown, den das 1. Buch Samuel im 17. Kapitel schildert. Die altägyptischen Philister, geführt von dem schwer bewaffneten Riesen Goliath, greifen die Juden an, die ein kleiner Junge namens David siegreich verteidigt, wozu er nicht einmal ein Schwert benötigt.
Autor: Wolf Oschlies
Auswahlbibliographie
Berger, Vojtěch: „Čeṧi nejsou nepřátelé, ale musíme se bránit“, Proč Lichtenṧtejnsku je doṧla trpělivost s českým mlčením („Die Tschechen sind keine Feinde, aber wir müssen uns wehren“ – Warum Liechtenstein die Geduld mit tschechischem Schweigen verlor), in: HlídacíPes 23.08.2020
Bergmann, Daniel Adam: Jaké máme sousedy, aneb český pohled za hranice (Was für Nachbarn wir haben oder: Tschechischer Blick über die Grenze, in: Magazin 27.11.2017Außenminiysterium
Břeṧt’an, Robert: Na koho uplatnit Beneṧovy dekrety a koho nechat být? (Auf wen treffen die Beneṧ-Dekrete und wen lassen sie aus?), in: HlidaciPes 24.08.2020
Hans Adam II., Fürst von Liechtenstein: Interview mit der Prager Tageszeitung MF Dnes 8. Juni 2014
Hanzlová, Radka: Sympatie české veřejnosti k některým zemím (Sympathien der Tschechen zu einigen Ländern), in Pressemitteilung des CVVM vom November 2019
Klaus, Václav et al.; Völkerwanderung – Kurze Erläuterung der aktuellen Migrationskrise, Waltrop – Leipzig 2016
Kovanda, Lukáṧ: Czexit?, in iDnes 04.03.2018.
Kreisslová, Sandra; Novotný, Lukáš: Kulturní život německé menšiny v České republice (Das Kulturleben der deutschen Minderheit in der Tschechischen Republik), Praha (Prag) 2025
Krystlík, Tomáṧ: Rozdily se prohlubují (Unterschiede vertiefen sich), in: Parlamentní listy 24,03.2020
Krystlík, Tomáṧ: Vesele se lže I po sedmi desetiletích (Auch nach sieben Jahrzehnten wird fröhlich gelogen), in: Parlamentní listy 16.09.2020
Kučerová, Petra: Průzkum: Čeṧi chtějí jednat, ne se soudít (Umfrage: Tschechen wollen verhandeln, nicht prozessieren), in: Deník.cz 19.11.2019
Liechtenstein, Alois Erbprinz von und zu: Interview mit der Prager Tageszeitung iDnes 31. Mai 2019
Makrlík, Václav: Směřuje současná Evropská unie k řiṧí národa německého? (Nimmt die gegenwärtige Europäische Union Kurs auf ein Reich des deutschen Volkes?), in:Česká pozice 15.02.2020
NN: Die Liechtensteiner in Tschechien – eine Geschichte des Streits, Radio Prag International (dt.) 10.10.2009
Oschlies, Wolf: Václav Havel und die Deutschen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 10/2006, S. 1183-1187
Růžička, Michal: Spor Lichtenṧtejnů s Českou republikou pokračuje (Der Streit der Liechtensteiner mit der Tschechischen Republik geht weiter), in: Newsletter Česko-lichtenṧtejnské společnosti Sept. 2020
Šafr, Pavel: Český stát by měl Lichtenṧtejnům vrátit zkonfiskovaný majetek (Tschechische Staat soll den Liechtensteinern das konfiszierte Eigentum zurückgeben), in: Forum 24, 08.09.2019 (N.B. Der Autor ist Chefredakteur des zitierten Blatts)
Schmid, Thomas: Fürstentum Liechtenstein – Halb Bürger und halb Untertan, in Frankfurter Rundschau 16.03, 2012
Švihel, Petr: Lichtenṧtejnsko žaluje Česko (Liechtenstein verklagt Tschechien), in: Seznam (Webblog, *2019) 19.08.2020