Eine vergessene Rede zur „Neuordnung Europas“ von 1940
Wir haben hier kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der eine Reise tschechischer Intellektueller ins „Reich“ im September 1940 behandelte. Zu dieser Zeit war die Heimat der Besucher bereits seit anderthalb Jahren das deutsche „Protektorat Böhmen und Mähren“.[1] Dieses verfügte zwar über eine rudimentäre Autonomie, vor allem im Bereich der Kultur und der Massenmedien, war im Grunde aber eine rechtlose Kolonie des deutschen NS-Regimes. Dagegen regte sich kaum „großer“ Widerstand, wohl aber eine allseitige Verschleppung, Obstruktion, Verweigerung, die von den deutschen Machthabern als ungemein störend empfunden wurde. Sie brauchten die tschechische Industrie und deren gut ausgebildete Arbeiterschaft, konnten folglich nicht massiv gegen die Tschechen vorgehen. Also versuchten sie es mit dem alten Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Diese Rolle übernahm Propagandaminister Goebbels, der am 11. September 1940 eine große Rede vor den Besuchern aus Prag hielt.
Goebbels hat viele Reden gehalten, die im Krieg alle eine ausgeprägte „Dramaturgie“ aufwiesen: Eingangs trat er als ehrlicher Bote auf, der nichts beschönigte und darum sogar eine gewisse Achtung von den Menschen erfuhr (zumal er im Fortgang des Krieges der einzige Spitzenfunktionär war, der sich noch vor die bombengeschädigte und zunehmend kriegsmüde Öffentlichkeit wagte). Sodann gab er sich als Deuter der Zeit, Mahner zu Mut und Geschlossenheit, Erinnerer an beste „deutsche“ Tugenden und Werte. Und am Ende war er der Prophet einer besseren Zukunft, die unbedingt kommen würde. So sind Dutzende Reden von ihm aufgebaut, die alle im Wortlaut erhalten sind. Die Rede vor den Tschechen war von anderer Art und sie ist auch nicht sonderlich bekannt geworden. Natürlich wurde sie im „Protektorat“ veröffentlicht und groß herausgestellt, aber inhaltlich betraf sie eben nur diese Region, der der Minister werbend und drohend eine letzte Chance gab. Eben dieser Ausnahmecharakter der Rede veranlasst uns von Shoa.de, sie im vollen Umfang unseren Lesern vorzustellen und sie abschließend zu kommentieren.
Goebbels über „Zusammenarbeit im Neuen Europa“
„Ich freue mich, dass ich die Gelegenheit habe, mit Ihnen über eine ganze Reihen von Fragen zu sprechen, die meiner Ansicht nach einmal in aller Offenheit diskutiert werden müssen, damit Klarheit über das Verhältnis des Reichs zum Protektorat einkehrt. Auch mit Blick auf die Kriegsereignisse halte ich es für notwendig, dass dieses gerade im jetzigen Moment geschieht. Anderenfalls wäre zu befürchten, dass der Krieg zu Ende ist, bevor die Fragen so sachlich ausdiskutiert werden können, wie es jetzt möglich ist.
Als Männer des Geistes sind Sie sich bewusst, dass sich in diesem Augenblick das größte historische Drama abspielt, welche die Geschichte der europäischen Menschheit überhaupt kennt. Ich bin davon überzeugt, dass – und wie könnte es anders sein – dieses Drama zu unseren Gunsten beendet werden wird.
In diesem Moment, da die Macht Englands am Boden zerschmettert ist, werden wir die Möglichkeit haben, ein neues Europa zu organisieren, und zwar auf der Basis von Standpunkten, die den sozialen, ökonomischen und technischen Möglichkeiten des 20. Jahrhunderts entsprechen. Unser deutsches Reich hat vor einhundert Jahren einen ähnlichen Prozeß durchlaufen. Es war damals in derselben Weise in viele Teile, größere und kleinere, zersplittert, wie es heute ganz Europa ist. Diese Aufteilung in Kleinstaaten ist nur so lange erträglich, wie die technischen Mittel, vor allem der Verkehr, nicht so entwickelt sind, dass das Überwechseln von einem kleinen Land in ein anderes nur wenig Aufenthalt verursacht. Mit der Erfindung der Dampfmaschine war dieser alte Zustand jedoch unmöglich geworden. Denn während man bislang für eine Reise von einem Kleinstaat in den anderen rund 24 Stunden benötigte, so brauchte man nach dem Bau von Eisenbahnen für eine solche Reise nur noch etwa drei, vier Stunden. Vor Erfindung der Dampfmaschine musste man ständig 24 Stunden reisen, bis man zur nächsten Zollstation gelangte, heute brauchte man dafür zuerst fünf, dann drei, dann zwei und zuletzt nur eine halbe Stunde, und ein solcher Zustand wäre selbst für einen Fanatiker des Föderalismus unvorstellbar gewesen.
Es gab im Reich Kräfte, die versuchten, diesem Zustand per Verhandlungen zu begegnen. Diese Kräfte wurden von der historischen Entwicklung überrollt, und zwar auf eine Weise, die öfter vorkommt. Geschichte spielt sich nämlich nach härteren Gesetzen ab, als die, welche gewöhnlich an einem Verhandlungstisch gelten. Sie kennen vielleicht Bismarcks Worte[2] von damals, dass die deutsche Einheit keineswegs durch Reden und Beschlüsse erlangt wird, sondern mit Blut und Eisen geschmiedet werden muß. Damals stritt man über diese Worte viel, später erfuhren sie ihre geschichtliche Bestätigung. Schließlich wurde die Einheit des Reichs in der Tat in Schlachten geschmiedet. Dabei gingen zahlreiche Unterschiede zwischen den einzelnen (deutschen) Ländern, Vorurteile, Beschränkungen, unangemessene politische Vorstellungen über Bord, denn anders hätte das Reich seine Einheit nicht bekommen und nicht am großen Konkurrenzkampf der europäischen Mächte teilnehmen können. Daß wir die staatspolitische Einigung überhaupt erreichten, gründete sich auf diese Überwindung hinderlicher Grenzen.
Es ist selbstverständlich, dass sich damals der Bayer, Sachse, Württemberger, Badenser oder jemand aus Schaumburg-Lippe irgendwie übervorteilt fühlte. Aber letztendlich sind unter dem Einfluß der Dynamik dieser neuen Lage die Vorurteile, und mehr waren sie ja nicht, mehr und mehr verschwunden und die Ansichten der Menschen richteten sich machtvoller auf die großen Ziele, die dem Reich nunmehr gestellt waren. Es versteht sich von selber, dass der Bayer Bayer blieb, der Sachse Sache, der Preuße Preuße, Alle lernten jedoch im Laufe eines Jahrzehnts, über lokale Abgrenzungen hinweg zu sehen, und sie begriffen, dass es erst dank der Existenz von Gemeinsamkeiten möglich war, zahlreiche Fragen wirtschaftlicher, finanzieller, außenpolitischer und militärischer Natur zu lösen.
Die Größe des Reichs folgte aus diesem Prozeß – ein Prozeß, der uns heute als selbstverständlich erscheint, den damals jedoch die Beteiligten nicht immer verstehen konnten und wollten. Sie waren eben so befangen in ihrer Zeit und in ihren Vorurteilen, dass sie nicht die Kraft hatten, sich über die Zeit zu erheben und sich konstruktiv eine Situation vorzustellen, die einmal kommen würde, die jedoch zur damaligen Zeit nur Propheten vorhersahen und vorbereiteten.
Heute ist die Eisenbahn kein modernes Verkehrsmittel unserer Zeit mehr, denn sie wurde inzwischen vom Flugzeug übertroffen. Einen Raum, den ein Zug früher in 24 Stunden überwand, schafft ein modernes Flugzeug heute in anderthalb Stunden oder noch weniger Zeit. Die Technik nähert nicht nur Regionen, sondern auch Völker einander viel enger an, als sich das früher jemand überhaupt vorstellen konnte. Während wir früher 24 Stunden benötigten, um uns mittels der Druckmedien zwischen Berlin und Prag zu verständigen, brauchen wir heute dafür keine Sekunde mehr. Wenn ich an dieses Mikrophon trete, kann man mich im selben Moment in Prag. In der Slowakei[3], in Warschau[4], in Brüssel und im Haag hören.
Wenn ich früher 12 Stunden benötigte, um mit dem Zug nach Prag zu fahren, so fliege ich heute mit dem Flugzeug in einer Stunde dorthin. Das bedeutet: Die Technik hat wieder einmal, einhundert Jahre später, zwei Völker einander angenähert. Es ist gewiß kein Zufall, dass diese technischen Hilfsmittel gerade jetzt entstanden sind. Denn in Europa hat sich die Bevölkerung vermehrt, und diese Masse Menschen hat die europäische Gesellschaft vor ganz neue Probleme alltäglicher, ökonomischer, politischer, finanzieller und militärischer Natur gestellt. Unter der Einwirkung technischer Errungenschaften haben sich natürlich auch Kontinente einander angenähert. Unter europäischen Völkern schlägt sich das Bewusstsein immer mehr Bahn, dass vieles von dem, was zwischen ihnen vorfiel, im Grund nur Familienstreitigkeiten waren – verglichen mit den großen Fragen, die heute Kontinente klären müssen.
Davon bin ich ganz fest überzeugt. Von anderem auch: Wenn wir heute zurückblicken, dann schauen wir lächelnd auf die Divergenzen zwischen deutschen kleinen Staaten, die in den 40er und 50er Jahre des vergangenen Jahrhundert die Ausmaße eines „Strichleins am Horizont“ hatten; ebenso werden nach weiteren 50 Jahren die Generationen, die uns nachfolgen, mit einer gewissen Amüsiertheit auf die Konflikte schauen, die sich momentan in Europa politisch abspielen. Sie werden erneut in den „dramatischen Völkerkonflikten“ vieler kleiner europäischer Staaten lediglich Familienkräche erblicken. Ich bin überzeugt, dass man im Verlauf von 50 Jahren nicht mehr nur in den Kategorien eines Landes denken wird – viele der heutigen Probleme werden verschwinden, wobei es so viele gar nicht gab -, sondern man wird in kontinentalen Kategorien denken und dass europäische Denken wird von weit größeren Problemen erfüllt sein und bewegt werden.
Sie dürfen keinesfalls denken, dass wir, wenn wir in Europa einen bestimmten Ordnungsprozeß vorantreiben, das deshalb tun, um gewissen Völkern den Lebensfaden abzuschneiden. Meiner Meinung nach muß man den Begriff der Freiheit eines jedweden Volks in Einklang bringen mit den Realitäten, vor denen wir heute stehen, und mit den einfachen Gesetzen der Zweckmäßigkeit. So wie in einer Familie ein Mitglied nicht das Recht haben darf, durch seine Selbstsucht deren inneren Frieden ständig zu stören, so darf auch in Europa kein einziges Volk auf Dauer die Möglichkeiten haben, sich dem allgemeinen Ordnungsprozeß entgegenzustellen.
Wir hatten doch niemals die Absicht, diesen Prozeß der Ordnung und Umorganisierung Europas mit Gewalt durchzuführen. So wie wir großdeutsch denkenden Leute kein Interesse daran haben, die ökonomischen, kulturellen oder sozialen Besonderheiten von Ländern wie Bayern oder Sachsen zu stören, so liegt es auch nicht in unserem Interesse, die kulturellen oder sozialen Spezifika etwa des tschechischen Volks zu stören. Nur muß dazu zwischen beiden beteiligten Völkern ein klares Grundverständnis geschaffen werden. Wir müssen einander entweder als Freunde oder als Feinde begegnen. Ich denke, dass Sie uns hinreichend aus der Vergangenheit kennen: Deutsche können schreckliche Feinde sein, aber auch sehr gute Freunde. Wir können dem Freund die Hand geben und wirklich loyal mit ihm zusammenarbeiten – wir können aber auch als Feind bis zur Vernichtung kämpfen.
Völker, die sich in diesen Ordnungsprozeß eingliederten oder noch eingliedern werden, stehen nun vor der Frage, ob sie bei dieser Eingliederung gern und aus ganzen Herzen mitwirken werden, sozusagen aus Loyalität, oder ob sie sich ihm innerlich widersetzen. An den Tatsachen selber ändert das gar nichts. Sie können davon überzeugt sein, dass die Achsenmächte[5], wenn England erst einmal zu Boden geschmettert ist, an den Großmacht-Realitäten, nach denen Europa unter politischen, ökonomischen und sozialen Aspekten neu organisiert wird, keinerlei Änderungen zulassen werden. Wenn England dagegen nichts ausmachen kann, dann schafft das auch nicht das tschechische Volk. Wenn Sie die Geschichte der jüngsten Zeit studiert haben, dann werden Sie wissen, dass man am heutigen machtpolitischen Zustand nichts mehr wird ändern können und auch nichts ändert.
Darum, meine Herren – und jetzt spreche ich ganz realpolitisch, ohne jede Gefühlsvermischung: Ob Sie dieser Lage zustimmen oder nicht, ist gleichgültig. Ob sie sie aus vollem Herzen begrüßen oder nicht, ist unwesentlich – an der Lage selber werden Sie nichts ändern. Ich bin heute der Ansicht: Wenn ich an einem Zustand nichts ändern kann, wohl aber seine Nachteile in Kauf nehmen muß, die gewiß vorhanden sind, dann sollte es doch tröstlich sein, auch seine Vorteile zu bemerken. Da Sie nun einmal sowieso Bestandteil des Reichs sind, sehe ich keinen Grund, warum sich das tschechische Volk in eine innere Opposition gegen das Reich begeben sollte, wo es lieber die Vorteil des Reichs für sich selber nutzen könnte.
Sie mussten sicher eine Reihe politischer Erklärungen abgeben. Ich weiß, dass das für Sie nicht angenehm war, niemand kann das besser verstehen als ich. Ich weiß, dass Sie gewiß auf manche Dinge verzichten mussten, die Sie in der Vergangenheit gern hatten und schätzten, und ich weiß, dass man sich mit einem derart neuen Zustand nicht von einem Tag zum anderen, sozusagen über Nacht, abfinden wird. Da gibt es gewisse Reibeflächen, auf die man vor Ort schärfer und mit größerer Entrüstung schaut, als sich so etwas aus der Perspektive des Reichs ausnimmt. Aber noch einmal: Wenn Sie erst einmal die Nachteile bemerkt haben, dann, so meine ich, sollten Sie auch die Vorteile nutzen. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen:
Im Jahre 1933 standen wir vor der Frage, wie wir das Judenproblem lösen sollten. Daß wir Gegner der Juden sind, war der Welt bereits 1933 bekannt. Und wir bekamen von der internationalen Propaganda alle Nachteile zu spüren, die Antisemitismus mit sich bringt. Aber wir konnten uns auch ganz ruhig seiner Vorteile klar werden und auf die Juden setzen. Wenn wir in der Welt schon als Judenfeinde angegiftet und verleumdet wurden, warum sollten wir dann nur die Nachteile dessen auf uns nehmen, nicht aber die Vorteile, also die Juden ausschließen aus dem Theater, dem Film, aus dem öffentlichen Leben und aus der Staatsverwaltung. Und wenn wir weiter als Judengegner angegriffen wurden, dann konnten wir wenigstens guten Gewissens sagen: Es lohnt, wir haben etwas davon![6]
Meine Herren, Sie haben sich im Reich umgesehen, und ich habe mich sehr bemüht, dass Sie diese Reise machten, bevor ich mich mit Ihnen traf. Sie haben sich das Reich im Krieg angeschaut und können sich eine annähernde Vorstellung davon machen, was es erst im Frieden darstellen wird. Dann wird unser großes, national stärkstes Reich praktisch die Führung über ganz Europa, ausgenommen Italien, übernehmen. Daran kann man schon nichts mehr ändern oder bezweifeln. Für Sie bedeutet das also: Sie sind schon heute Teil eines großen Reichs, das sich gerade anschickt, Europa eine neue Ordnung zu geben. Es will Grenzen niederreißen, die die europäischen Völler noch trennen, und ihnen den Weg zu einander ebnen. Es macht mit einem Zustand Ende, der auf die Dauer die Menschheit natürlich nicht befriedigen konnte. Wir vollbringen hier ein Reformwerk, von dem ich überzeugt bin, dass es einst mit ganz großen Buchstaben ins Buch der europäischen Geschichte geschrieben werden wird. Können Sie sich vorstellen, was das Reich nach dem Krieg für eine Bedeutung haben wird?
Sie wissen, dass wir uns maximal darum bemühen, neben dem politischen Aufstieg des Reichs auch den Aufstieg in Kultur und Wirtschaft zu erreichen. Sie kennen unseren Willen, dass an diesen Maßnahmen und ihren Resultaten das ganze Volk beteiligt wird. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Bislang haben wir unsere 86 Millionen Deutschen mit dem deutschen Film versorgt, in Zukunft haben wir es mit einem unvergleichlich größeren Gebiet zu tun. Es liegt nur an Ihnen, ob Sie sich daran beteiligen oder sich in stille Passivität gegenüber dem Reich begeben. Sie können uns glauben, dass wir in diesem zweiten Fall über genügend Mittel und Möglichkeiten verfügen, um etwa den tschechischen Film niederzudrücken.[7] Aber das wollen wir ja gar nicht. Wir möchten im Gegenteil, dass Sie sich in unserem großen Absatzgebiet betätigen. Ebenso wenig wollen wir Ihr Kulturleben unterdrücken. Wir wollen im Gegenteil, dass Ihnen ein reicherer Austausch ermöglicht wird. Das kann natürlich nur auf der Grundlage der Loyalität erfolgen. Sie müssen sich darum mit der heutigen Lage innerlich abfinden und dürfen sich kein Hintertürchen offen lassen, so in dem Sinne: „Wenn es vielleicht schief geht, können wir uns absetzen“.
Hier haben Sie noch ein Beispiel aus der Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung: Eine gewisse Anzahl unserer Parteimitglieder trägt ein besonderes Abzeichen mit einem goldenen Kranz[8]; damit geben sie zu verstehen: „Ich stand zum Nationalsozialismus in einer Zeit, als man davon nichts gewinnen konnte; ich habe für diese Bewegung gekämpft, als sie noch nicht an der Macht war“. Sie standen dazu in einer Zeit, da der Sieg der Bewegung bei weitem noch nicht sicher war. Sich einer Sache anzuschließen, wenn alles geklärt ist, ist keine Kunst. Wenn Sie also Ihre Loyalität erst dann bekunden wollen, wenn der Sieg definitiv errungen ist – meine Herren, dann werden uns so viele ihre Loyalität versichern wollen, dass wir daran kein besonderes Interesse mehr haben werden.
Ich bin der Meinung, dass Sie mit diesem Problem ins reine kommen müssen. Ich habe es auch getan. Beispielsweise habe ich in letzter Zeit zahlreiche tschechische Bücher gelesen, viele tschechische Filme gesehen, mir viele Erklärungen zu tschechischer Kulturarbeit beschafft. Besonders habe ich bedauert, dass ich diese Ergebnisse Ihres Kulturlebens dem deutschen Volk nicht im größeren Maßstab vermitteln konnte. Aber erst einmal muß es zu einer Säuberung kommen. Von zahlreichen tschechischen Filmen würde ich mir z.B. wünschen, sie dem deutschen Volk nahezubringen. Wollen Sie sich mit Ihren Filmen auf das Absatzgebiet des tschechischen Volks beschränken, oder möchten Sie nicht lieber sehen, wie diese im ganzen Reich verbreitet werden? Es erfüllt auch Sie mit Stolz, wenn Sie nach Hamburg kommen und sagen können: „Das ist auch meine Hafenstadt“.[9]
Und wenn Sie die deutsche Luftwaffe sehen: „Das ist die Luftwaffe, die auch unser Leben schützt!“. Und wenn Sie die heroischen Taten der deutschen Wehrmacht verfolgen: „Das ist die Wehrmacht, die auch unser Volk schützt, die auch um uns den den Eisenwall ihres Schutzes legt“. Das würde ich für nützlicher und befriedigender halten, als wenn Sie sagen würden: „Na ja, da müssen wir eben mitmarschieren“ und dabei im Herzensgrunde Vorbehalte zu haben.
Darüber müssen Sie und das tschechische Volk entscheiden. Sagen Sie nicht: Das tschechische Volk will dieses oder jenes. Ich meine, ich kann eine gewisse Erfahrung auf dem Gebiet der Menschenführung beanspruchen. Das Volk denkt so, wie es die Intellektuellenschicht zu denken lehrt. Es hat immer dieselben Vorstellungen, die auch seine geistige Führung hat. Warum sollte jetzt nicht Ihre geistige Führung ganz ernsthaft vor das tschechische Volk treten und ihm klar machen, dass es sich nun entscheiden muß. Warum sollte man ihm nicht sagen, dass das tschechische Volk eventuell doch den besten Teil gewählt hat? Sie haben Rotterdam gesehen, und gerade Sie sollten nun den vollen Wert der damaligen historischen Entscheidung Ihres Staatspräsidenten anerkennen.[10]
Niemand sollte sagen: „Jawohl, verbieten wir das alles doch!“ Unser Handeln entspringt nicht irgendwelchen Stimmungen. Auch wir sind bloß die Diener eines historischen Geschicks; wir können gar nicht anders handeln als wir handeln.
Wir sind bloß die Erfüller und Ausführer eines geschichtlichen Auftrags. Wir können nicht sagen: „Gäbe es keine Nationalsozialisten, wäre in Europa Ruhe“. Dem ist nicht so, denn dann wären andere hier, die an unserer Stellen agieren müssten. Wenn eine bestimmte Zeit heranreift, muß man sie erfüllen, wie ja auch ein Apfel vom Baum fällt, wenn er reif ist. Wir können uns nicht gegen das Schicksal wenden, es würde uns überrollen.
Mit anderen Worten: Sie müssen wählen, ob Sie Ihrem Volk den wirklichen Stand der Dinge klarmachen, ihm von höherer Warte aus die historischen Aufgaben vor Augen führen, vor denen Europa steht. Ich denke, dass Sie – wenn Sie sich die Entwicklung gerade in den letzten Kriegsjahren ins Gedächtnis rufen – doch zu dem Schluß kommen: „Vielleicht haben wir Tschechen den besten Teil erwählt. So wie es früher war, konnte es nicht weitergehen. Es wäre nur möglich gewesen, wenn Deutschland auf Dauer zu Boden gedrückt wäre, aber das ist ja undenkbar“.
Sie haben heute die Möglichkeit, sich alle Vorteile anzueignen, die das Großdeutsche anbieten kann. Sie haben einen sicheren Schutz. Niemand greift Sie an. Sie hätten sogar die Möglichkeit, den Vorteil, Ihr nationales Wesen dem ganzen Deutschland anzuvertrauen. Sie hätten die Möglichkeit, Ihre Musik im Reich aufzuführen, Ihre Filme, Ihre Literatur, Ihre Presse, Ihren Rundfunk zu verbreiten. Sie wissen, dass das deutsche Volk kulturell immer für eine freundschaftliche Aufnahme offen war. Daran wollen wir auch gar nichts ändern. Denn wir sind keine Diktatoren, sondern die Ausführer des Willens unseres Volks.
Wie ich schon sagte, bieten wir Ihnen die Möglichkeit zur Zusammenarbeit. Ich habe Sie hierher eingeladen, um Ihnen eine Grundlage vorzustellen, auf der wir uns verständigen können. Wir verlangen von Ihnen überhaupt nicht, dass Sie etwas gegen die Ehre Ihres nationalen Seins tun, wir fordern nicht, dass Sie etwas tun, das Sie zu Marktschreiern, Lobhudlern oder sonst etwas deklassieren würde.
Auf Dauer konnten wir uns doch am jetzigen Zustand nicht erfreuen. Ich denke jedoch, dass wir in diesen dramatischen Stunden des europäischen Zusammenpralls, der zu ganz neuen Formen menschlichen Zusammenlebens führen wird, nicht zu viel verlangen, wenn wir uns über diese Dinge verständigen, klar handeln und uns auf Augenhöhe sagen wollen, ob wir uns als Freunde oder als Feinde begegnen wollen.
Wir wollen wissen, in welchem Verhältnis wir zur Intelligenz eines Volks stehen, ob wir Freunde oder Feinde antreffen. Daß wir auch als Feinde auftreten können, das konnten sie gewiß im Verlauf der letzten Jahre beobachten. Daß wir auch Freunde sein können, könnten Sie dann erleben, sobald sich zwischen den beiden Völkern, zwischen dem deutschen und dem tschechischen Volk, eine positive und aktive Loyalität entwickelt hat.
Ich habe es heute als meine Aufgabe angesehen, Ihnen das zu erklären. Ich glaube, wir können uns auf dieser Basis verständigen. Ich bin fest überzeugt, dass Sie, wenn Sie die Grundlage dieser Loyalität schaffen, selbstverständlich uns zufrieden stellen, andererseits aber auch dem eigenen tschechischen Volk einen großen historischen Dienst erweisen. Wir dürfen nicht nach dem urteilen, was die Leute heute sagen. Der Durchschnittsmensch blickt nämlich nicht sonderlich weit. Es ist gerade die Aufgabe der Intelligenz, über einen engen Horizont hinwegzuschauen, einen breiteren Überblick zu gewinnen und sich in der Phantasie einen Zustand auszumalen, der einmal eintreten wird und gegen den nicht die Tatsache zeugt, dass es ihn noch nicht gibt. Es ist immer die Aufgabe der Intelligenz jedes Volks, Künder kommender Ereignisse zu sein, nicht aber blinder Bewunderer der Gegenwart.
Ich rufe Sie darum auf, in diesem Sinne zum tschechischen Volk zu sprechen. Wenn wir das täten, würde das tschechische Volk uns nicht glauben, weil es uns nicht kennt, weil es nicht weiß, wie wir, die Nationalsozialisten, sind, weil es bei uns vielleicht einen nationale Egoismus erkennen würde, wo wir nur im Sinn hatten, ein bereinigtes Verhältnis zwischen zwei Völkern zu schaffen, die sich untereinander doch verständigen müssen. Sie leben dort, wir leben hier.
Einzig eine gigantische Katastrophe, die unser Volk vernichten würde, könnte eine einseitige Lösung bringen. Da wir das nicht erwarten, müssen wir uns irgendwie verständigen. Ob wir einander sympathisch sind oder nicht, das steht gar nicht so sehr zu Debatte. Es ist unwesentlich. Wesentlich ist allein, dass wir jenen vielen Millionen in Europa eine gemeinsame Lebensbasis und ein gemeinsames Lebensideal geben. Bisher wurde dieses Ideal nur noch von England gestört. England wollte Europa in Unruhe halten, weil darin die beste Absicherung seines Insel-Daseins erblickte. Diese Quelle der Unruhe wird gegenwärtige durch die gigantischen Schläge unserer Wehrmacht ausgemerzt. Wir werden die Möglichkeit haben, Europa erneut seinen Frieden zu geben. Zu dem sind Sie herzlich eingeladen.“
Kommentar
Eine gute Rede hat Goebbels zeitlebens nie gehalten, aber auch selten eine so schwache wie diese. Er hatte sich offenkundig auf den Besuch der tschechischen Gäste nicht sonderlich gut vorbereitet, und so redete er eben etwas daher – fahrig, oft arrogant, primitiv in seinen Bildern und ungeschickt in seinen ständigen Wiederholungen ein und desselben Gedankens.
Es war natürlich pure Albernheit, Tschechen etwas über die Vorzüge moderner Technik erzählen zu wollen: Böhmen und Mähren waren das technisch-industrielle „Herz“ der großen Habsburger Monarchie, und nach dem Ersten Weltkrieg konnte die junge Tschechoslowakei dank bester Beziehungen zu Westeuropa in dieser Hinsicht sogar noch „zulegen“.
Ebenso albern war es, die tschechische Kultur überhaupt zu erwähnen und ihr Hitlers territoriale Eroberungen als neuen „Absatzmarkt“ anzubieten. Von allen osteuropäischen Kulturen war die tschechische seit mindestens einhundert Jahren international bestens renommiert und in aller Welt vertreten. Mehr noch: Als Repräsentanten der Kultur der Tschechoslowakei konnten sogar deutsche Künstler, die zur deutschen Volksgruppe im Lande gehörten, weltweites Prestige gewinnen.
Interessant ist die Rede nur unter dem Aspekt, wer hier zu wem sprach. Hitler hätte niemals zu slavischen Intellektuellen gesprochen – Goebbels tat es, wie er überhaupt Hitlers undifferenzierte Aversion gegen „slavische Untermenschen“ anfänglich gar nicht, später nur widerstrebend teilte.
Goebbels wollte oder sollte die Tschechen über ihre intellektuellen Repräsentanten – in der Reisegruppe waren signifikant wenige echte Kollaborateure der deutschen Eroberer – zu bewusster und aktiver Loyalität zum „Reich“ veranlassen. Diese Aufgabe war angesichts der halb geklärten Lage des „Protektorats“ schwer genug – zwar autonom, aber doch Besatzungsgebiet, zwar im Besitz eigener Medien und Schulen, aber doch harschem Germanisierungsdruck ausgesetzt, zwar kein „Verbündeter“ Deutschlands (wie die Slowakei), aber vom Krieg doch mitbetroffen, zwar unter eigener Regierung und Verwaltung, aber doch letztinstanzlich von Deutschen dirigiert.
Goebbels war sich offenkundig der immanenten Unmöglichkeit bewusst, die Tschechen zu loyalen „Reichsteilen“ zu machen, weswegen er in der Rede ständig zwischen grobschlächtigen Drohungen und primitiven Lockrufen hin und her pendelte.
Goebbels hat die Propaganda immer als „Kunst“ angesehen und sich als „Meister“ dieser Disziplin gefühlt. In dieser Rede war er indessen kaum mehr als ein Stümper. Propaganda arbeitet mit Suggestion und Überzeugung – Goebbels griff abwechselnd zum Holzhammer oder zum Honiglöffel. Propaganda ist zwecklos, wenn sie nicht mindestens in partieller Harmonie mit den Individuen und deren Wünschen geübt wird. Wird sie es nicht, kippt sie rasch in zynische Pose um. Es gab keinerlei Harmonie zwischen den Tschechen im Protektorat und den NS-Herrschern in Deutschland, und daran scheiterte Goebbels (der sich darüber wohl auch keine Illusionen gemacht hatte).
Nur in einem hatte Goebbels recht: Eine „gigantische Katastrophe“ für das deutsche Volks würde die von Hitler unterworfenen Völker befreien. Die Deutschen erlebten die von Hitler provozierte Katastrophe – die Tschechen warteten sie in Ruhe ab.
Übersetzung aus dem Tschechischen und Kommentare: Wolf Oschlies
Anmerkungen
[1] Friedrich Heiss (Hrsg.): Das Böhmen- und Mähren-Buch – Volkskampf und Reichsraum, Prag/ Amsterdam/ Berlin/ Wien 1943
[2] Im Januar 1871 hielt Bismarck vor der Budgetkommission des Preußischen Abgeordnetenhauses seine berühmt-berüchtigte „Blut und Eisen“- Rede, deren Inhalt nur sinngemäß durch einen Zeitungsbericht überliefert ist: „Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht; Bayern, Württemberg, Baden mögen dem Liberalismus indulgieren, darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen; Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen –, sondern durch Eisen und Blut.“
[3] Die Slowakei hatte nach dem Münchner Abkommen vom September 1938 (Abtrennung des Sudetenlands) eine autonome Stellung in der sog. „Rest-Tschechei“ bekommen. Auf persönlichen Druck Hitlers, ausgeübt während eines Berlin-Besuchs des slowakischen Premiers Tiso (13. März 1938) erklärte am 14. März 1938 ihre staatliche Souveränität, wonach das „Protektorat Böhmen und Mähren“ ohne tschechische Gegenwehr etabliert werden konnte, vgl. Gilbert L. Oddo: Slovakia and Its People, 2.A. New York 1960, S. 237 ff.
[4] Warschau, die Hauptstadt Polens, war zu dieser Zeit seit einem Jahr „Hauptstadt des nördlichsten Distrikts im Generalgouvernment“. Laut „Führererlaß“ vom 12. Oktober 1938 bestand das „Generalgouvernement“ aus den „von den deutschen Truppen besetzten, nichts in das Reich eingegliederten Gebieten“ Polens, also den Regionen Warschau, Krakau, Lublin und Kielce, vgl. Karl Baedecker: Das Generalgouvernement, Leipzig 1943, S. LI ff.
[5] „Achse“ war ein Sammelbegriff für die Verbündeten Deutschland, Italien und Japan. Das Wort selber hatte Mussolini am 1. November 1936 geprägt, als er von der „Achse Berlin-Rom“ sprach. Am 27. September 1940 schlossen die Länder noch den „Dreimächtepakt“, womit die „Achse Berlin-Rom-Tokio“ entstand.
[6] Es war gewiß Absicht, dass Goebbels vor Tschechen auf den Antisemitismus des Regimes zu sprechen kam. Die alte Tschechoslowakei galt wegen ihrer liberalen Politik gegenüber jüdischen Mitbürgern bei deutschen Nationalsozialisten als durch und durch „verjudet“, vgl. Walter Jacobi: „Země zaslíbená“ (Das verheißene Land), Prag 1943. Dieses Buch war eine Übersetzung aus dem Deutschen. Antisemitische Ausfälle kamen erst später in Teilen der tschechischen Protektoratspresse vor. Eine bemerkenswert umfangreiche Sammlung entsprechender Artikel findet sich unter http://www.holocaust.cz/cz2/resources/documents/antisemitism/cz_pbm/cz_pbm (Seite nicht mehr abrufbar / Stand: 7. August 2015, Snapshot in der Internet Archive Wayback Machine vom 9. März 2005)
[7] Da Goebbels auch für den Film zuständig war und sich ihm mit Vorliebe widmete, wusste er natürlich, welche große Bedeutung der tschechische Film hatte. Die berühmten Filmstudios von Barrandov (Prag) waren das Werk von Miloš Havel (1899-1968) und Václav Havel (1897-1979), letzterer der Vater des ersten postkommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei bzw. Tschechischen Republik.
[8] Gemeint war das „Goldene Parteiabzeichen“ (Bild), das 1934 bis 1944 rund 900 Mal verliehen wurde.
[9] Rein rechtlich war Hamburg seit 1919 auch eine tschechische Hafenstadt. Die entsprechenden Bestimmungen waren im Friedensvertrag von Versailles fixiert: Kapitel V. Bestimmungen, die der Tschecho-Slowakei die Benutzung der nördlichen Häfen gewährleisten. Artikel 363. In den Häfen Hamburg und Stettin verpachtet Deutschland der Tschecho-Slowakei für einen Zeitraum von 99 Jahren Landstücke, die unter die allgemeine Verwaltungsordnung der Freizonen treten und dem unmittelbaren Durchgangsverkehr der Waren von oder nach diesem Staate dienen sollen. Artikel 364. Die Abgrenzung dieser Landstücke, ihre Herrichtung, die Art ihrer Ausnutzung und überhaupt alle Bedingungen ihrer Verwendung einschließlich des Pachtpreises werden durch einen Ausschuß bestimmt, der sich aus je einem Vertreter Deutschlands, der Tschecho-Slowakei und Großbritanniens zusammensetzt. Diese Bedingungen können alle zehn Jahre in der gleichen Weise einer Nachprüfung unterzogen werden. Deutschland erklärt im voraus seine Zustimmung zu den so getroffenen Entscheidungen.
[10] Anspielung auf Emil Hácha (1872-1945), ursprünglich Chef des Obersten Verwaltungsgerichts, seit dem 30. November 1938 Präsident der Tschechoslowakei. Am 14. März 1939 war er in Berlin, wo er von Hitler unter massivsten Druck gesetzt wurde und schließlich einwilligte, „das Geschick des tschechischen Volks und Staats vertrauensvoll in die Hände des Führers zu legen“, worauf das „Protektorat“ beginnen konnte.