Das Auswärtige Amt vor der so genannten „Machtergreifung“
Seit der Reichsgründung im Jahre 1871 gab es das Auswärtige Amt (abgek. AA) als Institution für die Außenpolitik. Vorgänger war das preußische Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten. Von dominierender Relevanz war die Politische Abteilung, deren Berufsdiplomaten vorwiegend aus der besitzenden Aristokratie stammten, von evangelischer Konfession und entweder juristisch oder militärisch „vorbelastet“ waren. Bis zu Beginn der Weimarer Republik besaßen sowohl sozialdemokratische wie jüdische Beamte keinen Zugang zum Auswärtigen Amt. Obligat war u.a. ein Vermögensnachweis über ein gefordertes Einkommen (Revenuen) von 30.000 Mark. Eine Änderung der genannten Zustände sollten die Schülerschen Reformen, benannt nach Edmund Schüler dem ersten Personalchef des AA in der Weimarer Republik , bewirken. Nach dessen Ausscheiden im Jahre 1921 wurden diese Reformen aber wieder schrittweise zurückgenommen. Das führte schließlich zu dem Umstand, dass bis 1932 die Berufsdiplomaten der wilhelminischen Zeit erneut die wichtigsten Positionen des AA besetzen konnten. Charakteristisch seit Gründung des Auswärtigen Amts war eine Stetigkeit in der konservativen Außenpolitik.
Der Auswärtige Dienst und die Machtübernahme der Nationalsozialisten
Als Hitler Reichskanzler wurde, hatte dies bezüglich des Personalwesens im Auswärtigen Dienste nahezu keinerlei Konsequenzen. Umbesetzungen aus politischen oder gar „rassischen“ Gründen gab es nur wenige. Lediglich der deutsche Botschafter in Washington quittierte aus Überzeugung seinen Dienst, doch blieb die von ihm erhoffte Initialzündung aus. Geprägt wurde das Verhalten der Diplomaten einerseits durch stille Abneigung, andererseits auch durch ein gewisses Maß an Verständnis und positiver Erwartung, nach den Erfahrungen der Weimarer Republik. Die Tatsache, dass Konstantin Freiherr von Neurath weiterhin die Amtsgeschäfte führte, ließ die Diplomaten auf eine Fortführung der Politik und auf ein Vermeiden jeglicher Einflussnahme in Personalfragen seitens der Nationalsozialisten hoffen. Schlichtes Abwarten war ein wesentliches Charakteristikum, welches sich an einigen Zahlen belegen lässt. So waren vor der Machtergreifung zehn, bis zum Ende des Jahres 1933 weitere fünfzig Mitarbeiter des höheren Dienstes der NSDAP beigetreten. Belegen lässt sich folglich weder die These, dass nur wenige Diplomaten mit „fliegenden Fahnen“ der neuen Regierung folgten, noch die Aussagen, dass der Auswärtige Dienst eine „Stätte der Opposition“ gewesen sei. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte.
Auch wirft die Personalpolitik von Neuraths einige Fragen auf. So entließ er im Jahre 1933 qualifizierte und erfahrene Diplomaten aus ihren Ämtern und setzte zum Teil Männer ein, die den obligaten Vorbereitungsdienst nicht durchlaufen hatten, oder bereits in irgendeiner Form mit den Nationalsozialisten zusammengearbeitet hatten. Das wird unter anderem durch die Einstellung des Bismarck Enkel Otto Fürst von Bismarck belegt, der im Mai 1933 der NSDAP beigetreten war. Bis zum Ende des Jahres 1936 brachte er es zum Dirigenten der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt. Insgesamt ist festzustellen, dass von Neuraths Personalpolitik durch die Protektion adeliger und deutschnationaler Diplomaten charakterisiert ist. Beleuchtet man die Karrieren seines Sohnes und seines Schwiegersohnes, so ist ferner durchaus ein Hang zum Nepotismus zu erkennen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass Offiziere und Diplomaten der Kaiserzeit bis zum Jahre 1937 hohe Positionen einnehmen konnten und jüdische, sozialdemokratische und liberal-demokratische Beamte entlassen wurden. Das belegt die These, dass von Neurath bemüht gewesen ist, dass Auswärtige Amt vor der Einflussnahme der Nationalsozialisten zu bewahren.
Einflussnahme der Nationalsozialisten auf das Auswärtige Amt
Das Ziel des Regimes umreißt ein Zitat Heinrich Himmlers eindeutig. „Diese Clique, innerhalb derer 20 bis 30 adelige Familien seit 1 bis 2 Jahrhunderten ständig Diplomaten stellen, deren Ämter praktisch zu Familienmonopolen geworden sind, muß verschwinden“. (Heinrich Himmler, 19411) Kritik hatte es in den vorangegangenen Jahren sowohl intern, als auch nach außen durch den „Völkischen Beobachter“ gegeben. Hitler sah sich jedoch an seine Zusage gegenüber Reichspräsident von Hindenburg gebunden, dass alle das Auswärtige Amt betreffenden Dinge der Entscheidung des Reichspräsidenten obliege. Von Neuraths Abschirmungspolitik tat ein Übriges. Das Hitler nach Hindenburgs Tod untätig blieb wird in der Tatsache begründet sein, dass das Außenamt Hitlers Politik von der Revision des „Schandvertrages von Versailles“ unterstützte. Er benötigte das Auswärtige Amt zur Beschaffung von Informationen. Ferner fehlte es in der NSDAP am notwendigen Fachpersonal. Der Reichskanzler wollte indes einen Apparat, der nur aus hoch qualifizierten Nationalsozialisten besteht ohne Involvierung des Adels. Hierbei sollte ihn Joachim von Ribbentrop unterstützen. Der Botschafter in London ersetzte von Neurath, der nur wenig Einfluss besaß und den Kriegsplänen kritisch gegenüberstand, ab dem 4. Februar 1938. Die SS in Person Himmlers teilte die Kritik und verfolgte ebenso die Ablösung des Adels von den hohen Ämtern der Außenpolitik.
Eintritte in die NSDAP und die SS von Beamten des Auswärtigen Amtes am Beispiel von Ernst Freiherr von Weizsäcker
Vor der „Machtergreifung“ gab es im Auswärtigen Dienst nur ein-Mitglied. Bei Amtseinführung Ribbentrops waren es ungefähr 50 von insgesamt 500 Beamten. Die genaue Zahl ist unklar. Auch hier ist also eine „Massenflucht“ in die, wie sie einigen Aussagen dieser Zeit zu entnehmen ist, nicht nachweisbar. Auch kann nicht von einer Annahme von-Führungsrängen unter Zwang die Rede sein. In der Tat wurden Aufnahmeanträge von Diplomaten abgelehnt. Dafür gab es die Aufnahme einiger prominenter Diplomaten. Dazu zählte neben von Neurath auch die Aufnahme Ernst Freiherr von Weizsäcker in die NSDAP und in die. Diese beschreibt er in seinen „Erinnerungen „folgendermaßen:“ Bald nach der Rückkehr von Wien hatte ich den Staatssekretärposten offiziell zu übernehmen. Eine erste, wenn auch nur äußerliche Konsequenz war, daß man mir nach dem Dienstantritt „aus Schönheitsgründen“, wie es hieß, die Mitgliedschaft der NSDAP verliehen wurde sowie ein höherer „Ehrenrang“ der sogenannten , ohne daß hiermit besondere Informationen, Dienstleistungen oder Verpflichtungen verbunden waren.“2 Mit Wirkung vom 1. April 1938 trat er in die NSDAP ein. Wann er zum Staatssekretär ernannt wurde, ließ sich nicht genau ermitteln. Sie trat jedenfalls rückwirkend am 19. März 1938 in Kraft. Die Übernahme der Amtsgeschäfte erfolgte laut eigener Erinnerung jedoch Anfang April. Weitere Ernennungen bis hin zum SS-Brigadeführer folgten, auf Ribbentrops Initiative, bis zum 30. Januar 1942. Konstatieren lässt sich folglich, dass von Weizsäcker Beitritte nicht von ihm ausgingen. Vielmehr wollte Ribbentrop eine Persönlichkeit in seinem Amt haben, die das Vertrauen eines Großteils der Beamten besaß. Fraglich bleibt, ob von Weizsäcker das Amt hätte antreten können, ohne der Partei beizutreten. Dessen Übernahme verband er nach eigener Aussage mit dem Ziel der „außenpolitischen Obstruktion“, was nicht gelang. Mit dieser Einsicht bat er mehrfach um Entlassung, was ihm schließlich die Versetzung in die deutsche Botschaft des Vatikans ermöglichte. Wann das Auswärtige Amt und somit auch von Weizsäcker Kenntnis über die „Endlösung“ der Judenfrage erlangten, was auch seine Verurteilung in einem der Nürnberger Nachfolgeprozesse zeitigte, und in welcher Form das Amt dort involviert war, wird noch zu sprechen sein.
Das Auswärtige Amt zur Zeit des Zweiten Weltkrieges
Nach 1936 bestand das Auswärtige Amt aus sieben Abteilungen. (Protokoll, Presseabteilung, Rechtsabteilung, Kulturpolitische Abteilung, Handelspolitische Abteilung, Politische Abteilung, Personal- und Verwaltungsabteilung) Bis zum Jahre 1937 waren unter den Abteilungsleitern keine-Mitglieder, wohl aber drei der NSDAP. Der Einfluss der SS war unterschiedlich und hing auch von der Relevanz für die ab. Himmler nahm den größten Einfluss auf die 1940 geschaffene Abteilung Deutschland und hier speziell auf die im Jahre 1943 aus ihr entstandene Referatsgruppe Inland II. Diese benutzte er vornehmlich für seine Politik, was bemerkenswert ist, da sie direkt dem Reichsaußenminister unterstellt war. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Amtes unterteilte sich die Abteilung nach ihrer Gründung in die Referate DI, DII und DIII, wobei Letztere u.a für Rassenpolitik und die Judenfrage zuständig war und große politische Bedeutung besaß. Geleitet wurde es ab Mai 1940 von Legationsrat Rademacher, der einen „Plan zur Lösung der Judenfrage“ erstellte. Es kam zur Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes mit dem Reichssicherheitshauptamt, das für diesen Bereich der Politik die alleinige Zuständigkeit innehatte. Im Auswärtigen Dienst entstand nun der „Madagaskar-Plan“, der die Aussiedlung der Juden vorsah und relativ sicher vom Referat DIII zur Zeit des Frankreichfeldzugs verfasst wurde. Klar zu konstatieren aber bleibt, dass keinerlei Absicht zum Genozid aus den Akten hervor geht. Umgesetzt wurde der Plan letztendlich nicht. Mit der so genannten „Endlösung“ befasste sich die „Wannseekonferenz. Für das Auswärtige Amt nahm Unterstaatssekretär Luther an diesem Treffen teil. Warum Staatssekretär Weizsäcker von Reinhard Heydrich nicht eingeladen wurde, bleibt unklar. Nachfolgende Besprechungen zum „Wannseeprotokoll“ mit der Teilnahme Rademachers sind belegt. Das also Spitzenbeamte des Auswärtigen Amtes, wie beispielsweise der Leiter der Rechtsabteilung Unterstaatssekretär Gaus, von dem Protokoll und dessen Inhalt wusste, kann als sicher gelten. Im Falle der Deportation von französischen Juden als „Sühnemaßnahme“ für Anschläge auf Wehrmachtssoldaten in Paris kam es zur Mitwirkung des Amtes. Die von Staatssekretär Weizsäcker persönlich handschriftlich korrigierte Version des betreffenden Schreibens lautet: „Seitens des Auswärtigen Amtes wird gegen die Abschiebung von insgesamt 6000 polizeilich näher charakterisierter Juden nach dem Konzentrationslager Auschwitz (Oberschlesien) kein Einspruch erhoben.“3 Hierfür wurde Ernst Freiherr von Weizsäcker 1949 im „Wilhelmstraßen-Prozess“ „gegen Weizsäcker und Genossen“ zu sieben Jahre Haft verurteilt. Abschließend kann gesagt werden, dass im für die „Judenfrage“ zuständigen Referat DIII des Auswärtigen Amtes vorwiegend Berufsdiplomaten beschäftigt waren, die erst nach 1933 nationalsozialistischen Organisationen beigetreten waren.
Schlussbetrachtung
Eine intensive Auseinandersetzung mit den Akten des AA, der Memoirenliteratur und den Forschungsergebnissen kann hier selbstredend eine intensivere Auseinandersetzung mit dem diesem komplexen und brisanten Thema bieten und Sachverhalte detaillierter darstellen, als an diesem Ort Platz ist. Festzuhalten bleibt, dass die zunehmend den Adel aus dem Auswärtigen Amt drängen wollte, da Hitler und Himmler aufgrund ihrer Rassenideologie den Führungsanspruch erhoben. Mit der Einführung Ribbentrops in das Amt des Reichsaußenministers änderte sich die Personalstruktur im AA dergestalt, dass nun Qualifikationskriterien wie politisch-ideologische Überzeugung und „rassische Eignung“ herangezogen wurden. Führende -Leute besetzten gerade während des Krieges wichtige Positionen. Wie im Falle des Legationsrates Rademacher kamen aber AA Mitarbeiter nicht allein aus der. Die Zusammenarbeit zwischen dem Amt und dem Reichssicherheitshauptamt funktionierte im Punkt der „Endlösung“ scheinbar reibungslos.
Autor: André Krajewski
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage / Manon Eppenstein- Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999
Döscher, Hans-Jürgen: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich, Diplomatie im Schatten der „Endlösung“, Siedler Verlag Berlin, 1987
Weizsäcker, Ernst von: Erinnerungen; Paul List Verlag Berlin, 1950
Anmerkungen
1 Döscher, Hans-Jürgen: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich, Diplomatie im Schatten der „Endlösung“; Siedler Verlag Berlin, 1987, Seite 79
2 Weizsäcker, Ernst von: Erinnerungen; Paul List Verlag Augsburg, 1950, Seite 152
3 Döscher, Hans-Jürgen: Das Auswärtige Amt im Dritten Reich, Diplomatie im Schatten der „Endlösung“; Siedler Verlag Berlin, 1987, Seite 241