Der SS-Mann, der den Kreuzzug gegen den Gral suchte.
1989 schickten Steven Spielberg (*1946) und George Lucas (*1944) ihren Fedora und Lederjacke tragenden und peitscheschwingenden Helden Dr. Henry „Indiana“ Jones jr. (gespielt von Harrison Ford, *1942) auf die Jagd nach dem Heiligen Gral. „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“ war das dritte Abenteuer für Indy und wie schon in „Jäger des Verlorenen Schatzes“ waren seine Gegenspieler die Nazis. Der erste Film hatte bereits etabliert, dass Adolf Hitler (18889 -1945) besessen vom Okkulten sei. Nun ist es recht unwahrscheinlich, dass die Nazis wie im Film die Bundeslade, ein jüdisches Heiligtum, suchen würden. Und die SS auf der Jagd nach dem Heiligen Gral? Da ist doch sicher wieder seine blühende Fantasie mit George Lucas durchgegangen. Mitnichten. Es war nicht Hitler, sondern der Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 – 1945), der vom Okkultismus besessen war, und nicht SS-Standartenführer Vogel (gespielt von Michael Byrne, *1943), sondern SS-Obersturmführer Otto Rahn (1904 – 1939) war der Mann, der für Himmler nach dem Gral suchte, aber sonst stimmt zumindest das Ausgangsszenario. Aber wer war Otto Rahn und wie ernst war es der SS-Führung mit der Suche nach dem Kelch vom Letzten Abendmahl?
Otto Wilhelm Rahn erblickte am 18. Februar 1904 in Michelstadt im Odenwald als Sohn des Justizamtmanns Karl Rahn und dessen Frau Clara (geb. Hamburger) das Licht der Welt. Er besuchte von 1910 bis 1914 das humanistische Gymnasium in Bingen. Bei Beginn des Ersten Weltkriegs musste er Wohnort und Schule wechseln, sein Abitur machte er daher in Gießen. Rahns Religionslehrer weckte schon damals dessen Interesse an den Katharern, einer häretischen, der Gnosis nahestehenden, christlichen Strömung im Mittelalter, die der römisch-katholischen Kirche so ein Dorn im Auge war, dass sich der Ausdruck „Ketzer“ von ihrem Namen ableitet. 1922, also vier Jahre nach Kriegsende, begann Rahn sein Jurastudium in Gießen, wo er Mitglied der Burschenschaft Germania Gießen war. Er setzte das Studium später zunächst an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Heidelberg fort, ehe er es 1925 zugunsten einer Tätigkeit als Handelsreisender für unterschiedliche Verlage abbrach. Zu dieser Zeit bewegte Rahn sich im George-Kreis, einer Gruppe Schriftsteller, die sich um den Lyriker Stefan George (1868 – 1933) gebildet hatte. Hier hatte Rahn etwa Kontakt zu dem Schriftsteller Albert Heinrich Rausch (1882 – 1949), der später während des Zweiten Weltkrieges die Bevölkerungen zweier Dörfer bei Magreglio in Italien vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten bewahren sollte. Laut Rahns erstem Verleger soll innerhalb des George-Kreises Friedrich Gundolf (1880 – 1931) eine Mentorenrolle für Rahn eingenommen haben.
1928 reiste Rahn nach Genf und Paris, wo er ebenfalls die Gesellschaft von Schriftstellern, Literaten und Privatgelehrten suchte. Der Poet Maurice Magre (1877 – 1941) behauptete gegenüber Rahn, dass im Château de Montségur ein Manuskript aus der Feder des sagenumwitterten Nicetas (lebte um das Jahr 1150) befinde. Nicetas war ein Bischof der Bogomilen, einer den Katharern ähnliche asketische Glaubensgemeinschaft. Nicetas soll 1167 in Saint-Félix-de-Caraman auch an einer Synode der Katharer teilgenommen haben. Das besagte Manuskript solle als Teil des Katharerschatzes während des Albigenserkreuzzuges, eines von Papst Innozenz III. (1161 – 1216) initiierten Krieges gegen die Katharer, welcher von 1209 bis 1229 währte, in der Grotte von Ornolaca, Languedoc, Südfrankreich versteckt worden sein. Magre stellte Rahn auch die Spiritistin Gräfin Miryanne Pujol-Murat vor, über die nicht viel mehr bekannt ist, als dass sie Mitglied der Gnostischen Kirche war, später Rahns Förderin und Sponsorin werden sollte und sich wohl für eine Nachfahrin der Gräfin Esclarmonde de Foix (~1151 – ~1215) hielt, welche ebenfalls den Katharern angehörte. Gräfin Pujol-Murat hielt wohl auch Kontakte zur okkultistischen Gruppierung Les Polaires. Les Polaires befasste sich mit zwei Mythen, die im engen Zusammenhang mit den Ariosophen um Guido von List (1848 – 1919) und Jörg Lanz von Liebenfels (1874 – 1954; eigentlich: Adolf Joseph Lanz) bzw. der Thule-Gesellschaft von Rudolf von Sebottendorf (1875 – 1945; eigentlich: Adam Alfred Rudolf Glauer) standen. Zum einen war da der aus der Antike stammende Mythos von Hyperborea, einem sagenumwobenen Land im Norden der Welt, welches wie das ebenfalls untergegangene und aus antiken Mythen stammende Atlantis von der Theosophin Helena Petrovna Blavatsky (1831 – 1891) als Heimat einer ihrer Wurzelrassen auserkoren wurde. Zum anderen war da der Mythos von Ultima Thule, der bei alldeutschen Okkultisten sehr beliebt war. Während Hyperborea griechischen Mythen entstammte, findet die Insel Thule mehr in der germanischen und nordischen Sagenwelt Erwähnung. Les Polaires wurde aber seinerseits auch von deutschsprachigen Ideologen wie dem von der SS protegierten österreichischen Ingenieur Hanns Hörbiger (1860 – 1931) beeinflusst.
Angeregt von Magres Buch „Magiciens et Illuminés“, in dem eine Verbindung zwischen Buddhisten und Katharern konstruiert wurde, machte Rahn sich 1929 auf Exkursion in der Provence, den Pyrenäen und Languedoc. Gräfin Pujol-Murat stellte Rahn eine Limousine und einen deutschen Chauffeur zur Verfügung. Seine Suche auf den Spuren der Katharer führte Rahn 1930 ins Tal der Ariège, wo er sich unter anderem die Burgruine Montségur ansah. Wichtige Bekanntschaften, die Rahn auf seinen Reisen machte, schließen Déodat Roché (1877 – 1978), einen Anhänger des antisemitischen und nationalistischen Anthroposophiebegründers Rudolf Steiner (1861 – 1925), und den Heimatforscher Antonin Gadal (1871 – 1962) ein. Steiners Ideologie entlehnte viel aus der Theosophie Blavatskys, weil der Theosoph Friedrich Eckstein (1861 – 1939) großen Einfluss auf den jungen Steiner ausgeübt hatte und Steiner später selbst der Theosophischen Gesellschaft im Deutschen Reich vorstand. Steiner griff die Idee des „Übermenschen“ auf, denn sein Idealbild vom Menschen war der „von allen Normen befreite Mensch, der nicht mehr Ebenbild Gottes, Gott wohlgefälliges Wesen, guter Bürger u.s.w., sondern er selber und nichts weiter sein will – der reine und absolute Egoist.“ Steiner wich jedoch in einem Punkt von den Theosophen und auch den Katharern und vielen Gnostikern ab: Diese interpretierten den gefallenen Engel Helel bzw. in der lateinischen Übersetzung Lucifer (lateinisch: „Lichtbringer“) als erstgeborenen Sohn Gottes und Überbringer der positiven Kraft der Erleuchtung. Steiner hingegen war zumindest später Anhänger der populäreren Interpretation, die in Lucifer einen Namen des Teufels Samael (hebräisch: „Gift Gottes“) oder auch Satanael (hebräisch: „Ankläger Gottes“) sah, obgleich diese Interpretation der Bibel nachweislich in einem Übersetzungsfehler begründet liegt. Diesen Standpunkt nahm Steiner wohl aber erst nach 1905 ein, hatte er zuvor doch eine Zeitschrift namens „Lucifer-Gnosis“ herausgegeben. Gadal wiederum hatte sich nach intensiver Forschung über die Katharer, Häresie und französische Geschichte im Allgemeinen den Ruf erworben, ein Fachmann der Neukatharer-Bewegung zu sein. Zudem war er ein passionierter Höhlenforscher, der bei Erkundungen im Tal der Ariège hoffte, den dort verborgenen Katharerschatz, welchen er für den Heiligen Gral hielt, finden zu können. Gadal verwies Rahn nun als Zweiter auf die Burg von Montségur und ermutigte Rahn dort seine Suche nach dem Gral fortzusetzen, weil er die Katharerfestung für die Gralsburg Montsalvatge in dem auch von Hitler so verehrten Epos „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach (~1170 – ~1220) hielt. Aus der dreijährigen Zusammenarbeit Rahns mit seinem „Lehrmeister und Gönner“ Gadal, in der sie von Ornolac-Ussat-les-Bains aus das Languedoc, die Pyrenäen und die Höhlen des Ariègetals erkundeten, erwuchs eine lebenslange Freundschaft. Rahn übernahm Gadals Annahme, dass eine Verbindung zwischen den Katharern, dem Heiligen Gral und dem sagenumwobenen Shambala, einem geheimen Königreich im Buddhismus, das auch in Blavatskys Theosophie und der nationalsozialistischen Esoterik eine wichtige Rolle spielte, bestünde. Den Katharerschatz, also den Gral vermuteten Rahn und Gadal in den Höhlen des Sabarthes, genauer einer Grotte nahe Ussat (Ariège). Rahn recherchierte viel in den Archiven von Montségur und kam zu dem Schluss, dass Gadal mit seiner Annahme, Montsalvatge und Montségur seien identisch, recht hatte. Beide stützten dies etwa auf den im 12. Jahrhundert lebenden Dichter Guyot, der sich wiederum auf ein Buch eines angeblich arabischen Astrologen namens Flegitanis stützte. Laut Rahn und Gadal, waren die Katharer, obwohl die Bewegung den Reliquienkult der Kirche strikt ablehnte, die Hüter des Grals und der Albigenserkreuzzug wäre demnach ein „Kreuzzug gegen den Gral“, was dann auch der Titel von Rahns erstem Buch wurde.
Darin stellte er die Hypothese einer Verbindung von Troubadouren, Minnesang, katharischer Häresie und Gralsmythos auf und behauptete, es habe eine gnostische Untergrundreligion mit arisch-westgotischen Wurzeln gegeben, welche die Inquisition 1244 vernichtet habe. Nun geht die katharische Religionsvorstellung teilweise auf die antike Gnosis zurück, woraus Rahn jedoch fabulierte, dass die Glaubensvorstellungen der Katharer schon bei den im Languedoc ansässigen Kelten und Iberern existiert habe, die Rahn wiederum zu Erben der Perser erklärte. Die Katharer wiederum seien ursprünglich Druiden eben dieser Volksstämme gewesen, die von Missionaren der Manichäer christianisiert wurden. Beim Manichäismus handelte es sich um eine ebenfalls gnostische Offenbarungsreligion der Spätantike und des Frühmittelalters. Rahn übernahm auch Magres These, wonach die Häretiker des Mittelalters in Wahrheit getarnte Buddhisten gewesen wären. Diese Hypothese stützte Rahn wiederum auf den Mythos von Shambala, laut dem der Mani-Stein (Mani von Manichäismus, dessen Begründer das Wort bezeichnet) des Chakravatin, also des idealen Herrschers, mit einem wunscherfüllenden Juwel in Zusammenhang gebracht wird. Rahn sah also in jenem Stein und nicht etwa in einem Becher den Gral, welcher von einer weißen Taube (Gestalt des Heiligen Geistes bei der Taufe Jesu) „nach Asiens Bergen“ gebracht worden sei.
Ende 1931 zog Rahn in den Kurort Ornolac-Ussat-les-Bains, wo auch Antonin Gadal wohnte. Rahn pachtete im Mai 1932, zwei Monate nachdem die Zeitung La Dépêche du Midi über die von ihm geleiteten Ausgrabungen der Les Polaires in der Burg Montségur berichtet hatte, für drei Jahre das Hotel Restaurant des Marronniers in Ussat-les-Bains an der Nationalstraße Toulouse-Andorra. Unter anderem sollen Josephine Baker (1906 – 1975) und Marlene Dietrich (1901 – 1992) zu seinen Gästen gehört haben. Doch schon am 10. Oktober 1932 stellte das Handelsgericht in Foix fest, dass Rahn, der sich auch nur mit Verlagsvorschüssen hatte über Wasser halten können, Bankrott wäre. Kurz darauf beschuldigte man ihn seitens Regierungsbehörden, nicht nur Führer eines internationalen Geheimbundes, was bei seinen okkultistischen Verbandelungen zumindest entfernt der Wahrheit entsprach, sondern auch ein deutscher Spion zu sein, woraufhin Rahn das Land verließ und heimkehrte.
1933 kamen die Nationalsozialisten im Deutschen Reich an die Macht und Rahn war trotz seiner Nähe zur Ariosophie nicht sofort mit von der Partie. 1935 stellte dessen Sekretärin jedoch Kontakt zwischen SS-Standartenführer Karl Maria Wiligut (1866 – 1946) und Rahn her. Wiligut war nicht nur am Gralmythos interessiert, sondern der persönliche Okkultismusberater des Reichsführers SS Heinrich Himmler, mit dem er Rahn bekannt machte. Zunächst arbeitete Rahn ab Mai 1935 in Wiliguts Stab als Referent im Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) der SS ohne genau definierten Aufgabenbereich. Knapp ein Jahr später, am 12. März 1935, folgte dann die Aufnahme in die SS. Am 18. März vermerkte Rahn in seiner handschriftlich ausgefüllten SS-Stammrolle:
„Vor der Machtübernahme schrieb ich im Ausland, nach mehrjähriger Abwesenheit von Deutschland und ohne über den politischen Weg sowie die weltanschaulichen Ziele der NSDAP einwandfrei unterrichtet worden zu sein, ein Buch und Aufsätze, die heute als nationalsozialistisches Gedankengut gelten und die auch meine Berufung in den Stab des Reichsführers SS gezeitigt haben.“
1936 beauftragte Himmler, weil er Probleme hatte, seinen arischen Stammbaum nachzuweisen, Rahn damit, in der französischsprachigen Schweiz Nachforschungen über Himmlers Vorfahren anzustellen. Im November leitete Rahn seine Ergebnisse an die Wewelsburg, die von Wiligut ausgewählte und mit okkultistischen Symbolen ausgeschmückte Ordensburg der SS, weiter. Über seine Arbeit an Himmlers Ahnentafel vernachlässigte Rahn die eigene, wurde aber angesichts seines ranghohen Gönners auch ohne die notwendigen Unterlagen zum SS-Oberscharführer befördert.
Rahns Hypothesen von den Katharern als arisch-germanischer dualistischer Häresiebewegung fand beim okkultismusbesessenen Himmler großen Anklang und er überredete Rahn für die SS weiterzuforschen. So war er 1937 Teil einer etwa 20 Mann starken Expedition der SS nach Island, der „Nodlandfahrt“, welche zum Ziel hatte, Thule zu finden, was wiederum mit der Hauptstadt Hyperboreas identifiziert wurde. Aus Rahns Sicht war die „Wallfahrt“ ein Fehlschlag und er suchte Thule nun nördlich der Skandinavischen Halbinsel. Im Anschluss an die Islandexpedition veröffentlichte Rahn zudem sein zweites Buch „Luzifers Hofgesind“.
Rahns zweites Buch unterscheidet sich stark von seinem ersten insbesondere hinsichtlich der Figur bzw. des Begriffs „Luzifers“ bzw. „Lucifers“ im lateinischen Text. Quasi umgekehrt zu Steiner legte Rahn sein Bekenntnis zur gängigen Gleichsetzung Luzifers mit dem Teufel ab und interpretiert ihn nun positiv. Obgleich er Luzifer nun der Wortbedeutung nach als Träger des Lichts sieht, nennt Rahn ihn so, wie ihn angeblich seine Anhänger unter den Katharern nannten: Luci-Bel. Nun kommt der Wortteil „luci“ vom Lateinischen „lux“, also „Licht“. „Bel“ leitet sich aber vom ugaritischen Wort für „Herr“ ab, ironischerweise heißt Lucifer im hebräischen Urtext des Alten Testaments wie ein ugaritischer Gott: Helel. Laut Rahns neuster Interpretation des Gralsmythos war der Gral ein Symbol der Anhänger des Engels. 1938 hielt Rahn im Dietrich-Eckart-Verein einen Vortrag vor SS-Leuten, in dem er Luzifer entsprechend wie die Gnostiker positiv deutete und als Lichtbringer sah, was vor dem Hintergrund dessen, wer da vor wem einen Vortrag hielt, wohl noch schlechtere negative Publicity für Luzifer war als Dante Alighieris (1265 – 1321) „Göttliche Komödie“. „Luzifers Hofgesind“ selbst war eine von der SS finanzierte und von Himmler stark beeinflusste, teilweise sogar redigierte Propagandaschrift und enthält zahlreiche antisemitische Passagen wie diese:
„Unter Luzifers Hofgesind verstehe ich diejenigen, die nordischen Geblütes inne und ihm getreu, einen ‚Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht’ als Ziel ihrer Gottsucht sich erkoren hatten und nicht die Berge Sinai oder Zion in Vorderasien.“
Da „Luzifers Hofgesind“ im Grunde Rahns Reisetagebuch darstellt, bezieht es sich auch häufig auf die Blutmythologie Thules.
Es kam zu einem Treffen zwischen einem Abgesandten der Les Polaires, Gaston de Mengel (genaue Lebensdaten nicht überliefert), bei dem Rahn auf Anraten Wiliguts hin als Übersetzer fungierte. De Mengel erzählte Himmler und somit auch Rahn von einer Kommunikation, die über ein Orakel mit einem geheimen Einweihungszentrum, welches sich wie Shambala im bzw. unterhalb des Himalayas befinden sollte, führe. Ausgehend vom Buch „Tiere, Menschen und Götter“ von Ferdinand Ossendowski (1876 – 1945), einem polnischen Schriftsteller, der später zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten gehören sollte, sah Himmler darin das unterirdische Reich Agarthi, welches der „König der Welt“ regiere. De Mengel war aber auch als Spion für Himmler tätig und berichtete über französische Geheimorganisationen. Da die weiteren Reiserouten De Mengels sich mit den Interessen des Ahnenerbes deckten, sollten sie weiter finanziert werden. Laut eines Schreibens vom 19. Februar 1937 von SS-Standartenführer Karl Wolff (1900 – 1984) an Wiligut ging es bei den Gesprächen auf Grundlage von De Mengels Studien über vorchristliche, indische, persische und chinesische Schriften um Edda, Veden, Kabbala und De Mengels eigene metaphysische Berechnungen über den Bau der Großen Pyramiden. Rahn bestätigte Himmler wohl auch, dass De Mengels Forschungsergebnisse korrekt wären, hätte er sie doch selbst bei seinen Reisen bestätigen können. Rahn selbst übersetzte auf Wiliguts Wunsch hin die Texte De Mengels, in denen es – ganz auf einer Linie mit den Weltverschwörungstheorien, die sich bis heute in rechtsextremen Kreisen halten – darum ging, dass politische Vorgänge in Wahrheit von spirituellen Zentren wie Agartha bzw. Shambala gesteuert würden.
Rahn wurde im April 1938 zum SS-Untersturmführer befördert, doch danach begann sein Abstieg: Bereits im November teilte man Rahn unter Ablegung seines Dienstgrades für vier Monate den KZ-Wachmannschaften von Buchenwald und Dachau zu, weil er wegen seines übermäßigen Alkoholkonsums negativ aufgefallen war. 1939 soll dann auch der „Vorwurf“ der Homosexualität hinzugekommen sein, was trotz der zuvor erfolgten Beförderung zum Obersturmführer zu Rahns Entlassung aus der SS auf eigenen Wunsch führte. Rahn plante allerdings zu heiraten und Himmler selbst hatte sein Kommen zur Hochzeit angekündigt. Zu der Heirat kam es nicht mehr: Am 13. März 1939 wurde Otto Rahn als vermisst gemeldet. Am 11. Mai 1939 fanden Kinder auf dem Eiberg bei Söll in Tirol die schon stark verwesende Leiche Rahns. So mysteriös wie Rahns Todesumstände ist der Verbleib seines Leichnams, der bei der Überstellung nach Wörgl verschwand. Ob Rahn sich selbst das Leben nahm, und ob er, wenn ja, dies aus freien Stücken oder auf Himmlers Befehl hin tat, gibt der Geschichtsschreibung bis heute Rätsel auf. Himmler hielt aber an der Suche nach jenem Juwel, das er in Südfrankreich vermutete und als Heiligen Gral ansah, fest.
Literatur
Nicholas Goodrick-Clarke: The Occult Roots of Nazism. Aquarian Press, Wellingborough 1985. (deutsche Ausgabe: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Stocker, Graz 1997.).
Rüdiger Sünner: Die Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik. Herder, Freiburg im Breisgau 1999.
Franz Wegener: Heinrich Himmler. Deutscher Spiritismus, französischer Okkultismus und der Reichsführer SS. KFVR, Gladbeck 2004.
Nigel Graddon: Otto Rahn and the Quest for the Holy Grail: The Amazing Life of the Real “Indiana Jones”. Adventures Unlimited, Kempton IL 2008.
Otto Rahn – und der Kreuzzug gegen den Gral, Luficfer, Albigenser, Indiana Jones
Youtube Beitrag: Mythen der Geschichte