Hitlers Regisseurin
Leni Riefenstahl (1902 – 2003) ist die vielleicht polarisierenste und umstrittenste Figur der Filmgeschichte: Eine Visionärin mit einem einzigartigen Blick für ästhetische Bildsprache, aber eben auch die persönliche Lieblingsregisseurin von Adolf Hitler (1889 – 1945), war sie doch für einen Großteil der wichtigsten nationalsozialistischen Propagandafilme verantwortlich und ging zur Verwirklichung ihrer filmischen Visionen über Leichen. Man denke an das Schicksal des Kameramanns Willy Zielke (1902 – 1989), der, als er mit Riefenstahl künstlerische Differenzen wegen des Prologs von „Olympia“ hatte, wegen angeblicher Schizophrenie in die Psychiatrie Haar gesperrt und zwangssterilisiert wurde – höchstwahrscheinlich auf persönliches Betreiben Riefenstahls hin.
Helene Bertha Amalie Riefenstahl wurde am 22. August 1902 als Tochter des Handwerksmeisters Alfred Riefenstahl (1878 – 1944) und dessen Frau Bertha Ida Riefenstahl (1880 – 1965, geborene Scherlach) in der Prinz-Eugen-Straße 9 in Berlin-Wedding geboren. Sie hatte einen jüngeren Bruder: Heinz (1906 – 1944), der 1944 an der Ostfront fallen sollte. 1918, also kurz vor Kriegsende, belegte Leni Riefenstahl Mal- und Zeichenkurse an der Berliner Kunstakademie, womit sie Hitler selbst in der Tat schon einmal etwas voraushatte. Ferner begann sie eine Tanzausbildung, lernte in deren Rahmen Ballett und modernen Tanz. Sie wurde als Tänzerin so erfolgreich, dass sie 1920 durch das Deutsche Reich, die Tschechoslowakei und die Schweiz tourte und 1923 letztlich unter dem Künstlernamen Diotima in München ihren ersten Soloauftritt hatte. Max Reinhardt (1873 – 1943) engagierte sie daraufhin für zwei Solo-Auftritte für das Deutsche Theater in Berlin, was ihr von der Kritik gefeiert, die Tore zu Bühnen überall auf der Welt eröffnete.
1926 wurde Leni Riefenstahl vom Regisseur Arnold Fanck (1889 – 1974) als Schauspielerin entdeckt und gab ihr Debüt in dessen Film „Der heilige Berg“. Damit begann Riefenstahls Karriere als Schauspielerin in ambitionierten Abenteuer-, Heimat- und Bergfilmen Fancks: In „Der große Sprung“, „Weiße Hölle am Piz Palü“, „Stürme über dem Mont Blanc“ und „Der weiße Rausch“ spielte Riefenstahl Hauptrollen und ging dabei an ihre Grenzen. Sie lernte für die Filme klettern und Ski fahren, begab sich für eindrucksvolle Bilder aber auch immer wieder willentlich in riskante Situationen. Aus der Zusammenarbeit mit Fanck nahm Riefenstahl zudem weitreichende Kenntnisse über Regie-, Kamera- und Schneidetechnik mit.
1931 gründete sie mit Leni Riefenstahl Studio Film ihre eigene Produktionsfirma und veröffentlichte im Folgejahr ihr Regiedebüt: „Das blaue Licht“. Sie spielte in dem mythischen Mix aus Romanze und Bergfilm auch selbst die Hauptrolle. Auf dem Filmfestival in Venedig gewann der Film die Silbermedaille. Viel entscheidender jedoch: Der Publikumserfolg erregte auch das Interesse Hitlers, der sich im Mai erstmals persönlich mit Riefenstahl traf. Es war der Anfang einer auf gegenseitigem Respekt beruhenden Freundschaft zwischen dem faschistischen Politiker und „seiner“ Regisseurin.
1933 ergriffen die Nazis die Macht und Hitler beauftragte Leni Riefenstahl mit einem Propagandafilm über den Reichsparteitag in Nürnberg: „Sieg des Glaubens“. Die Ästhetik des Films transportierte das faschistische Selbstbild. Propagandaminister Joseph Goebbels (1897 – 1945) sah das enge Verhältnis Hitlers zu Riefenstahl kritisch, fürchtete vielleicht auch um seine Vormachtstellung als Chef des Propagandaapparats, weshalb er trotz seiner offiziell verlautbarten Unterstützung von „Sieg des Glaubens“ ein angespanntes Verhältnis zu dessen Regisseurin hatte. Die nahm noch im selben Jahr mit dem Kunstflieger Ernst Udet (1896 – 1941) an einer Grönlandexpedition teil und drehte dabei den Film „SOS Eisberg“.
1934 entstand wieder ein Film über den Parteitag der NSDAP in Nürnberg. Dieser Film mit dem Titel „Triumph des Willens“ ist ungleich bekannter als sein Vorgänger und Riefenstahl betrieb einen enormen Aufwand für den Propagandafilm: Mit 16 Kamerateams und einem Stab aus mehr als 100 Mitarbeitern entstanden über 60 Stunden Filmmaterial, aus denen Riefenstahl einen 114 Minuten dauernden Film schnitt, der seinen Vorgänger in allen Belangen noch einmal übertraf und dessen filmischer Einfluss bis in die Gegenwart reicht, wobei viele Filmemacher wie George Lucas (*1944) bei „Star Wars“, Peter Jackson (*1961) bei „Der Herr der Ringe“, Roger Allers (*1949) bei „Der König der Löwen“ oder Paul Verhoeven (*1938) bei „Starship Troopers“ die Bildsprache antithetisch zitierten, um eine Parallele zwischen ihren Filmschurken (Imperator Sheev Palpatine, Sauron/Saruman, Scar) und Hitler oder im Fall von Verhoeven der United Citizen Federation und der NSDAP zu ziehen. „Triumph des Willens“ gibt sich als Dokumentarfilm, bricht aber gänzlich mit der Realität. Nicht einmal die zeitliche Abfolge der gezeigten Ereignisse entspricht der Wirklichkeit. Riefenstahl inszenierte Massenaufmärsche, die die Treue des ganzen Volkes zur Partei vorspiegeln sollen. Hitler steht überlebensgroß auf einem von Albert Speer (1905 – 1981) entworfenen Podest. Die klassizistische Bildsprache erschafft eine mythische Stimmung, wobei vor allem die NS-Symbole wie Hakenkreuz, Reichsadler und Parteiflaggen durch geschickten Lichteinsatz und musikalische Untermalung verherrlicht werden. Der Film gewann dann auch den Deutschen Filmpreis und die Goldmedaille bei den Filmfestspielen in Venedig. Bei der Weltausstellung 1937 sollte der Film zudem mit dem Internationalen Großen Preis ausgezeichnet werden. 1935 schloss Riefenstahl die Parteitagstrilogie mit „Tag der Freiheit – unsere Wehrmacht“ ab, wobei der Fokus hier auf der Wiedereinführung der Wehrpflicht lag.
1935 erhielt Riefenstahl den vielleicht bedeutendsten Auftrag ihrer Karriere: ein Propagandafilm über die XI. Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Schon im Vorfeld begann Riefenstahl mit aufwendigen Filmaufnahmen. Die Arbeit an dem Film wurde offiziell von der Olympia-Film GmbH finanziert, die ihrerseits „auf Veranlassung des Reichs und mit Mitteln des Reichs gegründet“ wurde, was kurzum nichts anderes hieß, als dass die Finanzmittel aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda den Umweg über eine Produktionsfirma machten, um die Einflussnahme des Regimes zu verschleiern. Riefenstahl ging verschwenderisch mit den Finanzmitteln um, was sie erneut in Konflikt mit Goebbels brachte, der in seinem Tagebuch notierte: „Frl. Riefenstahl macht mir ihre Hysterien vor. Mit diesen wilden Frauen ist nicht zu arbeiten. Nun will sie für ihren Film eine ½ Million mehr und zwei daraus machen. […] Sie weint. Das ist die letzte Waffe der Frauen. Aber bei mir wirkt das nicht mehr.“ Die Filmaufnahmen, die die gestählten Körper der Athleten, Kraft und Bewegung verherrlichend in Szene setzten und dabei besonders den „arischen Archetypus“ zelebrierten, waren äußerst umfangreich. Der Schnitt, den Riefenstahl selbst vornahm, nahm 18 Monate in Anspruch. So entstanden am Ende zwei einzelne Filme: „Olympia – Fest der Völker“ und „Olympia – Fest der Schönheit“. Die Filme wurden zu Hitlers Ehren an seinem Geburtstag, dem 20. April 1938, erstmals öffentlich vorgeführt. Die Filme brachte Riefenstahl erneut internationalen Ruhm ein, darunter der Erste Preis bei den Filmfestspielen in Venedig, eine 1939 ehrenhalber durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) verliehene Olympische Goldmedaille und 1948 zusätzlich – ebenfalls vom IOC – das olympische Diplom.
1940 begannen die Arbeiten zu Riefenstahls Spielfilm „Tiefland“, für dessen Produktion sie 60 Sinti und Roma aus Konzentrationslagern als Statisten einsetzte. Konnte man Riefenstahl bisher wohlwollend vielleicht als ein willfähriges Instrument, eine ambitionierte Künstlerin, die sich mit dem Regime arrangiert hatte, sehen, kippt diese Einschätzung spätestens mit „Tiefland“, wobei der Fall Willy Zielke, sollte der Verdacht gegen Riefenstahl stimmen, bereits ein kaltberechnendes Ausnutzen des Regimes gewesen wäre. Aus gesundheitlichen Gründen konnte Riefenstahl den Film bis zum Sturz des Regimes weder fertigstellen noch andere Filmarbeiten durchführen. 1948, ein Jahr nach der Scheidung von Peter Jacob (1909 – 1992), den sie 1944 geheiratet hatte, holte „Tiefland“ Riefenstahl ein: Sie wurde angeklagt, den Sinti und Roma bei der Produktion des Films fälschlicherweise die Rettung vor der Deportation versprochen zu haben und sie zudem nicht für die Mitarbeit entlohnt zu haben. Obgleich Riefenstahl freigesprochen wurde, musste sie sich bis zu ihrem Tod immer wieder Angriffen wegen der „Tiefland“-Produktion stellen. 1982 erhärtete der WDR mit der Fernsehdokumentation „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ die Vorwürfe bezüglich „Tiefland“ so sehr, dass es Riefenstahl im Grunde unmöglich wurde, diese öffentlich abzustreiten, was sie dennoch weiterhin tat. Noch am 27. April 2002 behauptete Riefenstahl: „Wir haben alle Zigeuner, die in Tiefland mitgewirkt haben, nach Kriegsende wiedergesehen. Keinem einzigen ist etwas passiert.“ Da diese Aussage nachweislich falsch war, begann die Staatsanwaltschaft auf einen Strafantrag von Rom e. V. mit einem Ermittlungsverfahren wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, das wegen mangels öffentlichen Interesses eingestellt wurde. Riefenstahl klagte ihrerseits bereits 1949 gegen die „Bunte“, weil diese die Vorwürfe bezüglich der „Tiefland“-Statisten öffentlich gemacht hatte. Riefenstahl gewann den Prozess ebenso wie ihr eigenes Strafverfahren bezüglich ihrer Tätigkeit für das NS-Regime. Es kam zu mehreren Verfahren. Man stufte Riefenstahl als „Mitläuferin“ ein. 1954 kam „Tiefland“ dann schlussendlich in die Kinos, war jedoch kein Erfolg.
Unabhängig von jedem Richterspruch hing Riefenstahl ihr Verhältnis zum NS-Regime so stark an, dass es nahezu unmöglich für sie wurde, ihre geplanten und angefangenen Filmprojekte zu realisieren bzw. fertigzustellen. Sie wandte sich daraufhin vermehrt der Fotografie zu. So entstanden aus ihren Reisen zum Volk der Nuba, einem sudanesischen Ureinwohnerstamm, dessen Sprache sie auch lernte, 1973 die Bildbände „Die Nuba“, 1976 „Die Nuba von Kau“ und 1982 „Mein Afrika“. 1972 lernte Riefenstahl tauchen und so entstanden auch zwei Fotobände mit Unterwasserfotografien: „Korallengärten“ (1978) und „Wunder unter Wasser“ (1990). Einzig das IOC schien sich an Riefenstahls Vergangenheit nicht zu stören. Die Sunday Times engagierte sie 1972 mit Akkreditierung des IOC offiziell als Fotografin für die Olympischen Spiele in München. Vier Jahre später war sie bei den Spielen in Montreal Ehrengast des IOC. Im selben Jahr wurd sie vom Art-Directors-Club Deutschland für ihr Werk mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. 1987, fünf Jahre nach der WDR-Dokumentation, die die „Tiefland“-Vorwürfe erhärtet hatte, publizierte Riefenstahl ihr Memoiren, in denen sie wieder einmal ihre Komplizenschaft mit Hitler herunterspielte und auf eine einzig und allein künstlerische Motivation verwies. Die Kritik zerriss ihre Selbstbeweihräucherung entsprechend. Dennoch wurde das Buch ein internationaler Bestseller. Auch an der zwischen 1992 und 1993 entstandenen Filmbiografie „Die Macht der Bilder“ über ihr Leben wirkte Riefenstahl aktiv mit. Anders als ihr Buch wurde der Fernsehfilm auch von der Kritik positiv aufgenommen, gewann sogar den Emmy. 1997 verlieh die Filmvereinigung Cincecon Riefenstahl eine Auszeichnung für ihr Lebenswerk, was schon bei dem Publikum vor Ort äußerst gespaltene Reaktionen hervorrief. Bis zu ihrem Tod am 8. September 2003 in Pöcking am Starnberger See zeigte Leni Riefenstahl nicht den Hauch von Reue.
Literatur
Steven Bach: Leni. The Life and Work of Leni Riefenstahl. A.A. Knopf, New York 2007 (englisch).
Jörg von Brincken (Hrsg.): Leni Riefenstahl (= Film-Konzepte Bd. 44). edition text+kritik, München 2016.
Charles Ford: Leni Riefenstahl. Schauspielerin, Regisseurin und Fotografin. Heyne, München 1982.
Lutz Kinkel: Die Scheinwerferin. Leni Riefenstahl und das »Dritte Reich«. Europa-Verlag, Hamburg/ Wien 2002.
Mario Leis: Leni Riefenstahl. Rowohlt, Reinbek 2009.
Claudia Lenssen: Die fünf Karrieren der Leni Riefenstahl. In: epd Film. Nr. 1/1996, S. 27–31.
Rainer Rother: Leni Riefenstahl – Die Verführung des Talents. Henschel, Berlin 2000, ISBN 3-89487-360-4. Als Taschenbuchausgabe Heyne, München 2002.
Jürgen Trimborn: Riefenstahl: Eine deutsche Karriere. Aufbau, Berlin 2002.
ARTE: „Das Ende eines Mythos„
Unsere Artikel zu „Triumph des Willens“ und „Sieg des Glaubens„