Der Propagandafilm, der nie war: „Der Sieg der Glaubens“
„Der Sieg des Glaubens“ bildet den ersten Teil der sogenannten Parteitagstrilogie von Leni Riefenstahl (1902 – 2003). Adolf Hitler (1889 – 1945) war von der bisherigen Arbeit Riefenstahls so begeistert, dass er sie persönlich für die „Dokumentation“ des fünften Reichsparteitages der NSDAP im September 1933, den ersten Reichsparteitag nach der Machtergreifung im Frühjahr 1933, auswählte – sehr zum Unmut des Regisseurs Arnold Raether (1896 – 1992), der bislang für die Propagandafilme der NSDAP verantwortlich war. Riefenstahl war kein Parteimitglied und hatte noch nie einen Dokumentarfilm gedreht, weshalb die Wahl Hitlers auch bei anderen Parteimitgliedern auf Unverständnis stieß. Die zu Beginn angedachte Zusammenarbeit Riefenstahls und Raethers endete in einem Machtkampf der beiden, den Riefenstahl für sich entschied. Ihr und Hitler schwebte keine bloße Dokumentation des Parteitages, sondern ein Propagandafilm vor, der den Zuschauer vor allem emotional packen und auf die Linie der Partei bringen bzw. für sie als neuen Machthabern begeistern und einnehmen sollte. Nach einem Treffen von Riefenstahl mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (1897 – 1945) notierte dieser in sein Tagebuch: „Nachm. Leni Riefenstahl. Sie erzählt mir von ihren Plänen. Ich mache ihr den Vorschlag eines Hitlerfilms. Sie ist begeistert davon.“ Diese positive Haltung Goebbels‘ gegenüber Riefenstahl sollte sich bei späteren Projekten allerdings wandeln.
Obgleich Riefenstahl selbst den Film rückblickend als wenig gelungenes Stückwerk betrachtete, sind in dem etwa einstündigen Werk schon viele Ansätze von dem zu erkennen, was in „Triumph des Willens“ von ihr zu Formvollendung geführt wurde: Der Film beginnt mit Stadtaufnahmen Nürnbergs und Hitlers Ankunft mit dem Flugzeug – wie von Gott gesandt steigt er vom Himmel und begibt sich unter die jubelnden Massen. Bei seiner Ankunft im Hotel steht Hitler am Fenster, unter ihm bildet ein Schriftzug aus Glühbirnen seinen Namen – die Einstellung findet sich exakt so im Nachfolgefilm wieder. Redner werden vor dem schwarzen Hintergrund der Luitpoldhalle hell hervorgehoben, um ihnen einen transzendalen Anstrich zu verleihen. In der großen Luitpoldarena inszeniert Riefenstahl Parteiinsignien wie klassizistische Kolosse und filmt die imposanten Massenszenen oft von schräg oben. Es gibt aufpeitschende Reden von Hitler, Rudolf Heß (1894 – 1987), Julius Streicher (1885 – 1946) in seiner Funktion als GAU-Leiter Mittelfrankens oder Reichsjugendführer Baldur von Schirach (1907 – 1974), der gleichsam die Hitlerjugend auf den „Führer“ einschwört. In den Rängen der Partei erblickt man Goebbels, Hermann Göring (1893 – 1946), Albert Speer (1905 – 1981) und Heinrich Himmler (1900 – 1945). In der zweiten Hälfte wird eine große Parade durch die Stadt abgehalten.
Wirklich bemerkenswert ist aber die eine Sache, die in diesem Film, der voll und ganz unter dem Zeichen des Sieges der nationalsozialistischen Bewegung steht, anders ist als bei seinem Nachfolger, womit nicht die ausgefeiltere Filmtechnik gemeint ist, sondern ein Detail, das dem unbedarften Zuschauer rasch entgehen könnte: Es geht um einen Mann, der fast während der gesamten Veranstaltung, sei es bei Reden oder der Fahrt in der offenen Limousine bei der Parade, an Hitlers Seite steht oder sitzt, es geht um SA-Chef Ernst Röhm (1887 – 1934).
Als „Der Sieg des Glaubens“ am 1. Dezember 1933 Premiere feierte, waren die Nazis seit etwa 10 Monaten an der Macht, aber noch nicht ganz am Ziel. Hitler war nach wie vor der zweite Mann im Staat nach Reichspräsident Paul von Hindenburg (1847 – 1934). Ziel des Propagandafilms war es, das deutsche Volk auf die neue Zeit einzuschwören. Der Film wurde in vielen Kinos ermäßigt oder gar kostenlos aufgeführt, denn die NSDAP wollte sichergehen, dass jeder diesen Film zu sehen bekam. Hitler wollte, dass das gesamte deutsche Volk sah, wie die Menschen ihm in Nürnberg geschlossen zujubelten, und deshalb dann glaubten, dass dieser Rückhalt überall bestand. Gruppenzwang als Propagandastrategie war also das gewählte Mittel. Wie kann es dann sein, dass Hitler ein Jahr nach der Uraufführung befahl, sämtliche Kopien von „Der Sieg des Glaubens“ zu vernichten? Denn in der Tat gleicht es einem Wunder, dass der Film heute überhaupt noch existiert.
Der Grund für Hitlers Sinneswandel war Röhm. 1933 teilte Hitler sich den Platz im Scheinwerfer noch mit dem Anführer der Sturmabteilung (SA). Doch Röhms Macht wurde Hitler zu gefährlich, weshalb Hitler kurzerhand einen angeblichen Putsch seitens Röhms und Teilen der SA als Vorwand für die „Nacht der langen Messer“ fingierte. Mit der „Nacht der langen Messer“ oder dem Röhm-Putsch (was eine irreführende Bezeichnung ist, da sie Hitlers falsches Narrativ übernimmt) sind die Ereignisse der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 gemeint. Röhm und andere SA-Funktionäre waren von Hitler an den Tegernsee beordert worden, wo sie in der Nacht verhaftet und teilweise noch vor Ort ermordet wurden. Röhm verbrachte man ins Gefängnis München-Stadelheim, wo SS-Brigadeführer Theodor Eicke (1892 – 1943) ihn auf Befehl Hitlers hin aufsuchte. Hitler hatte Röhm begnadigen wollen, doch Goebbels und Göring hatten ihn zu Röhms Tötung gedrängt. Eicke brachte Röhm eine Pistole in die Zelle und forderte ihn auf, sich zu erschießen. Röhm ließ die ihm gesetzte Frist verstreichen, woraufhin die Pistole wieder aus der Zelle entfernt wurde. Kurz darauf kehrte Eicke mit SS-Sturmbannführer Michael Lippert (1897 – 1969) in die Zelle zurück und erschoss Röhm.
Doch war der Sommer 1934 insgesamt eine Zeit der Erneuerung, in der Hitler sich des Alten entledigte. Der Tod von Paul von Hindenburg am 2. August war der wohl willkommene krönende Abschluss dieses Prozesses, an dessen Ende Hitler nun als uneingeschränkter Herrscher stehen sollte. Wurde in „Der Sieg der Glaubens“ noch der Triumph der NSDAP über andere Parteien, das Erreichen des Ziels der Machtergreifung gefeiert, wollte Hitler danach die unrühmlicheren Kapitel der Parteigeschichte der Vergessenheit anheimfallen lassen. Es sollte so sein, als habe eine Zeit vor dem Nationalsozialismus bzw. eine Zeit, in der er noch um die Macht rang, nie existiert. Röhm, der diese Zeit, in der man sich noch Straßenschlachten mit anderen Parteimilizen geliefert hatte, verkörperte wie kein anderer, musste weichen und das rückwirkend. Ähnlich wie in George Orwells (1903 – 1950) „1984“ wurde die Geschichte also nachträglich umgeschrieben, um nicht zu sagen korrigiert. Heute hätte man Röhm vermutlich digital aus dem Film entfernt. 1934 war die einzige Möglichkeit, den Film selbst aus der Geschichte zu entfernen.