Rachefantasie und Lehrstück über den NS-Propagandaapparat: Tarantinos „Inglourious Basterds“
Quentin Tarantino (*1963) gilt als einer der besten und bedeutendsten Autorenfilmer der Kinogeschichte. Seine Actionszenen sind legendär, seine Dialoge genießen Kultstatus. Wenn ein Künstler wie Tarantino eine Thematik wie das Dritte Reich angeht, darf man keinen faktenbasierten Historienfilm erwarten, und so fällt „Inglourious Basterds“ auch in das Genre der Alternativen Geschichtsschreibung ähnlich wie der Roman „Das Orakel vom Berge“ von Philip K. Dick (1928 – 1982), den Amazon-Prime unter seinem Originaltitel „The Man in the High Castle“ verfilmte, die Erzählungen aus Dieter Kühns (1935 – 2015) Buch „Ich war Hitlers Schutzengel“ oder „Watchmen“ von Alan Moore (*1953). „Inglourious Basterds“ ist ein Gedankenspiel und wie im Grunde jeder Tarantino-Film auch eine Rachefantasie, in der Tarantino den Juden, die einerseits repräsentiert durch die militärische Spezialeinheit der Basterds andererseits durch die junge Frau Shoshanna Dreyfus (Mélanie Laurent, *1983), die Möglichkeit einräumt, den Nazis all das anzutun, was ihnen in der Realität verwehrt blieb.
Die Basterds, die von Lieutenant Aldo Raine (Brad Pitt, *1963) geführt und hinter feindlichen Linien im besetzten Frankreich des Frühjahres 1944 abgesetzt werden, haben es sich zur Aufgabe gemacht, grausam zu den Nazis zu sein: Sie skalpieren sie, ritzen ihnen Hakenkreuze in die Stirn und prügeln sie mit Baseballschlägern tot. Das Besondere hieran ist ein weiteres Tarantino-typisches Element: Wirklich sympathische Charaktere sind in seinen Filmen Mangelware. Außer mit Shoshanna und ihrem Lebensgefährten Marcel (Jacky Ido, *1977), die getarnt ein Kino im besetzten Frankreich betreiben, das für die Premiere des Propagandafilms „Stolz der Nation“ auserkoren wird, sympathisiert man in diesem Film mit niemandem. Damit macht Tarantino aber schon einmal eine Sache besser als die überwiegende Mehrheit der Hollywood-Produktionen zum Zweiten Weltkrieg: Er porträtiert die US-Amerikanischen Soldaten nicht als zur Rettung eilende, strahlende Helden. Krieg ist grausam und brutal. Es ist naiv zu glauben, dass eine Seite nur aus Verbrechern und eine nur aus Saubermännern besteht. Auch die Alliierten haben sich im Zweiten Weltkrieg zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht, und es ist ausgerechnet Tarantinos kontrafaktisches Racheepos, das diesen Aspekt wahrheitsgetreuer einfängt als die überwiegende Mehrheit an Historienfilmen. Damit werden auch keineswegs die Grausamkeiten der Nazis, die immer noch als die Monster dargestellt werden, die sie waren, abgeschwächt oder relativiert. Vielmehr hebt Tarantino die Relativierung alliierter Kriegsverbrechen auf.
Der andere historische Aspekt, den ein Quentin Tarantino selbstredend besser versteht und vor allem besser einzufangen weiß als irgendwer sonst, ist die Filmwirtschaft des NS-Regimes. Georg Wilhelm Pabst (1885 – 1967) und Leni Riefenstahl (1902 – 2003) finden prominente Erwähnung in „Inglourious Basterds“. Während Pabst sich mit den Nazis notgedrungen arrangierte, war Riefenstahl bekanntlich Hitlers wichtigste Filmemacherin, die im Grunde alle großen Propagandafilme der Nazis außer dem berüchtigten „Jud Süß“ inszenierte. Dieses infame Machwerk geht in der Tat auf die Kappe von Veit Harlan (1899 – 1964), der auch nach Kriegsende mit Filmen wie dem schwulenfeindlichen Drama „Anders als du und ich (§ 175)“ durchaus fragwürdige Arbeiten ablieferte. Doch zentrale Figur des Propagandaapparats, der große Puppenspieler im Hintergrund, ist im Film wie in der Realität natürlich Propagandaminister Joseph Goebbels (1897 – 1945; gespielt von Sylvester Groth, *1958). Tarantino lässt in einem Gespräch zwischen Lieutenant Archie Hicox (Michael Fassbender, *1977), General Ed Fenech (Mike Myers, *1963) und Winston Churchill (1874 – 1965; gespielt von Rod Taylor, 1930 – 2015), in dem die drei das Attentat auf die NS-Führung bei der Premiere von „Stolz der Nation“ besprechen, anklingen, dass Goebbels sich selbst gerne als großen Regisseur sehen würde, aber natürlich jegliche künstlerische Vision missen lasse. Aber um Kunst ging es – ganz gleich, was Leni Riefenstahl zeitlebens behauptete – bei den Filmen der Nazis auch nie. Entweder es entstanden seichte Unterhaltungsfilme, die das deutsche Volk von der Realität ablenken sollten, in die die NS-Führung es manövriert hatte oder halt perfide Propaganda. Erstere Kategorie brachte durchaus deutsche Filmklassiker wie „Die Feuerzangenbowle“ hervor. Letztere produzierte Krieg und Antisemitismus fördernde oder zumindest verharmlosende Machwerke in der von den Nazis so geliebten Optik des Klassizismus.
Aber auch Tarantino gefällt sich wie so oft darin, sich in popkulturellen Querverweisen zu verlieren. Manche sind offenkundig wie die Erwähnungen von King Kong, Winnetou, Edgar Wallace (1875 – 1932), der übrigens das Drehbuch zum ersten King-Kong-Film verfasste, oder „Die weiße Hölle vom Piz Palü“, mit dem Riefenstahl damals noch als Darstellerin ihren großen Durchbruch hatte. Andere Anspielungen sind subtiler, so etwa die aus einem s-förmigen gelben Kürbis gefertigte Calabash-Pfeife mit Meerschaum-Einsatz, die der Schurke des Films raucht: SS-Standartenführer Hans Landa (Christoph Waltz, *1956). Die gleiche Pfeife rauchte auch Sherlock Holmes und Landa wird von der ersten Szene an als ein böser Sherlock Holmes etabliert, den man auch den „Judenjäger“ nennt. Landa ist vieles, was man von einem Nazi eher nicht erwartet: intelligent, weltgewandt, eloquent, gesittet. Dennoch lässt er nicht einen gewissen, wenn auch etwas subtileren Antisemitismus und Sadismus missen. Landa lässt in der Eröffnungsszene Shoshannas Familie töten. Sie entkommt als Einzige und sitzt ihm drei Jahre später, wenn auch unter falschem Namen, wieder gegenüber, als er von Goebbels mit der Sicherheit bei der Premiere von „Stolz der Nation“ betraut wird, der auf besonderen Wunsch seines Stars Fredrick Zoller (Daniel Brühl, *1978) in Shoshannas Kino uraufgeführt werden soll. Shoshanna fasst den Plan, die komplette Naziführung bei der Premiere in die Luft zu jagen. Einen ähnlichen Plan haben die Basterds, die sich zu diesem Zweck mit Hicox in einer Kellerbar mit der Doppelagentin und Schauspielerin Bridget von Hammersmark (Diane Kruger, *1976) treffen. Das Treffen fliegt auf und Landa hängt den verbleibenden Basterds und von Hammersmark buchstäblich an den Hacken, denn es wäre kein Tarantino, gäbe es keine Szene für Fußfetischisten. Doch Landa sieht seine Chance gekommen, die Seiten zu wechseln, weshalb es dann zu jenem kontrafaktischen Finale kommt, das, als der Film 2009 in die Kinos kam, für hitzige Debatten sorgte: Tarantino metzelt die komplette NS-Führung nieder und lässt Landa quasi im Alleingang den Krieg beenden. Diskussionsstoff bot nicht die Rolle Landas, sondern der Umstand, dass Tarantino die Geschichte umschrieb. Dabei tun Autoren und Filmemacher dies seit Menschengedenken. Doch für viele scheint der Nationalsozialismus immer noch ein zu heißes Eisen für Was-wäre-wenn-Szenarios zu sein, obgleich es auch diese schon lange gibt wie den eingangs erwähnten Roman „Das Orakel vom Berge“.
Am Ende bleibt nur noch festzuhalten, dass Tarantino mit seinem Racheepos vermutlich sein Meisterstück abgeliefert hat, einen Film, der Geschichte schreibt und halt auch umschreibt. Doch trotz aller Fiktion ist „Inglourious Basterds“ ein wichtiges Lehrstück über den Propagandaapparat der Nazis und die Brutalität des Krieges, die vor keinem halt macht, auch nicht vor Oberfeldwebel Wilhelm (Alexander Fehling, *1981), den die Feier der Geburt seines Sohnes im Film das Leben kostet.