Die von Amazon-Prime produzierte US-Serie „The Man in the High Castle“ lässt jeden liberalen Europäer, der mit der Geschichte des Dritten Reichs bewandert ist, erschaudern. Dargestellt wird ein Was-wäre-wenn Szenario, das auf bildgewaltige Art und Weise zeigt, wie das mächtige Amerika heute aussehen würde, wenn die Nazis damals als Siegermacht aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen wären. Bereits auf den Werbeplakaten zur Serie wird diese Horrorvorstellung mehr als deutlich. Hier glänzt u.a. eine amerikanische Flagge der anderen Art, auf der an Stelle der fünfzig Sterne ein unverkennbares Hakenkreuz prangt.
Allerdings erscheint diese nicht in den üblichen deutschen Reichsfarben, sondern erstrahlt im gewohnt amerikanischen Look. Durch diese einfache Adaption auf die Flagge und damit auf den amerikanischen Nationalstolz im weitesten Sinne, lassen die Produzenten bereits hier die fiktive Realvorstellung eines gebeugten Amerikas, das sich dem Nazitum unterwirft auf eine Weise deutlich werden, die den Zuschauer auf schauderhafte Weise in ihren Bann zieht. Im Trailer zur ersten Staffel führt Regisseur Ridley Scott die „bunte“ und starke Bildsprache weiter fort. Hier wird mit einem Teaser geworben, der dem eines Hollywoodblockbusters gleichkommt. So werden die braunen Grausamkeiten Nazideutschlands im heutigen Great America zur filmreifen Realität für die Massen.
Hier entsteht eine fiktive Welt die zunächst einmal Angst macht, und darin liegt wohl auch das massentaugliche Erfolgsrezept der Serie. Die Produktion spielt wie keine andere mit der amerikanischen Urangst vor Eindringlingen.
Konkret sieht das fleischgewordene Horrorszenario dabei so aus:
Wir schreiben das Jahr 1962, fünfzehn Jahre nachdem die Nationalsozialisten mit einer Wasserstoffbombe Washington zerstört haben. Nordamerika ist geteilt in eine Ostzone, die dem NS-Regime unterliegt, dem Greater Nazi Reich und in eine Westzone, entlang der Pazifikküste, die von den Japanern geführt wird – den Japanese Pacific States. Als neutrale Zone ist den Amerikanern lediglich ein Stückchen Land im Gebiet der Rocky Mountains geblieben, das jedoch im Landesinneren liegt und damit von beiden Siegermächten eingegrenzt wird. Eine unsichere Pufferzone, in die die junge Widerstandskämpferin Juliana (eine von insgesamt 5 Hauptfiguren) reist, um Joe, einen ebenfalls im Untergrund lebenden Widerständler zu einem geheimen Treffen aufzusuchen. Während Juliana im japanisch besetzten Teil Amerikas zwischen softer, asiatischer Leuchtreklame, Aikidōkursen und einem im krassen Gegensatz dazu äußerst brutalen Geheimdienst aufgewachsen ist, stammt Joe aus dem von deutschem Nazitum beeinflussten Ostteil Amerikas, der von Folter, Kampffliegern und Rassismus dominiert wird.
Beide Protagonisten haben ihre ganz eigenen Gründe, aus denen sie sich dem Widerstand anschließen. Der junge Joe spielt ein doppeltes Spiel und arbeitet eigentlich im Auftrag der Deutschen – Julianas Halbschwester wird vor ihren Augen vom japanischen Geheimdienst umgebracht. Ihr Freund ist zudem Jude und somit Freiwild für die amerikanischen Nazis der Ostfront. Grund genug für Juliana in den Untergrund zu gehen und von hier aus den verzweifelten Versuch zu starten ihre mächtigen Widersacher zu schwächen.
Über allem steht eine mysteriöse Filmrolle, in deren Besitz Juliana durch ihre getötete Schwester gelangt und durch die sie und ihr Freund einmal mehr in Gefahr geraten. Sie offenbart ein alternatives Kriegsende – so wie wir es in der Realität kennen – ein Ende, in dem die Alliierten und nicht die Nazis den Krieg gewinnen. Die historischen Aufnahmen sind das Werk des geheimnisumwitterten „Man in the High Castle“. Nun im Besitz dieses brisanten Fundes werden sowohl die japanische Geheimpolizei als auch die SS auf das Paar aufmerksam. Hitler, der hier noch lebt, schwächelt. Der Krieg um die Machtübernahme unter den Anführern der jeweiligen Lager ist längst entbrannt. Die mysteriöse Filmrolle stellt nicht zuletzt deshalb ein hohes Risiko für die neuen Weltherrscher dar. Während der japanische Geheimdienst von einem brutalen Offizier angeführt wird, nimmt in der SS der Obergruppenführer John Smith die stärkste Rolle ein, mit dem Auftrag die letzten Überbleibsel der Widerstandsbewegung restlos auszulöschen. Soweit die Story. Am Ende der ersten Staffel bleiben einige Fragen offen. Die beiden Wichtigsten – „wer ist der Mann im Hohen Schloss?“ – und „woher kommen die mysteriösen Filmrollen, die eine alternative Zukunftsversion zeigen?“, werden hier zunächst nicht beantwortet, sondern erst in den folgenden beiden Staffeln langsam aufgelöst, die selbstverständlich nicht weniger an Spannung, Special Effects und Komplexität sparen.
Dem Zuschauer wird hier also einiges geboten. So folgt er nicht nur einem, sondern gleich allen 5 beschriebenen Charakteren in ihren jeweiligen Lebenssituationen. Beispielsweise John Smith und zwar nicht nur als böse Nazi-Figur, sondern bis in sein ganz normales Privatleben. Auf der einen Seite, der grausame SS-Mann, auf der anderen Seite der liebende Familienvater. Von diesem Wechselspiel mit den Darstellern lebt die Serie. Zudem werden alle Lager mit ihren jeweiligen Hauptfiguren bedient und der Zuschauer ist voll in das Geschehen eingebunden. Ständig gibt es etwas Neues zu entdecken und herauszufinden.
Diese Komplexität, fordert ungeteilte Aufmerksamkeit. Und ähnlich, wie bei anderen Serienspektakeln, braucht es die Dauer einiger Folgen, bis das Publikum mit der Handlung und den Charakteren vollends vertraut ist.
Soviel Entertainment auf einmal hält die Zuschauer bei der Stange – Langeweile = Fehlanzeige. Dies hat seinen guten Grund, denn schließlich soll die US-Produktion auch die Kassen des Konzernriesens Amazon zum Erklingen bringen. Zunächst als Pilot gestartet, war den Produzenten aufgrund umfangreicher Marktforschung schnell bewusst, dass diese Serie ein Mega-Erfolg werden würde. Dabei basiert die Produktion jedoch nicht auf dem üblichen Prinzip des Filmemachens à la Hollywood, frei nach dem Motto: zeig mir Deinen Film and we´ll see what happens, sondern sie ist auf Massentauglichkeit programmiert. Das heißt, sie wurde nach dem Piloten ganz an die Bedürfnisse der User angepasst, nachdem Amazon diesen weltweit bewerten ließ – frei nach dem Credo: sag mir was Du sehen willst und ich produziere es Dir auf den Leib. Denn Amazon denkt als Konzernriese in erster Linie unternehmerisch und weniger künstlerisch. In Zeiten von Facebook, Instagram und Co. Ist es deshalb nicht verwunderlich, dass Online Kritiken von privaten Usern überdurchschnittlich positiv ausfallen.
Amazon ist es zudem gelungen, einen literarisch hochwertigen Stoff zu verfilmen. So handelt es sich bei der Vorlage zur Serie nicht etwa um einen x-beliebigen Roman aus der Feder eines bislang unbekannten Autors, sondern um die gleichnamige Alternativgeschichte „The Man in the High Castle“ (dt: „Das Orakel vom Berg“). Das Buch stammt aus der Feder des Science-Fiction-Autors Philip K. Dicks, der durch die Verfilmung seines Buches „Blade Runner“, mit Harrison Ford in der Hauptrolle bereits zu weltweitem Ruhm gelangte.
Während auch die Fortsetzung „Blade Runner 2049“ es in diesem Jahr auf die Kinoleinwand schaffte, dauerten die Verhandlung für eine TV-Adaptation von „The Man in the High Castle“ über einige Jahre an. Vorangetrieben wurde das Projekt von Ridley Scott, einem der mit Filmen wie „Alien“, „Hannibal“ oder auch „Thelma und Louise“ heute einflussreichsten und renommiertesten Regisseure, der auch schon die Verfilmung der ersten Blade Runner-Version unter seine Fittiche nahm und damit einen Meilenstein des SciFi-Genres schuf. Nach einigen Unstimmigkeiten mit amerikanischen und britischen TV-Sendern, begann Amazon mit der Produktion für den Piloten im Oktober 2014. Die Idee stammt aus der Feder des US-amerikanischen Drehbuchautors Frank Spotnitz, der als Regisseur und Showrunner für die Erfolge von „Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI“ verantwortlich ist. Zu den Drehorten zählten Seattle und Vancouver, British Columbia.
Anders als im Buch, in dem sich die gesamte Handlung an der Westküste San Franciscos abspielt, bedient sich die Serie mehrerer Schauplätze. Neben San Francisco rückt hier besonders New York City in den Vordergrund, wohl auch um das ganze Ausmaß des von den Nazis zerstörten American Dream so drastisch wie möglich darzustellen. Etwa mit der Freiheitsstatue die mit Hitlergruß salutiert, oder auch riesigen Wolkenkratzern, geschmückt mit riesigen Hakenkreuzen. Doch nicht nur diese Details stellen sich anders dar als in der Romanvorlage. Den Regisseuren ist hier ein recht freie Interpretation gelungen, bei der einige Details verändert wurden. So wurde das in der Romanvorlage verwendete Buch „the grasshopper lies heavy“ (zu deutsch: „schwer liegt die Heuschrecke“) durch eine Filmrolle ersetzt. Hitler ist nicht als geistig verwirrter Mann in der Psychiatrie für alle Zeiten eingesperrt und damit als Gefahrenquelle ausgeschaltet, sondern er ist zwar geschwächt, übt aber durchaus noch Einfluss auf seine getreuen Gefolgsmänner aus. Allein mit dieser Tatsache verstärkt die Serie die Angst vor einem fiktiven Nazi-Amerika um ein Vielfaches, steht der teuflische Diktator doch wie kein anderer für die grausamsten Verbrechen in der europäischen Geschichte. Der Gedanke, dass auch nach seinem Tod das Nazireich weiterhin Bestand haben soll, schockiert wie auch im Buch umso mehr.
Die für die Serie bedeutsame Widerstandsbewegung um Juliana und Joe tritt in dem Schriftwerk von Dicks hingegen überhaupt nicht auf. Hinzu kommt die gehörige Portion an Science-Fiction, die im Buch selbst in dieser geballten Form nicht vorkommt. Einen Vorgeschmack darauf bietet jedoch die von Dicks angefangene Fortsetzung, im Anhang seines Werkes in der der Autor beschreibt, wie die Nazis durch einen sogenannten Nexus (eine Art Zeitmaschine) durch Zeit und Raum reisen und dabei auch in unsere heutige Welt vordringen. Auf den ersten Blick wirkt die Serie typisch amerikanisch und überladen – Das angestimmte und allseits präsente Heldenepos, mit einfachen Sätzen wie „I wanna do what´s right“ oder „I´m not afraid to die“ verstärkt diesen Eindruck. Auch die Dialoge erinnern bisweilen allzu sehr an amerikanische Blockbuster Manier und zeichnen ein mitunter zu einfaches Bild von Gut und Böse.
All diese Aspekte lassen den Gedanken aufkommen, Amazon werde des hochwertigen Science-Fiction-Klassikers von Dicks mit seiner aufwendig produzierten Serie nicht gerecht. Fest steht, dass dem Konzernriesen mit „The Man in the High Castle“ sein bisher größter Serienerfolg gelungen ist, der bereits in die dritte Staffel geht und eindrucksvoll und bildgewaltig schildert, wie eine alternative Welt in heutigen Zeiten von Verschwörungstheorien, rechten Parteien und Terror aussehen könnte. Vielleicht gerade durch seine farbenprächtige und mitunter vereinfachte Darstellung der Charaktere und Symbolik lockt die Serie so viele Zuschauer aus der breiten Masse vor den Bildschirm. Mit Unsummen an finanziellen Mitteln wurde hier eine Parallelwelt geschaffen, die ihresgleichen sucht. Um es mit den Worten der Macher zu sagen: „The Man in the High Castle would not have been made, were it not for Amazon.“