Der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik. Kanzler & Reichswehr General Kurt von Schleicher war Weimars letzte Chance gegen Hitler 1932.
Auf die Frage, was man tun würde, wenn man eine Zeitmaschine hätte – ganz gleich ob TARDIS oder DeLorean –, antworten viele: In die Vergangenheit reisen und Hitler schon als Kind töten. Dabei machte sich das Erstarken des Faschismus im Deutschen Reich nicht an der Person Adolf Hitler (1889 – 1945) fest. Aufgekeimt war der Faschismus in Italien, gegründet wurde die später in NSDAP umbenannte DAP von Anton Drexler (1884 – 1942), Ideengeber Hitlers war Dietrich Eckart (1868 – 1923), wichtige Faktoren für den Erfolg der Nazis waren der noch vom Kaiserreich geprägte Zeitgeist, der Friedensvertrag von Versailles und die Wirtschaftskrise. Ob die Entwicklung ohne Hitler eine andere gewesen wäre, ist also fraglich. In allerletzter Instanz war es jedoch die Rivalität zweier Männer, die, obgleich sie Freunde waren, während die NSDAP die junge Republik zersetzte, um die Gunst des greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847 – 1934) buhlten, die den finalen Ausschlag gab: Franz von Papen (1879 – 1969) und Kurt von Schleicher (1882 – 1934), die beiden letzten Reichskanzler der Weimarer Republik.
1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Von Schleicher, nun Hauptmann, diente im Stab des Generalquartiermeisters. Zu dieser Zeit lernte Kurt von Schleicher auch seinen langjährigen Freund und späteren Mitarbeiter Erwin Planck (1893 – 1945) kennen. Während der Schlacht von Verdun prangerte von Schleicher in einer Denkschrift die Profiteure bestimmter Industriekreise als „Kriegsgewinnler“ an, was ihm in den führenden politischen Kreisen in der Heimat den Ruf eines liberal und sozial gesinnten Geistes einbrachte. Die Schrift gelangte auch in die Hände des SPD-Politikers und späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert (1871 – 1925). Im November 1916 wurde Wilhelm Groener zum Generalleutnant befördert und zum Kriegsamt nach Berlin versetzt – an seiner Seite: Ziehsohn Kurt von Schleicher. Schon im Mai 1917 wurde von Schleicher als 1. Generalstabsoffizier zur 237. Infanterie-Division an die Front in Galizien versetzt. Auch dort blieb er nicht lange und kehrte Mitte August zum Stab des Generalquartiermeisters zurück. Am 15. Juli 1918 wurde Kurt von Schleicher zum Major befördert.
Im November endete der Erste Weltkrieg und von Schleicher unterstützte eine Zusammenarbeit zwischen der Armeeführung und der SPD-geführten ersten Regierung der Republik. So wurde er zum Verbindungsmann zwischen dem neuen Reichspräsidenten Friedrich Ebert und der neuen Obersten Heeresleitung (OHL) unter Führung keines anderen als seines Förderers Wilhelm Groener, der maßgeblich an dem fließenden Übergang von Kaiserreich zur Republik beteiligt war. Im September 1919 nahm Groener seinen Abschied, gleichzeitig wurde von Schleicher auf die Republik vereidigt, womit er anders als die meisten anderen Militärs nicht von den vom Versailler Vertrag geforderten Entlassungen in den Streitkräften betroffen war. Er wurde ins Reichswehrministerium versetzt und übernahm die Leitung des politischen Referats im Truppenamt, wodurch er ein enger Berater des neuen Chefs der Heeresleitung General Hans von Seeckt (1866 – 1936) wurde. 1926 wurde von Schleicher Chef der neu geschaffenen Wehrmachtsabteilung innerhalb des Reichswehrministeriums. Diese wurde 1929 vom neuen Reichswehrminister Wilhelm Groener in ein Ministeramt umgewandelt, wodurch Groeners Schützling von Schleicher, der nun auch zum Generalmajor befördert wurde, ein verbeamteter Staatssekretär wurde. Am 28. Juli 1931 heiratete von Schleicher Elisabeth von Hennigs (1893 – 1934).
Von Schleicher hatte wegen seiner differenzierten und realpolitischen Haltung bei fast allen Parteien einen schweren Stand: Die politische Linke sah ihn als Vertreter der „Gegenrevolution“, die Konservativen und Rechten hingegen als „roten General“. Da von Schleicher gewahr wurde, dass die NSDAP, die ein Schlupfloch in der Weimarer Verfassung ausnutzend immer wieder Neuwahlen herbeiführte und die Republik so zermürben wollte, auf lange Sicht nicht aus der Regierung herausgehalten werden könnte, wollte er sie zumindest zähmen, indem sie ins System eingebunden werden sollte. Als im April 1932 mal wieder die Sturmabteilung (SA), die paramilitärische Parteimiliz der NSDAP, verboten wurde, waren von Schleicher und Groener sich erstmals uneins, da Groener von Schleichers Plan, die SA durch eine Einbindung in eine überparteiliche Wehrorganisation zu „zähmen“ ablehnte. Auf Betreiben von Schleichers hin wurde Franz von Papen am 1. Juni 1932 Reichskanzler einer Regierung hauptsächlich parteiloser Adeliger, Akademiker und Generäle, man sprach von einem „Kabinett der Barone“. Da von Schleicher durchaus zu manipulativen Machtspielchen neigte, ist es gut möglich, dass er von Papen im Grunde vorschickte, als Hindenburg ihm selbst die Kanzlerschaft nahelegte. Von Schleicher selbst wurde Reichswehrminister. Die nächste Wahl am 31. Juli 1932 brachte das stärkste Ergebnis für die NSDAP bei einer demokratischen Wahl: 37,4 %. Hermann Göring (1893 – 1946) wurde Reichstagspräsident, doch es kam gleich wieder zu Neuwahlen, in deren Folge von Papen samt Kabinett zurücktrat. Hindenburg und sein Umfeld verhandelten mit Hitler über eine Regierungsbeteiligung der NSDAP als Juniorpartner, doch Hitler bestand auf dem Amt des Reichskanzlers. Die Verhandlungen scheiterten. Nun schlug die Stunde von Schleichers, der von Hindenburg zum Kanzler ernannt wurde. Er versuchte, rechte Gewerkschaften und den linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser (1892 – 1934), Hitlers stärksten innerparteilichen Konkurrenten, einzubeziehen und so eine Basis für eine stabile Regierung zu schaffen, was am Widerstand der SPD und NSDAP scheiterte. Der politisch angeschlagene von Papen traf sich im Auftrag Hindenburgs heimlich mit Hitler. Die Kollaboration führte letztlich zu von Schleichers Rücktritt und Hitlers Ernennung zum Reichskanzler mit von Papen als Vizekanzler.
Im Sommer 1934 zeichnete sich Hindenburgs Ende ab. Hitler wartete den Tod des Reichspräsidenten nicht ab, um sich am 30. Juni wegen eines angeblichen Putsches durch SA-Chef Ernst Röhm (1887 – 1934) all seiner verbleibenden politischen Gegner zu entledigen. Kurt von Schleicher und seine Ehefrau wurden in ihrer Villa in Neubabelsberg von einem Kommando der Schutzstaffel (SS) aufgesucht und erschossen. Es ist bis heute nicht geklärt, wer den letztendlichen Befehl zur Ermordung des Ehepaars von Schleicher gab. Da nach dem Mord ein weiteres SS-Kommando in der Villa aufkreuzte, gab es wohl sogar zwei voneinander unabhängige Mordbefehle. Von Papen wurde 1946 beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher angeklagt und freigesprochen. Er starb am 2. Mai 1969.
Literatur
Friedrich-Karl von Plehwe: Reichskanzler Kurt von Schleicher. Weimars letzte Chance gegen Hitler. Bechtle, Esslingen 1983, ISBN 3-7628-0425-7, (Taschenbuch Ullstein, Berlin 1990).
Thilo Vogelsang: Kurt von Schleicher. Ein General als Politiker. Musterschmidt, Göttingen 1965.
Kurt von Schleicher, Kanzler, Kanzlerschaft und Querfront
Artikel im Freitag: Querfront: 1934 bezahlt Kurt von Schleicher seine Kurzzeit-Kanzlerschaft mit dem Leben.