Der unbesungene Held des Widerstands gegen Hitler
Beim Gedanken an Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime kommen den meisten von uns gewiss Hans und Sophie Scholl (1918 – 1943; 1921 – 1943) und die Weiße Rose oder Georg Elser (1903 – 1945) in den Sinn. Beim Widerstand aus den Reihen der Wehrmacht denken wir vor allem an das groß angelegte Attentat vom 20. Juli 1944 und Operation Walküre. Zu jenem Kreis um Claus Schenk Graf von Stauffenberg (1907 – 1944) zählte auch ein Mann, der schon früh Pläne für einen Putsch gegen Adolf Hitler (1989 – 1945) gehegt hatte und auch in anderen Widerstandsgruppen war – etwa jener vonseiten der Abwehr unter Leitung von Konteradmiral Wilhelm Canaris (1887 – 1945). Dieser Mann, der ursprünglich die Schlüsselrolle im Putsch gegen Hitler hatte einnehmen sollen, war Oberstleutnant Hans Oster (1887 – 1945).
Hans Oster wurde am 9. August 1887 als Sohn eines Pfarrers in Dresden geboren. Er schlug nach dem Abitur eine Laufbahn als Berufsoffizier der Sächsischen Armee ein und wurde 1907 in diese als Fahnenjunker aufgenommen. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs stieg er in deren Rängen dann bis zum Hauptmann auf. Als nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Versailles eine Großzahl der Militärs in Deutschland entlassen werden musste, zählte Oster zu den Wenigen, die in die Reichswehr übernommen wurden. Bei den Stäben des Wehrkreiskommandos IV bzw. der 4. Division in Dresden arbeitete Oster als Generalstabsoffizier unter anderem mit Major Erwin von Witzleben (1881 – 1944) und Hauptmann Friedrich Olbricht (1888 – 1944) zusammen. Olbricht sollte der eigentliche Kopf hinter dem von Stauffenberg verübten Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 werden. 1929 wurde Oster zum Major befördert und zur 6. Division nach Münster versetzt. 1932 war er allerdings gezwungen, den Dienst wegen einer Affäre zu der Ehefrau eines anderen Militärangehörigen zu quittieren. Im Militärjargon nannte man dies euphemistisch eine „Ehrenangelegenheit“.
Ende Januar 1933 übernahmen die Nazis die Macht und begannen rasch, das Deutsche Reich nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Oster kam 1933 als Zivilist zum Nachrichtendienst Forschungsamt (FA) des Reichsluftfahrtministeriums (RLM), dem es aber nur der offiziellen Bezeichnung nach unterstand. Doch schon im Oktober wechselte er zur Abwehr. Dieser militärische Nachrichtendienst unterstand damals noch Kapitän zur See Conrad Patzig (1888 – 1975), wurde aber am 1. Januar 1935 dem Kommando von Kapitän zur See Wilhelm Canaris unterstellt. Unter Canaris, der am 1. Mai zum Konteradmiral befördert wurde, wurde Oster als Ergänzungsoffizier in den Rang eines Oberstleutnants befördert und zum Leiter des Referats III C 1 (Teil der Abwehr im Inland) ernannt.
Oster hatte dem Nationalsozialismus von Anfang an ablehnend gegenübergestanden, was ihn von vielen anderen Militärs, die dem Regime zunächst noch positiv gegenübergestanden hatten, unterschied. Dies hatte sich 1934 noch einmal verstärkt, als im Zuge der Säuberungsaktion, die die Nazis als Gegenmaßnahme zu einem geplanten Putsch von SA-Chef Ernst Röhm (1887 – 1934) hinstellten, auch Osters früherer Vorgesetzter Kurt von Schleicher (1882 – 1934) verhaftet worden war. Die Aktion ist auch als Röhm-Putsch bekannt, obwohl gar nicht Röhm gegen Hitler geputscht hatte, sondern Hitler, Röhm und andere Gegner aus dem rechten und konservativen Lager hatte verhaften und ermorden lassen; darunter eben sein Amtsvorgänger und politischer Rivale von Schleicher, aber etwa auch Widerstandsjournalist Fritz Gerlich (1883 – 1934), der schon 1933 inhaftiert worden war. In der Abwehr sammelte Oster zusammen mit Reichsgerichtsrat Hans von Dohnanyi (1902 – 1945) und Hans Bernd Gisevius (1904 – 1974) Beweise gegen die Nationalsozialisten in der Hoffnung, diese bei einem Gerichtsprozess gegen die Regimeführung einbringen zu können. Ende September 1938 wurde Oster von Canaris zum Leiter der Zentralabteilung der Abwehr (Personal- und Finanzwesen) berufen.
Zu dieser Zeit war Oster federführend an einer Verschwörung gegen Hitler beteiligt. Ausgelöst durch die Sudetenkrise, bei der sich das Deutsche Reich Böhmen und Mähren, die damals zur Tschechoslowakei gehörten, einverleiben wollte, hatte sich Widerstand in der Wehrmacht geregt. Neben Oster zählten der mittlerweile zum Generalfeldmarschall beförderte Erwin von Witzleben, General Franz Halder (1884 – 1972), von Dohnanyi und Canaris zu den Hauptverschwörern. Der Putsch kam wegen des Münchener Abkommens zwischen Hitler und Neville Chamberlain (1869 – 1940) und Édouard Daladier (1884 – 1970), mit dem das Vereinigte Königreich und Frankreich die Annexion des Sudetenlandes anerkannten, nie zur Ausführung, da die erfolgreiche Annexion Hitler innenpolitisch stärkte.
1939 wurde Oster zum Oberst befördert und leitete bei der Abwehr nun von Canaris gedeckt die Kontakte zum Oberkommando des Heeres. Mithilfe von Major Helmuth Groscurth (1898 – 1943), dem Chef der Abteilung zur besonderen Verwendung im Oberkommando des Heeres und somit Verbindungsoffizier zwischen Abwehr und Führung des Heeres, und Generalleutnant Georg Thomas (1890 – 1946), Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht, arbeitete Oster weiter an der Durchkreuzung von Hitlers Plänen und ging bei seinen zersetzenden Tätigkeiten sogar so weit, Niederlanden und Belgien die Angriffspläne der Nazis zukommen zu lassen. Gegenüber dem niederländischen Militärattaché Gijsbertus Jacobus Sas (1892 – 1948) schrieb er über Hitler: „Das Schwein ist zur Front abgefahren“.
1942 wurde Oster zum Generalmajor befördert. Als die Gestapo Dohnanyi im April 1943 verhaftete, lenkte Oster den Verdacht rasch auch auf sich, indem er etwa die Verantwortung für Devisenvergehen (er hatte Juden als Agenten in die Schweiz geschmuggelt) übernahm, die Dohnanyi zu Last gelegt wurden. Oster wurde aber auch dabei ertappt, wie er bei der Verhaftung versuchte, Beweismittel verschwinden zu lassen, als Dohnanyi ihm „Zettel“ zuraunte. Oster wurde entlassen und unter Hausarrest gestellt.
Wegen seiner Verbindung zur Gruppe um Stauffenberg, die ihn als Verbindungsoffizier im Wehrkreis IV hatte einsetzen wollen, wurde Oster am 21. Juli 1944 verhaftet. In Olbrichts ursprünglichen Plänen hätte Oster die tragende Rolle gespielt. Nachdem dieser in Ungnade gefallen war, war der heute immer hervorgehobene Stauffenberg vielmehr der Notnagel. Im KZ Flössenbürg wurden er, Canaris und Dietrich Bonhoeffer (1906 – 1945) auf Hitlers persönlichen Befehl hin bei einem Schauprozess unter Vorsitz von Otto Thorbeck (1912 – 1976) zum Tode verurteilt und hingerichtet. Einen Monat später kapitulierte das Deutsche Reich, und der Krieg in Europa endete.
Literatur und Links
https://www.sachsen-lese.de/streifzuege/geschichtliches/hans-oster-widerstand-gegen-hitler/
Joachim Fest: „Staatsstreich: Der lange Weg zum 20. Juli“; Berlin 1994; ISBN: 978-3442721061