Das Attentat vom Bürgerbräukeller 1939
Am 8. November 1939 versammelt sich die NS-Prominenz wie in jedem Jahr im Bürgerbräukeller in München. Gedacht wird der „Alten Kämpfer“, die beim Hitler-Putsch 1923 ums Leben kamen. Seit der Machtergreifung hat das Treffen den Charakter eines Staatsaktes. Hitler beginnt gegen 20:00 Uhr mit seiner üblichen aufputschenden Rede, die sich diesmal vor allem gegen England richtet. Gut 1.500 Anhänger füllen den Saal. Beinahe alle, die Rang und Namen im Regime haben, sind versammelt: Goebbels, Frank, Ribbentrop, Bouhler, Himmler und andere.
Vor wenigen Wochen hatte Hitler mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg losgebrochen. Angesichts der geringen Popularität des Krieges, kommt es der NS-Führung an diesem Tag besonders darauf an, Geschlossenheit zu demonstrieren. Exakt um 21:20 Uhr explodiert im Pfeiler mit ohrenbetäubendem Lärm hinter Hitlers Rednerpult eine Bombe. Die Decke über dem Saal stürzt ein und erschlägt 7 Menschen sofort. Ein weiterer stirbt später im Krankenhaus. 60 Menschen werden schwer verletzt. Hitler jedoch ist nicht unter ihnen. Völlig unvorhergesehen hat er seine Rede bereits kurz nach 21:00 Uhr beendet und den Saal verlassen. Rasch ist der Polizei klar – nachdem zunächst über einen alliierten Bombenangriff spekuliert wurde – es handelt sich um ein planmäßig vorbereitetes Attentat.
Der Attentäter ist der 36-jährige Schreiner Georg Elser aus dem württembergischen Königsbronn. Wochenlang ließ er sich abends heimlich in den Bürgerbräukeller einschließen. Mühsam – immer in der Gefahr entdeckt zu werden – kratzte er exakt in dem Pfeiler, vor dem Hitler bei seiner Rede stand, eine Höhlung für eine Bombe. Die Bombe hatte er eigenhändig gebastelt und den Zünder mit einer mechanischen Uhr selbst konstruiert. Mehr als ein Jahr zuvor war sein Entschluß gefaßt, Hitler zu beseitigen – im Alleingang und ohne jede Unterstützung und ohne jemanden einzuweihen. Eigens zum Zweck des Attentats hatte er die körperlich schwere Arbeit in einem Steinbruch angenommen, um über Monate kleinste Mengen für den Sprengstoff abzuzweigen, den er für seine Bombe brauchte. Als die Bombe explodiert, ist Elser bereits auf dem Weg in die Schweiz. Dort wird er durch einen unglücklichen Zufall von der Grenzpolizei gefaßt. Noch vor der Explosion und ohne daß die festnehmenden Beamten ahnen, wen sie gefaßt haben.
Biographisches zu Georg Elser
Georg Elser wird am 4. Januar 1903 in Hermaringen in Württemberg geboren. Als Sohn eines Landwirtes und Holzhändlers ist ihm in der damaligen Zeit eine einfache Laufbahn vorgezeichnet. Nach dem Besuch der Volksschule in Königsbronn auf der Schwäbischen Alb in der Nähe der Kleinstadt Heidenheim schlägt er zunächst eine Lehre als Dreher in einem Metallbetrieb ein. Da er diese aus gesundheitlichen Gründen abbrechen muß, wird er schließlich Schreiner. Zunächst arbeitet er vor allem als Möbeltischler. Der Weggang aus der Region, die damals weitgehend Notstandsgebiet war, führt ihn nach Konstanz als Arbeiter in eine Uhrenfabrik, wo er vier Jahre bis 1929 tätig ist.
Hier schließt er sich erstmals auch der Arbeiterbewegung an und politisiert sich angesichts der Not der damaligen Zeit. Er wird Mitglied des Rotfrontkämpferbundes. Die folgenden Jahre zeigen Elser in einem unsteten Wanderleben, das sich weniger durch seinen Charakter als durch die ökonomisch schwierige Situation für Arbeiter ergab. Eine Zeitlang arbeitet er in der Schweiz – wiederum als Schreiner, dann geht er nach Heilbronn in den Betrieb seiner Eltern. Dann wiederum arbeitet er in einer Heidenheimer Metallfabrik, die zu diesem Zeitpunkt –man schreibt die Jahre 1936 bis 1939 – bereits voll in die Hitlersche Rüstungspolitik eingespannt ist. Im Frühjahr 1939 – im Jahr des Attentats also – sieht man ihn wieder in Königsbronn. Jetzt arbeitet er im örtlichen Steinbruch. Hier bekommt er auch Gelegenheit mit Sprengstoff zu hantieren und sich Kenntnisse im Umgang mit Sprengmaterial zu verschaffen. Nicht zuletzt gelingt es ihm hier, sich für das Attentat den nötigen Sprengstoff zu verschaffen.
Elsers politische Überzeugungen
Elser war kein Theoretiker: Weder hat er sich anhand von Schriften mit Faschismus und Nationalsozialismus intensiv auseinandergesetzt, noch selbst irgendwelche Entwürfe für eine künftige Gesellschaftsordnung entworfen. Darin unterscheidet sich Elser fundamental von anderen Widerstandskämpfern, etwa der „Weißen Rose“ um die Geschwister Scholl, aber auch von dem Widerstandskreis um das Attentat vom 20. Juli, bei dem theoretische Erörterungen über die Rechtmäßigkeit des Widerstandes überhaupt und über die künftige Gesellschaftsordnung eine zentrale Rolle spielten. Auch Elsers Mitgliedschaft im Rotfrontkämpferbund darf man nicht überbewerten: Sie ist weniger zu verstehen als Ausdruck einer ideologischen Überzeugung denn als Ausdruck der Zugehörigkeit zum Arbeitermilieu und der Kritik daran, daß es den „kleinen Leuten“ schlecht ging.
Dennoch hat sich Elser vor allem gegenüber seinem Bruder mehrfach deutlich politisch geäußert. Drei Punkte waren es vor allem, weswegen Elser Hitlers Regime ablehnte:
- Den Arbeitern ginge es im Dritten Reich nicht besser, wie die offizielle Propaganda behauptet, sondern schlechter. Elser hatte damit zweifelsfrei recht. Zwar war es Hitler gelungen, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren – nicht zuletzt durch Einführung des zwangsweisen Arbeitsdienstes und der Ausweitung der Rüstungsproduktion. Aber die gesamte Ausrichtung des Staates auf die Kriegsvorbereitung bedeutete für die meisten einfachen Leute reale Einkommenseinbußen
- Die Einschränkung der Religionsfreiheit. Gerade im württembergischen Gebiet, einer Hochburg des innerlichen und privaten Glaubensbekenntnisses, wurde der religionsfeindliche und totalitäre Zugriff des Regimes als besonders schmerzhaft empfunden
- Hitler, das stand für Elser schon Jahre vor dem Attentat fest, wollte den Krieg. Dieser war im Führerstaat letztlich nur durch die Beseitigung des obersten Führers selbst zu verhindern.
Nach dem Überfall Hitlers auf Polen mußte sich Elser bestätigt sehen. Das Handeln schien jetzt um so dringender. Immerhin hatte er die Hoffnung, wie er in den Verhören der Gestapo unumwunden zugab, weiteres Unheil und Blutvergießen zu verhindern.
Die Verhaftung
Bei der Verhaftung Elsers finden die Zollbeamten in seinen Taschen noch Schrauben, Federn und Metallteile. Auch eine Postkarte vom Bürgerbräukeller hat er bei sich. Vor allem: In seinem Jackenaufschlag trägt er das Abzeichen des Rotfrontkämpferbundes. Die Grenzbeamten überstellen Elser sofort der Gestapo. Nach Bekanntwerden des Attentats war unschwer eine Verbindung zu Elser herzustellen. Verraten haben ihn schließlich auch seine wunden, eitrigen Knie, die er sich bei den Arbeiten im Bürgerbräukeller zugezogen hatte. Für Elser beginnt ein Leidensweg von pausenlosen Verhören und Folter. Schon am 14. November wird er in das Gestapo-Hauptquartier nach Berlin gebracht. Auch zahlreiche seiner Familienangehörigen werden verhaftet.
Obwohl Elser rasch gestand, glaubt ihm die Gestapo nicht. Sie vermuten eine Verschwörung größeren Ausmaßes, vermutlich gesteuert von englischen Agenten. Daß Georg Elser tatsächlich ein Einzeltäter sein könnte, halten sie für ausgeschlossen. „Das Werk des secret service“ notiert Goebbels in sein Tagebuch und gibt damit vermutlich sogar seine ehrliche Überzeugung wieder. Schließlich wird Elser ins KZ Sachsenhausen überstellt und 1944 schließlich nach Dachau. Zwangsarbeiten oder besonderen Qualen wird er nicht ausgesetzt. Hitler plant für die Zeit nach dem Krieg einen großen Schauprozeß gegen Elser, an dessen Ende natürlich das Todesurteil gestanden hätte. Am 9. April 1945 – die Amerikaner stehen nur noch wenige Kilometer vor Dachau wird Georg Elser auf Betreiben von Himmlers SS hingerichtet. Durch Genickschuß. Ein letzter sinnloser Racheakt eines Regimes, das gerade einmal noch vier Wochen Bestand haben sollte.
Die Folgen des Attentats
Es ist müßig zu spekulieren, was geschehen wäre, wenn Elsers Attentat geglückt wäre. Möglicherweise wäre das führerfixierte NS-Regime zusammengebrochen und der Krieg sofort beendet worden. Vielleicht hätten aber auch eine Zeitlang andere NS-Führer mit der Konstruktion einer Dolchstoßlegende das Volk erst recht zusammenschließen können. Zu einem unmittelbaren Übergang zur Demokratie wäre es jedenfalls kaum gekommen. Sicher ist aber auch: Ohne Hitler hätte das Regime kaum den Krieg bis hin zur totalen Vernichtung halb Europas auszuweiten können. Auch der Holocaust ist kaum denkbar ohne Hitler.
So aber ist Elsers Scheitern in mehrfacher Hinsicht tragisch: Für ihn persönlich, denn er mußte das Attentat mit seinem Leben bezahlen und dies auch noch zu einem Zeitpunkt, als das NS-Regime am Zusammenbruch war. Vor allem aber: Das Scheitern des Attentats diente dem NS-Regime zu einer Propagandakampagne. Der „Führer“ sollte gerade jetzt, als mit Ausbruch des Krieges auch die Zustimmung im Volk gefährdet war, neu im Volk als Erlöser gefeiert werden. Das Scheitern des Attentates, faktisch ein bloßer Zufall, wurde von der Propaganda zu einem Werk der Vorsehung erklärt. Die scheinbar wundersame Rettung des „Führers“, sollte seine besondere Auserwähltheit bestätigen. Und dies bedeute auch, daß der von Hitler vom Zaum gebrochene Krieg durch seine Begnadung unter dem Schutz der Vorsehung stehe. Die propagandistische Kampagne machte Elser zum bloßen Werkzeug der Feinde, zumal der Engländer und Juden. Damit konnte sich das NS-Regime abermals als Verteidiger eines angeblich vom Ausland bedrohten Landes präsentieren – so verquer aus heutigem Wissen heraus diese Argumentation auch ist. Das Attentat sollte so Volk und Führer gegen das Ausland enger zusammenschweißen.
Propagandaminister Goebbels startete eine Offensive in den Medien. Bereits einen Tag nach dem Attentat wurde ein Trauermarsch und am 11. November Totenkult und Staatsakt inszeniert: Die sieben Särge der Attentatsopfer, optisch wirkungsvoll mit Hakenkreuzflaggen drapiert, wurden in der Münchner Residenz aufgebahrt, wo sie in der Nacht zuvor mit Fackelmarsch gebracht wurden. Jetzt flaggen alle Staatsgebäude Halbmast. Den Staatsakt selbst sollen immerhin 10.000 Menschen besucht haben. Die Trauerfeier wird live von Goebbels-Propagandafunk übertragen, das ganze Volk so miteinbezogen. Rudolf Heß, offizieller „Stellvertreter des Führers“ hält die Traueransprache und verkündet: „Durch das Wunder der Errettung wurde der Glaube unerschütterlich: die Vorsehung hat uns den Führer erhalten, die Vorsehung wird uns den Führer erhalten, denn die Vorsehung hat uns den Führer gesandt.“
Die Bewertung des Attentats aus heutiger Sicht.
Georg Elser ragt unter den Widerstandsaktivitäten gegen das Dritte Reich heraus. Ohne Rückhalt in irgendeiner Organisation, buchstäblich auf sich allein gestellt, hat er den größtmöglichen Widerstand gegen das NS-Regime versucht: Die Ausschaltung Hitlers selbst. Daß dieses Attentat ungeachtet der umfassenden Sicherheits-, Kontroll- und Überwachungsmechanismen der NS-Diktatur beinahe geglückt wäre, ist eine Leistung von eigener Qualität. Mehr noch: Vergleicht man das Attentat Elsers mit dem ebenfalls mutigen Attentatsversuch vom 20. Juli 1944, dann erscheint Elsers Versuch besonders heldenmütig: Er hat sich zu einem Zeitpunkt gegen das Regime gestellt, als es geradezu unbesiegbar erschien.
Autor: Dr. Bernd Kleinhans
Literatur
Benz, Wolfgang / Hermann Graml /Hermann Weiß: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, München 1997.
Benz, Wigbert / Bernd Bredemeyer / Klaus Fieberg: Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg. Beiträge, Materialien Dokumente. CD-Rom, Braunschweig 2004.
Kammer, Hilde / Elisabet Bartsch / Manon Eppenstein-Baukhage / Manon Eppenstein- Baukhage: Lexikon Nationalsozialismus, Berlin 1999
Gruchmann, Lothar: Autobiographie eines Attentäters. Johann Georg Elser: Aussage zum Sprengstoffanschlag im Bürgerbräukeller, München am 8. November 1939, Stuttgart 1970
Haasis, Hellmut G.: „Den Hitler jag´ ich in die Luft“. Der Attentäter Georg Elser. Eine Biographie, Berlin 1999
Hoch, Anton / Gruchmann, Lothar: Georg Elser. Der Attentäter aus dem Volke. Der Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräu 1939, Frankfurt a.M. 1980
Klee, Ernst: Das Personenlexikon zum Dritten Reich Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt/Main 2003
Ortner, Helmut: Der Einzelgänger. Georg Elser – der Mann, der Hitler töten wollte, Rastatt 1989