Falls das Dienstpapier mit dem Briefkopf in Fraktur echt sein sollte – kaum glaubhaft bei falschem Vornamen Hermann und fehlendem staatrechtlichem Bezug auf „Protektorat“ – dann wurde es im Frühjahr 1945 zum letzten Mal verwendet. Auf ihm wurde die tschechische Übersetzung des Verhörs niedergeschrieben, das Oberst Josef Bartík (1897–1968), Leiter des „Verteidigungs-Nachrichtendienstes“ (Obrané Zpravodajstvi, OBZ), mit Frank führte, nachdem dieser am 7. August 1945 mit einem US-Flugzeug von Frankfurt am Main nach Prag gebracht worden war. Die Details von Franks Festnahme und Auslieferung sollen weiter unten zur Sprache kommen. Für den Moment sind nur einige Aspekte zu erwähnen.
Bartíks Verhör, das Ausführlichste von mehreren, war die Grundlage des Prozesses gegen Frank, der vom 22. März bis 22. Mai 1946 in Prag ablief und diente später nicht wenigen Biografen als Materialbasis zu Franks Leben und Wirken. Zur Verblüffung seiner Vernehmer antwortete Frank „sehr bereitwillig“ (velmi ochotně) auf alle Fragen. Er hatte aus nächster Nähe miterlebt, dass außer den Strafverfolgern in der soeben befreiten Tschechoslowakei niemand auf ihn Wert legte: Die Amerikaner rückten ihn ohne Zögern heraus, der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg hatte keine Verwendung für ihn, kaum ein deutscher Angeklagter brauchte ihn als Entlastungszeugen oder anderswie. So saß Frank weiterhin in Zelle A I 20 des Prager Gefängnisses Pankrác und wunderte sich wie viele andere über die exorbitante Länge von Untersuchung und Prozess, wo doch das Ergebnis seit Franks Auslieferung feststand: Todesurteil und Exekution.
Lebensstart eines Versagers
Laut einem boshaften Diktum von Oswald Spengler war Hitlers Nationalsozialismus „die Organisation der Arbeitslosen unter Führung der Arbeitsscheuen“. Die Inkarnation eines solchen „Führers“ war Karl Hermann Frank, der zu allem absolut unfähig war und darum auch in Hitlers Machtgefüge bestenfalls zweitrangige Rollen spielte. Verräterisch sind schon Bilder des späteren „zweiten Mannes im Protektorat“, die ihn als fast „nackt“ in der von Orden funkelnden NS-Umwelt zeigten: Franks höchste Auszeichnung war die Goldene Ehrenspange der Hitlerjugend, was lachhaft wirkte.
Natürlich bekleidete Frank in der NS-Hierarchie hohe und höchste Ränge, aber das half ihm gar nichts. Bei der Wehrmacht galten Parteigrößen als „Goldfasanen“, die man möglichst mied. In Hitlers NSDAP umgab ihn ein „Rüchlein“ als Auslandsdeutscher, zumal aus tschechischen Landen, die der Österreicher Hitler rundheraus hasste. Und in seinen sudetendeutschen Kreisen herrschten Neid, Missgunst und rabiate Konkurrenz.
Frank wurde am 28. Januar 1898 im nordböhmischen Karlovy Vary (Karlsbad) geboren, das damals noch zu Österreich-Ungarn, später zur Tschechoslowakei gehörte – wenn man Hitlers Vereinnahmung des Sudetenlands als illegitim ansieht, dann waren Frank und alle über drei Millionen „Sudetendeutsche“ staatsbürgerlich nie Deutsche. National bekannten sie sich mit allem Nachdruck zum Deutschtum, was auch für Franks Vater, den Lehrer Heinrich Frank, galt. Mit seiner Ehefrau Paula, geborene Eberhardt, hatte das Ehepaar fünf Kinder, von denen zwei Mädchen in sehr jungen Jahren verstarben. Am Leben blieben die Söhne Karl Hermann, Ernst und Walter. Der älteste Karl Hermann besuchte in seiner Geburtsstadt die Grundschule, später das humanistische Gymnasium. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig zur Armee, wurde aber wegen seiner schwachen Konstitution (zumal er als Kind ein Auge verloren hatte) abgelehnt. Er ging weiter zur Schule, wo er 1917 das „Kriegs-Abitur“ ablegte. Anschließend absolvierte er einen einjährigen „Abiturienten-Kurs“ an der Deutschen Handelsakademie in Prag. Lieber hätte er ein Jurastudium an der Prager Universität abgeschlossen, aber das musste er nach vier Semestern abbrechen. Politisch engagierte er sich in der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP), dem „tschechoslowakischen“ Überbleibsel einer österreichischen radikal chauvinistischen Partei, die ab 1919 in Österreich bedeutungslos geworden war. Bis 1924 versuchte er sich als Schreiber in einer nordmährischen Metallfabrik, Schaffner in einer nordböhmischen Lokalbahn und Lehrling bei dem „völkischen“ Verleger Erich Fürchtegott Matthes aus dem Erzgebirge. Reüssieren konnte nirgendwo, am wenigsten 1926 bis 1934 als Buchhändler in diversen Orten des Sudentenlands. Als sein Vater 1928 starb, erbte er 40.000 Kronen, die er in seine „Völkische Buchhandlung mit Heimatverlag“ steckte, wo sie nicht nur verschwanden, vielmehr Schulden in Höhe von 30–40.000 Kronen Platz machten. 1932 musste Frank mit seinen Gläubigern einen außergerichtlichen (stillen) Vergleich schließen.
Immerhin ließ sich der chronische Pleitier nicht davon abhalten, eine Familie zu gründen. Am 21. Januar 1925 heiratete er Anna Müller, geboren 1899 in Karlovy Vary, mit der er zwei Söhne hatte, Harald (*20. Januar 1926) und Gerhard (*22. April 1931). Seit 1931 lebten die Eheleute getrennt, im Februar 1940 ließen sie sich scheiden.
Sudetenland als erster Kriegsschauplatz
Als nach 1990 auf dem West-Balkan der Konflikt um die südserbische Provinz Kosovo hochkochte, klagte der Westen unisono Serbien an, es betreibe „Unterdrückungspolitik“ gegen die kosovarischen Albaner und habe deshalb „das Recht auf Herrschaft im Kosovo verwirkt“. In Osteuropa sah man die Dinge diametral anders, vor allem in der Tschechoslowakei, wo der Prager Balkanologe Filip Tesař 2001 Klartext redete: Der einzige Unterschied zwischen gegenwärtigen terroristischen Kosovo-Albanern und Hitlers damaligem Vorgehen gegen die Tschechoslowakei besteht darin, dass die Albaner noch keinen großen Krieg provoziert haben. Alle sonstigen Ingredienzien einer Groß-Staat-Strategie sind vorhanden und werden nach bekanntem Muster eingesetzt: Eine ethnische Minderheit, kompakt in Grenznähe siedelnd, steigert durch ethnische Säuberung ihre „völkische“ Exklusivität und fordert unter Berufung auf das „Selbstbestimmungsrecht“ ihre eigenstaatliche Emanzipation unter Anschluss aller jener Gebiete in der Nachbarschaft, in denen ähnliche ethnische Mehrheitsverhältnisse bestehen. Was aus der Sudetenkrise 1938/39 resultierte, so Tesař weiter, der Zweite Weltkrieg nämlich, ist bekannt, ob die Kosovo-Krise einen identischen Verlauf nehmen wird, weiß niemand, aber die Analogien zur Sudetenkrise sind erschreckend.
Hinzu kommt etwas anderes: Albaner sind seit Jahrhunderten für ihre Neigung zu blutrünstigen Gewalttaten bekannt, was gegenwärtig ihre weit überdimensionale Präsenz im international organisierten Verbrechen erklärt. Den ganz anderen Menschentyp sah 1921 der Paneuropa-Philosoph Richard Coudenhove-Kalergi (1894–1972) im Sudetenland: „[…] der Deutschböhme liebt seine Heimath und gehorcht seinem Staat, während das nationale Ideal bei ihm in den Hintergrund tritt […]. Wenn sich heute ein großer Theil der Deutschböhmen vom Staat abkehrt, so tragen daran die czechischen Quälereien die Hauptschuld“. Im Grunde konnte man knappe drei Jahre nach der tschechoslowakischen Staatsgründung von keinen „Quälereien“ reden, was der Autor auch wusste, zumal er die eigentlichen Fehler auf beiden Seiten genau erkannte und benannte:
„[…] die Deutschen sind Föderalisten (wie die Slowaken), die Czechen Centralisten; den Deutschen fällt schwer, sich in die Rolle der Minorität zu fügen, den Czechen, ihre Macht mit einer zweiten Nation zu theilen. Die Deutschen können nicht vergessen, dass sie einst das Herrenvolk in diesem Land waren […]. Die Deutschen betreiben eine Politik der Starrköpfigkeit, die Tschechen eine des Ressentiment; […] Beide Völker leiden an kleinlicher Gehässigkeit und an dem engen Horizont ehemaliger österreichischer Provinzler“.
Eine Volkszählung, wie die vom 15. Februar 1921, die die 2 Millionen Slowaken als eine Staatsnation auswies, die 3,2 Millionen Deutschen aber als nationale Minderheit, wurde in Deutschland als Schritt zum Staatsverfall gesehen, was die einen freute, die anderen aber besorgte. In der jungen Tschechoslowakei machte man sich keine weiteren Gedanken, selbst für den Staatsgründer Tomáš G. Masaryk, gemeinhin ein kluger Demokrat, waren die Deutschen vormals als „Kolonisten“ ins Land gekommen und sollten keine übermäßigen Ansprüche im Staat der Tschechen und Slowaken stellen. Das war eine gefährliche Selbsttäuschung, befand schon 1928 der tschechische Philosoph Emanuel Rádl (1873–1942), als er mit geradezu divinatorischer Weitsicht unausweichliche Gefahren ankündigte:
„Die Tschechoslowakei ist von drei Seiten vom deutschen Volksstamme eingeschlossen, der kulturell hochstehend ist, sich von der Niederlage (im Ersten Weltkrieg W.O.) rasch erholt hat und in der Welt mächtig und geachtet dasteht. Deutschland wird sicherlich den Frieden von Versailles korrigieren und in der Welt wird sich dagegen kein Protest erheben: Österreich wird den Anschluss an Deutschland vollziehen, der Danziger Korridor wird aufgehoben werden und das Nationalitätenprinzip, das man im Kampf gegen Deutschland anwendete, wird in dessen Händen zur Waffe werden. Auch zur Waffe gegen die Tschechoslowakei, deren Bevölkerung zu einem Viertel deutsch ist?“
Rádls Buch wurde von dem Prager Juden Richard Brandeis (1865–1944), der im KZ Theresienstadt umkam, ins Deutsche übersetzt und von dem deutschen Politiker Gustav Peters (1885–1959) als willkommener Weckruf „an das Gewissen des tschechischen Volks“ herausgegeben. Peters stand den Gedanken Rádls sehr nahe, aber beide hatten keine politische „Fortüne“: Die von Tschechen dominierte Republik betrieb „ein System der Enteignung, der Rechtsminderung und der politischen Minderbewertung aller nichttschechischen Staatsbürger“. So hetzte die Sudetendeutsche Partei (SdP), die seit ihrer Gründung 1935 von dem Turnlehrer Konrad Henlein (1898–1945) geführt und allmählich zu Hitlers „fünfter Kolonne“ gegen die Tschechoslowakei gemacht wurde. In dieser Partei, die anfänglich bei ihren Aufmärschen die tschechoslowakische Staatsflagge mitführte, wirkte unter Frank ein zunächst bedeutungsloser „nationalsozialistischer Flügel“. Frank befürwortete einen „Anschluss“ des Sudetenlandes an Deutschland, womit er in der SdP vereinzelt dastand, da das Gros der Mitglieder sudetendeutsche Autonomie in der Tschechoslowakei vorzog.
Die „Sudeten-Krise“ kulminierte im März/April 1938 mit dem „Karlsbader Programm“, mit dem Henlein im Auftrag Hitlers eine parastaatliche Sonderstellung der Sudetendeutschen forderte. Dem hätte Prag unter Umständen zugestimmt, aber das sabotierte Frank (auf nebenstehendem Bild v.r.n.l. Hitler, Henlein, Frank in Karlovy Vary 1941), der wie Hitler gar keinen Ausgleich mit der Tschechoslowakei wollte, sondern deren Zerschlagung. Zu diesem Ziel schwor Frank die anderen Minderheiten wie Polen und Ungarn und sogar die Slowaken auf einen antitschechischen Kurs ein. Ende September 1938 unterzeichneten Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier, jedoch kein Vertreter der Tschechoslowakei oder der Sudetendeutschen, das „Münchner Abkommen“, in dem die Tschechoslowakei circa 25 Prozent ihres Territoriums an Deutschland abtreten musste.
Durch den „Anschluss“ Österreichs und das Münchner Abkommen entstand das (halboffizielle) „Groß-Deutschland“ mit einem „Großdeutschen Reichstag“. Zu diesem wurde am 4. Dezember 1938 eine „Sudetendeutsche Ergänzungswahl“ abgehalten, bei welcher die notorisch verachteten und übersehenen Sudetendeutschen Frank und Henlein gleich nach Hitler auf dem Stimmzettel prangten. Über Franks politischen Werdegang informierte das Handbuch des Reichstags, auch zu seinen hochverräterischen Aktivitäten („Freikorpsführer im Sudetendeutschen Freikorps“):
Frank als „Mörder“ oder Beschützer der Tschechen nach 1939?
Schon ein halbes Jahr nach München folgte am 16. März 1939 Hitlers „Protektoratserlass“, der die in München gebildete „Rest-Tschechei“ zerschlug: Böhmen und Mähren wurden in ein „Protektorat“ Deutschlands umgewandelt, die Slowakei bekam eine Schein-„Souveränität“, nachdem ihr Ungarn weite Landesteile geraubt hatte. Frank rühmte die „Mäßigung des Führers“ und seine „Großzügigkeit“ bei diesen Umwandlungen und ermahnte die Tschechen zu „Loyalität und gutem Willen“ in ihrer neuen „geschichtlichen Individualität“ unter verändertem „administrativem Recht“. Davon kann nur insoweit die Rede sein, als es in den folgenden Kriegsjahren den Tschechen nicht annähernd so schlecht wie Juden, Polen, Russen, Serben et cetera ging. Dazu bemerkte noch 2008 der tschechische Militärhistoriker Jan Boris Uhlíř:
„Die Tatsache, dass die Tschechen die Protektoratszeit mit relativ geringen Einbußen überlebten […] ist keineswegs ein Zufall. Von dem traurigen Geschick anderer Völker wurden sie dadurch bewahrt, dass das Dritte Reich nicht über genügend qualifizierte Arbeitskräfte verfügte, die etwa in der Protektoratsindustrie die erfahrenen tschechischen Arbeiter ersetzt hätten“.
Diese Wertschätzung von Tschechen war gar nicht selten bei Deutschen, selbst Hitler soll geäußert haben, er halte „aus historischen und rassepolitischen Gründen eine Germanisierung des größeren Teils des Tschechenvolks für möglich“. Der Österreicher Hitler war natürlich ein Tschechenhasser, aber auch ein Kenner tschechischer Fertigkeiten und Talente. Darin taten es ihm andere nach, was gerade zu Kriegszeiten nahe lag, als die hochentwickelte Industrie und Landwirtschaft Böhmens und Mährens, die außerhalb der Reichweite alliierter Bomberflotten lagen, „angekurbelt“ werden sollte. 1941 wurden ein Drittel aller deutschen Panzer, 28 Prozent der Lastwagen und 40 Prozent der Maschinenwaffen im Protektorat produziert.
Das war wie eine Bestätigung Franks, „des Führers unentbehrlicher Kenner“ (der tschechischen Verhältnisse), dass die Tschechen ein „hochwertiges Volkstum“ seien. Aber wie René Küpper, 2007/08 Autor einer allgemein gelobten Frank-Biographie, zu Recht bemerkte, wurden keine Sudetendeutschen zur Führung von Tschechen zugelassen, allein Frank verkörperte einen „Sonderfall“, da er eine „führende Stellung mit tatsächlichem politischen Einfluss“ errang. Das muss nicht völlig zutreffen. Zwar war Frank am 1. November 1938 zum SS-Brigadeführer (= Generalmajor), im März 1939 zum „Staatssekretär“ beim Reichsprotektor, am 9. November 1939 zum SS-Gruppenführer (= Generalleutnant) und zum Chef der Polizei ernannt worden, am 21. Juni 1943 auch zum SS-Obergruppenführer (= Generaloberst), aber sein Traumziel des „Reichsprotektors“ erreichte er nie. Dieses Amt blieb zweitrangigen Politikern aus dem „Reich“ (Konstantin von Neurath, Wilhelm Frick) vorbehalten, wobei von Neurath im September 1941 „dauerhaft beurlaubt“ wurde und seine Nachfolger nur als seine „Stellvertreter“ firmierten. Am 20. August 1943 ernannte Hitler Frank per Führererlass zum „deutschen Staatsminister in Böhmen und Mähren im Range eines Reichsministers“, was alles bedeutungsvoll klang, dabei aber inhaltsleer blieb.
Der von Küpper konstatierte „politische Einfluss“ Franks lag darin, dass dieser die allgemeine kriegswirtschaftliche Wertschätzung der Tschechen konkretisierte. Das zeigte er am 28. August 1940 in seinem „Vorschlag“, wie man mit ihnen umgehen sollte. Der Vorschlag wurde Hitler vorgelegt: Tschechische Arbeiter, Bauern, „Bürgertum“ und Jugend sollten rücksichtsvoll und ohne jede Diskriminierung behandelt werden, die Jugendlichen sollten eigene „Collegia bohemica“ an der Deutschen Universität bekommen, Wehrdienst leisten und Offiziere werden usw., alles war zu vermeiden, was die Tschechen zum einem „Hilfsvolk deklassieren“ würde.
Mehr auf Wirtschaftsdinge konzentriert war Reinhard Heydrich (1904–1942), Chef des „Reichssicherheitshauptamtes“ (RSHA), seit September 1941 „Stellvertretender Reichsprotektor“ in Böhmen und Mähren. Heydrich konnte Tschechen nicht ausstehen – „lachende Bestien, die hier im Grunde nichts zu suchen haben“ – , schätzte aber ihre Rolle in der hochentwickelten Industrie, für deren Arbeiter Heydrich eine bessere Versorgung, medizinische Betreuung und soziale Sicherung verfügte. Es entstand der Eindruck, dass alle Tschechen mehr oder minder zufrieden waren und der ohnehin geringe Widerstand gänzlich aufgehört habe.
Als „Alibiaktion“ organisierte man ein Attentat auf Heydrich, das ungeachtet seiner stümperhaften Durchführung am 27. Mai 1942 ein „Erfolg“ wurde. Hitler war vor Wut außer sich und befahl am 4. Juni 1942, bei der Fahndung nach Tätern „im Blute zu waten“. Nach Meinung tschechischer Historiker tat Frank das auch, weshalb man ihn nach 1945 als „vrah českého národa“ (Mörder des tschechischen Volks) hinstellte, mitunter als „kat“ (Henker). Das war er nicht, höchstens ein unbeteiligter Überbringer von Hitlers Befehlen, die am 9. Juni 1942 um 19:45 Uhr hin einer „Führerbesprechung“ ergingen: Dass das mittelböhmische Dorf Lidice, 20 km westlich von Prag gelegen, „noch am gleichen Tag“ einer Racheaktion ausgesetzt werden sollte, deren Vollzug am folgenden Tag in der Presse gemeldet wurde: Alle Gebäude „dem Erdboden gleichgemacht“, alle Männer erschossen, alle Frauen ins KZ verbracht, alle „Kinder einer geeigneten Erziehung zugeführt“.
Noch im Verlauf des Juni 1942 wurden die Attentäter – Jozef Gabčík, Karel Kubiš und andere – aufgespürt und getötet, nachdem einer von ihnen, Karel Čurda, ihr Versteck in der Krypta einer Kirche verraten hatte. In den folgenden Wochen wurden 1.357 Menschen erschossen, deren Namen auf Befehl Franks auf dem Wenzelsplatz verlesen wurden, von deutscher Militärmusik untermalt. So wird es berichtet, hat aber wohl nur fallweise stattgefunden. Tondokumente, vom Tschechischen Rundfunk 1998 und 2005 in mehreren CDs ediert, bezeugen, dass die Namenslisten der Hingerichteten im Radio verlesen wurden, zudem noch auf Deutsch. Bedarf für harsche Abschreckung bestand nicht: Die Deutschen behandelten die Tschechen weiter mit Behutsamkeit, die Tschechen senkten ihren ohnehin geringen Widerstand praktisch auf Null. Das war Franks Verdienst, befand sein Biograph Küpper: Frank habe sich den „weitreichenden Vernichtungsbefehlen“ Hitlers widersetzt, und ohne seine mäßigende Einflussnahme wären „noch erheblich mehr Tschechen den Repressalien zum Opfer gefallen“. Dennoch wurden ihm die Zerstörung der Ortschaft Lidice und das Massaker an ihrer Bevölkerung zur Last gelegt, was wohl auf Betreiben der Londoner Exilregierung geschah. Am 10. Juni 1944, dem zweiten Jahrestag von Lidice, wurde Frank auf eine „Liste der Hauptkriegsverbrecher“ gesetzt, wohin er im Grunde nicht gehörte. Dennoch war die Liste die sozusagen internationale Rechtfertigung für den Prager Prozess gegen Frank, von dem weiter unten zu reden ist.
Geschäftige Tatenlosigkeit bis Kriegsende
War Frank ein „Hauptkriegsverbrecher“ oder jemand, den niemand recht ernst nahm? Bei Ehrungen überging man ihn daheim, zu seinem 44. Geburtstag wurde er von dem ungarischen Führer Horthy mit dem „Großkreuz des ungarischen Verdienstordens“ dekoriert. In Prag machten sich die Menschen über ihn lustig, beispielsweise über sein (angebliches) Verhältnis zu der schönen Filmschauspielerin Adina Mandlová (1910–1991). Das war wohl nur böse Nachrede, denn bereits am 14. April 1940 heiratete er die attraktive Ärztin Karola Blaschek, 1913 als Tochter einer tschechischen Mutter geboren, mit der er in rascher Folge drei Kinder hatte: Tochter Edda (1941), Sohn Wolf Dietrich (1942) und Tochter Holle-Sigrid (1944). Generell wurde Frank in der NS-Hierarchie noch immer nicht beachtet, was ihn offenkundig schmerzte. Der polnische Frank-Biograph Radosław Butriński behauptete 2008, Frank habe am Tag des Heydrich-Attentats den „Ausnahmezustand“ verfügt und das entsprechende Dekret mit „Karl Frank, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren“ unterschrieben. Das war voreilig, denn nur wenige Stunden danach traf in Prag der Polizeigeneral und SS-Oberstgruppenführer Kurt Daluege (1897–1946) als neuer Reichsprotektor ein. Dort befehligte er unter anderem knapp 11.000 deutsche Soldaten und 6.500 Mann der Protektorats-Gendarmerie. Frank schickte er am 9. Juni nach Berlin, wo ihm Hitler die erwähnten Befehle zur Vernichtung von Lidice erteilte.
Am 14. Februar 1943 ließ Frank eine größere Zahl tschechischer Intellektueller ins KZ einweisen – als Reaktion auf eine Radioansprache von Präsident Beneš, der in London das „katastrophale Ende“ Deutschlands und die „Abrechnung“ mit Frank und Daluege prophezeite. Frank bemühte sich, Goebbels’ lächerliches Konzept des „totalen Kriegs“ auf tschechische Verhältnisse umzumünzen. Das klappte natürlich nicht, aber allgemein wurde im Protektorat die Repression härter, was Hitler am 20. Juni 1943 in seiner ostpreußischen „Wolfsschanze“ gegenüber Frank lobend erwähnte, aber nicht mit dessen Berufung zum Reichsprotektor honorierte. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 musste Frank vor aufrührerischen Wehrmachteinheiten zu der im südböhmischen Benešov stationierten SS flüchten, wofür er sich später mit Todesurteilen gegen vier Wehrmachtsoffiziere rächte.
Frank hatte einfach Angst vor der Zukunft und wollte früh die geheimen Kontakte zu den Alliierten des tschechischen Politikers Richard Bienert (1881–1949) nutzen, den er im Januar 1945 zum (letzten) Premier des Protektorats ernannte. Andere Maßnahmen – Aufstellung zweier tschechischer Armeeeinheiten, verstärkte Sicherung von Brücken et cetera – waren in dem von deutschen Flüchtlingen überfüllten Prag wirkungslose Hektik. Zudem brach in Prag am 5. Mai der kommunistische Aufstand aus, der den Sowjets den Einzug vor den Alliierten sicherte, aber Franks Absicht vereitelte, die Macht an eine nichtkommunistische tschechische Regierung zu übergeben. Das hatte ihm Hitler verboten, dessen „Nachfolger“ Dönitz erlaubt, als es ohnehin zu spät war.
Bei Kriegsende befand sich Frank in einer ausweglosen Lage, die er am wenigsten verstand. Wie bereits erwähnt, betrachteten ihn die Tschechen ausnahmslos als „Mörder“, der er nicht war. Er selber sah sich als eine Art gütiger Landesvater, was noch unglaubwürdiger war. Im Prozess gegen ihn (1946) äußerte er sich in einer Weise, die fortan als Beleg seiner Frechheit und Arroganz zitiert wurde.
„Tatsächlich gibt es im tschechischen Volk niemanden, und das ohne Ausnahme, der gegen mich Feindschaft empfinden könnte. Darum lehne ich alle Personen tschechischer Nationalität als meine Richter ab“.
Später und bereits in Reichweite seiner Hinrichtung äußerte sich einsichtsvoller: „Ich fühle mich nicht schuldig, aber ich empfinde mich als mitverantwortlich für die Ausführung von Befehlen, die mit gegeben worden waren“.
Flucht und Verhaftung
Am Morgen des 9. Mai 1945, am nördlichen Stadtrand Prags tauchten bereits erste sowjetische Panzer auf, machte sich Frank mit Familie in zwei Autos in Richtung Süden nach Plzeň auf. Dort wollte sich Frank den Amerikanern ergeben, nicht zuletzt in der Hoffnung, vor ein alliiertes Gericht zu kommen. In dem Städtchen Rokycany, 20 km östlich von Plzeň gelegen, wurde er von den Amerikanern gestellt und um 15:30 Uhr nach Plzeň und von dort nach Wiesbaden gebracht. Dort befand sich das Kommando der alliierten Streitkräfte samt einer „Abteilung“ zur Aufspürung mutmaßlicher Kriegsverbrecher. Bei den US-Militärs in Wiesbaden war eine tschechoslowakische Delegation akkreditiert, zu welcher der international angesehene Strafrechter Bohuslav Ečer (1893–1954), Militärrichter im Generalsrang, gehörte. Ečer nahm Kontakt zu J. C. Breckinridge auf, dem Leiter der erwähnten Fahndungsabteilung, die auch Frank „betreute“. Von Breckinridge bekam Ečer die Erlaubnis, Frank zu verhören, was er ab dem 28. Mai acht Tage lang tat. Darüber wurde jeden Tag Präsident Beneš informiert, der das größte Interesse daran hatte, Frank in Prag vor Gericht zu stellen. Das wollte Frank unbedingt vermeiden, er war sich keiner Schuld bewusst, habe „immer die Autonomie des tschechischen Volks geschützt“ und gehöre vor ein angloamerikanisches Gericht. Ečer musste umständlich bei den Alliierten bis hin zum Oberbefehlshaber General Eisenhower intervenieren, bis ihm Robert H. Jackson, Ankläger im Nürnberger Prozess, am 16. Juli schriftlich die Rückführung Franks erlaubte – mit der Einschränkung, dass der Vollzug eines etwaigen Todesurteils ausgesetzt würde, falls Frank von dem Nürnberger Gerichtshof benötigt würde. Das war nicht der Fall, am 3. August wurde den tschechischen Behörden das Eintreffen eines „großen Gepäckstücks“ (velké zavazadlo) angekündigt. Gemeint war Frank, der am 9. August um 11:30 Uhr auf dem Prager Flughafen Ruzyně landete.
Frank wurde in Zelle A I 52 in dem Gefängnis Pankrac inhaftiert, das am 5. Mai von den deutschen Kommandanten Soppy und Sauerbruch tschechischem Personal unter Josef Bohdanecký übergeben worden war. Dort fand auch der Prozess gegen ihn statt – vor einem der 24 „Außerordentlichen Volksgerichte“ (Mimořádné lidové soudy, MLS), deren Bildung Präsident Beneš per Dekret am 1. Februar 1945 angeordnet hatte. Ihre Berufs- und Laienrichter berief die Regierung, gegen deren Urteile war keine Berufung möglich, Gnadengesuche hatten keine aufschiebende Wirkung, Todesurteile wurden zumeist zwei Stunden nach ihrer Verkündung vollstreckt. Jedoch hatte jeder Angeklagte das Recht auf einen Verteidiger eigener Wahl.
Franks Prozess
Zuvor war Frank den erwähnten langen Verhören durch Oberst Josef Bartík (1897–1968) ausgesetzt, dem „Vater“ des „Massakers von Aussig“ (Ústi nad Labem), bei dem nach dem 31. Juli 1945 ca. 2.000 Deutsche ermordet wurden, da sie angeblich ein Munitionsdepot gesprengt hatten.
Für den Prozess gegen Frank waren vier Wochen anberaumt, aber er dauerte zwei Monate, vom 22. März bis 22. Mai 1946. Er war eine ungewöhnliche Mixtur aus „Schauprozess“ und korrektem Gerichtsverfahren, wobei Frank nicht die geringste Chance hatte: Die Alliierten hatten ihn, wie eingangs erwähnt, den Tschechen überlassen mit Wissen und Billigung, dass die ihn in jedem Fall hinrichten würden. Aber ihm musste ein Verteidiger zur Seite stehen, und diese Auflage wurde in einer Weise umgesetzt, die ein Ruhmesblatt für die tschechische Rechtsprechung war. Zeuge dessen war Robert Jackson, der Nürnberg-Ankläger und spätere Richter des Obersten Gerichts der USA, der mehrfach beim Frank-Prozess zugegen war, voll des Lobs für dessen Korrektheit. Das war vor allem das Verdienst von Franks Pflicht-Verteidiger (advokát ex offo) Dr. Kamill Resler, eine in vieler Hinsicht brillante Persönlichkeit.
Resler (1893–1961) war ein herausragender Jurist, der seinen Beruf mit Sachkenntnis und Mut versah: In den 1930er-Jahren, als die antideutsche Stimmung bei Tschechen aufschäumte, verteidigte er erfolgreich deutsche Angeklagte, was ihn als „Staatsfeind“ brandmarkte. Im Protektorat trat er für verfolgte Juden ein, im Krieg gehörte er zur „Zentralen Leitung des heimischen Widerstands“ (ÚVOD), niemals verbarg er seine Liebe zu deutscher Sprache und Literatur. Sein Agieren im Frank-Prozess veranlasste Jackson zu einem gewichtigen Kompliment: Wenn alle tschechischen Juristen wie Resler wären, hätte man den Nürnberger Prozess auch in Prag durchführen können.
Zu Franks Verteidigung, die kein tschechischer Anwalt übernehmen wollte, musste Resler, dessen Bruder im Protektorat hingerichtet worden war, von der Anwaltskammer gezwungen werden, erfüllte sie dann aber in bester Konsequenz. Frank hatte ihn zunächst abgelehnt, fasste aber bald Vertrauen zu ihm, als Resler ihm seine Taktik erörterte, dass Frank als ehemaliger tschechoslowakischer Abgeordneter Immunität genieße und nicht vor Gericht gestellt werden dürfte.
Am 4. März 1946 legte Chefankläger Dr. Jaroslav Drábek (1901–1996) seine Version der Anklage vor, ein Konvolut von 150 Seiten Text, dazu 204 umfangreiche Beilagen und 29 Zeugenaussagen. Am 15. März tagte das Gericht unter Vorsitz von Dr. Vladimír Kozák erstmals, wobei Frank eine lange Liste der gegen ihn erhobenen Vorwürfe hörte: Gewaltsamer Umsturzversuch gegen die Tschechoslowakei, Organisierung eines bewaffneten Aufstands, Konspiration mit einer ausländischen Feindmacht, Mitschuld an Morden und Sklaverei, politische und rassische Verfolgung, Übergriffe auf Leben und Freiheit einer großen Zahl Menschen et cetera. Das alles wurde auf Tschechisch verlesen und vom Dolmetscher Dr. Kopfstein Satz für Satz ins Deutsche übersetzt. Nach der Verlesung fragte der Gerichtsvorsitzende Frank, ob der alles verstanden habe, was dieser „bereitwillig“ bejahte. Er und Resler bekamen sieben Tage Zeit, um sich mit der Anklage vertraut zu machen und ihre eigene Taktik zu entwerfen.
Am 22. März 1946, einem Freitag, begann das eigentliche Strafverfahren, das im In- und Ausland mit großem Interesse verfolgt wurde. Jan Drábek, Sohn des Chefanklägers, hat 2001 ein munteres Buch „Ohrenzeuge im Protektorat“ veröffentlicht, in dem er die Prozessatmosphäre sehr bildhaft schilderte:
„Im Frühjahr 1946 begann das Verfahren gegen K. H. Frank, wodurch mein Prestige bei meinen Kameraden enorm anstieg. Das Radio berichtete alltäglich in Direktübertragen aus dem Gerichtssaal, wo mein Vater gnadenlos Franks Verbrechen aufzählte und dessen schäbige Verteidigungsversuche zunichte machte, wonach alle Befehle zu Hinrichtungen aus Berlin kamen. Mein Vater präsentierte dem Gericht Beweise dafür, dass Frank selber Berlin solche Vorschläge gemacht hatte. Am Ende wurde Frank als schuldig im Sinne der Anklage angesehen“.
Genau so war es. Der Prozess wurde direkt übertragen, am Abend folgte noch eine Zusammenfassung der wichtigsten Momente. Im Gerichtssaal standen vier gläserne Kabinen für Dolmetscher ins Englische, Französische, Russische und Deutsche. Für Deutsch war Dr. Felix Gráb zuständig. Frank hat den ganzen Prozess über diese Übersetzungen im Kopfhörer verfolgt und sich oft Notizen gemacht, die sein Verteidiger dem Gericht vortrug. Sein Hauptargument war die von Resler angeregte Berufung auf seine Immunität als Abgeordneter. Das erregte im Saal Verwunderung, die Ankläger Drábek so formulierte: „Plötzlich beruft sich Frank auf die tschechoslowakische Verfassung, gegen die er immer aktiv vorgegangen ist“. Auch Franks ständige Verweise auf die „dicken Fische im nationalsozialistischen Apparat“, deren Befehle er befolgen musste, tat Drábek als haltlose Ausreden ab.
Neben Frank saß ständig sein „persönlicher Aufseher“ Přemysl Jankovský, der viele von Franks Notizen an sich nahm, die später seine Enkelin an Souvenirjäger verkaufte. Manche sind im Internet anzusehen: Amtliche Weisungen an das Wachpersonal („Der Elektroofen ist erst auszuschalten, wenn Frank das wünscht“), vor allem aber Texte von Frank selber, geschrieben in Sütterlin, Lateinisch oder Stenographie, Quittungen für entliehene Bücher, bezogene Zigaretten et cetera. Am ausführlichsten und interessantesten sind Franks „Spickzettel“ zum Tschechischen: Körperteile, Zahlen eins bis zehn, Konjugation von „sein“ und ähnliches mehr. Früher war Frank stolz darauf, Tschechisch gar nicht zu können (was nicht zutraf), jetzt lernte er es systematisch.
Frank war in der Presse allgegenwärtig – bis hin zu Banalitäten: Wie er geschlafen, was er gegessen habe et cetera. Angeblich hatte sein Verteidiger Resler ihm geraten, vor Gericht auf „unzurechnungsfähig“ (nepříčetný) zu plädieren, was er aber „schärfstens ablehnte“. Er war geständig („jawohl“), schuldbewusst („leider“) et cetera, was zwar die Zeitungen füllte, aber keine prozessuale Rolle mehr spielte. Angesichts der Fülle von Zeugenaussagen, Tondokumenten, Expertenurteilen und Filmen hätten er und sein Anwalt schweigen können, wo sie nur noch hilflos reagierten („ein Film über Auschwitz hat mit dem Angeklagten nichts zu tun“). Frank war sich, wie erwähnt, keiner Schuld bewusst, wie z. B. sein kriecherischer Brief an Justizminister Jan Stranský bewies. Allen Ernstes verlangte er vom Minister und „dem Herrn Staatspräsidenten“ eine „großherzige, ritterliche Geste“, ihm einen Ort zuzuweisen, „wo ich mit meiner Frau und meinen Kindern leben kann“. Der Brief wurde vom Ankläger Drábek im Gerichtssaal verlesen, danach in tschechischer Übersetzung in der Presse veröffentlicht – unkommentiert, in vollem Umfang. Frank merkte rasch, was für eine Riesendummheit er da gemacht hatte, und bezeichnete diesen Brief schon in seinem Schlusswort vor dem Prozess als „einzige Tat aus meiner Haftzeit im Pankrac, die ich heute sehr bedauere“.
Das Gericht tagte sechsmal in der Woche, nur am Sonntag ruhte es. Bereits am 25. März durfte Frank erstmals in eigener Sache reden: Die Sudetendeutsche Partei habe immer eine Politik der offenen Tür betrieben, sie habe allein für das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in der Tschechoslowakei gekämpft. An den Ereignissen von 1938 (München) sei die SdP überhaupt nicht beteiligt gewesen, mit der Okkupation vom 15. März 1939 habe er nichts zu tun gehabt, das war allein Hitlers Entscheidung. Der Vorsitzende unterbrach ihn, zumal das Gericht ihn wohl nur als Karikatur eines „deutschen Herrenmenschen“ hatte sprechen lassen. Natürlich redete sich Frank um Kopf und Kragen, aber das musste man nicht in epischer Breite ertragen. Aber als „Kontrastprogramm“ zu der nun folgenden detaillierten Untersuchung bestimmter Ereignisse – Studentendemonstration vom Herbst 1939, Schließung aller Hochschulen, Lidice, Konfrontation mit Daluege (13. April 1946) et cetera – mochte er wohl taugen.
Am 27. April 1946 begannen die Schlussplädoyers, wobei der Ankläger Drábek erneut sehr deutlich wurde:
„Im Namen des ganzen tschechoslowakischen Volks, im Namen aller, die durch seine Schuld gelitten haben und gestorben sind, in Namen Witwen und Mütter von Lidice, in Namen ihrer geraubten Kinder, in Namen aller, deren Leben und Glück er vernichtet hat, fordere ich, dass Karl Hermann Frank schuldig im Sinne der Anklage erklärt wird, und ich verlange für ihn die höchste Strafe, die auf dieser Welt gegen ihn verfügt werden kann, die Todesstrafe“.
Nach ihm ergriff Frank das Wort zu einer kurzen Erklärung, die er als „Ergänzung“ zu dem offerierte, was er zu Beginn des Prozesses ausgeführt hatte. Interessant waren nur seine zynisch-naiven Ausführungen dazu, dass es die Tschechen im Protektorat doch eigentlich recht gut gehabt hätten: Man habe den Krieg besser als alle anderen Völker Europas überstanden, die tschechische Jugend habe nicht kämpfen müssen, die Ernährung war gut, „niemand ist an Hunger gestorben“, vermieden wurden „größere Zerstörungen von Städten und Industriebetrieben“.
Zu dem passte, was Franks Verteidiger in seinem Schlusswort sagte: Sein Mandant war sich keiner Schuld bewusst, dazu reichte wohl sein Verstand nicht.
Hinrichtung
Am Dienstag, dem 21. Mai 1946, fällte das Gericht das Urteil, nachdem es nochmals dem Justizministerium versicherte, der Angeklagte gehöre in keinem Fall vor das Internationale Militärtribunal in Nürnberg. Ungewöhnlich war das letzte Wort des Verteidigers Resler: Frank habe in ständigem Kampf mit Reichsbehörden in Berlin gelegen, nach dem Heydrich-Attentat habe er 30.000 tschechische Bürger vor der Hinrichtung bewahrt, die Hitler gefordert hatte, und in den letzten Kriegstagen habe Frank die Vernichtung von Verkehrslinien und Geschäften verhindert.
Dann zog sich das Gericht zu einer letzten Beratung zurück, die aber nur wenige Minuten dauerte. Danach verkündete der Gerichtspräsident das Todesurteil. Reslers Sekretär wollte noch ein Gnadengesuch Franks an die Präsidialkanzlei abgeben, kam aber nicht zum Zuge.
Die folgenden Stunden hat Egon Erwin Kisch in einer fesselnden Reportage geschildert. Kurz nach 13 Uhr wird die Menge der rund 6.000 Augenzeugen im Gefängnishof still, als der Delinquent in Begleitung des Henkers František Nenáhlo und seiner Helfer Václav Mölzer und Ladislav Brothánek den Hof betritt, wo der Gerichtspräsident und andere, darunter der Geistliche Monsignore Alos Tylínek, bei der Vollstreckung zugegen sein werden. Die beginnt mit dem „Enunziat“, dem nochmaligen Verlesen des Todesurteils, zweisprachig tschechisch und deutsch, dann kommt die eigentliche Hinrichtung an der „šibenice“. Wörtlich heißt das „Galgen“, aber Details verrät Kisch:
„Hier steht nur ein roh gezimmerter Pflock mit einem eingerammten Haken, nicht einmal ein Querbalken ist da, ohne den man sich einen Galgen gar nicht vorstellen kann. Aber, glaubt es, es ist ein Galgen. Eine Treppe, mehr Leiter als Treppe, führt hinauf, und oben stehen drei junge Männer in schwarzen Uniformen und warten darauf, ihr Amt zu vollstrecken“.
Es ist der aus Habsburger Zeiten überkommene „Würgegalgen“, unter dem Frank steht. Er darf ein letztes Wort sagen „Das deutsche Volk wird leben, auch wenn wir sterben müssen. Es lebe das deutsche Volk, es lebe der deutsche Geist“. Dann treten die Henker in ihren schwarzen Uniformen, die wie eine Anleihe bei der SS anmuteten. Als Henker taugten sie nichts, hatten die Fallhöhe des großgewachsenen Frank falsch berechnet, so dass dieser lebte, bis ihm Scharfrichter Nenáhlo durch ruckartiges Herabdrücken des Kopfs das Genick brach.
Wer mit Frank zu tun gehabt hatte, erlebte nichts Gutes. Seine zweite Frau Karola kam auf ungeklärten Wegen in die Sowjetunion, wo sie erst nach Adenauers Moskaubesuch 1955 freikam. Sie fand ihre Kinder wieder, konnte in einer westfälischen Stadt sogar wieder als Ärztin tätig sein. Sie starb 1982, nach anderen Angaben 1989.
Henker Nenáhlo verfiel dem Alkoholismus und konnte seinen „Beruf“ nicht mehr ausüben. Der Staatssicherheitsdienst verschaffte ihm eine Weinstube in Prag, die er nicht halten konnte. Er geriet immer häufiger mit dem Gesetz in Konflikt, kam ins Gefängnis, auch in das berüchtigte Straflager Jáchymov und starb 1961 im Alter von 47 Jahren.
Franks Verteidiger Kamill Resler galt nach dem Prozess als „Volksverräter“ und „Nazi-Freund“. Er bekam als Anwalt keine Arbeit mehr, wurde nach dem kommunistischen Putsch 1948 aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Er starb 1961, hatte in den letzten Lebensjahren ganz seinen bibliophilen Neigungen gelebt.
Ankläger Drábek musste vor den Kommunisten fliehen, wobei er vom Regen in die Traufe kam: In westdeutschen Flüchtlingslagern erkannte man ihn als jemand wieder, der die Vertreibung der Deutschen gefördert hatte.
Von Karl Hermann Frank war nur noch in dem apologetischen Buch „Mein Leben für Böhmen“ die Rede, das sein Bruder Ernst Frank (1900–1982) herausgab. Das Buch überlebte seinen Autor, ist in jüngster Vergangenheit in elf Teilen in dem Prager Blog „Naš smer“ (Unsere Richtung) vom 1. August 2010 bis 26. Juni 2011 veröffentlicht worden – in tschechischer Übersetzung unter dem Titel „Obhajovací spisy K.H.Franka“ (Verteidigungsschriften K.H.Franks).
Autor: Wolf Oschlies
Literatur
Benze, Rudolf (Hrsg,): Böhmen und Mähren im Werden des Reiches, Prag et al. 1943
Heiss, Friedrich (Hrsg.): Das Böhmen und Nähren-Buch. Volkskampf und Reichsraum, Prag et al. 1943
Küpper, René: Karl Hermann Frank (1898-1946) Politische Biographie eines sudetendeutschen Nationalsozialisten, Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 119, München 2010
Ströbinger, Rudolf: Das Attentat von Prag. Reinhard Heydrich, Staathalter Hitlers: Seine Herrschaft und die Hintergründe seines Todes, Bergisch Gladbach 1979
Vozdek, Jakub: Proces s K.H.Frankem před mimořadným lidovým soudem (Der Prozess gegen K.H.Frank vor dem außerordentlichen Volksgericht, Jur. Diplomarbeit Karls Universität, Prag 2011