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Startseite > Biographien > Karl Hermann Frank (1898–1946)
Geschrieben von: Wolf Oschlies | Erstellt: 18. März 2016

Karl Hermann Frank (1898–1946)

Karl Hermann Frank (ca. 1939)

Karl Hermann Frank (ca. 1939). R. Röber, Magdeburg, KarlHermannFrank, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons.

Falls das Dienst­papier mit dem Briefkopf in Frak­tur echt sein soll­te – kaum glaub­haft bei falschem Vornamen Hermann und fehlendem staatrechtlichem Bezug auf „Protek­torat“ – dann wurde es im Frühjahr 1945 zum letzten Mal verwendet. Auf ihm wurde die tschechische Übersetzung des Verhörs niedergeschrieben, das Oberst Jo­sef Bartík (1897–1968), Leiter des „Verteidigungs-Nachrichtendienstes“ (Obrané Zpravodajstvi, OBZ), mit Frank führte, nachdem dieser am 7. August 1945 mit einem US-Flugzeug von Frank­furt am Main nach Prag gebracht worden war. Die Details von Franks Festnahme und Aus­lieferung sollen weiter unten zur Sprache kommen. Für den Moment sind nur einige Aspekte zu erwähnen.

Bartíks Verhör, das Ausführlichste von mehre­ren, war die Grundlage des Prozesses gegen Frank, der vom 22. März bis 22. Mai 1946 in Prag ablief und diente später nicht wenigen Biografen als Materialba­sis zu Franks Leben und Wirken. Zur Verblüffung seiner Vernehmer antwortete Frank „sehr bereitwillig“ (velmi ochotně) auf alle Fragen. Er hatte aus nächster Nähe miterlebt, dass außer den Strafverfol­gern in der soeben befreiten Tschechoslowa­kei nie­mand auf ihn Wert legte: Die Amerika­ner rück­ten ihn ohne Zögern heraus, der Inter­nationale Militärgerichtshof in Nürnberg hatte keine Ver­wendung für ihn, kaum ein deutscher Angeklagter brauchte ihn als Entlastungszeu­gen oder anderswie. So saß Frank weiterhin in Zelle A I 20 des Prager Gefängnisses Pankrác und wunderte sich wie viele andere über die exorbitante Länge von Untersu­chung und Prozess, wo doch das Ergebnis seit Franks Auslieferung feststand: To­desurteil und Exekution.

Lebensstart eines Versagers

Laut einem boshaften Diktum von Oswald Spengler war Hitlers Nationalsozialismus „die Organisation der Arbeitslosen unter Führung der Arbeitsscheuen“. Die Inkarnati­on eines solchen „Führers“ war Karl Hermann Frank, der zu allem absolut unfähig war und darum auch in Hitlers Machtgefüge bestenfalls zweitrangige Rollen spielte. Verräterisch sind schon Bilder des späteren „zweiten Mannes im Protektorat“, die ihn als fast „nackt“ in der von Orden funkelnden NS-Umwelt zeig­ten: Franks höchste Auszeichnung war die Goldene Ehrenspange der Hitlerjugend, was lachhaft wirkte.

Natürlich bekleidete Frank in der NS-Hierarchie hohe und höchste Ränge, aber das half ihm gar nichts. Bei der Wehrmacht galten Parteigrößen als „Goldfasanen“, die man möglichst mied. In Hitlers NSDAP umgab ihn ein „Rüchlein“ als Auslandsdeut­scher, zumal aus tschechischen Landen, die der Österreicher Hitler rundheraus hasste. Und in seinen sudetendeutschen Kreisen herrschten Neid, Missgunst und rabiate Konkurrenz.

Frank wurde am 28. Januar 1898 im nordböhmischen Karlovy Vary (Karlsbad) ge­bo­ren, das damals noch zu Österreich-Ungarn, später zur Tschechoslowakei gehörte – wenn man Hitlers Vereinnahmung des Sudetenlands als illegitim ansieht, dann wa­ren Frank und alle über drei Millionen „Sudetendeutsche“ staatsbürgerlich nie Deut­sche. Na­tional bekannten sie sich mit allem Nachdruck zum Deutschtum, was auch für Franks Vater, den Lehrer Heinrich Frank, galt. Mit seiner Ehefrau Paula, geborene Eber­hardt, hatte das Ehepaar fünf Kinder, von denen zwei Mädchen in sehr jungen Jah­ren verstarben. Am Leben blieben die Söhne Karl Hermann, Ernst und Walter. Der älteste Karl Hermann besuchte in seiner Geburtsstadt die Grundschule, später das humanistische Gymnasium. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich frei­willig zur Armee, wurde aber wegen seiner schwachen Konstitution (zumal er als Kind ein Auge verloren hatte) abgelehnt. Er ging weiter zur Schule, wo er 1917 das „Kriegs-Abitur“ ablegte. Anschließend absolvierte er einen einjährigen „Abiturienten-Kurs“ an der Deutschen Handelsakademie in Prag. Lieber hätte er ein Jurastudium an der Prager Universität abgeschlossen, aber das musste er nach vier Semestern abbrechen. Politisch engagierte er sich in der Deutschen Nationalsozialistischen Ar­beiterpartei (DNSAP), dem „tschechoslowakischen“ Überbleibsel einer österreichi­schen radikal chau­vinistischen Partei, die ab 1919 in Österreich bedeutungslos ge­worden war. Bis 1924 versuchte er sich als Schreiber in einer nordmährischen Me­tall­fabrik, Schaffner in einer nordböhmischen Lokalbahn und Lehrling bei dem „völki­schen“ Verleger Erich Fürchtegott Matthes aus dem Erzgebirge. Reüssieren konnte nirgendwo, am wenigsten 1926 bis 1934 als Buchhändler in diversen Orten des Su­dentenlands. Als sein Vater 1928 starb, erbte er 40.000 Kronen, die er in seine „Völ­kische Buchhandlung mit Heimatverlag“ steckte, wo sie nicht nur verschwanden, viel­mehr Schulden in Höhe von 30–40.000 Kronen Platz machten. 1932 musste Frank mit seinen Gläubigern einen außergerichtlichen (stillen) Vergleich schließen.

Immerhin ließ sich der chronische Pleitier nicht davon abhalten, eine Familie zu grün­den. Am 21. Januar 1925 heiratete er Anna Müller, geboren 1899 in Karlovy Vary, mit der er zwei Söhne hatte, Harald (*20. Januar 1926) und Gerhard (*22. April 1931). Seit 1931 lebten die Eheleute getrennt, im Februar 1940 ließen sie sich scheiden.

Sudetenland als erster Kriegsschauplatz

Als nach 1990 auf dem West-Balkan der Konflikt um die südserbische Provinz Koso­vo hochkochte, klagte der Westen unisono Serbien an, es betreibe „Unterdrückungs­politik“ gegen die kosovarischen Albaner und habe deshalb „das Recht auf Herr­schaft im Kosovo verwirkt“. In Osteuropa sah man die Dinge diametral anders, vor allem in der Tschechoslowakei, wo der Prager Balkanologe Filip Tesař 2001 Klartext rede­te: Der einzige Unterschied zwischen gegenwärtigen terroristischen Kosovo-Albanern und Hitlers damaligem Vorgehen gegen die Tschechoslowakei besteht dar­in, dass die Albaner noch keinen großen Krieg provoziert haben. Alle sonstigen In­gredienzien einer Groß-Staat-Strategie sind vorhanden und werden nach bekann­tem Muster ein­gesetzt: Eine ethnische Minderheit, kompakt in Grenznähe siedelnd, stei­gert durch ethnische Säuberung ihre „völkische“ Exklusivität und fordert unter Be­rufung auf das „Selbstbestimmungsrecht“ ihre eigenstaatliche Emanzipation unter Anschluss aller je­ner Gebiete in der Nachbarschaft, in denen ähnliche ethnische Mehrheitsverhältnisse bestehen. Was aus der Sudetenkrise 1938/39 resultierte, so Tesař weiter, der Zwei­te Weltkrieg nämlich, ist bekannt, ob die Kosovo-Krise einen identischen Verlauf nehmen wird, weiß niemand, aber die Analogien zur Sudetenkri­se sind erschreckend.

Hinzu kommt etwas anderes: Albaner sind seit Jahrhunderten für ihre Neigung zu blutrünstigen Gewalttaten bekannt, was gegenwärtig ihre weit überdimensionale Prä­senz im international organisierten Verbrechen erklärt. Den ganz anderen Men­schen­typ sah 1921 der Paneuropa-Philosoph Richard Coudenhove-Kalergi (1894–1972) im Sudetenland: „[…] der Deutschböhme liebt seine Heimath und gehorcht sei­nem Staat, während das nationale Ideal bei ihm in den Hintergrund tritt […]. Wenn sich heute ein großer Theil der Deutschböhmen vom Staat abkehrt, so tragen daran die czechischen Quälereien die Hauptschuld“. Im Grunde konnte man knappe drei Jahre nach der tschechoslowakischen Staatsgründung von keinen „Quälereien“ re­den, was der Autor auch wusste, zumal er die eigentlichen Fehler auf beiden Seiten genau er­kannte und benannte:

„[…] die Deutschen sind Föderalisten (wie die Slowaken), die Czechen Centra­listen; den Deutschen fällt schwer, sich in die Rolle der Minorität zu fügen, den Czechen, ihre Macht mit einer zweiten Nation zu theilen. Die Deutschen kön­nen nicht vergessen, dass sie einst das Herrenvolk in diesem Land waren […]. Die Deutschen betreiben eine Politik der Starrköpfigkeit, die Tschechen eine des Ressentiment; […] Beide Völker leiden an kleinlicher Gehässigkeit und an dem engen Horizont ehemaliger österreichischer Provinzler“.

Eine Volkszählung, wie die vom 15. Februar 1921, die die 2 Millionen Slowaken als eine Staatsnation auswies, die 3,2 Millionen Deutschen aber als nationale Minder­heit, wurde in Deutschland als Schritt zum Staatsverfall gesehen, was die einen freu­te, die anderen aber besorgte. In der jungen Tschechoslowakei machte man sich kei­ne weiteren Gedanken, selbst für den Staatsgründer Tomáš G. Masaryk, gemeinhin ein kluger Demokrat, waren die Deutschen vormals als „Kolonisten“ ins Land gekom­men und sollten keine übermäßigen Ansprüche im Staat der Tschechen und Slowa­ken stellen. Das war eine gefährliche Selbsttäuschung, befand schon 1928 der tschechische Philosoph Emanuel Rádl (1873–1942), als er mit geradezu divinatori­scher Weitsicht unausweichliche Gefahren ankündigte:

„Die Tschechoslowakei ist von drei Seiten vom deutschen Volksstamme eingeschlossen, der kulturell hochstehend ist, sich von der Niederlage (im Ersten Weltkrieg W.O.) rasch erholt hat und in der Welt mächtig und geachtet dasteht. Deutschland wird sicherlich den Frieden von Versailles korrigieren und in der Welt wird sich dagegen kein Protest erheben: Österreich wird den Anschluss an Deutschland vollziehen, der Danziger Korridor wird aufgehoben werden und das Nationalitätenprinzip, das man im Kampf gegen Deutschland anwendete, wird in dessen Händen zur Waffe werden. Auch zur Waffe gegen die Tschechoslowakei, deren Bevölkerung zu einem Viertel deutsch ist?“

Rádls Buch wurde von dem Prager Juden Richard Brandeis (1865–1944), der im KZ Theresienstadt umkam, ins Deutsche übersetzt und von dem deutschen Politiker Gu­stav Peters (1885–1959) als willkommener Weckruf „an das Gewissen des tschechischen Volks“ herausgegeben. Peters stand den Gedanken Rádls sehr nahe, aber beide hatten keine politische „Fortüne“: Die von Tschechen dominierte Republik be­trieb „ein System der Enteignung, der Rechtsminderung und der politischen Min­der­bewertung aller nichttschechischen Staatsbürger“. So hetzte die Sudetendeut­sche Partei (SdP), die seit ihrer Gründung 1935 von dem Turnlehrer Konrad Henlein (1898–1945) geführt und allmählich zu Hitlers „fünfter Kolonne“ gegen die Tschecho­slowakei gemacht wurde. In dieser Partei, die anfänglich bei ihren Aufmärschen die tschechoslowakische Staatsflagge mitführte, wirkte unter Frank ein zunächst bedeu­tungsloser „nationalsozialis­tischer Flügel“. Frank befürwor­te­te einen „Anschluss“ des Sudetenlan­des an Deutschland, womit er in der SdP vereinzelt dastand, da das Gros der Mitglie­der sudetendeutsche Autonomie in der Tschechoslowakei vorzog.

Die „Sudeten-Krise“ kulminierte im März/April 1938 mit dem „Karlsbader Programm“, mit dem Henlein im Auftrag Hitlers eine parastaatliche Sonderstellung der Sudetendeutschen forderte. Dem hätte Prag unter Umständen zugestimmt, aber das sabotierte Frank (auf nebenstehen­dem Bild v.r.n.l. Hitler, Henlein, Frank in Karlovy Vary 1941), der wie Hitler gar keinen Aus­gleich mit der Tschecho­slowakei wollte, sondern de­ren Zerschlagung. Zu diesem Ziel schwor Frank die anderen Min­der­heiten wie Polen und Un­garn und sogar die Slowaken auf einen anti­tschechischen Kurs ein. Ende September 1938 unterzeichneten Hitler, Mussolini, Chamberlain und Daladier, jedoch kein Vertreter der Tschechoslowakei oder der Sudetendeutschen, das „Münchner Abkommen“, in dem die Tschechoslowakei circa 25 Prozent ihres Terri­toriums an Deutschland abtreten musste.

Durch den „Anschluss“ Österreichs und das Münchner Abkommen entstand das (halb­offizielle) „Groß-Deutschland“ mit einem „Großdeutschen Reichstag“. Zu die­sem wurde am 4. Dezember 1938 eine „Sudetendeutsche Ergänzungs­wahl“ abgehalten, bei welcher die notorisch ver­achteten und übersehenen Sudeten­deut­schen Frank und Henlein gleich nach Hit­ler auf dem Stimmzettel prangten. Über Franks politi­schen Werdegang informierte das Handbuch des Reichstags, auch zu seinen hochver­räterischen Aktivitäten („Freikorpsführer im Sudetendeutschen Frei­korps“):

Frank als „Mörder“ oder Beschützer der Tschechen nach 1939?

Schon ein halbes Jahr nach München folgte am 16. März 1939 Hitlers „Pro­tek­torats­erlass“, der die in München gebil­dete „Rest-Tschechei“ zerschlug: Böh­men und Mäh­ren wurden in ein „Pro­tek­torat“ Deutschlands umgewandelt, die Slowakei bekam eine Schein-„Souveräni­tät“, nachdem ihr Ungarn weite Landesteile geraubt hatte. Frank rühmte die „Mäßi­gung des Führers“ und seine „Großzügigkeit“ bei die­sen Um­wand­lungen und er­mahnte die Tschechen zu „Loyalität und gutem Willen“ in ihrer neuen „geschichtlichen Individualität“ unter verändertem „admi­nistrativem Recht“. Da­von kann nur in­soweit die Rede sein, als es in den folgenden Kriegsjahren den Tsche­chen nicht an­nähernd so schlecht wie Juden, Polen, Russen, Serben et cetera ging. Dazu bemerkte noch 2008 der tschechische Militärhistoriker Jan Boris Uhlíř:

„Die Tatsache, dass die Tschechen die Protektoratszeit mit relativ geringen Einbußen überlebten […] ist keineswegs ein Zufall. Von dem traurigen Ge­schick anderer Völker wurden sie dadurch bewahrt, dass das Dritte Reich nicht über genügend qualifizierte Arbeitskräfte verfügte, die etwa in der Protek­toratsindustrie die erfahrenen tschechischen Arbeiter ersetzt hätten“.

Diese Wertschätzung von Tschechen war gar nicht selten bei Deutschen, selbst Hit­ler soll geäußert haben, er halte „aus historischen und rassepolitischen Gründen eine Germanisierung des größeren Teils des Tschechenvolks für möglich“. Der Österrei­cher Hitler war natürlich ein Tschechenhasser, aber auch ein Kenner tschechischer Fertigkeiten und Talente. Darin taten es ihm andere nach, was gerade zu Kriegszei­ten nahe lag, als die hochentwickelte Industrie und Landwirtschaft Böhmens und Mährens, die außerhalb der Reichweite alliierter Bomberflotten lagen, „angekurbelt“ werden sollte. 1941 wurden ein Drittel aller deutschen Panzer, 28 Prozent der Last­wagen und 40 Prozent der Maschinenwaffen im Protektorat produziert.

Das war wie eine Bestätigung Franks, „des Führers unentbehrlicher Kenner“ (der tschechischen Verhältnisse), dass die Tschechen ein „hochwertiges Volkstum“ seien. Aber wie René Küpper, 2007/08 Autor einer allgemein gelobten Frank-Biographie, zu Recht bemerkte, wurden keine Sudetendeutschen zur Führung von Tschechen zuge­lassen, allein Frank verkörperte einen „Sonderfall“, da er eine „führende Stellung mit tatsächlichem politischen Einfluss“ errang. Das muss nicht völlig zutreffen. Zwar war Frank am 1. November 1938 zum SS-Brigadeführer (= Generalmajor), im März 1939 zum „Staatsse­kretär“ beim Reichsprotektor, am 9. Novem­ber 1939 zum SS-Grup­penführer (= Generalleut­nant) und zum Chef der Polizei er­nannt worden, am 21. Juni 1943 auch zum SS-Obergruppenführer (= Generaloberst), aber sein Traumziel des „Reichs­protektors“ erreichte er nie. Dieses Amt blieb zweitrangigen Politi­kern aus dem „Reich“ (Konstantin von Neurath, Wilhelm Frick) vorbehalten, wobei von Neurath im September 1941 „dauerhaft beurlaubt“ wurde und seine Nachfolger nur als seine „Stellvertreter“ firmierten. Am 20. August 1943 ernannte Hitler Frank per Führerer­lass zum „deut­schen Staatsminister in Böhmen und Mähren im Range eines Reichs­ministers“, was alles bedeutungsvoll klang, dabei aber inhaltsleer blieb.

Der von Küpper konstatierte „politische Einfluss“ Franks lag darin, dass dieser die allge­meine kriegswirtschaftliche Wertschätzung der Tschechen konkretisierte. Das zeigte er am 28. August 1940 in seinem „Vorschlag“, wie man mit ihnen umgehen sollte. Der Vor­schlag wurde Hitler vorgelegt: Tschechische Arbeiter, Bauern, „Bürger­tum“ und Jugend sollten rücksichtsvoll und ohne jede Diskriminierung behan­delt wer­den, die Jugendlichen sollten eigene „Collegia bohemica“ an der Deutschen Univer­si­tät bekommen, Wehrdienst leisten und Offiziere werden usw., alles war zu vermei­den, was die Tschechen zum einem „Hilfsvolk deklassieren“ würde.

Mehr auf Wirtschaftsdinge konzentriert war Rein­hard Heydrich (1904–1942), Chef des „Reichs­si­cherheits­hauptamtes“ (RSHA), seit September 1941 „Stell­ver­tretender Reichs­protektor“ in Böhmen und Mähren. Heydrich konnte Tschechen nicht ausstehen – „la­chende Bestien, die hier im Grunde nichts zu suchen haben“ – , schätzte aber ihre Rol­le in der hochent­wickelten Industrie, für deren Ar­bei­ter Heydrich eine bessere Versorgung, medi­zinische Betreuung und soziale Siche­rung verfügte. Es entstand der Ein­druck, dass alle Tschechen mehr oder minder zufrieden waren und der ohnehin ge­ringe Wider­stand gänzlich aufgehört habe.

Als „Alibiaktion“ organisierte man ein Attentat auf Heyd­rich, das ungeachtet seiner stümpe­r­haften Durchführung am 27. Mai 1942 ein „Erfolg“ wurde. Hitler war vor Wut außer sich und befahl am 4. Juni 1942, bei der Fahndung nach Tä­tern „im Blute zu wa­ten“. Nach Meinung tsche­chi­scher Hi­storiker tat Frank das auch, wes­halb man ihn nach 1945 als „vrah českého náro­da“ (Mörder des tschechi­schen Volks) hin­stellte, mitun­ter als „kat“ (Henker). Das war er nicht, höchs­tens ein unbetei­ligter Überbrin­ger von Hitlers Befehlen, die am 9. Juni 1942 um 19:45 Uhr hin einer „Führer­besprechung“ ergingen: Dass das mittelböhmi­sche Dorf Lidice, 20 km west­lich von Prag gelegen, „noch am gleichen Tag“ einer Ra­cheaktion ausgesetzt wer­den sollte, deren Vollzug am folgenden Tag in der Presse gemeldet wurde: Alle Ge­bäude „dem Erdboden gleichgemacht“, alle Männer er­schossen, alle Frauen ins KZ ver­bracht, alle „Kinder einer geeigneten Erziehung zugeführt“.

Noch im Verlauf des Juni 1942 wurden die Attentäter – Jozef Gabčík, Karel Kubiš und andere – aufgespürt und getötet, nachdem einer von ihnen, Karel Čurda, ihr Versteck in der Krypta einer Kirche verraten hatte. In den folgenden Wochen wurden 1.357 Men­schen erschossen, deren Namen auf Befehl Franks auf dem Wenzelsplatz verlesen wurden, von deutscher Militärmusik untermalt. So wird es berichtet, hat aber wohl nur fallweise stattgefunden. Tondokumente, vom Tschechischen Rundfunk 1998 und 2005 in mehreren CDs ediert, bezeugen, dass die Namenslisten der Hingerichteten im Radio verlesen wurden, zudem noch auf Deutsch. Bedarf für harsche Abschrec­kung bestand nicht: Die Deutschen behandelten die Tschechen weiter mit Behut­sam­keit, die Tschechen senkten ihren ohnehin geringen Widerstand praktisch auf Null. Das war Franks Ver­dienst, befand sein Biograph Küpper: Frank habe sich den „weit­reichenden Vernich­tungsbefehlen“ Hitlers widersetzt, und ohne seine mäßigende Einflussnahme wären „noch erheblich mehr Tschechen den Repressalien zum Opfer gefallen“. Dennoch wurden ihm die Zerstörung der Ortschaft Lidice und das Massa­ker an ihrer Bevölkerung zur Last gelegt, was wohl auf Betreiben der Londoner Exil­regie­rung geschah. Am 10. Juni 1944, dem zwei­ten Jahrestag von Lidice, wurde Frank auf eine „Liste der Hauptkriegsverbrecher“ gesetzt, wohin er im Grunde nicht gehörte. Dennoch war die Liste die sozusagen internationale Rechtferti­gung für den Prager Prozess gegen Frank, von dem weiter unten zu reden ist.

Geschäftige Tatenlosigkeit bis Kriegsende

War Frank ein „Hauptkriegsverbrecher“ oder jemand, den niemand recht ernst nahm? Bei Ehrungen überging man ihn daheim, zu seinem 44. Geburtstag wurde er von dem ungarischen Führer Horthy mit dem „Großkreuz des ungarischen Ver­dienstordens“ dekoriert. In Prag machten sich die Menschen über ihn lustig, bei­spielsweise über sein (angebliches) Verhältnis zu der schönen Filmschauspielerin Adina Mandlová (1910–1991). Das war wohl nur böse Nachrede, denn bereits am 14. April 1940 heiratete er die attraktive Ärztin Karola Bla­schek, 1913 als Tochter einer tschechischen Mutter geboren, mit der er in rascher Folge drei Kinder hatte: Tochter Edda (1941), Sohn Wolf Dietrich (1942) und Tochter Holle-Sigrid (1944). Generell wurde Frank in der NS-Hierarchie noch immer nicht be­achtet, was ihn offenkundig schmerzte. Der polnische Frank-Bio­graph Ra­dosław Butriński behauptete 2008, Frank habe am Tag des Heydrich-Atten­tats den „Aus­nahmezustand“ verfügt und das entsprechende Dekret mit „Karl Frank, Reichspro­tektor von Böhmen und Mähren“ unterschrieben. Das war voreilig, denn nur wenige Stunden danach traf in Prag der Polizeigeneral und SS-Oberstgruppen­führer Kurt Daluege (1897–1946) als neuer Reichsprotektor ein. Dort befehligte er unter anderem knapp 11.000 deutsche Soldaten und 6.500 Mann der Protektorats-Gendar­me­rie. Frank schickte er am 9. Juni nach Berlin, wo ihm Hitler die erwähnten Befehle zur Vernichtung von Lidice erteilte.

Am 14. Februar 1943 ließ Frank eine größere Zahl tschechischer Intellektueller ins KZ einweisen – als Reaktion auf eine Radioansprache von Präsident Beneš, der in London das „katastrophale Ende“ Deutschlands und die „Abrechnung“ mit Frank und Daluege prophezeite. Frank bemühte sich, Goebbels’ lächerliches Konzept des „tota­len Kriegs“ auf tschechische Verhältnisse umzumünzen. Das klappte natür­lich nicht, aber allgemein wurde im Protektorat die Repression härter, was Hitler am 20. Juni 1943 in seiner ostpreußischen „Wolfsschanze“ gegenüber Frank lobend er­wähnte, aber nicht mit dessen Berufung zum Reichsprotektor honorierte. Nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 musste Frank vor aufrührerischen Wehrmachtein­heiten zu der im südböhmischen Benešov stationierten SS flüchten, wofür er sich später mit Todesurteilen gegen vier Wehrmachtsoffiziere rächte.

Frank hatte einfach Angst vor der Zukunft und wollte früh die geheimen Kontakte zu den Alliierten des tschechischen Politikers Richard Bienert (1881–1949) nutzen, den er im Januar 1945 zum (letzten) Premier des Protektorats ernannte. Andere Maßnahmen – Aufstellung zweier tschechischer Armeeeinheiten, verstärkte Siche­rung von Brücken et cetera – waren in dem von deutschen Flüchtlingen überfüllten Prag wirkungslose Hektik. Zudem brach in Prag am 5. Mai der kommunistische Aufstand aus, der den Sowjets den Einzug vor den Alliierten sicherte, aber Franks Absicht ver­eitelte, die Macht an eine nichtkommunistische tsche­chische Regierung zu überge­ben. Das hatte ihm Hitler verboten, dessen „Nachfolger“ Dö­nitz erlaubt, als es oh­nehin zu spät war.

Bei Kriegsende befand sich Frank in einer ausweglosen Lage, die er am wenigsten verstand. Wie bereits erwähnt, betrachteten ihn die Tschechen ausnahmslos als „Mör­der“, der er nicht war. Er selber sah sich als eine Art gütiger Landesvater, was noch unglaubwürdiger war. Im Prozess gegen ihn (1946) äußerte er sich in einer Weise, die fortan als Beleg seiner Frechheit und Arroganz zitiert wurde.

„Tatsächlich gibt es im tschechischen Volk niemanden, und das ohne Aus­nahme, der gegen mich Feindschaft empfinden könnte. Darum lehne ich alle Personen tschechischer Nationalität als meine Richter ab“.

Später und bereits in Reichweite seiner Hinrichtung äußerte sich einsichtsvoller: „Ich fühle mich nicht schuldig, aber ich empfinde mich als mitver­antwortlich für die Aus­führung von Befehlen, die mit gegeben worden waren“.

Flucht und Verhaftung

Am Morgen des 9. Mai 1945, am nördlichen Stadtrand Prags tauchten bereits erste sowjetische Panzer auf, machte sich Frank mit Familie in zwei Autos in Richtung Sü­den nach Plzeň auf. Dort wollte sich Frank den Amerikanern ergeben, nicht zuletzt in der Hoffnung, vor ein alliiertes Gericht zu kommen. In dem Städtchen Rokycany, 20 km östlich von Plzeň gelegen, wurde er von den Ame­rikanern gestellt und um 15:30 Uhr nach Plzeň und von dort nach Wiesbaden gebracht. Dort befand sich das Kom­mando der alliierten Streitkräfte samt einer „Abteilung“ zur Aufspürung mutmaßlicher Kriegs­verbrecher. Bei den US-Militärs in Wiesbaden war eine tschechoslowakische Dele­gation akkreditiert, zu welcher der international angesehene Strafrechter Bohu­slav Ečer (1893–1954), Militärrichter im Generalsrang, gehörte. Ečer nahm Kontakt zu J. C. Breckin­ridge auf, dem Leiter der erwähnten Fahndungsabteilung, die auch Frank „betreute“. Von Breckin­ridge bekam Ečer die Erlaubnis, Frank zu ver­hören, was er ab dem 28. Mai acht Tage lang tat. Darüber wurde jeden Tag Präsi­dent Be­neš infor­miert, der das größte Interesse daran hatte, Frank in Prag vor Ge­richt zu stellen. Das wollte Frank unbedingt vermeiden, er war sich keiner Schuld bewusst, habe „im­mer die Autonomie des tsche­chi­schen Volks geschützt“ und gehöre vor ein anglo­ame­rikanisches Gericht. Ečer musste umständlich bei den Alliierten bis hin zum Oberbefehlshaber General Eisenhower intervenieren, bis ihm Robert H. Jackson, An­kläger im Nürnberger Prozess, am 16. Juli schriftlich die Rückführung Franks er­laub­te – mit der Einschränkung, dass der Vollzug eines etwaigen Todesurteils aus­gesetzt würde, falls Frank von dem Nürnber­ger Ge­richtshof benötigt würde. Das war nicht der Fall, am 3. August wurde den tschechi­schen Behörden das Eintreffen eines „großen Ge­päckstücks“ (velké zavazadlo) angekündigt. Gemeint war Frank, der am 9. August um 11:30 Uhr auf dem Prager Flughafen Ruzyně landete.

Frank wurde in Zelle A I 52 in dem Gefängnis Pankrac inhaftiert, das am 5. Mai von den deutschen Kommandanten Soppy und Sauerbruch tschechischem Personal un­ter Josef Bohda­necký übergeben worden war. Dort fand auch der Prozess gegen ihn statt – vor einem der 24 „Außerordentlichen Volksge­richte“ (Mi­mořádné lidové soudy, MLS), deren Bildung Präsident Beneš per Dekret am 1. Fe­bruar 1945 angeordnet hatte. Ihre Berufs- und Laienrichter berief die Regierung, ge­gen deren Urteile war keine Berufung möglich, Gnaden­gesuche hatten keine auf­schiebende Wirkung, To­desur­teile wurden zumeist zwei Stunden nach ihrer Verkün­dung vollstreckt. Jedoch hatte jeder Angeklagte das Recht auf einen Verteidiger eigener Wahl.

Franks Prozess

Zuvor war Frank den erwähnten langen Verhören durch Oberst Josef Bartík (1897–1968) ausge­setzt, dem „Vater“ des „Massakers von Aussig“ (Ústi nad Labem), bei dem nach dem 31. Juli 1945 ca. 2.000 Deutsche ermordet wurden, da sie angeb­lich ein Munitionsdepot gesprengt hatten.

Für den Prozess gegen Frank waren vier Wochen anberaumt, aber er dauerte zwei Monate, vom 22. März bis 22. Mai 1946. Er war eine ungewöhnliche Mixtur aus „Schauprozess“ und korrektem Gerichtsverfahren, wobei Frank nicht die geringste Chance hatte: Die Alliierten hatten ihn, wie eingangs erwähnt, den Tschechen über­lassen mit Wissen und Billigung, dass die ihn in jedem Fall hinrichten würden. Aber ihm musste ein Verteidiger zur Seite stehen, und diese Auflage wurde in einer Weise umgesetzt, die ein Ruhmesblatt für die tschechische Rechtsprechung war. Zeuge dessen war Robert Jackson, der Nürnberg-Ankläger und spätere Richter des Obers­ten Gerichts der USA, der mehrfach beim Frank-Prozess zugegen war, voll des Lobs für dessen Korrektheit. Das war vor allem das Verdienst von Franks Pflicht-Verteidi­ger (advokát ex offo) Dr. Kamill Resler, eine in vieler Hinsicht brillante Persönlichkeit.

Resler (1893–1961) war ein herausragender Jurist, der seinen Be­ruf mit Sachkenntnis und Mut versah: In den 1930er-Jahren, als die antideutsche Stimmung bei Tschechen aufschäumte, vertei­digte er erfolgreich deutsche Angeklagte, was ihn als „Staatsfeind“ brandmarkte. Im Protektorat trat er für verfolgte Juden ein, im Krieg gehörte er zur „Zentralen Leitung des heimischen Wider­stands“ (ÚVOD), niemals verbarg er seine Liebe zu deutscher Sprache und Litera­tur. Sein Agieren im Frank-Prozess veranlasste Jackson zu einem gewichtigen Kompliment: Wenn alle tschechischen Juristen wie Resler wären, hätte man den Nürnberger Prozess auch in Prag durchführen können. 

Zu Franks Verteidigung, die kein tschechischer Anwalt übernehmen wollte, musste Resler, dessen Bruder im Protektorat hingerichtet worden war, von der Anwaltskam­mer gezwungen werden, erfüllte sie dann aber in bester Konsequenz. Frank hatte ihn zunächst abgelehnt, fasste aber bald Vertrauen zu ihm, als Resler ihm seine Taktik erörterte, dass Frank als ehemaliger tschechoslo­wakischer Abgeordneter Immunität genieße und nicht vor Gericht gestellt werden dürfte.

Am 4. März 1946 legte Chefankläger Dr. Jaroslav Drábek (1901–1996) seine Version der Anklage vor, ein Konvolut von 150 Seiten Text, dazu 204 umfangreiche Beilagen und 29 Zeugenaussagen. Am 15. März tagte das Gericht unter Vorsitz von Dr. Vladi­mír Kozák erstmals, wobei Frank eine lange Liste der gegen ihn erhobenen Vorwürfe hörte: Gewaltsamer Umsturz­versuch gegen die Tschechoslowakei, Organisierung eines bewaffneten Aufstands, Konspiration mit einer ausländischen Feindmacht, Mit­schuld an Morden und Sklaverei, politische und rassische Verfolgung, Übergriffe auf Leben und Freiheit einer großen Zahl Menschen et cetera. Das alles wurde auf Tsche­chisch verlesen und vom Dolmetscher Dr. Kopfstein Satz für Satz ins Deutsche über­setzt. Nach der Verlesung fragte der Gerichtsvorsitzende Frank, ob der alles verstan­den habe, was dieser „bereitwillig“ bejahte. Er und Resler bekamen sieben Tage Zeit, um sich mit der Anklage vertraut zu machen und ihre eigene Taktik zu entwerfen.

Am 22. März 1946, einem Freitag, begann das eigentliche Strafverfahren, das im In- und Ausland mit großem Interesse verfolgt wurde. Jan Drábek, Sohn des Chefanklä­gers, hat 2001 ein munteres Buch „Ohrenzeuge im Protektorat“ veröffentlicht, in dem er die Prozessatmosphäre sehr bildhaft schilderte:

„Im Frühjahr 1946 begann das Verfahren gegen K. H. Frank, wodurch mein Prestige bei meinen Kameraden enorm anstieg. Das Radio berichtete alltäg­lich in Direktübertragen aus dem Gerichtssaal, wo mein Vater gnadenlos Franks Verbrechen aufzählte und dessen schäbige Verteidigungsversuche zunichte machte, wonach alle Befehle zu Hinrichtungen aus Berlin kamen. Mein Vater präsentierte dem Gericht Beweise dafür, dass Frank selber Berlin solche Vorschläge gemacht hatte. Am Ende wurde Frank als schuldig im Sinne der Anklage angesehen“.

Genau so war es. Der Prozess wurde direkt übertragen, am Abend folgte noch eine Zusammenfas­sung der wichtigsten Momente. Im Gerichtssaal standen vier gläserne Kabinen für Dolmetscher ins Engli­sche, Französische, Russische und Deutsche. Für Deutsch war Dr. Fe­lix Gráb zuständig. Frank hat den ganzen Prozess über diese Über­setzungen im Kopfhörer verfolgt und sich oft Notizen gemacht, die sein Verteidi­ger dem Gericht vortrug. Sein Hauptargument war die von Resler ange­regte Beru­fung auf seine Immunität als Abgeordneter. Das erregte im Saal Verwun­derung, die Ankläger Drábek so formulierte: „Plötzlich beruft sich Frank auf die tsche­choslowaki­sche Verfassung, gegen die er immer aktiv vorgegangen ist“. Auch Franks ständige Verweise auf die „dicken Fische im nationalsozialistischen Apparat“, deren Befehle er befolgen musste, tat Drábek als haltlose Ausreden ab.

Neben Frank saß ständig sein „persönlicher Aufseher“ Přemysl Jankovský, der viele von Franks Notizen an sich nahm, die später sei­ne Enkelin an Souvenirjäger verkauf­te. Man­che sind im Internet anzusehen: Amtliche Weisungen an das Wach­personal („Der Elektroofen ist erst auszuschalten, wenn Frank das wünscht“), vor allem aber Texte von Frank selber, geschrieben in Sütterlin, Lateinisch oder Stenographie, Quit­tungen für entliehene Bücher, bezogene Zigaretten et cetera. Am ausführlichsten und inter­essantes­ten sind Franks „Spickzettel“ zum Tschechischen: Körperteile, Zahlen eins bis zehn, Konjugation von „sein“ und ähnliches mehr. Früher war Frank stolz darauf, Tsche­chisch gar nicht zu können (was nicht zutraf), jetzt lernte er es systematisch.

Frank war in der Presse allgegenwärtig – bis hin zu Banalitäten: Wie er geschlafen, was er gegessen habe et cetera. Angeblich hatte sein Verteidiger Resler ihm geraten, vor Gericht auf „unzurechnungsfähig“ (nepříčetný) zu plädieren, was er aber „schärfstens ablehnte“. Er war geständig („jawohl“), schuldbewusst („leider“) et cetera, was zwar die Zeitungen füllte, aber keine prozessuale Rolle mehr spielte. Angesichts der Fülle von Zeugenaussagen, Tondokumenten, Expertenurteilen und Filmen hätten er und sein Anwalt schweigen können, wo sie nur noch hilflos reagierten („ein Film über Ausch­witz hat mit dem An­geklagten nichts zu tun“). Frank war sich, wie erwähnt, keiner Schuld bewusst, wie z. B. sein kriecherischer Brief an Justizminister Jan Stranský bewies. Allen Ernstes verlangte er vom Minister und „dem Herrn Staatspräsi­den­ten“ eine „großherzi­ge, ritterliche Geste“, ihm einen Ort zuzuweisen, „wo ich mit mei­ner Frau und meinen Kindern leben kann“. Der Brief wurde vom Ankläger Drábek im Ge­richtssaal verle­sen, danach in tschechischer Über­setzung in der Presse veröffentlicht – unkommen­tiert, in vollem Umfang. Frank merkte rasch, was für eine Riesendumm­heit er da gemacht hatte, und bezeichnete diesen Brief schon in sei­nem Schlusswort vor dem Prozess als „einzige Tat aus mei­ner Haftzeit im Pankrac, die ich heute sehr bedauere“.

Das Gericht tagte sechsmal in der Woche, nur am Sonntag ruhte es. Bereits am 25. März durfte Frank erstmals in eigener Sache reden: Die Sudetendeutsche Partei ha­be immer eine Politik der offenen Tür betrieben, sie habe allein für das Selbstbe­stimmungsrecht der Deutschen in der Tschechoslowakei gekämpft. An den Ereignis­sen von 1938 (München) sei die SdP überhaupt nicht beteiligt gewesen, mit der Ok­kupation vom 15. März 1939 habe er nichts zu tun gehabt, das war allein Hitlers Ent­scheidung. Der Vorsitzende unterbrach ihn, zumal das Gericht ihn wohl nur als Kari­katur eines „deutschen Herrenmenschen“ hatte sprechen lassen. Natür­lich redete sich Frank um Kopf und Kragen, aber das musste man nicht in epischer Breite ertra­gen. Aber als „Kon­trastprogramm“ zu der nun folgenden detaillierten Untersuchung bestimmter Ereig­nisse – Studentendemonstration vom Herbst 1939, Schließung aller Hochschulen, Lidice, Konfrontation mit Daluege (13. April 1946) et cetera – mochte er wohl taugen.

Am 27. April 1946 begannen die Schlussplädoyers, wobei der Ankläger Drábek er­neut sehr deutlich wurde:

„Im Namen des ganzen tschechoslowakischen Volks, im Namen aller, die durch seine Schuld gelitten haben und gestorben sind, in Namen Witwen und Mütter von Lidice, in Namen ihrer geraubten Kinder, in Namen aller, deren Leben und Glück er vernichtet hat, fordere ich, dass Karl Hermann Frank schuldig im Sinne der Anklage erklärt wird, und ich verlange für ihn die höchste Strafe, die auf dieser Welt gegen ihn verfügt werden kann, die Todesstrafe“.

Nach ihm ergriff Frank das Wort zu einer kurzen Erklärung, die er als „Ergänzung“ zu dem offerierte, was er zu Beginn des Prozesses ausgeführt hatte. Interessant waren nur seine zynisch-naiven Ausführungen dazu, dass es die Tschechen im Protektorat doch eigentlich recht gut gehabt hätten: Man habe den Krieg besser als alle anderen Völker Euro­pas überstanden, die tschechische Jugend habe nicht kämpfen müssen, die Ernährung war gut, „niemand ist an Hunger gestorben“, vermieden wurden „grö­ßere Zerstörungen von Städten und Industriebetrieben“.

Zu dem passte, was Franks Verteidiger in seinem Schlusswort sagte: Sein Mandant war sich keiner Schuld bewusst, dazu reichte wohl sein Verstand nicht.

Hinrichtung

Am Dienstag, dem 21. Mai 1946, fällte das Gericht das Urteil, nachdem es nochmals dem Justizministerium versicherte, der Angeklagte gehöre in keinem Fall vor das In­ternationale Militärtribunal in Nürnberg. Ungewöhnlich war das letzte Wort des Vertei­digers Resler: Frank habe in ständigem Kampf mit Reichsbehörden in Berlin gelegen, nach dem Heydrich-Attentat habe er 30.000 tschechische Bürger vor der Hinrichtung bewahrt, die Hitler gefordert hatte, und in den letzten Kriegstagen habe Frank die Vernichtung von Verkehrslinien und Geschäften verhindert.

Dann zog sich das Gericht zu einer letzten Beratung zurück, die aber nur wenige Mi­nuten dauerte. Danach verkündete der Gerichtspräsident das Todesurteil. Reslers Sekretär wollte noch ein Gnadengesuch Franks an die Präsidialkanzlei abgeben, kam aber nicht zum Zuge.

Die folgenden Stunden hat Egon Erwin Kisch in einer fesselnden Reportage geschil­dert. Kurz nach 13 Uhr wird die Menge der rund 6.000 Augenzeugen im Gefängnis­hof still, als der Delinquent in Begleitung des Henkers František Nenáhlo und seiner Helfer Václav Mölzer und Ladislav Brothánek den Hof betritt, wo der Gerichtspräsi­dent und andere, darunter der Geistliche Monsignore Alos Tylínek, bei der Vollstrec­kung  zu­gegen sein werden. Die beginnt mit dem „Enunziat“, dem nochmaligen Verlesen des Todesurteils, zweisprachig tschechisch und deutsch, dann kommt die eigentliche Hinrichtung an der „šibenice“. Wörtlich heißt das „Galgen“, aber Details verrät Kisch:

„Hier steht nur ein roh gezimmerter Pflock mit einem eingerammten Haken, nicht einmal  ein Querbalken ist da, ohne den man sich einen Galgen gar nicht vorstellen kann. Aber, glaubt es, es ist ein Galgen. Eine Treppe, mehr Leiter als Treppe, führt hinauf, und oben stehen drei junge Männer in schwarzen Uniformen und warten darauf, ihr Amt zu vollstrecken“.

Es ist der aus Habsburger Zeiten überkommene „Würgegalgen“, unter dem Frank steht. Er darf ein letztes Wort sagen „Das deutsche Volk wird leben, auch wenn wir sterben müs­sen. Es lebe das deutsche Volk, es lebe der deut­sche Geist“. Dann tre­ten die Henker in ihren schwarzen Uniformen, die wie eine Anleihe bei der SS anmute­ten. Als Henker taugten sie nichts, hatten die Fallhöhe des großge­wachsenen Frank falsch berechnet, so dass dieser lebte, bis ihm Scharfrichter Ne­náh­lo durch ruckartiges Herabdrücken des Kopfs das Genick brach.

Wer mit Frank zu tun gehabt hatte, erlebte nichts Gutes. Seine zweite Frau Karola kam auf ungeklärten Wegen in die Sowjetunion, wo sie erst nach Adenauers Mos­kaubesuch 1955 freikam. Sie fand ihre Kinder wieder, konnte in einer westfälischen Stadt sogar wieder als Ärztin tätig sein. Sie starb 1982, nach anderen Angaben 1989.

Henker Nenáhlo verfiel dem Alkoholismus und konnte seinen „Beruf“ nicht mehr aus­üben. Der Staatssicherheitsdienst verschaffte ihm eine Weinstube in Prag, die er nicht halten konnte. Er geriet immer häufiger mit dem Gesetz in Konflikt, kam ins Ge­fängnis, auch in das berüchtigte Straflager Jáchymov und starb 1961 im Alter von 47 Jahren.

Franks Verteidiger Kamill Resler galt nach dem Prozess als „Volksverräter“ und „Nazi-Freund“. Er bekam als Anwalt keine Arbeit mehr, wurde nach dem kommunisti­schen Putsch 1948 aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. Er starb 1961, hatte in den letzten Lebensjahren ganz seinen bibliophilen Neigungen gelebt.

Ankläger Drábek musste vor den Kommunisten fliehen, wobei er vom Regen in die Traufe kam: In westdeutschen Flüchtlingslagern erkannte man ihn als jemand wie­der, der die Vertreibung der Deutschen gefördert hatte.

Von Karl Hermann Frank war nur noch in dem apologetischen Buch „Mein Leben für Böhmen“ die Rede, das sein Bruder Ernst Frank (1900–1982) herausgab. Das Buch überlebte sei­nen Autor, ist in jüngster Vergangenheit in elf Teilen in dem Prager Blog „Naš smer“ (Unsere Richtung) vom 1. August 2010 bis 26. Juni 2011 veröffentlicht worden – in tschechi­scher Übersetzung unter dem Titel „Obhajovací spisy K.H.Franka“ (Verteidi­gungs­schriften K.H.Franks).

Autor: Wolf Oschlies

 

Literatur

Benze, Rudolf (Hrsg,): Böhmen und Mähren im Werden des Reiches, Prag et al. 1943

Heiss, Friedrich (Hrsg.): Das Böhmen und Nähren-Buch. Volkskampf und Reichsraum, Prag et al. 1943

Küpper, René: Karl Hermann Frank (1898-1946) Politische Biographie eines sude­tendeutschen Nationalsozialisten, Veröffentlichungen des Collegium Carolinum Bd. 119, München 2010

Ströbinger, Rudolf: Das Attentat von Prag. Reinhard Heydrich, Staathalter Hitlers: Seine Herrschaft und die Hintergründe seines Todes, Bergisch Gladbach 1979

Vozdek, Jakub: Proces s K.H.Frankem před mimořadným lidovým soudem  (Der Prozess gegen K.H.Frank vor dem außerordentlichen Volksgericht, Jur. Diplomarbeit Karls Universität, Prag 2011

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