Die Sage vom hl Gral und der deutschen Wuotanspriesterschaft und Guido-von-List-Gesellschaft
Völkischer Wegbereiter des Nationalsozialismus
Die Ideologie der Nationalsozialisten oder überhaupt aller Rechtsextremisten stellt fast immer eine Patchworkarbeit dar, einen Flickenteppich aus Ideenlehren und Weltanschauungen, Symboliken und mythologischen bzw. religiösen Motiven angereichert mit einem Hass auf das Fremde und Andersartige. Denn die klare Unterteilung in eine meist ethnisch oder national definierte Gruppe, zu der man selbst gehört und die daher als überlegen eingestuft wird, und alle anderen, die es, weil sie als minderwertig gesehen werden, zu dominieren gilt, ist der kleinste gemeinsame Nenner aller rechtsextremen Ideologien. Okkultismus, Esoterik, Homöopathie und andere Pseudowissenschaften, die für sich genommen völlig harmlos und bei Lichte betrachtet wohl auch nicht irrationaler als die meisten Religionen sind (es steht ja jedem frei, an das zu glauben, was er möchte), zogen Rechtsextremisten schon immer an, und so war die Schnittmenge aus Esoterikern/Okkultisten und Rechtsextremen schon immer recht groß. Wollte man einen Begründer für die Vermengung von Pseudowissenschaft und Rassismus benennen, wäre dies wohl Guido Karl Anton List (1848 – 1919) oder wie er sich selbst nannte Guido von List.
Biographie
Guido List wurde am 5. Oktober 1848 in Wien geboren. Seine Eltern waren der Lederhändler Karl Anton List (†1877) und dessen Frau Maria List (geb. Killian; nähere Lebensdaten der Eltern nicht überliefert). List hatte in jungen Jahren schon einen Hang zur deutschen Romantik, lehnte also Fortschritt und Industrialisierung ab und zog den Aufenthalt in der Natur vor, wo er von seinem Vater gefördert vor Ort Landschaften und Burgen malte. Trotz seiner konservativ-katholischen Erziehung hatte er damals schon ein großes Interesse an germanischer Mythologie. Schlüsselereignis soll eine Art Offenbarungserlebnis in einer Kirche im Alter von 13 Jahren gewesen sein, wodurch List sich dem Glauben an die germanischen Götter vollends zuwandte und eine Religion begründete, die er nach dem höchsten germanischen Gott Wotan (nordisch Odin) Wuotanismus nannte. Auf Drängen seines Vaters machte List eine Ausbildung zum Kaufmann, wollte aber eigentlich Künstler und Gelehrter werden, weshalb er sich als Autodidakt weiter mit spirituellen Themen befasste und von 1868 bis 1870 eine Privatbühne leitete, die nach dem Jenseits in der Schlacht gefallener Krieger in der germanisch-nordischen Mythologie „Walhalla“ hieß. Walhalla ist in der nordischen Mythologie ein Teil Asgards, also des Reichs der Asen (Göttergeschlecht), und wird gelegentlich auch mit dem Palast der Asen Valaskjalf gleichgesetzt. 1871, also dem Jahr der Gründung des Deutschen Kaiserreichs, wurde List Sekretär das Österreichischen Alpenvereins, einer deutschnationalen Vereinigung in Österreich-Ungarn. Auch sonst bewegte sich List zunehmend im völkisch-nationalistischen Milieu und strebte demnach wohl wie später auch Adolf Hitler (1889 – 1945) eine Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich an. 1924 formulierte Hitler in „Mein Kampf“ nämlich: „Deutschösterreich muß wieder zurück zum großen deutschen Mutterlande und zwar nicht aus Gründen irgendwelcher wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Nein, nein: Auch wenn diese Vereinigung, wirtschaftlich gedacht, gleichgültig, ja selbst wenn sie schädlich wäre, sie müßte dennoch stattfinden. Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich.“
Forschungen, Freimaurerei, Runen und die Sage vom heiligen Gral
Nach einer Europareise, bei der List das unternahm, was er sich unter prähistorischer und anthropologischer Forschung vorstellte, ließ er sich am 25. Januar 1874 in die Freimaurerloge „Humanitas“ in Neudörfl an der Leitha aufnehmen. Nachdem 1877 sein Vater verstorben war, gab Guido List den Kaufmannsberuf auf und schlug sich mit seiner ersten Frau Helene Förster-Peters (†1891) zunächst als freier Journalist, der idyllische, mit heidnischen Spekulationen angereicherte Landschaftsbeschreibungen in völkischen Magazinen publizierte, durch. List lebte am Existenzminimum. Das besserte sich, als er 1888 den Roman „Carnuntum“ über einen fiktiven, seit der Antike anhaltenden Konflikt zwischen der germanischen Urbevölkerung des Wiener Beckens und den römischen Besatzern und in deren Nachfolge der römisch-katholischen Kirche verfasste. Schlüsselmoment ist der frei erfundene Angriff der Germanen auf die Provinzhauptstadt Carnuntum. List entwickelte in Folge seine Vorstellung vom Wuotanismus als nationale Religion der „Teutonen“, wobei er die drei von Tacitus (58 – 120) beschriebenen Stämme – gemeint sind wohl Herminonen, Istvaeonen und Ingvaeonen – zu gesellschaftlichen Ständen umdichtete, von denen die Herminonen, die List Armanen nennt, den höchsten Stand, eine Kaste von Priesterkönigen dargestellt hätten. Die Armanen hätten die Jahrhunderte aller Verfolgung durch die Kirche zum Trotz in Geheimbünden wie Templern, Kabbalisten und Rosenkreuzern überdauert und ihr uraltes germanisches Wissen so bewahrt. List behauptete weiter, die Geheimsprache der Armanen, welche er sich in Wahrheit aus Begriffen der Freimaurer, Kabbalisten und Alchemisten zusammengesucht hatte, rekonstruiert zu haben. Freimaurer und Juden sollte List später aber ganz oben auf die Liste seiner Gegner setzen.
1891 starb Lists erste Frau, was wenig Einfluss auf seine „Arbeit“ hatte. Er gründete 1893 die Literarische Donaugesellschaft, die neoromantische und völkisch-nationalistische Literatur fördern sollte. Im darauffolgenden Jahr hielt List Vorträge beim Bund der Germanen über seine angeblichen Forschungen zu Runenkunde, Landschaftsgeschichte und Etymologie bezogen auf die germanische Frühzeit. Außerdem publizierte List seine Romane „Jung Diethers Heimkehr“ (1894) und „Pipara“ (1895). 1898 erschien dann sein Roman „Der Unbesiegbare – Ein Grundzug germanischer Weltanschauung“, in dem er nicht nur über seine selbsterdachte Mythologie schwadroniert, sondern auch das Kommen eines gottgleichen Führers der Germanen, der die Weltherrschaft seines Volkes „wieder“ herstellen werde, prophezeit, welches schon in alten Sagen vorhergesagt würde. Ob er damit nun wirklich jemanden wie Hitler meinte oder eher an so etwas wie die prophezeite Auferstehung von Friedrich I. „Barbarossa“ (1122 – 1190) dachte, sei mal dahingestellt. Parallel zu seiner Prosa verfasste List auch Bühnenstücke wie etwa „Der Wala Erweckung“. 1899 heiratete List ein zweites Mal: Anna Wittek (†1935).
1902 ließ List sich wegen eines Katarakts am Auge operieren und erblindete infolgedessen für elf Monate, in denen er sich noch stärker seinen esoterisch-spiritistischen Vorstellungen ergab. Er konzipierte (in seiner Vorstellung: dokumentierte) aus ihm angeblich im Traum offenbarten Runen und Wörtern eine „arische Ursprache“ und ein Futhark von Runen, das etwa die Sigrune (ᛇ) und die Odal-Rune als Abwandlung der Othala (ᛟ) enthielt – beides von den Nazis später verwendete Zeichen. List schrieb seine Erkenntnisse nieder, das 1903 von ihm bei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien eingereichte Manuskript wurde allerdings kommentarlos zurückgeschickt. 1904 wurde eine von 15 Wiener Honoratioren unterzeichnete Anfrage an den Reichsrat gerichtet, die den Minister für Kultur und Erziehung aufforderte, zu der Rücksendung Stellung zu nehmen. List hatte also großen Rückhalt in der Wiener Gesellschaft, konnte aber dennoch keinen privaten Verleger für seine Schriften finden. Mit der Verwendung des Begriffs „arisch“ und einem Aufsatz über „Die esoterische Bedeutung religiöser Symbole“ in der theosophischen Zeitschrift „Die Gnosis“ zeichnete sich Lists Hinwendung zur modernen Theosophie der Helena Petrovna Blavatsky (1831–1891) ab. Blavatsky hatte zuvor eine stark von östlichen Glaubensvorstellungen geprägte Universalreligion begründen wollen, die sich dann in einem okkultistischen Mischmasch verschiedenster Mythen und einer Lehre von sieben „Wurzelrassen“ verlor. Franz Hartmann (1838 – 1912) sollte später Lists „Die Bilderschrift der Ario-Germanen“ mit Blavastkys Hauptwerk „Isis entschleiert“ vergleichen und freudig die Übereinstimmung zwischen „germanischer“ und „hinduistischer“ Mythologie bemerken, bei denen es sich in Wahrheit um die Fantastereien von List und Blavatsky und nicht die wirklichen mythologischen Quellen handelte. Blavastky hatte noch die Hypothese aufgestellt, die Menschheit durchlaufe die Wurzelrassen phasenweise: Polaren, Hyperboräer, Lemurier, Atlantier, Arier (aktuell) und noch zwei kommende, wovon die zweite bzw. insgesamt siebte und letzte die „Rasse der ‚Buddhas‘, der ‚Söhne Gottes‘, geboren von unbefleckten Eltern“ wäre. List erklärte nun, die Arier (damit meinte er vor allem die Germanen) seien die höherwertige Rasse und alle, die nicht dieser angehörten (also alle Nicht-Germanen) seien die noch verbleibenden Atlantier und somit minderwertig und müssten beherrscht werden. Damit begründete er die Ariosophie, laut der arische „Herrenmenschen“ die künftige Weltordnung bestimmen und über „Herdenmenschen“ herrschen würden. Diese Überhöhung des „Ario-Germanentums“ und die vermeintlich daraus resultierenden naturrechtlichen Verhältnisse waren in Lists Augen Grundlage und Rechtfertigung der Feindschaft zwischen Germanen und Judentum, römisch-katholischer Kirche und nun auch der Freimaurerei.
Zu dieser Zeit begann List dann auch das Adelsprädikat „von“ zu führen, was er 1907 in das Wiener Adressbuch eintragen ließ. Er begründete dies damit, sein Großvater sei adeliger Abstammung gewesen, hätte den Titel aber abgelegt. Im Grunde sollte es ein Zeichen seines „Rassenadels“ sein. Aufgrund des von ihm damals noch nicht eingetragenen, aber geführten Namens nannte sich die 1905 von Unterstützern und Schülern Lists gegründete Gesellschaft zur Finanzierung und Verbreitung von Lists Arbeit Guido-von-List-Gesellschaft. Zu deren Mitgliedern gehörten der Gründer des Neutemplerordens Jörg Lanz von Liebenfels (1874 – 1954; eigentlich: Adolf Joseph Lanz) und der Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1844 – 1910). Obgleich die Gesellschaft ihren Sitz in Wien hatte, waren etwa 30 % der Mitglieder Deutsche, durch deren Einfluss List wiederum zu einem wichtigen Wegbereiter des völkischen Nationalismus im Deutschen Kaiserreich, aus dessen Vormachtsanspruch erst der Erste Weltkrieg erwachsen sollte, später aber im Grunde auch des Nationalsozialismus wurde. 1907 gründete List dann auch den okkultistischen Geheimbund Armanenschaft, in dem sich die selbsterklärte arische Elite auf den bevorstehenden „Rassenkampf“ gegen „rassisch minderwertige“ Gruppen vorbereiten sollte. List griff als Erkennungszeichen das schon auf der Flagge des Neutemplerordens vertretene Hakenkreuz auf, welches später in abgerundeter Form auch das Wappen der ebenfalls völkisch-okkultistischen Thule-Gesellschaft von Rudolf von Sebottendorf (1875 – 1945; eigentlich: Adam Alfred Rudolf Glauer) zieren sollte.
Publikationen und Einführung in die Gedankenwelt von Guido von List
1908 erschien dann das wohl radikalste und folgenschwerste Werk Lists: „Die Armanenschaft der Ario-Germanen“. In der Tat ergibt schon der Titel wenig Sinn, doch der Inhalt ist Zündstoff. Die Armanen, die Wotan-Priesterschaft der Germanen, werden als Rassenadel innerhalb der Arier zu Kulturbringern stilisiert, denen es durch „Zuchtwahl der Herrenmenschen“ gelingen, soll der rassischen Degeneration bedingt durch die Vermischung mit „Herdenmenschen“, die man mittels Versklavung oder Vernichtung bekämpfen müsse, Herr zu werden. Finanziert wurde das Buch wie auch das im selben Jahr erschienene „Das Geheimnis der Runen“ von der Guido-von-List-Gesellschaft, die bis 1909 133 Mitglieder haben sollte.
Grundzug germanischer Weltanschauung
1911 gründete List den Hohe Armanen Orden als elitären Zirkel der Guido-von-List-Gesellschaft. Er selbst stand als Hoher Meister an der Spitze des elitären und nur Männern vorbehaltenen Priesterbunds, der das angebliche arische Geheimwissen bewahren sollte, aber auch klare Bestrebungen zur Umformung der Welt hatte: Diese sollte dominiert werden von einem hierarchisch geordneten, ario-germanisch „rassereinen“ Reich. Die völkisch-nationalistische Ideologie beeinflusste bis in den Ersten Weltkrieg hinein den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband und den Reichshammerbund und darüber hinaus die Thule-Gesellschaft und über diese und von Sebottendorf sowie Heinrich Himmlers (1900 – 1945) Chefideologe Karl Maria Wiligut (1866 – 1946) Nationalsozialismus und im Besonderen die Schutzstaffel (SS) und Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe e.V.. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, hatte List unter den Soldaten an der Front eine treue Leserschaft, die ihm auch immer wieder Leserbriefe schickte. List begab sich hier in die bei Rechtsextremisten bis heute so beliebte Opferrolle und wertete den Ersten Weltkrieg als eine über die Ariogermanen hereingebrochene Katastrophe, die eine weitere Etappe auf dem Leidensweg der Ariogermanen wäre und schlussendlich zu deren Rettung führen würde. Man bedenke dabei, dass Österreich-Ungarn den Krieg nach einer Rückversicherung um Beistand seitens des Deutschen Reiches angefangen hatte. 1915 hielt List zudem einen Vortrag, in dem er den Krieg als eine eschatologische Endzeitschlacht zwischen Licht (Arier) und Dunkelheit (Atlantier), die den Weg zum paradiesischen germanischen Weltreich ebnen sollte, deutete.
Einige Monate nach Kriegsende wollte List mit seiner Frau im Rahmen einer Erholungsreise Freunde in Brandenburg besuchen, erkrankte aber auf dem Weg an einer Lungenentzündung und konnte die Reise nicht fortsetzen. Lists Zustand verschlechterte sich rapide, sodass er am 21. Mai in einer Pension in Berlin seiner Krankheit erlag. Gemäß seiner Glaubensvorstellungen wurde die Leiche Lists eingeäschert und in den Neuen Arkaden auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Die Gruft, die er sich mit seiner Frau teilt, kann bis heute besucht werden.
Literatur
Nicholas Goodrick-Clarke: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Marix, Wiesbaden 2004, Kap. Guido von List, 36–48.
Uwe Puschner und Justus H. Ulbricht: Guido von List. In: dieselben und Walter Schmitz (Hrsg.): Handbuch zur „Völkischen Bewegung“ 1871–1918. K. G. Saur, München/New Providence/London/Paris 1996, S. 916 f.
Monika Wienfort: List, Guido von [d.i. Karl Anton List]. In: Wolfgang Benz (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Band 2: Personen. de Gruyter Saur, Berlin 2009, S. 483 ff.
Guido von List – Die Armanenschaft der Ario-Germanen (1908, 436 S., Scan, Fraktur)