Die Rolle der katholischen Kirche im III. Reich ist mittlerweile mehr als dezidiert aufgearbeitet. Aus diesem Grunde wird in diesem Artikel die Rolle der Evangelischen Kirche im III. Reich untersucht und die Frage beleuchtet, ob und inwieweit die Evangelische Kirche durch ihr Verhalten eine Mitschuld am Holocaust hat. Das Ganze beginnt hier mit einer Person, die man als relevante Person in diesem Zusammenhang oftmals vergisst:
Die besondere Rolle von Martin Luther
Auch wenn es für viele Protestanten nach wie vor unvorstellbar ist, dass der große Reformator Luther antisemitische Worte kommunizierte, beginnen wir an dieser Stelle mit den nachfolgenden Äußerungen Luthers:
„Ein solche verzweifeltes durch böstes, durch giftetes, durch teufeltes Ding ist´s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen. Das ist nichts anderes. Da ist kein menschliches Herz gegen uns Heiden. Solches lernen sie von ihren Rabbinern in den Teufelsnestern ihrer Schulen.“ (Quelle: Der achte und letzte aller Bücher und Schriften des teuren seligen Mans Gottes, Doctoris Martini Lutheri, Tomos 8, Jena 1562, S. 95)
Auch wenn der christliche Antijudaismus die Geschichte Europas zur Zeit Luthers beeinflusste, so war, ist und kann es nicht sein, dass derartige Äußerungen nicht auf das Schärfte zu verurteilen wären. Zu den Stereotypen zu Zeiten Luthers gehörten damals Äußerungen wie:
- Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und die Verfolgung der Juden sei Gottes fortwährende Strafe für die Kreuzigung Jesu Christi.
- Die Juden seien gottlos, christenfeindlich, verstockt, blind gegenüber der göttlichen Wahrheit, verflucht, stammten vom Teufel ab, seien mit dem Antichrist der Endzeit identisch, hätten den Gottesmord begangen, verübten regelmäßig Ritualmorde an christlichen Kindern, begingen Hostienfrevel, Brunnenvergiftung und strebten heimlich nach Weltherrschaft, etwa durch Verrat an feindliche Mächte.
In seinem Werk „Von den Juden und Ihren Lügen“ aus dem Jahr 1543 fragt sich Luther selbst „Was sollen wir Christen nun tun mit diesem verdammten, verworfenen Volk der Juden?“ und schlägt dann folgende sieben Schritte als „scharfe Barmherzigkeit“ vor:
„Man solle
- ihre Synagogen niederbrennen,
- ihre Häuser zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen lassen,
- ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegnehmen, die ohnehin nur Abgötterei lehrten,
- ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe verbieten,
- ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht entziehen,
- ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) verbieten, all ihr Bargeld und ihren Schmuck einziehen und verwahren,
- den jungen kräftigen Juden Werkzeuge für körperliche Arbeit geben und sie ihr Brot verdienen lassen.“
In der FAZ werden diese Zeiten und Äußerungen Luthers von Margot Käßmann am 1. April 2013 als die „dunkle Seite er Reformation“ bezeichnet. Dies mag vielleicht ein erster Schritt in die richtige Richtung sein, aber es ist noch lange keine Entschuldigung oder Wiedergutmachung dafür, dass diese Äußerungen Luthers durchaus mitbegründend für die kranke, menschenverachtende Agitationen der Nazis war. Welche Rolle Martin Luther in diesem Zusammenhang für Adolf Hitler spielte, mag folgende Äußerung Hitlers klar belegen:
„Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen.“ (Quelle: Adolf Hitler in: Dietrich Eckart, Der Bolschewismus von Moses bis Lenin, Zwiegespräche zwischen Adolf Hitler und mir, München 1924, S. 35)
Besondere Beziehung hoher Vertreter der evangelischen Kirche zu Nazis während der Weimarer Republik
Es ist nicht zutreffend, dass die evangelische Kirche erst nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 [wie viele andere gesellschaftliche Schichten dies im Übrigen auch wahrheitswidrig kundtun] Partei zu Gunsten Hitlers ergreift. Wie die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen, gab es bereits zu Zeiten der Weimarer Republik gewichtige Beziehungen zwischen der Evangelischen Kirche und den Nazis:
Hans Meiser, Direktor des evangelischen P-Seminars in Nürnberg und ab 1933 erster evangelischer Landesbischof Bayerns verfasst 1926 ein „Gutachten“ mit dem Titel „Die evangelischen Gemeinden und die Judenfrage“. Meiser wehrt sich darin gegen „die Verjudung unseres Volkes“, und er erklärt sich einverstanden mit den völkischen Idealen, deren Anhänger „mit der antisemitischen Bewegung in einer Front stehen“, was „die Rassenfrage als den Kernpunkt der Judenfrage“ betrifft. Der spätere Landesbischof beklagt auch den Einfluss der Juden, v. a. auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Gebiet. Er schreibt: „Mag die Moral vieler Juden nichts anderes sein als stinkende Unmoral“, und er fordert durch einige konkrete Maßnahmen „ein Zurückdrängen des jüdischen Geistes im öffentlichen Leben“ und die „Reinhaltung des deutschen Blutes“. Die Reinhaltung des deutschen Blutes ist eine Gedankenwelt, die der kranken Philosophie der Nazis entspricht, gleichwohl aber nichts mit christlichem Gedankengut gemein hat. Ebenfalls in Nürnberg nimmt der evangelisch-lutherische Pfarrer Martin Weigel vor dem Altar der Lorenzkirche in Nürnberg eine SA Fahnenweihe vor. Es sei darauf verwiesen, dass die SA nichts anderes als der Schlägertrupp der Nazis war und dass die Nazis im Jahr 1926 von weniger als 5% der Bevölkerung gewählt wurden, so dass wahrscheinlich kein Druck von außen als Beweggrund angegeben werden kann.
1930 muss es dann auf irgendeine Art und Weise zu einer Übereinkunft zwischen evangelischer Kirche und Nazis gekommen sein, wie das nachfolgende Faktum beweist:
Das Deutsche Pfarrerblatt veröffentlicht am 11.11.1930 einen Grundsatzbeitrag über das Verhältnis von NSDAP und Kirche. Der Autor, Pfarrer Friedrich Wienecke, erklärt es zu den Aufgaben der Männer der Kirche, in die „Tiefe der nationalsozialistischen Gedankenwelt“ zu schauen und sich nicht durch „äußere Schönheitsfehler“ wie Härte, Rohheit und Rachsucht abschrecken zu lassen. Unter der „rauen Schale“ keime möglicherweise sogar „das beste Leben, das je aus der alten deutschen Eiche herauswuchs.“ Pfarrer Wienecke verweist in diesem Zusammenhang auf Hitlers Mein Kampf, wo Hitler den Deutschen die Hochachtung vor den Amtskirchen zur Pflicht macht. Die von Gott gewollte Aufgabe für die deutsche Politik sei nach Wienecke die Förderung des „arisch-germanischen Menschen.“ Die Aufgabe von Theologie und Pfarrerschaft sei es, zu helfen, dass die Nazi-Bewegung nicht verrausche, sondern dass sie, „erfüllt von göttlicher Kraft unserem Volk Gesundung bringe“.
Das Deutsche Pfarrerblatt erreichte damals wie heute den deutschen Pfarrerstand in seiner Gesamtheit und war und ist zudem „Pflichtorgan aller Mitglieder des Pfarrervereins“. Das NSDAP-Blatt Völkischer Beobachter druckte den Artikel aus dem Deutschen Pfarrerblatt wörtlich nach. Wenn der Völkische Beobachter einen Artikel der evangelischen Kirche wörtlich nachdruckte, so kann davon ausgegangen werden, dass dies sicherlich nichts mit Kirchengläubigkeit der Nazis zu tun hatte, sondern eiskaltes Kalkül oder eine Absprache Anlass hierzu war.
Glaubensbewegung Deutsche Christen (DC):
Beginnen wir hier erst einmal mit dem Ende des 1. Weltkrieges und der Einstellung der evangelischen Kirchenoberen zu Demokratie und Weimarer Republik:
Nach Verabschiedung der Weimarer Verfassung richtete der Präsident des altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrats (EOK) Reinhard Möller ein „tiefempfundenes Dankeswort an unseren fürstlichen Schirmherrn“, den abgesetzten Kaiser. Kirchenführer wie Detlev von Arnim-Kröchlendorff jubelten: „Der Umsturz hat sich auf unsere Kirche nicht miterstreckt.“ Die konservative Kontinuität der Landeskirchen, die als Volkskirche für alle religiösen Bedürfnisse der getauften Deutschen zuständig waren, blieb erhalten.
Machen wir nun einen Sprung zum beginnenden Ende der Weimarer Republik. 1930 gaben sich die evangelischen Landeskirchen mit dem Deutschen Evangelischen Kirchenbund einen lockeren Dachverband. Zudem schlossen sie am 11. Mai 1931 einen Kirchenvertrag mit dem Freistaat Preußen ab, den viele Kirchenführer als Sieg über die „Entrechtung“ durch die Weimarer Verfassung empfanden. Er sicherte ihnen Religionsunterricht und öffentliche Finanzmittel zu. Seit dem neuen Kirchenvertrag von 1930 begann die NSDAP, die evangelischen Christen offensiv in ihren Kampf gegen das „Weimarer System“ aus „Marxismus, Judentum und Zentrum“ einzuspannen: SA-Trupps besuchten geschlossen evangelische Gottesdienste und hielten „Mahnwachen“ vor Kirchen, um pazifistisch oder religiös-sozial eingestellte Pastoren einzuschüchtern.
1932 gründete sich dann die „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ (DC) als Zusammenschluss von evangelisch getauften Nationalsozialisten. Sie wollten der NS-Ideologie in ihrer Kirche erst Raum, dann Alleingeltung verschaffen, nachdem die Deutschnationalen bzw. der „Christlich-soziale Volksdienst“ 1930 die Kirchenwahl in Preußen gewonnen hatte. Sie pflegten ein „arteigenes Christentum“, das durch Elemente einer „neuheidnischen“ Religiosität aus dem „Volkstum“ erneuert werden sollte. Sie wollten das Führerprinzip innerkirchlich verankern und strebten die Vereinheitlichung der bisher nach Konfessionen gegliederten Landeskirchen in einer Reichskirche an. Geführt wurden sie vom Pfarrer Joachim Hossenfelder; gefördert wurden sie von namhaften Theologen wie Emanuel Hirsch, der die DC-Theologie schon 1920 mit seinem Buch „Deutschlands Schicksal“ vorbereitet hatte. Auch Paul de Lagarde und Arthur Dinter gelten als Vorläufer, da sie wie die DC Paulus von Tarsus zum Verderber des Christentums erklärten, Jesus als antijüdischen „Propheten“ darstellten und eine national-deutsche Religion vertraten.
Es muss an dieser Stelle nochmals klar und eindeutig gesagt werden, dass wir hier von einem Zeitpunkt sprechen, der weit vor der Machtergreifung Hitlers lag!
Bei der Wahl des Reichsbischofs im Mai 1933 wurde von den Reichskirchen zunächst der nicht den DC angehörige Friedrich von Bodelschwingh nominiert, der jedoch aufgrund des massiven Drucks der Deutschen Christen sein Amt schon nach einem Monat aufgeben musste, worauf die Reichskirchenleitung bei den Kirchenwahlen am 23.7.1933 an den zuvor von Hitler zum „Bevollmächtigten für Angelegenheiten der evangelischen Kirche“ ernannten Ludwig Müller überging. Dank einer außergewöhnlich hohen Wahlbeteiligung gewannen die Deutschen Christen nun einen Stimmenanteil von 70% und lösten daraufhin in allen durch sie geführten Landeskirchen das parlamentarische System auf, so dass nur drei intakte Landeskirchen übrig blieben. Bei der ersten Nationalsynode unter dieser Leitung wurde der Arierparagraph durchgesetzt, welcher jeden Pfarrer und Kirchenbeamten nicht-arischer Herkunft seines Amtes enthob.
Durch den Arierparagraphen der evangelischen Kirche ist eindeutig dargelegt, dass zumindest die Führung der evangelischen Kirche nicht in eindeutigem Konfrontationskurs zu Hitler war, wie man dies später teilweise zu kommunizieren versuchte. Vielmehr muss klargestellt werden, dass die evangelische Kirche durch Handlungsweisen wie den Arierparagraphen durchaus eine nicht unerhebliche Mitschuld daran trägt, dass Hitler sein verbrecherisches Tun, welches im Holocaust seinen unrühmlichen Höhepunkt finden sollte, realisieren konnte.
Wie Teile der evangelischen Kirche tatsächlich zur Naziherrschaft standen und wie auch noch Kriegsende von der evangelischen Kirche Strafvereitelung betrieben wurde, zeigt das Beispiel des evangelischen Pfarrers Hoff aus Berlin. Hier zitieren wir den unten als Internetquelle angegebenen ZEIT-Artikel wie folgt:
„Der Berliner Pfarrer Hoff rühmte sich, am Totensonntag 1931 als erster Geistlicher Berlins einen Gottesdienst für die »gefallenen Nationalsozialisten« gehalten zu haben. Goebbels hatte ihm ein Dankschreiben geschickt, Hoff reichte es stets stolz herum. Im Frühjahr 1934 wurde er als Konsistorialrat in das Konsistorium der Mark Brandenburg berufen. Für sein neues Amt ließ sich der Pfarrer in SA-Uniform vereidigen. Kollegen der Bekennenden Kirche denunzierte er gern im SS-Organ „Das Schwarze Korps“. Über seine tägliche Arbeit in der Gemeinde ist wenig bekannt. 1940 kam er zur Wehrmacht, Mitte 1941 an die Ostfront. Mit Vorliebe stattete er dem Konsistorium, seiner alten Dienststätte, in Uniform Besuche ab und rühmte sich dabei seines Einsatzes gegen »Partisanen« und »Spione«.
1943 kehrte Hoff nach Berlin zurück. Zum 10. Jahrestag der Hitlerherrschaft am 30. Januar wandte er sich in einem Aufruf an die Berliner: Wer die zu Selterswasserfabriken und Kornspeichern umgewandelten Kirchen Russlands gesehen habe und wer den »unheimlichen Einfluss des Judentums in Stadt und Land des weiten Ostens gespürt« habe, der könne würdigen, was die Herrschaft der Nationalsozialisten für Deutschland und ganz Europa bedeute. Hoff dankte dem Allmächtigen und bat um Segen für den »geliebten Führer«.
Ein Dreivierteljahr später reagierte er empört auf den Rundbrief eines Oberkonsistorialrats an die im Heeresdienst stehenden Pfarrer. Dessen Rundschreiben (mit Zitaten aus dem Psalter) erschien ihm zu weichlich. Er antwortete in einer geharnischten Zurechtweisung: Offensichtlich stehe der Kollege dem großen Geschehen dieser Tage völlig verständnislos gegenüber. Wie soll heute, schreibt Hoff, wo die Deutschen mit dem »Weltjudentum« ringen, die »jüdischen Rachepsalmen« der Bibel als Offenbarung göttlichen Erbarmens dienen? »Vielleicht gönnen Sie mir darin ein Wort der Aufklärung«, so wandte er sich an seinen Adressaten, »wie ich es mit alldem vereinbaren kann, dass ich in Sowjetrussland eine erhebliche Anzahl von Juden, nämlich viele Hunderte, habe liquidieren helfen. «
Als »heimatvertriebener Ostpfarrer« ließ er sich bei Hamburg nieder. In der Berliner Kirchenleitung kannte man inzwischen sein Bekennerschreiben von 1943 und legte ihm nahe, auf die Rechte des geistlichen Standes zu verzichten. Hoff lehnte ab. Ein Disziplinarverfahren entschied 1948 auf »Entfernung aus dem Dienst«. Wiederholt focht Hoff das Urteil an, im Februar 1957 erreichte er die erneute Zuerkennung der Rechte des geistlichen Standes. Norddeutsche Landeskirchen gaben ihm befristete Seelsorgeaufträge.
1960, zu seinem 70. Geburtstag, sandte ihm das Landeskirchenamt Hannover fromme Segenswünsche: »Gottes Güte und Freundlichkeit hat Sie durch gute und schwere Jahre bis zum heutigen Tage treu geleitet. […] Aus den Erfahrungen Seiner Wohltaten in Ihrem Leben werden Sie gewiss in die Worte des Psalmsängers einstimmen: ›Ich gedenke an die vorigen Zeiten; ich rede von allen deinen Taten und sage von den Werken deiner Hände.‹«
Zurück bleibt eine mehrfache Beschämung. Zum einen darüber, dass ein Geistlicher mit einer solchen Biografie jahrzehntelang Pfarrer sein konnte. Zum anderen aber auch Beschämung darüber, wie die Berliner Nachkriegskirche unter Bischof Otto Dibelius – von Hoffs Brief wissend – mit diesem Geistlichen umging. Sie deckte einen Mann, der den Engländern als Kriegsverbrecher galt und der mutmaßlich am Holocaust beteiligt war. Gewiss wäre Hoff ein Fall für die 1958 gegründete NS-Ermittlungsstelle in Ludwigsburg gewesen, und es stellt sich durchaus die Frage, ob hier nicht kirchlicherseits so etwas wie Strafvereitelung im Amt stattgefunden hat. Man ließ den Fall auf sich beruhen, kehrte die Dinge unter den Teppich, wie so vieles in der Ära Dibelius. 1978 starb Hoff.“
Offizielle Äußerungen der evangelischen Kirche nach 1945:
Im April 1948, d.h. drei (!) Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges fanden sich im „Wort zur Judenfrage“ des evangelischen Reichsbruderrates folgende Worte:
„Israel unter dem Gericht ist die unauflösbare Bestätigung der Wahrheit, Wirklichkeit des göttlichen Wortes und die stete Warnung Gottes an seine Gemeinde. Dass Gott nicht mit sich spotten lässt, ist die stumme Predigt des jüdischen Schicksals, uns zur Warnung, den Juden zur Mahnung, ob sie sich nicht bekehren möchten zu dem, bei dem allein auch ihr Heil steht.“
Vergegenwärtigen wir uns an dieser Stelle –neben der Ungeheuerlichkeit der Ausführungen- wer der Reichsbruderrat war. Der Reichsbruderrat war das leitende Gremium der Bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tagte das Gremium weiter als Bruderrat der EKD. Seit dem von der Dahlemer Synode ausgerufenen kirchlichen Notrecht war der Reichsbruderrat die legitime Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) und gab diese Leitungsfunktion 1948 an den Rat der EKD ab. Die Äußerung der „stummen Predigt des jüdischen Schicksals, uns zur Warnung, den Juden zur Mahnung“ stammten von dem Teil der evangelischen Kirche, der sich gegen Hitler stellte. Sicherlich kann man Mitgliedern der Bekennenden Kirche wie Dietrich Bonhoeffer oder Martin Niemöller nicht absprechen, dass sie gegen Hitler waren. Die oben stehenden Äußerungen von gewichtigen Mitgliedern der Bekennenden Kirche drei Jahre nach unbestrittener allgemeiner Kenntnis über den Holocaust sind jedoch in keinster Weise ein Beleg dafür, dass sich die evangelische Widerstandskirche auch für die verfolgten Juden im III. Reich einsetzte.
Nicht von ungefähr schrieb Martin Niemöller deshalb 1976 in einem Gedicht:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Im Rahmen der geschichtlichen Aufarbeitung der Bekennenden Kirche stellte sich dann heraus, dass Mitglieder der Bekennenden Kirche Mitglieder in Hitlers SS waren oder in Konzentrationslagern tätig waren. Statt dies einfach zuzugeben, ist es mehr als verwerflich, wie dies im Nachhinein gerechtfertigt wurde:
- Kurt Gerstein bewarb sich wissentlich zur SS, um die Verbrechen in den Vernichtungslagern, am „Feuerofen des Bösen“, zu verhindern, was ihm nur in ganz geringem Ausmaß
- Hans Friedrich Lenz verrichtete Dienst im Außenlager Hersbruck bei Flossenbürg, wo Bonhoeffer ermordet wurde. Er schrieb später einen Erlebnisbericht.
- Alfred Salomon wurde 1933/1934 in die SS eingeschleust.
Kurt Gerstein arbeitete für das Hygiene-Institut der Waffen-SS. Im Januar 1942 avancierte er zum Chef der Abteilung Gesundheitstechnik und war zuständig für den technischen Desinfektionsdienst. Somit hatte er für die Beschaffung von Zyklon B zu sorgen. Was Zyklon B ist und wozu es benötigt wurde, dürfte allgemein bekannt sein. Gerstein nahm sich 1945 in französischer Haft das Leben, erzählte aber vorher die vorstehend genannte Version. 1965 wurde Gerstein dann vom damaligen Ministerpräsidenten (und späteren) Bundeskanzler Kiesinger rehabilitiert, der bekanntlicher Weise selbst seit 1933 Mitglied der NSDAP war, ab 1940 Angestellter im Auswärtigen Amt der Nazis und später sogar stellvertretender Leiter der Rundfunkabteilung der Nazis wurde.
Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang auch die Entdeckung eines durch den SPIEGEL aufgedeckten Briefes der EKD in Sachen Adolf Eichmann. Aus der Online Ausgabe des SPIEGEL vom 21.08.2011 wird wie folgt zitiert:
„Nach SPIEGEL-Informationen hat sich der Rat der EKD 1960 bei der Bundesregierung unter Konrad Adenauer für den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann eingesetzt. Das geht aus Akten im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes hervor.
Darin findet sich ein Schreiben des Linzer Superintendenten Wilhelm Mensing-Braun an das kirchliche Außenamt in Frankfurt am Main. Der Superintendent bescheinigte dem im österreichischen Linz aufgewachsenen Massenmörder Eichmann eine „grundanständige Gesinnung“, ein „gütiges Herz“ und „große Hilfsbereitschaft“.
Mensing-Braun schreibt, er könne sich „nicht vorstellen“, dass der ehemalige SS-Obersturmbannführer Eichmann „je zu Grausamkeit oder verbrecherischen Handlungen fähig gewesen wäre“.
Die EKD hielt das Pro-Eichmann-Votum für „mindestens interessant“
Eichmann war kurz zuvor aus Argentinien nach Israel entführt worden. Seine Geschwister wollten erreichen, dass ein internationaler Gerichtshof und nicht ein israelisches Gericht den Fall verhandele. Sie hatten daher Mensing-Braun um Hilfe gebeten.
Tatsächlich leitete Bischof Hermann Kunst, Vertreter der EKD bei der Bundesregierung, das Schreiben Mensing-Brauns an das Auswärtige Amt weiter – mit dem Hinweis, das Votum sei „mindestens interessant“.
Damit hat sich nicht nur der österreichische Superintendent Mensing-Braun für Eichmann eingesetzt, sondern auch ein offizieller Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland.“
Aber auch in der jüngsten Vergangenheit ist die offizielle Haltung der evangelischen Kirche in diesem Bereich nicht immer ein Ruhmesblatt, wie das nachstehende Beispiel belegen mag:
Im August 2011 publizierte der evangelische Theologe Jochen Vollmer im bereits mehrfach vorstehend erwähnten Deutschen Pfarrerblatt „Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker – Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie“ einen eindeutig antizionistischen Aufsatz, der in weiten Teilen der Öffentlichkeit auf starke Kritik stieß, jedoch nie von kirchenoffizieller Seite, auch nicht von Frau Käßmann, je verurteilt wurde. Aus diesem Artikel wird wie folgt zitiert:
„Ein jüdischer Staat ist eben ein Staat, der seine jüdische Identität – die nichtjüdische Bevölkerung ausgrenzend und damit den einen und universalen Gott, der für Juden und Nichtjuden in gleicher Weise da sein will, verleugnend – mit staatlicher Gewalt nach innen und nach außen sichern will. Der Glaube an Gott kann nicht durch staatliche Gewalt gesichert werden.“
Nach all diesen Fakten kommt der Autor zu dem Schluss, dass die Evangelische Kirche eine mehr als marginale Rolle an den Geschehnissen im III. Reich hatte und dass die Aufarbeitung bis heute nicht hinreichend erfolgt ist. 69 Jahre sind nun nach dem Ende des II. Weltkrieges vergangen. Im Lutherjahr 2017 hat die evangelische Kirche in Deutschland wohl die historisch letzte Chance, sich von den antisemitischen Äußerungen Luthers eindeutig zu distanzieren und auch für das Fehlverhalten der evangelische Kirche im Dritten Reich zu entschuldigen und Widergutmachung zu leisten. Spätestens das Jahr 2017 wird zeigen, wie die evangelische Kirche wirklich zu ihren christlichen Werten steht.
Autor: Stefan Loubichi, Wirtschaftswissenschaftler des Jahrganges 1966, der sich seit vielen Jahren auf wissenschaftlicher Basis mit dem Thema beschäftigt und durch sein Engagement verhindern möchte, dass durch Vergessen jemals wieder vergleichbare Gräueltaten wie die der Nazis im III. Reich entstehen könnten – Zukunft braucht Erinnerung.
Literatur
Friedrich Battenberg: Die Juden in Deutschland vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Oldenbourg, München 2001, ISBN 3-486-55777-7
Stefan Litt: Juden in Thüringen in der Frühen Neuzeit (1520–1650). Böhlau, Wien 2004, ISBN 3-412-08503-0
Hans-Martin Barth: Die Theologie Martin Luthers: eine kritische Würdigung. Gütersloher Verlagshaus, 2009, ISBN 978-3-579-08045-1
Joachim Beckmann (Hrsg.): Kirchliches Jahrbuch für die evangelischen Kirchen in Deutschland 1933–1944. 2. Auflage. 1976
Manfred Gailus: Kirche Amtshilfe: Die Kirche und die Judenverfolgung im Dritten Reich; Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, 2008, ISBN 978-3525553404
Bernd Rebe: Die geschönte Reformation: Warum Martin Luther uns kein Vorbild mehr sein kann – Ein Beitrag zur Lutherdekade; Tectum Verlag, 2012; ISBN 978-3828830165
Wolfgang Greive, Peter N. Prove (Hrsg.): Jüdisch-lutherische Beziehungen im Wandel? Kreuz Verlag, Stuttgart 2003, ISBN 3-905676-29-X
Christian Staffa (Hrsg.): Vom protestantischen Antijudaismus und seinen Lügen. Versuche einer Standort- und Gehwegbestimmung des christlich-jüdischen Gesprächs. Tagungstexte Evangelische Akademie Sachsen-Anhalt, Wittenberg 1997, ISBN 3-9805749-0-3
Clemens Vollnhals: Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945-1949. R.Oldenbourg Verlag, München 1989, ISBN 3-486-54941-3
Rainer Lächele: Germanisierung des Christentums – Heroisierung Christi, in: Stefanie von Schnurbein, Justus H. Ulbricht (Hrsg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe „arteigener“ Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Königshausen und Neumann GmbH, Würzburg 2001, ISBN 3-8260-2160-6
Internetquellen
http://www.ev-theol.uni-bonn.de/fakultaet/ST/lehrstuhl-pangritz/pangritz/copy5_of_texte-zum-download/pangritz_luther.pdf
http://www.faz.net/aktuell/politik/fremde-federn-margot-kaessmann-die-dunkle-seite-der-reformation-12131764.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchenkampf#Haltung_der_NSDAP_zu_den_Kirchen
http://pfarrerverband.medio.de/pfarrerblatt/index.php?a=show&id=3030
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/evangelische-kirche-ueber-adolf-eichmann-grundanstaendige-gesinnung-a-781429.html
http://www.compass-infodienst.de/Susannah_Heschel__Theologie_und_Rassentheorie_-_Wie_Jesus_im_deutschen_Protestan.4845.0.html
http://www.zeit.de/2013/08/Holocaust-Bet-und-Lehrhaus-Berlin-Walter-Hoff