Wenn man Adolf Hitler (1889 – 1945) heutzutage verspotten will, heißt es gerne „der gescheiterte Landschaftsmaler aus Braunau am Inn“ anstatt seinen Namen zu verwenden. Überhaupt ist Hitlers ganzer Werdegang bis zum Eintritt in die Deutsche Arbeiterpartei (DAP) 1919 eine Geschichte des Scheiterns: Ein vom brutalen Vater Alois (1837 – 1903) täglich zusammengeschlagenes Muttersöhnchen, das sich aber für auserwählt hielt – schon als Kind. Laut Kunsthistorikerin Birgit Schwarz (*1956) war Hitler „vom Geniekult des 19. Jahrhunderts durchdrungen“ und sah sich zeitlebens als verkanntes Genie, als großer Künstler, dessen Brillanz nur von niemandem erkannt wurde.
Hitler war kein guter Schüler, blieb auf der Realschule in Linz mehrmals sitzen und schaffte am Ende nicht einmal den Abschluss. Er verachtete seine Lehrer mit Ausnahme seines deutschnationalgesinnten Geschichtslehrers Leopold Pötsch (1853 – 1942). Auch die Schriften des antisemitischen Alldeutschen Georg von Schönerer (1842 – 1921) hatten großen Einfluss auf den jungen Hitler. Sein Lieblingsautor, dessen Romane er mit Begeisterung las und noch als Diktator seinen Generälen zu lesen nahelegte, war Karl May (1842 – 1912). Ferner verehrte er die Musik Richard Wagners (1813 – 1883), der sich gesinnungstechnisch sicher gut mit seinem Fan verstanden hätte. Hitlers einziger wirklicher Freund, der ihn später nach Wien begleiten sollte, war August „Gustl“ Kubizek (1888 – 1956).
Als Hitler 13 war, starb sein Vater und er bezog fortan Halbwaisenrente, mit der er sich, als er nach Wien ging, um Künstler zu werden, über Wasser hielt. Bis dahin ließ Hitler sich daheim von Mutter Klara (1860 – 1907) und Schwester Angela (1883 – 1949) aushalten. Der Historiker Ian Kershaw (*1943) bezeichnet dies als „parasitäre Existenz“. Die von der Mutter bezahlten Klavierstunden setzte Hitler nicht fort, träumte aber dennoch vom Dasein als großer Künstler, aber auch Erretter seines Volkes. Bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste Wien fiel Hitler 1906 durch. Die Brustkrebserkrankung der Mutter holte Hitler schon nach wenigen Monaten zurück. Obgleich Klara Hitler ihrem Leiden erlag, schützte Hitler den jüdischen Arzt seiner Mutter, Eduard Bloch (1872 – 1945), später persönlich vor der Gestapo.
Ein weiteres Mal bewarb sich Hitler an der Wiener Kunstakademie – Note: ungenügend. Der Familie daheim gaukelte er vor, er studiere und lebe vom Erbe der Mutter. Die kleine Wohnung, die er sich mit Kubizek teilte, konnte er bald nicht mehr bezahlen und landete auf der Straße und lebte in einem Männerwohnheim. Ab 1910 verdiente Hitler Geld, indem er Motive von Wiener Ansichtskarten nachzeichnete oder als Aquarelle anfertigte. Bis Juli 1910 verkaufte sein Mitbewohner Reinhold Hanisch (1884 – 1937) diese für ihn, dann sein Mitbewohner Siegfried Löffner, über dessen Leben, außer dass er Jude war und Hanisch wegen Unterschlagung eines Gemäldes von Hitler anzeigte, nicht viel bekannt ist. Ein anderer Maler zeigte Hitler daraufhin wohl im Auftrag Hanischs an, weil jener zu Unrecht den Titel eines „akademischen Malers“ führte, was Hitler daraufhin untersagt wurde. Hitler, der von seinem damaligen Mitbewohner Karl Honisch später als „schmächtig, schlecht genährt, hohlwangig mit dunklen Haaren, die ihm ins Gesicht schlugen“ und „schäbig gekleidet“ beschrieben wurde, verkaufte seine Bilder dann über seinen Männerheimmitbewohner Josef Neumann sowie die Händler Jakob Altenberg (1875 – 1944) und Samuel Morgenstern (1875 – 1943), alle drei Juden. Der spätere Antisemit Hitler, der Juden als Parasiten bezeichnete, ließ sich also als gescheiterter Künstler von eben diesen aus- und am Leben halten.
Aber wie ist Hitler nun als Künstler zu bewerten? Die meisten seiner Bilder zeigen in der Tat Stadtansichten Wiens, wobei man bedenken sollte, dass er diese anfertigte, weil sie ihm zumindest etwas Geld einbrachten. Manche Gemälde sind Landschaftsbilder, hin und wieder sind auch Stillleben und religiöse Motive dabei. Wie viele Deutschnationale hing Hitler der deutschen Romantik nach, besaß aber einen leicht impressionistisch wirkenden Stil, also einen Malstil mit erkennbarem Duktus und ohne klare Linienführung, eher unsauber und verschwommen. Den Bildern haftet fast immer etwas Tristes an, mit eher grauem als blauem Himmel, wolkenverhangen. Dass Hitler – ebenfalls ohne jedwede Ausbildung – auch von einer Karriere als Architekt träumte, überrascht dennoch wenig, denn den Bildern haftet etwas fast schon Technisches an. Es sind weiger Kunstwerke als Handwerksarbeiten ohne wirkliche künstlerische Vision. Wenn man bedenkt, dass Hitler sich auch als Politiker seine gesamte Ideologie und sämtliche Symbole und Zeichen seiner Bewegung andernorts zusammengeklaubt hat, passt dies durchaus ins Bild eines Mannes, der das Genie anderer vergötterte, aber selbst nie das Können besaß, das er sich einredete. So ist es etwa sehr bezeichnend, dass ein vom Fälscher Konrad Kujau (1938 – 2000) angefertigter „Hitler“, ein Akt von Hitlers Nichte Geli Raubal (1908 – 1931), von höherer Qualität ist als das Original von Hitler selbst. Dass es Hitler noch mal um einiges unheimlicher und sonderlicher macht, dass er einen Akt seiner Nichte malte, sei dabei mal außen vor gelassen.
Hitler war auch Kunstsammler und die Auswahl der Bilder, die er später als Diktator sein Eigen nannte, spricht auch eine deutliche Sprache. So zeigen viele sein großes Vorbild, den preußischen König Friedrich II. (1712 – 1786). Darunter war auch das berühmte Porträt Friedrichs des Großen von Anton Graff (1736 – 1813), mit dem Hitler angeblich Zwiegespräche führte. Eva Braun (1912 – 1945) soll ihren Unmut darüber geäußert haben, dass Hitlers Verehrung für den „Alten Fritz“ soweit gegangen wäre, dass er wie dieser in bekleckerter Uniform herumgelaufen sei. Hier ging die Bewunderung also über das Bild hinaus auf dessen Sujet über – auch Friedrich der Große war eines dieser Genies von Einst, das seine wahre Würdigung erst mit der Zeit erfuhr. Die dritte Version von Arnold Böcklins (1827 – 1901) „Toteninsel“ hing zunächst im Berghof, für den Hitler die Bilder persönlich auswählte und sogar selbst aufhing, und später in der Neuen Reichskanzlei. Das verträumte, symbolistische Bild fällt abgesehen von seinem Entstehungszeitraum bildlich gesprochen aus dem Rahmen. Carl Spitzwegs (1808 – 1885) „Ständchen“ passt als Bild der Spätromantik und des Biedermeiers da schon eher zu Hitler, ebenso wie Anselm Feuerbachs (1829 – 1880) „Nanna“ von 1861, das schon fast klassizistische Züge trägt.
Alles in allem muss man sagen, dass Hitler sich viel Kunstverständnis und eigenes Können einredete, aber beides in nur sehr überschaubarem Maß besaß. Er war eben kein verkanntes Genie, sondern eigentlich eine ziemlich erbärmliche Gestalt, die später ein ganzes Land in seinem selbstzerstörerischen Größenwahn mit in den Abgrund riss.
Vor rd. 20 Jahren kontaktierte ein niederländische Kunsthändler unsere Redaktion mit dem Angebot von ihm echte Hitlerkunst zu kaufen – oder hilfsweise interessierte Käufer zu finden. Seltsamerweise ging man davon aus, dass wir als Erinnerungsportal ein natürliches Interesse daran hätten Werke des „Führers“ zu besitzen. Wir haben damals dankend abgelehnt, aus vielerlei Gründen. Aber bis heute tauchen Hitlers Malereien ab und an auf Kunstauktionen auf. Die Käufer bleiben stets anonym. Über ihre Motivation weiß man nichts.