„… man wird dich, da du in Waffen dastehst, hassen!“
60 Jahre sind seit dem Nürnberger Prozess vergangen, hier und da wird an den eigentlichen Ertrag des Prozesses erinnert – dass sich strafrechtlich zu verantworten hat, wer von Amts wegen die politische Verantwortung für Kriegsverbrechen trägt („commands responsibility“) oder wer die potentiellen verbrecherischen Folgen seiner Pläne nicht von vornherein bedenkt („joint criminal enterprise“).
Diese Nürnberger Rechtsgrundsätze sind auch das Rüstzeug des Haager Tribunals für Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien (ICTY) und seine weit über hundert laufende oder bereits abgeschlossene Verfahren. Sie sind die immer drohende Warnung, dass nicht mit Straflosigkeit zu rechnen hat, wer entscheidende Positionen in der Machtpyramide eines Staates einnimmt – kein Herrscher oder Führer soll mehr glauben dürfen, in seinem Machtbereich nach Belieben schalten und walten zu können, ohne dass er dafür irgendwann irgendwie zur Verantwortung gezogen würde.
Wirklich neu an diesen Grundsätzen ist nur ihre justizielle Implementierung, denn in Wahrheit sind sie so alt, dass sie bereits in Sprichwörtern erscheinen. „Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen“ – sagt der Volksmund, desgleichen „Wie der Herr, so’s Gescherr“. Und viele weitere, die alle das Empfinden artikulieren, dass Kriege zwar eine schlimme Sache sind, sie aber dennoch mit einem Rest von Rücksicht, Humanität und Schadensvermeidung geführt werden sollten.
In diesen emotionalen Rahmen ist auch eine kleine Broschüre zu stellen, die 1940/41 als 16. Heft der Reihe „Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht“ erschien, zudem den martialischen Hinweis auf dem Titelblatt hatte „Nur für den Gebrauch innerhalb der Wehrmacht“. Das klang, als handele es sich mehr oder minder um geheime Weisungen, dabei ließ der eigentliche Titel größere Harmlosigkeit erkennen: „Deutsche Haltung vor Fremden – Ein Kameradenwort an unsere Soldaten“. Wer indessen das Titelblatt genauer anschaut, dem fällt eine grundlegende Inkongruenz auf: 1940/41, dem Erscheinungsjahr der Broschüre, war Krieg, deutsche Soldaten kämpften an zahlreichen Fronten, begegneten tagtäglich „Fremden“, sollten denen gegenüber aber „Haltung“ bewahren. Mit weitreichender Sicherheit darf man vermuten, dass die Schrift vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“, dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, erschien. Denn dieser „Feldzug“ wurde ab dem ersten Moment so geführt, dass jegliche Mahnung zu „Haltung“ oder ähnliches wie eine Sabotage der Kriegsführung erscheinen musste.
Der Verfasser war ein prominenter, populärer Literat (und einem anderen hätte man so etwas vermutlich kaum erlaubt): Bruno Brehm, mit bürgerlichem Namen Bruno Clemens, ein beliebter, auch heute noch gelesener Autor historischer Romane, die geschichtsnotorische Fakten in spannend fabulierte Handlungen verwoben. Vor allem seine Trilogie über das Ende des Habsburger Imperiums – Apis und Este (1931), Das war das Ende (1932), Weder Kaiser noch König (1933) – war ein ausgesprochener Bestseller, weswegen sie 1951 unter dem Sammeltitel „Die Throne stürzen“ neu aufgelegt wurde. Bereits 1939 war sie mit dem „Nationalpreis für Buch und Film“ gewürdigt worden, der von Propagandaminister J. Goebbels am 1. Mai 1933 als „Stefan-George-Preis“ gestifteten Auszeichnung: 12.000, ab 1938 200.000 Reichsmark „für den Verfasser des besten Buch- oder Filmwerkes aus der gesamten im vorhergehenden Jahr erschienenen deutschen Produktion“.[1]
Brehm wurde am 23. Juli 1892 in Ljubljana geboren, heute die Hauptstadt Sloweniens, damals die habsburgische Provinzstadt Laibach. Sein Vater war Offizier, und seine Kindheit und Jugend verbrachte Brehm vorwiegend in tschechischen Garnisonsstädten (Prag, Pilsen, Eger etc.). Nach dem Abitur begann er ein Germanistikstudium in Wien, das er aber abbrach, um sich bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Freiwilliger zu melden. Im September 1914 geriet er in russische Gefangenschaft, wurde 1916 gegen russische Gefangene ausgetauscht und kurz darauf an der italienischen Front schwer verwundet. Als Hauptmann kam er aus dem Krieg zurück, studierte in Wien, Göteborg und Stockholm Kunst- und Frühgeschichte und promovierte mit einer Dissertation zum „Ursprung der germanischen Tierornamentik“.
In seiner Broschüre bemerkt Brehm, er habe noch 1934 auf dem Meldezettel eines deutschen Hotels eintragen müssen „Staatsbürgerschaft: tschechoslowakisch“, woran er ein paar larmoyante Ausführungen knüpft, „um wie viel lieber ich und alle die Millionen, die noch außerhalb der Grenzen waren, hier in den Meldezettel voll Stolz eintrügen: deutsch“. Konkret kann das nur bedeuten, dass er seinen Eltern in die sudetendeutsche Heimat gefolgt war, nach 1918 deren neue tschechoslowakische Staatsangehörigkeit bekommen und diese fortan behalten hatte. Wie lange er das beibehielt, ob er es je ablegte oder nach der Einverleibung des Sudetenlandes ins Deutsche Reich (Münchner Abkommen vom September 1938) per Federstrich verlor – darüber schweigen seine Biographen.
Bruno Brehm war nach 1922 in Wien als Verlagsbuchhändler tätig, kurzfristig auch als Assistent an der Wiener Universität und ab 1928 als freier Schriftsteller. Seine teils heiteren, teil historiographischen Erzählungen und Romane fanden rasch Anklang. Nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde Brehm Ratsherr der Stadt Wien, gründete 1938 seine eigene Monatszeitschrift „Der getreue Eckart“ und wurde 1941 Leiter der Wiener Kulturvereinigung.
Alle diese Momente verweisen auf eine ausgeprägte Regimenähe Brehms, und in der Tat gibt es nicht wenige Aussagen, die ihn als „überzeugten Nationalsozialisten“ charakterisieren. War er das? In Joseph Wulfs akribischer Dokumentation über Literatur und Kunst unter dem NS-Regime wird Brehm überhaupt nicht erwähnt – nicht als Autor oder in sonst einem Zusammenhang. Das muss noch nichts bedeuten, da Brehm bis 1938 in Wien lebte, also Ausländer war. Signifikanter dürfte sein, dass er 1939, wie erwähnt, den Nationalpreis bekam – für seine Trilogie, die Jahre zuvor verfaßt worden war, also eine statutenwidrige Auszeichnung, da der Preis nur für Werke des gerade vergangen Jahres vergeben werden sollte. Bis zum Beweis des Gegenteils sollten wir annehmen, dass das NS-Regime einem literarischen Prominenten sozusagen „Honig ums Maul schmierte“, um ihn für sich zu gewinnen, und später damit zufrieden war, dass Brehm nur noch wenig und nichts „Anstößiges“ schrieb.
Im Zweiten Weltkrieg war Brehm wieder Soldat, vermutlich erneut als Freiwilliger und eingesetzt in Funktionen („Ordonnanzoffizier“) und an Schauplätzen (Balkan, Nordafrika), wo ihm nicht viel passieren konnte. Nach Kriegsende wurde er 1945 verhaftet, kurz darauf wieder freigelassen. Er ging nach Österreich zurück und ließ sich in der Steiermark nieder. Schriftstellerisch versuchte er, an alte Erfolge und Erfolgsrezepte anzuknüpfen, nämlich auch den Zweiten Weltkrieg in der Trilogie „Das zwölfjährige Reich“ aufzuarbeiten. Daraus wurde nicht viel, denn zu einer überzeugenden Auseinandersetzung mit Hitler und seinem Regime fehlten Brehm Können, Wollen und politische Einsicht. Dennoch blieb er hochgeehrt: 1958 Kulturpreis der Stadt Amberg, 1961 steiermärkischer Peter-Rosegger-Preis, 1963 Sudetendeutscher Kulturpreis.
Brehm verbrachte seine letzten Jahre im steiermärkischen Altaussee, Sitz eines Salzbergwerks, in welchem im Krieg zahlreiche Kulturschätze eingelagert waren, die die Nationalsozialisten in ganz Europa geraubt hatten. Am 5. Juni 1974 verstarb Bruno Brehm hier, und wenn die Stadt Altaussee prominente Mitbürger aufzählt, dann erscheint der Schauspieler Klaus Maria Brandauer auf dem ersten Platz, während Brehm nicht mehr erwähnt wird.
Natürlich sind alle seine Bücher antiquarisch noch erhältlich und aus verstaubten Winkeln tauchen auch kleine Schriften von ihm auf, wie z.B. die „Deutsche Haltung vor Fremden“. Wer diese 31 Seiten liest – in Fraktur gedruckt, welche Schrifttype den NS-Kulturwächtern höchst suspekt war -, der lernt den Autor sehr gut kennen. Brehm war und blieb ein Auslandsdeutscher, erfüllt von etwas Nostalgie nach dem multiethnischen Habsburger Imperium, stolz auf dessen deutsche Dominanz, kundig deutscher Kulturleistungen in Osteuropa und voller Hoffnung auf ein kommendes Reich, in dem so gut wie alle Deutschen vereint sein würden.
Brehm war ein deutscher „Kulturträger“, allerdings keiner von der überheblichen Art, die diesen Begriff in Osteuropa geradezu zum Schimpfwort werden ließ. Brehm kannte und fürchtete deutschen Umgang mit Fremden und wollte die deutschen Soldaten davor bewahren, noch mehr Schaden anzurichten, als ihr militärisches Handwerk ohnehin verursachen würde.
Dass Brehm keine hohe Meinung von Deutschen im Ausland hatte – „wir waren keine beliebten Reisenden“ -, lässt sich aus allen seinen Ratschlägen herauslesen: Anderswo ist alles anders, weil die Menschen ihre Umgebung unter anderen Bedingungen formen, du Deutscher kannst sehr rasch Fehler machen, weil die soziale Kontrolle deiner deutschen Mitbürger fehlt. Ergo: „Die Fremde ist nicht der Ort, wo du dich, weil man dich dort nicht kennt, gehen lassen kannst, im Gegenteil, nirgends musst du dich so zusammennehmen wie in einem fremden Land“. Weil jeder Fehltritt eines deutschen Individuums dem Kollektiv aller Deutscher angerechnet wird: „Die Deutschen“ sind so übel wie der eine Deutsche, den wir in unserer Mittel erlebt haben!
Man wird die Deutschen zumeist nicht lieben (sagt Brehm), auch nicht überall ihre Tugenden, „Pünktlichkeit und deutsche Genauigkeit“, aber „Achtung kannst du dir immer noch erwerben“. Versuche auch gar nicht, dich zu verstellen – „man sieht es dir an der Nasenspitze an, welchem Volk du entstammst – du wirst erkannt, auch wenn du dich verkleidest“.
Soweit sind Brehms Ratschläge sozusagen an Touristen gerichtet, die im Ausland „die Sau ‚rauslassen“. Aber man schreibt das Kriegsjahr 1941, und da gilt anderes:
„Nun aber wollen wir nicht mehr von Reisen, sondern von Märschen, nicht mehr von Besuchen, sondern von Besetzungen, nicht mehr vom Frieden, sondern vom K r i e g e sprechen, der (…) das ganze Volk in Bewegung setzt und über die Grenzen treten lässt, um das eigene Land nicht zum Schauplatz des Kriegs werden zu lassen. Nun trittst du nicht mehr als einzelner vor das andere Volk hin (…), nun marschierst du in Reih und Glied mit deinen Kameraden, nun sieht man dir nicht nur an der Nasenspitze an, zu welchem Volk du gehörst, denn nun trägst du das Ehrenkleid deines Reiches und bist in dem fremden Land sogleich als Glied jenes großen Ganzen kenntlich, in das du eingereiht bist“.
Als Brehm das schrieb, gab es in Deutschland seit acht Jahren Konzentrationslager, seit sechs Jahren Diskriminierung und Verfolgung von Juden, waren seit drei Jahren Österreich und die Tschechoslowakei von der Landkarte verschwunden, seit zwei Jahren auch Polen, waren Holland, Belgien und Frankreich deutsche Besatzungsgebiete etc.. Glaubte Brehm wirklich, in irgendeiner Region Europas könne es noch so etwas wie positive Empfindungen gegenüber deutschen Soldaten geben?
Er glaubte es nicht, doch damit war es für ihn noch nicht getan. Zunächst machte er sich keine Illusionen über die Empfindungen der Besetzten, aber er dachte weiter:
„Kommst du aber als Sieger in ein fremdes Land, so wird man dich (…), da du in Waffen dastehst, hassen, man wird dich meiden, wird dir ausweichen (…) Tausend Blicke werden dich belauern, tausend Augen werden dich überallhin verfolgen, tausend Blicke werden dein Gesicht abtasten (…) Was du dir vor diesen prüfenden Augen vergibst, vergibst du deinem ganzen Volk, was du dir vor diesen Augen erwirbst, erwirbst du deinem ganzen Volke. Tröste dich nicht damit, dass die Furcht vor der Stärke deines Landes das andere Volk schon niederhalten wird, auch wenn du dich nicht zusammennimmst. Auf Furcht allein lässt sich keine Herrschaft aufbauen; ein Sieger, den man verachten kann, bleibt nicht lange im Besitz seines Sieges“.
Prophetische Worte – die Brehm rasch mit einer Flut von Geschichten übertönt, wie beherzte Kommandanten Exempel statuierten, um die „Manneszucht“ ihrer Soldaten und deren Image bei der fremden Bevölkerung zu verbessern. „Achtung erzwingen“ nennt er das, gar „Taten“ gegen althergebrachte „Vorurteile“. Der Krieg, so Brehms mehr oder minder explizit ausgesprochene Forderung, soll auch unter möglichst schmerzarmen Umständen zwei Wirkungen auslösen – den Fremden demonstrieren, dass auch Deutsche in Waffen und Uniformen korrekte und prinzipienfeste Deutsche bleiben, und die deutschen Soldaten überzeugen, nicht durch Gewalttaten und Übergriffe die geschichtsnotorische charakterliche und kulturelle Überlegenheit des deutschen Menschen über den Rest Europas zu verdunkeln.
Das alles klingt, als sei Brehm ein Verfechter des Hitler’schen „Herrenmenschentum“ gewesen, aber genau das war er nicht! Die Deutschen mögen zwar tüchtiger als die Briten, solider als die Franzosen, ehrlicher als die Norweger etc. sein, aber das alles hat sie „in den Augen dieser Völker ein wenig lächerlich gemacht“. Wenn die Deutschen nun fast ganz Europa beherrschen, dann schließt diese Dominanz eine große Aufgabe ein:
„Ich rate nun nicht dazu, plötzlich umzustecken und gerade das Gegenteil hervorzukehren. Das haben wir wahrhaftig nicht nötig. Was wir aber nötig haben, ist ein ruhiges und sachliches Abschätzen der Werte dieser Völker und unseres eigenen Volkes“.
Deutsche weisen Werte auf, aber die sind oftmals schwer zu erkennen, denn der Deutsche hat „keinen Weg zu einer ihm entsprechenden bürgerlichen Form gefunden“ – es ist noch der „provinzielle“ Typ „ohne Geschmack und ohne Stil“, zeigt eine „oft durch Barschheit verdeckte Unsicherheit“. Aber jetzt ist er Soldat, was ihn hoffentlich von Provinzialität und Kleinstaaterei befreien wird, zumal es dafür bereits einige Ansätze gibt, die gerade im Krieg vertieft werden sollen:
„Die Erziehung, die unser Volk durch den Nationalsozialismus erhalten hat, hat uns ein wenig aufgelockert und entkrampft. Auch das ist den anderen Völkern nicht entgangen. Nun dürfen wir aber nicht wieder auf unseren alten Fehler zurückfallen und uns wieder in spießbürgerlicher Behaglichkeit gehen lassen. (…) Wir haben den anderen Völkern vorzuleben, wie wir sind. Das wird besser wirken als hundert belehrende Reden. Mögen wir jenes maßvolle und doch so sichere Auftreten, das im soldatischen Wesen begriffen liegt, für immer behalten, dann werden uns die großen Aufgaben, die uns bevorstehen, leichter fallen“.
Das war nun wirklich starker Tobak! Hitlers Regime hat die Deutschen „ein wenig aufgelockert und entkrampft“, den Rest wird der Krieg schaffen, sofern er sicher und maßvoll geführt wird. Auf den ersten Blick sind solche Aussagen geeignet, Brehm als naiven Träumer zu entlarven – beim näheren Hinsehen spürt man, dass er in geradezu „schwejkischer“ Naivität gegen die totale Militarisierung der Gesellschaft, die das Regime betrieb, anschrieb.
Diese stilistische Eigenart Brehms wird noch deutlicher, wenn er in seiner Broschüre die Himmelsrichtung wechselt, denn „anders liegen die Fragen im Osten des Reiches“. Natürlich mussten sie anders liegen, denn offiziell war der Osten ja von „slavischen Untermenschen“ besiedelt, also von „rassisch“ minderwertigen Menschen, auf die man im Krieg keine Rücksicht nehmen musste.[2] Dieser Auffassung konnte Brehm kein Argument entgegensetzen, also griff er zu Johann Gottfried Herders „Ideen zur Geschichte der Menschheit“, aus der er in demonstrativer Länge das berühmte Slavenkapitel zitierte. Herder hatte die Slaven als friedfertige und gutherzige Menschen geschildert, die allein durch ihre geografische, geopolitische Lage zwischen aggressiven Germanen und hinterhältigen Asiaten gehindert würden, ihre guten Fähigkeiten auszuleben, dies in absehbarer Zukunft aber erreichen könnten.
„Welch eine Selbsttäuschung, welch ein gefährlicher Irrtum Herders“, seufzt Brehm scheinheilig, um dann Herder erneut zu zitieren und eigene Erkenntnisse beizusteuern, die slavischen Gemeinschaftssinn, Anspruchslosigkeit, Leidensfähigkeit und Bereitschaft, von Deutschen zu lernen und mit ihnen zu kooperieren, illustrieren.
Gerade diesen Aspekt, die slavisch-deutsche Zusammenarbeit auf vielen Gebieten und in langen Jahrhunderten, führt Brehm auf abgezählten acht Seiten detailliert aus. Als unter Slaven aufgewachsenem Deutschen und in osteuropäischer Historie bewandertem Autor fiel ihm das nicht schwer. Und seine Absicht war unverkennbar, die deutschen Soldaten zu „pfleglichem“ Umgang gerade mit Osteuropa zu mahnen, wo praktisch alles Bestehende das gemeinsame Werk von Slaven und Deutschen ist.
Brehm war kein Widerständler, aber er war auch kein „glühender“ Nationalsozialist. Herkunft und Lebenserfahrung ließen ihn in natürlichen Gegensatz zu nationalsozialistischen Doktrinen geraten – eigenes Kriegserleben aus dem Ersten Weltkrieg verbot ihm jegliche Kriegsbegeisterung oder Glauben an die Rechtfertigungen des Regimes. Das waffenstarrende Deutschland gefiel ihm nicht, wie manche kleine Bemerkung an seine „Kameraden“ verrät: „Eure Waffen, eure Rüstung, eure Panzerwagen, Flugzeuge, Schiffe und alles, was ihr habt, hat sich das ganze Volk in schweren Jahren vom Munde abgespart“. Dem Krieg konnte er nur dann etwas abgewinnen, wenn er ohne unnötige Härte und Grausamkeit geführt würde – eben im Geiste der Tugenden, die das Regime so vollmundig und verlogen für das „deutsche Wesen“ beanspruchte. Seine nachdenklichen Mahnungen hat Brehm niedergeschrieben, nicht in einer Denkschrift an die Reichskanzlei, wohl aber in einer Broschüre für die Wehrmacht. Der traute er wohl noch am ehesten zu, Männermut vor Führerthronen zu beweisen.
Hat er wirklich daran geglaubt, etwas auf diese Weise bewirken zu können? Als er seine Broschüre schrieb, war vielleicht noch ein Funken Hoffnung möglich – ein paar Monate nach ihrem Erscheinen verlief der Krieg exakt so, wie Brehm ihn verhindern wollte.
Autor: Wolf Oschlies
Literatur
Schaller, Helmut: Der Nationalsozialismus und die slawische Welt, Regensburg 2002.
Wulf, Joseph: Literatur und Dichtung im Dritten Reich – Eine Dokumentation, rororo 809-810-811, Gütersloh 1963.
Anmerkungen
[1] Detailliert zu Literatur- und Kunstpreisen Joseph Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich – Eine Dokumentation, rororo 809-810-811, Gütersloh 1963, S. 292 ff.
[2] Detailliert dazu Helmut Schaller: Der Nationalsozialismus und die slawische Welt, Regensburg 2002.