„Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst einen neuen Tod
erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es
nur eins:
Sag NEIN!“
(aus „Dann gibt es nur eins!“ von Wolfgang Borchert, Oktober 1947)
Je nach Betrachtungsweise könnte man diese Textzeilen entweder als eine Erkenntnis aus dem Manhattan-Project sehen oder als eine Mahnung, die zu spät kam. Wobei es nicht so ist, dass durch die gesamte Kulturgeschichte hinweg nicht Mahnungen an die Wissenschaft ergingen, man möge doch die Folgen der eigenen Forschung bedenken. Ob nun „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“, „I, robot“ oder „Jurassic Park“: Die Botschaft ist stets dieselbe: Der wissenschaftliche Fortschritt könnte Monster erschaffen, die wir nicht mehr kontrollieren können. Das vielleicht eklatanteste Beispiel für so ein entfesseltes Monster ist die Kernspaltung und in ihrer Folge die Erfindung der Atombombe, einer Massenvernichtungswaffe so grauenerregend, dass sich kein noch so kühner Schriftsteller sie zuvor hätte erdenken können. Als „Vater der Atombombe“ gilt der theoretische Physiker J. Robert Oppenheimer (1904 – 1967). Der ist als Person ähnlich schwer zu greifen und einzuordnen, wie das Manhattan-Project selbst. In gewisser Weise schien er im Nachhinein selbst nicht so ganz zu wissen, was er von dem Produkt seiner Forschungen halten sollte, war er doch einerseits erschrocken über dessen Einsatz, äußerte aber hinsichtlich einer ihm im Theaterstück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ in den Mund gelegten Textpassage, er habe nie bereut am Manhattan-Project mitgewirkt zu haben. Wer also war Robert Oppenheimer: Wissenschaftspionier oder verantwortungsloser Forscher? Der Mann, der den Zweiten Weltkrieg beendete, oder indirekter Massenmörder? Patriot oder Verräter? Held oder Schurke?
Geboren wurde Julius Robert Oppenheimer am 22. April 1904 als Kind deutsch-jüdischer Einwanderer – obgleich der Name „Julius“ in Oppenheimers Geburtsurkunde steht, soll das J. seiner eigenen Aussage nach keine Bedeutung gehabt haben. Sein Vater war der aus dem hessischen Hanau stammende Textilimporteur Julius Seligmann Oppenheimer, seine Mutter die Kunsterzieherin Ella Friedman. Das Ehepaar hatte einen weiteren Sohn, Frank Oppenheimer (1912 – 1985), ebenfalls Physiker. Die Ironie der Geschichte wollte es wohl so, dass ausgerechnet ein anderer Sprössling des deutsch-jüdischen Patriziergeschlechts der Oppenheimer, Joseph Süß Oppenheimer (1698 – 1738), die Vorlage für den infamsten aller Propaganda-Filme der Nazis lieferte: „Jud Süß“.
Robert Oppenheimer besuchte die Ethical Cultural School der New York Society for Ethical Culture und schloss sie 1921 mit Bestnoten in zehn Fächern ab. Ab der dritten Klasse hatte er zudem zusätzlich Unterricht durch einen privaten Chemielehrer erhalten. Oppenheimer beschrieb seine Kindheit als „behütet“ und sagte, sie habe ihn „in keiner Weise darauf vorbereitet, dass es grausame, bittere Dinge auf dieser Welt“ gäbe. Sein 1922 begonnenes Studium als Master of Science schloss er 1925 mit summa cum laude ab. Ursprünglich war sein Hauptfach Chemie gewesen, Nebenfächer Griechisch, Architektur, Literaturwissenschaften und Kunst, doch im dritten Studienjahr konzentrierte er sich primär auf Physik, was wohl seinem Professor Percy Bridgman (1882 – 1961) zu verdanken war.
Unter der Leitung von Ernest Rutherford, 1. Baron Rutherford of Nelson (1871 – 1937) führte Oppenheimer am Cavendish Laboratory der Cambridge University weitere Studien durch, hatte allerdings wenig Interesse an den ihm hier zugewiesenen Experimenten. Erst nach der erfolgreichen Therapie einer psychischen Erkrankung, wandte sich Oppenheimer der theoretischen Physik zu, in der er wahrhaft aufblühte.
Durch seine 1926 publizierten Arbeiten über die quantenmechanische Behandlung komplexer Fragen der Atomstruktur wurde Max Born (1882 – 1970) auf Oppenheimer aufmerksam und holte ihn als Doktorand an die Universität von Göttingen. Die war zur damaligen Zeit weltweit führend als Zentrum der Atomphysik. Die Grundlagen der modernen Atomphysik hatte zwar Rutherford gelegt, doch in Göttingen kamen nun die großen Pioniere dieses Wissenschaftszweiges zusammen. Oppenheimer machte Bekanntschaft mit Werner Heisenberg (1901 – 1976), Pascual Jordan (1902 – 1980), Niels Bohr (1885 – 1962), Wolfgang Pauli (1900 – 1958), Enrico Fermi (1901 – 1954), Paul Dirac (1902 – 1984), Edward Teller (1908 – 2003), Fritz Houtermans (1903 – 1966) und dessen späterer Frau Charlotte Riefenstahl (1899 – 1993). Die Entdeckung der Kernspaltung, die das eigentliche Atomzeitalter einläuten sollte, sollte Otto Hahn (1879 – 1968) und seinem Assistenten Fritz Straßmann (1902 – 1980) erst am 17. Dezember 1938 im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin gelingen. Oppenheimer wusste also aus erster Hand, dass die Wissenschaftler des Deutschen Reichs führend auf dem Gebiet der Atomforschung waren. Deren Erkenntnisse sollten aber ab 1933 unweigerlich den Nazis zugutekommen. Die Kernspaltung durch Hahn sollte es sein, die Albert Einstein (1879 – 1955) dazu brachte, einen später schwer bereuten Brief an US-Präsident Franklin D. Roosevelt (1882 – 1945) zu schreiben, in dem er seine Angst, Adolf Hitler (1889 – 1945) könne das Potential, das der Kernspaltung innewohne, nutzen, um damit eine Waffe mit nie dagewesener Zerstörungskraft konstruieren zu lassen, zum Ausdruck brachte. In der Tat sollten die Nazis etwas halbherzig ein entsprechendes Programm unter der Leitung von Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker (1912 – 2007) laufen lassen. Und die Raketen, die Wernher von Braun (1912 – 1977) für Hitler konstruierte, hätten entsprechende Waffen transportieren können. Jener Brief Einsteins sollte der Auslöser für das Manhattan-Project, das Oppenheimer später leiten sollte, werden. Aus seiner Zeit in Göttingen wusste Oppenheimer, der zum Shootingstar der Quantenmechanik avancierte und allein zwischen 1926 und 1929 sechzehn bedeutende Beiträge zur Quantenphysik publizierte, also wie realistisch es war, dass den Nazis der Bau der Atombombe gelang. Doch anders als die sollten die USA ihr Kernwaffenprogramm zur Priorität erklären. Daneben waren auch Sowjets und Japaner nicht untätig: Igor Wassiljewitsch Kurtschatow (И́горь Васи́льевич Курча́тов, 1903 – 1960) sollte parallel zum Manhattan-Project und dem Uranprojekt der Nazis später das sowjetische Atomwaffenprogramm leiten und Yoshio Nishina (仁科 芳雄, 1890 – 1951) das japanische.
Aber wie hat man sich eine Kernspaltung vorzustellen und warum ist sie so verheerend? Jedes chemische Element wird durch die Anzahl der Protonen (positiv geladene Teilchen, in Abgrenzung zu Elektronen, den negativ geladenen Teilchen in der Hülle) in seinem Kern definiert. Elemente mit hoher Protonenanzahl, aber auch bestimmte Isotope (Atome mit mehr Neutronen, ungeladenen Teilchen, im Kern als üblich bzw. als Puffer zwischen den Protonen nötig) sind instabil und können daher zerfallen, wodurch sie zu ganz anderen Elementen werden. Bei der für die Energiegewinnung bzw. -freisetzung entscheidenden neutroneninduzierten Kernspaltung trifft ein Neutron den Kern eines schweren und daher instabilen Elements und setzt dabei große Mengen an Energie frei und zersetzt das Element in zwei andere, wobei weitere Neutronen hinausgeschleudert werden, die auf weitere Atomkerne treffen. Obwohl man von einer Kettenreaktion spricht, ist es weniger vergleichbar mit umfallenden Dominosteinen als mit einem Feld voller Mausefallen, auf denen je zwei Tischtennisbälle liegen: Wirft man einen Ball hinein, trifft der eine Mausefalle, löst sie aus und schleudert zwei neue Bälle hinaus, die nun auf zwei Fallen treffen, womit schon vier Bälle fliegen und immer so weiter. Gleichzeitig setzt die Zerlegung wegen des sogenannten Massendefekts, der Differenz zwischen der Masse des Ausgangsmaterials und der Spaltprodukte, Energie frei. Laut Einsteins Relativitätstheorie kann Masse in Energie umgewandelt werden, was im Übrigen der wesentliche Kern von Einsteins wissenschaftlichem Beitrag zum Bau der Atombombe war. Bei einer ausreichenden Menge eines instabilen Elements (kritische Masse) kann die entstehende Energie eine Sprengwirkung entfalten.
Oppenheimer promovierte bei Max Born 1927 über theoretische Untersuchungen von Spektren „mit Auszeichnung“, und trat danach eine Stelle als Assistenzprofessor in Berkeley, Kalifornien, an. Er besuchte Europa 1928 noch einmal im Rahmen eines Forschungsstipendiums. 1933 kamen die Nazis im Deutschen Reich an die Macht. Das wurde zunächst von US-amerikanischer Seite noch mit einem gewissen Wohlwollen gesehen, da man sie als Bollwerk gegen den Sowjetsozialismus ansah. Doch auch westlich der Sowjetunion gab es Bestrebungen zum Kommunismus hin, der gerade unter den Eindrücken des Spanischen Bürgerkriegs (Juli 1936 – April 1939) auch in den intellektuellen Kreisen der US-Bevölkerung Befürworter hatte. Oppenheimer, der von seinem 1937 verstorbenen Vater ein beträchtliches Vermögen geerbt hatte, bildete zu jener Zeit eine aktive Schule theoretischer Physiker in Kalifornien. Auch unter Oppenheimers Freunden hier fanden sich zahlreiche Unterstützer der kommunistischen Idee, was Oppenheimer später, in der McCarthy-Ära zu Last gelegt werden sollte.
1939 – der Spanische Bürgerkrieg endete, doch der Zweite Weltkrieg begann – publizierte Oppenheimer auch zu Themen der Astrophysik wie Neutronensternen und dem, was Jahrzehnte später als „Schwarze Löcher“ bekannt werden sollte. 1940 wählte man Oppenheimer in die American Academy of Arts and Sciences und ein Jahr später wurde er Mitglied der National Academy of Sciences. Am 2. November 1940 heiratete Oppenheimer Katherine „Kitty“ Harrison (geborene Puening; 1910 – 1972), die aus Deutschland stammende Ex-Frau (die Scheidung wurde am 1. November 1940 vollzogen) seines Freundes Stewart Harrison. Die Ehe von Kitty und Stewart Harrison wurde einvernehmlich und in Absprache mit Oppenheimer, der schon länger ein offenes Verhältnis mit Kitty geführt hatte, geschieden, als sie von Oppenheimer schwanger war. Trauzeugen von Oppenheimers und Harrisons Eheschließung waren ein Gerichtsmitarbeiter und der Hausmeister des Gerichtsgebäudes. Doch auch die Ehe mit Kitty sollte Robert Oppenheimer später Probleme bereiten und das nicht etwa, weil ihre Mutter eine Cousine des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel (1882 – 1946), dem Oberkommandierenden der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg war, sondern weil Kitty Mitglied der Kommunistischen Partei war und eine längere Beziehung zu dem kommunistischen Aktivisten Joseph Dallet, Jr. (1907 – 1937) geführt hatte.
Auf Anregung des Physik-Nobelpreisträgers Arthur Holly Compton (1892 – 1962) begann Oppenheimer zusammen mit Robert Serber (1909 – 1997) von der University of Illinois im Frühjahr 1942 mit Forschungsarbeiten an der Problematik der Neutronendiffusion und Hydrodynamik, also dem Verhalten der Neutronen bei der durch die Kernspaltung hervorgerufenen Kettenreaktion und der dadurch hervorgerufenen Explosion. Im Juni veranstaltete Oppenheimer dann an der University of California in Berkeley etwas, was als „Forschungssommer“ betitelt wurde, aber letztendlich eine Zusammenkunft führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Kernphysik wie Hans Bethe (1906 – 2005), John Hasbrouck Van Vleck (1899 – 1980), Edward Teller, Felix Bloch (1905 – 1983), Richard C. Tolman (1881 – 1948) und Emil Konopinski (1911 – 1990) war, die zusammen mit Oppenheimer zu dem Ergebnis kamen, dass es möglich wäre, eine Bombe auf Grundlage der Kernspaltung zu konstruieren. Die Vermutung war dabei, dass Voraussetzung für eine selbsterhaltende Kettenreaktion eine kritische Masse wäre, weil nur dann die bei der Spaltung ausgesandten Neutronen auf genügend weitere 235U-Atome zum Spalten treffen könnten. Die eigentliche Schwierigkeit lag vielmehr im gezielten Auslösen der gewünschten Kettenreaktion, wofür es zwei Möglichkeiten gab: Man ließ zwei alleine genommen unkritische Teile aus hochangereichertem Uran aufeinanderprallen, man schoss sie sozusagen aufeinander, weshalb hier vom „gun type“ gesprochen wurde, oder man löste mittels Sprengstofflinsen aus konventionellem Sprengstoff die Kompression einer unterkritischen Kernbrennstoffmasse aus, was technisch schwieriger war und als „implosion type“ bezeichnet wurde.
Edward Teller war der Ansicht, es gäbe eine dritte Option: Eine Ummantelung der Spaltbombe mit den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium könnte eine weitaus stärkere Explosionswirkung erzielen. Bei Deuterium befindet sich zusätzlich zum Proton, aus dem ein Wasserstoffatomkern normalerweise besteht, ein Neutron im Kern des Wasserstoffatoms, man spricht auch von „schwerem Wasserstoff“, als Symbol wird entweder 2H („normaler“ Wasserstoff, auch Protium genannt, entsprechend 1H) oder D verwendet. Der radioaktive Betastrahler Tritium hat sogar zwei Neutronen im Kern, weshalb er auch so instabil ist. Man spricht bei Tritium auch von „überschwerem Wasserstoff“ oder „superschwerem Wasserstoff“, als Symbole sind sowohl 3H als auch T geläufig. Teller fußte diese Annahme auf Studien Bethes zur Energieproduktion in Sternen aus den Vorkriegsjahren. So würden die Deuterium- und Tritiumkerne verschmolzen, wenn die Explosionswelle der Spaltbombe zur Expansion des Gemisches führe. Statt einer Kernspaltung würde man also eine Kernfusion herbeiführen, die noch einmal wesentlich mehr Energie freisetzen würde. Allerdings bestanden trotz eines theoretischen Gegenbeweises Bethes Befürchtungen, eine solche Bombe könne die Atmosphäre in Brand setzen. Umgesetzt wurde sie viele Jahre später dennoch. In Abgrenzung zu anderen Nuklearwaffen spricht man hier wegen der verwendeten Wasserstoffisotope von der Wasserstoffbombe.
Der „Forschungssommer“ sollte im Wesentlichen die Grundlage zum Manhattan-Project bilden, obgleich es bereits seit Kriegsbeginn Bemühungen zum Bau einer Kernwaffe in den USA gab, wurden diese erst 1942 zur Priorität. Zum einen wurden die USA erst im Dezember 1941 mit dem Angriff auf Pearl Harbor zum Kriegseintritt genötigt, zum anderen hatten erst die Berechnungen von Otto Frisch (1904 – 1979) und Rudolf Peierls (1907 – 1995) im Sommer 1941 den Beleg dafür geliefert, dass schon sehr kleine Mengen des spaltbaren Uranisotops 235U eine Sprengkraft von mehreren tausend Tonnen TNT entfesseln konnten. Auch Frisch und Peierls äußerten in einem geheimen Memorandum große Sorge darüber, was die Nazis mit derartigen Erkenntnissen anstellen könnten.
1943, also etwa ein Jahr nachdem Oppenheimer die wissenschaftliche Leitung des Manhattan-Projects, an dem 150.000 Mitarbeiter beteiligt waren, übernommen hatte, wurde als Site Y das Los Alamos National Laboratory gegründet. Andere Forschungszentren waren etwa die Anfang 1942 gegründete Site X, heute Oak Ridge National Laboratory in Tennessee und Site W, Hanford bei Richland, Washington. Die militärische Leitung des Manhattan-Projects hatte übrigens von Anfang an Lieutenant General Leslie Richard Groves (1896 – 1970) innegehabt. Um die Abläufe auf atomarer Ebene sowie die Sprengung und ihre Auswirkungen verlässlich berechnen und steuern zu können, mussten zunächst noch wichtige Erkenntnisse über die Spaltungsprozesse von Uran und Plutonium und die dadurch entstehenden Neutronen gewonnen werden. Auch musste die Hülle der Bombe aus einer Substanz bestehen, die die Neutronen reflektierte, um die entstehende Energie zu maximieren. So war trotz aller Anstrengungen von Wissenschaftlern und Militär und der Kooperation mit den Forschungsgruppen anderer Westalliierter erst Anfang 1945 klar, wie die Bombe aufgebaut sein sollte. Doch Anfang Mai kapitulierte das Deutsche Reich ohne je im Besitz einer Atombombe gewesen zu sein. Man war sogar so weit davon entfernt gewesen, dass die leitenden Wissenschaftler des Uranprojekts, die man im August 1945 im englischen Farm Hall festhielt, an einen bösen Scherz glaubten, als sie vom Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki erfuhren.
Der erste erfolgreiche Atomwaffentest erfolgte so erst um 5:29:45 Uhr am 16. Juli 1945 250 km südlich von Los Alamos auf den White Sands Proving Grounds: Trinity, zu Deutsch: Dreifaltigkeit. Die Trinity-Bombe verwendete nicht etwa Uran, sondern Plutonium als Brennmaterial. Die Sprengkraft der Trinity-Bombe war so groß wie die von 21 Kilotonnen TNT. Eigener Aussage nach kam Oppenheimer im Angesicht des Tests ein Zitat aus der zentralen hinduistischen Schrift „Bhagavad Gita“, der Oppenheimer anhing, in den Sinn. Allerdings findet sich das berüchtigte Zitat so nicht im Text. Oppenheimer, der des Sanskrits durchaus mächtig war, zog zwei Verse aus dem 11. Gesang, den 12. und den 32., zusammen und übersetzte sie doch recht eigenwillig, als er erstmals 1964 im Current Biography Yearbook zitiert wurde:
„If the radiance of a thousand suns
were to burst at once into the sky
that would be like
the splendor of the Mighty One and I am become Death, the shatterer of worlds.”
zu Deutsch:
„Wenn das Strahlen von tausend Sonnen
am Himmel plötzlich bräch‘ hervor
das wäre gleich
dem Glanze des Mächtigen, und ich bin der Tod geworden, Zertrümmerer der Welten.“
Noch freier war die „Übersetzung“ bei dem NBC-Interview von 1965, auf das die meisten Quellen Bezug nehmen, die Oppenheimer zitieren:
„Now, I am become Death, the destroyer of worlds.”
Zu deutsch:
„Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“
Der Originaltext ist eine Selbstbeschreibung Krishnas und gerade der zweite Passus wurde von Oppenheimer recht frei „zitiert“: „kālo ‘smi lokakṣayakṛt pravṛddho“ heißt eigentlich so viel wie „Zeit bin Ich, die Zerstörerin der Welten“ oder „Ich bin die Zeit, die alle Welt vernichtet“ übersetzt. So eigenwillig wie Oppenheimer die Textpassage wiedergab, könnte man also wie viele den Satz „Ich bin der Tod geworden, der Zerstörer der Welten“ wirklich auf Oppenheimer selbst zurückführen.
21 Tage nach dem Test von Trinity, am 6. August 1945 wurde die primär aus 235U bestehende Bombe „Little Boy“ über der damaligen Stadt Hiroshima abgeworfen – Folge einer Fehlkommunikation zwischen US-Präsident Harry S. Truman (1884 – 1972) und Generalstab. Doch auch wenn Truman für Little Boy nie den direkten Befehl gab, so gab er im Anschluss an den „erfolgreichen Einsatz“ den Befehl, drei Tage später „Fat Man“, eine Plutoniumbombe (239Pu), auf Nagasaki zu werfen. Je nach Schätzung kamen in Hiroshima zwischen 90.000 und 180.000 Menschen und in Nagasaki zwischen 50.000 und 100.000 Menschen ums Leben, wobei viele auch erst an den Folgen von Verbrennungen und Verstrahlungen starben und nicht bei der Explosion selbst getötet wurden.
Während die Atombombenabwürfe, die den Zweiten Weltkrieg mit der daraus resultierenden Kapitulation des Kaiserreichs Japan auch im Pazifik beendeten, heute durchaus kritisch gesehen werden, war dies damals nicht der Fall und Oppenheimer, seit 1945 auch Mitglied der American Philosophical Society, wurde 1946 mit der Medal for Merit, der damals höchsten zivilen Auszeichnung der Vereinigten Staaten geehrt. 1948 wurde Oppenheimer dann Präsident der American Physical Society. Zu jener Zeit kamen ihm wohl zunehmend Gewissensbisse und er war in einem inneren Konflikt mit seiner Rolle beim Bau der Atombombe. Schon 1947 hatte er den Vorsitz eines Beratungskomitees der amerikanischen Atomenergiebehörde (Atomic Energy Commission, AEC) übernommen, wo er vom Bau der nun in Aussicht stehenden Wasserstoffbombe abriet. Dadurch geriet Oppenheimer nicht nur in Konflikt mit seinem Kollegen Edward Teller, der so wie Oppenheimer als „Vater der Atombombe“ bekannt wurde wiederum als „Vater der Wasserstoffbombe“ in die Geschichte eingehen sollte, sondern auch mit dem republikanischen Politiker Lewis Strauss (1896 – 1974), dem Vorsitzenden der AEC. Der ging am Ende soweit, dass er Oppenheimer in der McCarthy-Ära als Sowjetspion diffamierte. Die McCarthy-Ära ist benannt nach dem republikanischen Senator von Wisconsin, Joseph McCarthy (1908 – 1957), der im Rahmen des „Zweiten Roten Schreckens“ eine Hexenjagd auf vermeintliche Kommunisten in den USA durchführte, die im Nachhinein oft als Amerikas Liebäugeln mit dem Faschismus bewertet wurde. Dabei spielte das FBI Strauss entsprechendes Material zu, hatte das Federal Bureau of Investigation den Physiker doch teilweise rund um die Uhr überwacht und sein ganzes Privatleben gründlich durchleuchtet. Tatsächlich stand damals auch die Frage im Raum, wie es den Sowjets gelungen war, selbst eine funktionierende Atombombe zu bauen, welche sie um 7 Uhr Ortszeit am 29. August 1949 auf dem Testgelände Semipalatinsk im heutigen Kasachstan zündeten. Es gab nie belegte Gerüchte, Oppenheimer selbst, habe den Sowjets, um für ein Gleichgewicht der Kräfte zu sorgen, wichtige Informationen zugespielt. All dies mündete 1954 in einer Ladung zu einer Sicherheitsanhörung, bei der man Oppenheimer des „Umgangs mit bekannten Kommunisten“ beschuldigte: sein Bruder Frank, seine mittlerweile schwer alkoholkranke Frau Kitty, verschiedene Studenten und Kollegen, vor allem aus den 1930ern und seiner Zeit in Kalifornien. Auch seine Haltung gegen die Wasserstoffbombe zählte zu den Anschuldigungen, da er – so die Auslegung – seiner Aufgabe nicht wie gewünscht nachkäme. Viele Kollegen sagten zu Oppenheimers Gunsten aus und einen Nachweis für irgendwelche Umtriebe gab es nicht, doch war man entschlossen, ihn zu Fall zu bringen. Jedoch ließ die Gesetzeslage der Untersuchungskommission keinen anderen Schluss zu, als dass Oppenheimer nur von seinem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch mache und dies auch dürfe, womit er sich zwar nicht des Verrats schuldig mache, aber dennoch „aus welchen Motiven auch immer die Interessen der Vereinigten Staaten geschädigt habe“. So entzog man Oppenheimer die sogenannte „Sicherheitsgarantie“, was gleichbedeutend mit dem Ausschluss aus sämtlichen geheimen Regierungsprojekten zur Folge hatte. Öffentlich wurde Oppenheimer zur Persona non grata, er verlor seine politische Einflussnahme. Während Presse und Öffentlichkeit, die Ächtung Oppenheimers begrüßten, war es in Kollegenkreisen Edward Teller, der wegen seiner für Oppenheimer schädlichen Aussage vor dem Untersuchungsausschuss, nun gemieden wurde. Wegen der ungebrochenen Unterstützung in Wissenschaftlerkreisen konnte Oppenheimer an das Institute for Advanced Study zurückkehren, zu dessen Direktor er erneut gewählt wurde.
Es gingen neun Jahre ins Land, in denen das politische Klima in den USA eine Kehrtwende hinlegte – zumindest für US-amerikanische Verhältnisse. Im November 1963, wenige Tage vor seiner Ermordung in Dallas, schlug US-Präsident John F. Kennedy (1917 – 1963) vor, man solle Oppenheimer als Würdigung seiner Arbeit beim Manhattan-Project den Enrico-Fermi-Preis verleihen, was Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson (1908 – 1973) gut eine Woche nach Kennedys Tod auch in die Tat umsetzte. Trotz dieser symbolischen Rehabilitierung, dauerte es bis zum 16. Dezember 2022, bis der Entschluss, Oppenheimer die Sicherheitsfreigabe für den Zugriff auf sensible Informationen der Vereinigten Staaten zu entziehen, aufgehoben wurde. Da der Kettenraucher Oppenheimer am 18. Februar 1967 im Alter von 62 Jahren an Kehlkopfkrebs starb, kam diese amtliche Wiederherstellung seiner „politischen Unbedenklichkeit“ zu spät für ihn.
Quellen und weiterführende Literatur
Kai Bird, Martin J. Sherwin: „American Prometheus – The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ Reprint, B&T 2006, ISBN 0-375-72626-8; deutsche Übersetzung: „J. Robert Oppenheimer“, Propyläen Verlag 2009
Gregg Herken: „Brotherhood of the Bomb: The Tangled Lives and Loyalties of Robert Oppenheimer, Ernest Lawrence, and Edward Teller“, Henry Holt and Co. 2002
Klaus Hoffmann: „J. Robert Oppenheimer, Schöpfer der ersten Atombombe“, Springer-Verlag, 1995, ISBN 3-540-59330-6