Hitlerdroge, Panzerschokolade, Pervitin, Methamphetamin
C10H15N, N-Methyl-alpha-methylphenethylamin oder (S)-N-Methyl-1-phenylpropan-2-amin, auch Methamphetamin kennt man heute vor allem als farblose Kristalle mit aufputschender und berauschender Wirkung unter dem Trivialnamen Crystal Meth; und ja, wenn es nicht von Walter „Heisenberg“ White synthetisiert wurde, ist es farblos. Was heute jedoch die wenigsten wissen: Methamphetamin spielte unter dem Verkehrsnamen Pervitin, landläufig auch „Panzerschokolade“, „Fliegermarzipan“, „Hermann-Göring-Pillen“ und „Stuka-Tabletten“ eine große Rolle im Zweiten Weltkrieg. Mehr noch: Adolf Hitler (1889 – 1945) war selbst schwer Methamphetamin-süchtig.
Der japanische Chemiker Nagai Nagayoshi (1844 – 1929) synthetisierte Methamphetamin erstmals 1893, damals noch in flüssiger Form. Erst Ogata Akira (1887 – 1978) gelang es 1919, reines Methamphetamin in kristalliner Form herzustellen. Er ließ sein Verfahren 1921 patentieren. Vertrieben wurde das daraus hergestellte Medikament Philopon (japanisch ヒロポン = Hiropon; hirō = „Müdigkeit“, pon = „mit einem Schlag“, sinngemäß also: „die Müdigkeit verschwindet mit einem Schlag“) vom japanischen Pharmaunternehmen Dainippon Seiyaku (heute: Sumitomo Fāma). Da nur das Verfahren, nicht aber die Formel patentiert worden war, forschten ab 1934 die Berliner Temmler-Werke ebenfalls an einem Verfahren zur Synthetisierung von reinem Methamphetamin – mit Erfolg: 1937 ließ sich Temmler sein von Fritz Kurt Hauschild (1908 – 1974) entwickeltes Verfahren zur Herstellung von Methamphetamin patentieren und brachte Methamphetamin 1938 unter dem Namen Pervitin in Pillenform auf den Markt. Daneben gab es auch Pralinen, die mit Methamphetamin versetzt waren, die landläufig „Hausfrauenschokolade“ genannt wurden. Es war ein massentaugliches Alltagsmedikament zu einer Zeit, als man noch Zigaretten auf Rezept zum Stressabbau verschrieben bekam und Heroin gerade erst vom Markt genommen worden war. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde es dann bald zur „Panzerschokolade“, um die Truppen wach zu halten.
Die Wirkung von Methamphetamin ist vielseitig: Es unterdrückt Schmerzen, Hunger und Müdigkeit, verleiht höheres Selbstvertrauen, ein Gefühl der Stärke und Überlegenheit und erhöht auch die Konzentrationsfähigkeit. Es wirkt dabei relativ schnell, da es die Blut-Hirn-Schranke besser überwindet als normales Amphetamin. Wie die meisten Drogen hat es aber auch erhebliche Nebenwirkungen, vor allem auf die Psyche. Die Einnahme von Methamphetamin kann zu Schwindelanfällen, Schweißausbrüchen, Wahnvorstellungen und Depressionen führen. Weil es einen wach hält, ist Schlafentzug eine indirekte Folge, die wiederum zu Persönlichkeitsveränderungen, Psychosen und Paranoia führen kann. Wer ohnehin von psychischen Störungen betroffen ist, wird durch Methamphetamin eine Verschlimmerung erfahren. Die längere Einnahme führt wie bei fast allen Drogen und Medikamenten zu einer Gewöhnung, die wiederum mit einer Erhöhung der Dosis ausgeglichen wird. Von der Abhängigkeit selbst ganz zu schweigen.
Als das Deutsche Reich 1939 den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach, machte man beim deutschen Militär vielfach von Pervitin Gebrauch. Es hielt die Soldaten länger wach und ließ sie keinen Hunger spüren, folglich konnten sie länger und weiter marschieren, aber auch im Gefecht länger durchhalten und dabei konzentriert bleiben. Das „Gefühl der Unbesiegbarkeit“, das ihnen Pervitin verlieh, machte sie wagemutiger, denn für die Nazis war der einzelne Soldat, das einzelne Menschenleben nicht von Wert. Alles, was zählte, war der „Endsieg“, und diesem Ziel musste sich alles und jeder unterordnen. Zunächst wurde Pervitin in den Blitzkriegen gegen Polen (1939) und Frankreich (1940) eingesetzt. General Heinz Guderian (1888 – 1954) etwa orderte 20.000 Tabletten als Panzerschokolade für seine Panzertruppen – allein für die ersten Tage des Westfeldzugs und die Eroberung von Sedan. Allein zwischen April bis Juni 1940 nutzte die Wehrmacht 35 Millionen Pervitin-Tabletten.
Auch im Blitzkrieg gegen das Vereinigte Königreich wurde Pervitin vielfach eingesetzt, um die Bomberpiloten länger durchhalten zu lassen. Einer von ihnen war Horst Freiherr von Luttitz (1917 – 2010), welcher in einem Interview äußerte:
„Es war sehr oft spät – 10 Uhr, 11 Uhr. Dann war man etwa 1 Uhr, 2 Uhr morgens war man über London oder über irgendeiner anderen englischen Stadt und da ist man natürlich müde. Und dann, wenn man das merkte – das durfte ja keinesfalls der Fall sein – hat man ein, zwei Tabletten Panzerschokolade geschluckt und dann ging’s wieder.“
Am 25. Oktober 1940 publizierte die Münchener Medizinische Wochenschrift (heute MMW-Fortschritte der Medizin) einen Artikel, der Pervitin quasi als Allheilmittel feierte. Es helfe gegen See- und Bergkrankheit, verzögere Rekonvaleszenz und helfe gar bei organischen Hirn- und Rückenmarkstörungen. Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti (1900 – 1945) hatte schon am 19. März 1940 bei einer Rede geäußert:
„Wer Ermüdung mit Pervitin beseitigen will, der kann sicher sein, dass der Zusammenbruch seiner Leistungsfähigkeit eines Tages kommen muss. Dass das Mittel einmal gegen Müdigkeit für einen Hochleistungsflieger, der noch zwei Stunden fliegen muss, angewendet werden darf, ist wohl richtig. Es darf aber nicht angewendet werden bei jedem Ermüdungszustand, der in Wirklichkeit nur durch Schlaf ausgeglichen werden kann. Das muss uns als Ärzten ohne weiteres einleuchten.“
Außerdem war ihm das Suchtpotenzial von Pervitin bereits bekannt und so sah er sich zum Handeln gezwungen. Er veranlasste, dass Ernst Speer (1889 – 1964), ein Psychiater, der als erklärter Gegner der „Wunderdroge“ galt, eine Gegendarstellung verfasste, die ebenfalls in der Münchener Medizinischen Wochenschrift abgedruckt wurde. Ferner wurde Pervitin 1941 mit dem geänderten Reichsopiumgesetz rezeptpflichtig – allerdings nur im zivilen Gebrauch, an der Front nutzte man es weiterhin. Panzerschokolade war begehrt.
Die Kriegsmarine unter Admiral Hellmuth Heye (1895 – 1970) sollte Kleinst-U-Boote wie Typ XXVII B Seehund oder bemannte Torpedos wie den Neger einsetzen. Allerdings würden die Einsätze bis zu einer Woche dauern, in denen die Männer in den Gefährten wach und konzentriert bleiben mussten und das auf engstem Raum. Um den richtigen Medikamenten-Cocktail, zu dem natürlich Pervitin gehörte, zusammenstellen zu können, arbeitete man mit der SS zusammen, die in KZs die Drogen an Gefangenen austesteten.
Auch Hitler selbst nahm die Panzerschokolade, in Form von Pervitintabletten. Ab 1942 ließ er sich Methamphetamin mehrmals täglich spritzen.
Allerdings nahmen nicht nur die deutschen Truppen Methamphetamin ein, auch amerikanische, britische und japanische Soldaten nahmen die Droge ein. Das änderte sich auch nach Kriegsende nicht. In der Bundeswehr der Bundesrepublik wurde Pervitin bzw. Panzerschokolade noch bis in die 1970er-Jahre verwendet, bei der NVA der DDR gar bis 1988. Auch Politiker wie John F. Kennedy (1917 – 1963), der Pervitin vor allem wegen seiner chronischen Schmerzen einnahm, und Konrad Adenauer (1876 – 1967), welcher Pervitin zur Leistungssteigerung nutzte, nahmen das Mittel ein. 1988 wurde Pervitin aus dem Handel genommen und darf heute nicht mehr verschrieben werden. In Form von Crystal Meth existiert die Droge aber weiterhin.
Weitere Informationen:
https://www.mdr.de/geschichte/pervitin-soldaten-krieg-droge-hitler-deutsches-reich100.html
Norman Ohler: „Der totale Rausch: Drogen im Dritten Reich“, Köln 2015, ISBN: 978-3-462-04733-2