„Pans Labyrinth“ und der Faschismus aus der Sicht eines Kindes
Guillermo del Toro (*1964) ist ein Ausnahmeregisseur, dem es in fast all seinen Filmen gelingt, historische und politische Themen gekonnt aufzugreifen und mit einer düsteren Mischung aus Fantasy und Horror Lovecraft’scher* Manier zu kombinieren (*Howard Phillips Lovecraft (1890 -1937) war ein US-amerikanischer Horrorautor, der als Begründer des Cosmic-Horror-Genres gilt). Del Toros Filme erschaffen außergewöhnliche Bilderwelten, dringen aber auch in die Abgründe der menschlichen Natur vor, wo sich oft der wahre Horror abspielt. Während sich „Shape of Water – Das Flüstern des Wassers“ mit dem Kalten Krieg auseinandersetzt und die erste Verfilmung von Mike Mignolas (*1960) Comic „Hellboy“ aus dem Jahr 2004 die nationalsozialistische okkulte Thule-Gesellschaft zum Thema macht, geht der Mexikaner Del Toro in „The Devil’s Backbone“ und „Pans Labyrinth“ mit dem Regime des faschistischen Diktators Francisco Franco (1892 – 1975) in Spanien ein besonders heißes Eisen an, verläuft die Auseinandersetzung der Spanier mit diesem düsteren Kapitel ihrer Geschichte doch äußerst zögerlich. Nun liegt der Untergang von Francos Diktatur auch längst nicht so weit zurück wie etwa das NS-Regime in Deutschland. Spanien hatte also auch noch nicht so viel Zeit, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Umso wichtiger ist es, dass zwei spanischsprachige Filme sich der Thematik annehmen.
„Pans Labyrinth“ spielt 1944 in einer ländlichen Berggegend Nordspaniens. Der Spanische Bürgerkrieg, der mit dem Sieg der Nationalisten über die Republikaner endete, ist vorbei. Die Republikaner waren die demokratisch gewählten Vertreter der Zweiten Spanischen Republik: Liberale, Kommunisten, Anarchisten, die in Gewerkschaften wie der Confederación Nacional del Trabajo (CNT) oder der Unión General de Trabajadores (UGT) und Wahlbündnissen wie Federación Anarquista Ibérica (FAI) und Frente Popular organisiert waren. Ihnen gegenüber hatten sich Nationalisten, Faschisten, als Carlisten bezeichnete Monarchisten und Katholiken der Confederación Española de Derechas Autónomas (CEDA) hinter Francos Falange bzw. ab 1937 Falange Española Tradicionalista y de las Juntas de Ofensiva Nacional Sindicalista zusammengeschlossen. Die franquistischen Putschisten siegten mit Unterstützung der italienischen und deutschen Faschisten. Als Partisanen setzten einige Kommunisten den Widerstand fort. So auch in den nordspanischen Bergen, wo Capitán Vidal (Sergi López; *1965) von seinem Gutshof aus Jagd auf sie macht (in der deutschen Synchronisation wird statt Capitán analog der entsprechende deutsche Dienstgrad Hauptmann verwendet). Dieser Gutshof mit Mühle, Herrschaftshaus, als Lager genutzter Scheune und einem alten Steinlabyrinth, das laut Vidals Haushälterin Mercedes (Maribel Verdú; *1970) schon lange vor den anderen Gebäuden da war, ist Vidals eigene kleine Diktatur. Hier ist er allein Gebieter über Leben und Tod.
Vidal hat jüngst Carmen (Ariadna Gil; *1969), die Witwe eines im Krieg gefallenen Schneiders geheiratet, die er nun – schwerkrank und hochschwanger – mit ihrer Tochter Ofelia (Ivana Baquero; *1994) zu sich auf den Gutshof holt, wo sie von Dr. Ferreiro (Álex Angulo; 1953 – 2014) medizinisch versorgt werden soll. Ferreiro ermahnt Vidal, Carmen hätte in ihrem Zustand nicht reisen dürfen, woraufhin Vidal erwidert, ein Sohn müsse da zur Welt kommen, wo sein Vater sei. Ferreiro fragt daraufhin: „Eine Frage, Herr Hauptmann, wer hat Ihnen denn gesagt, dass das Kind ein Junge wird?“ – „Was für eine Frage“, empört sich Vidal. Damit etabliert Del Toro seinen Schurken relativ schnell als eben den Unmenschen, den seine Stieftochter, die immer wieder beharrt, der Hauptmann sei nicht ihr Vater, in ihm sieht. Nie hat ein Filmcharakter so sehr die Essenz des Faschismus verkörpert wie Vidal. Er ist nicht einfach grausam, sondern willkürlich im Ausleben seines Sadismus. So schlägt er in einer Szene so lange mit einer Weinflasche auf das Gesicht eines Greises ein, bis der stirbt, und foltert in einer anderen Szene einen stotternden Partisanen erst psychisch und dann physisch. Vidal ist herrisch, kommandiert jeden ohne einen Funken Respekt herum. Seine Misogynie geht so weit, dass er seine Frau als nicht viel mehr sieht als eine Zuchtstute. Gleichzeitig ist es eben diese Geringschätzung gegenüber dem weiblichen Geschlecht, die ihn Ofelia und Mercedes, die eine Spionin der Partisanen ist, unterschätzen lässt.
Ofelia, die Protagonistin des Films, ist das genaue Gegenteil zu Vidal: unschuldig, verträumt, selbstlos und offenherzig. Wie viele junge Menschen in der Zeit der Weltkriege flüchtet Ofelia sich in die Literatur von Märchen. Als eines Abends eine Gespensterschrecke auf ihrem Bett erscheint, sieht Ofelia in ihr eine Fee. Hier beginnen nun Realität und Fantasie zu verschwimmen, denn Ofelia folgt der Fee ins Innere des Steinlabyrinths, wo sie auf den Faun Pan (Doug Jones; *1960) trifft. Dieser gibt sich ihr als Diener des Herrn des Unterirdischen Reiches, des Mondes selbst, zu erkennen, welcher laut Pan Ofelias wahrer Vater ist, der ihre Heimkehr erwarte. Ofelia sei die Reinkarnation der Prinzessin Moana, habe aber so viel Zeit im Reich der Sterblichen verbracht, dass sie in drei Prüfungen beweisen müsse, dass sie nicht vollends ein Mensch geworden sei. Die erste Prüfung schickt sie unter einen uralten Baum, der von einer im Wurzelwerk lebenden Riesenkröte vergiftet wird. Dieser muss sich Ofelia stellen, um an einen Schlüssel für die zweite Prüfung zu gelangen. Ihr neues Kleid, welches sie zuvor ausgezogen und über einen Ast gehängt hatte, ist vom Wind hinabgeweht worden. Weil sie ihr neues Kleid ruiniert hat, schickt Carmen Ofelia ohne Abendessen zu Bett.
Pans zweite Prüfung sieht vor, dass Ofelia dem Blassen Mann (ebenfalls Doug Jones), einem hageren Menschenfresser, einen Dolch stiehlt, der in einem Schließfach in dessen Reich ist, das Ofelia mit dem Schlüssel der Kröte öffnen muss. Pan warnt die hungrige Ofelia, im Reich des Blassen Mannes nichts zu essen. Als sie doch eine Traube von der festlich gedeckten Tafel der Kreatur stibitzt, erweckt sie das Monster, das bis dahin wie versteinert am Kopf der Tafel gesessen hat. In dieser Szene zeigt Del Toro sein ganzes Talent. Der Blasse Mann sitzt an der Tafel genau an der Stelle, an der Vidal bei seiner Abendgesellschaft wenige Stunden zuvor gesessen hat. Der Kinderfresser, welcher seine Augen vor sich auf einem Teller liegen hat, besitzt ganz klar Parallelen zur Hexe in „Hänsel und Gretel“ oder Hades, der erst Macht über Persephone erlangte, als die in der Unterwelt von einem Granatapfel gegessen hatte. Gleichzeitig verkörpert der Blasse Mann als Gegenstück zu Vidal in Pans Welt den Faschismus selbst, stetig schlummernd, aber als Bedrohung allgegenwärtig, bis Unachtsamkeit ihn weckt. So liegen im Speisesaal des Blassen Mannes Kinderschuhe aufgetürmt – ein klarer Verweis auf die Vernichtungslager der Nazis. Und er macht Jagd auf Menschen, frisst sie mit Haut und Haar, bis er dick und wohlgenährt ist.
Der Film besitzt aber auch abseits der Szenen in der Welt Pans, der eine durchaus ambivalente Figur zwischen Beschützer und Widersacher ist, oder zumindest in der Überschneidung beider Welten starke Symbole wie etwa die kaputte Taschenuhr, die Vidal von seinem Vater geerbt hat und die im Laufe des Films stetig zu reparieren versucht. In der Tat scheint in Vidals Reich die Zeit stehen geblieben. Auch arbeitet Del Toro kunstvoll mit Farben, taucht Szenen in ein kaltes und doch mystisches Blau oder ein aggressives, aber warmes Orange.
„Pans Labyrinth“ mag ein kunstvolles, modernes Horrormärchen sein, das mit Symbolen und Bildsprache ebenso spielt wie mit seinen teils grotesken Figuren, die wirklich wie aus der Welt der Träume und Albträume entsprungen erscheinen. Aber „Pans Labyrinth“ ist eben auch ein Film, der die Schrecken des Faschismus aus der Sicht der verwundbarsten Menschen überhaupt zeigt. Ofelia, ein Kind, stellt sich mit all ihrer Unschuld und Güte dem personifizierten Bösen, denn genau das ist Vidal. Wer geglaubt hat, nie eine fiktive Figur mehr hassen zu können als Dolores Umbridge oder Joffrey Baratheon, wird sich hier eines Besseren belehrt sehen, denn Vidal vereint das Schlimmste von beiden: Er ist willkürlich im Missbrauch seiner Autorität und ein unberechenbarer Soziopath mit der absoluten Macht. Aber genau deshalb funktioniert der Charakter so gut, wenn es darum geht, aufzuzeigen, was Faschismus für seine Opfer bedeutet und zwar abseits nationalsozialistischer Vernichtungspolitik und Krieg.