Leiter der „Aktion Reinhardt“
Odilo Globocnik war ein österreichischer Nationalsozialist, Generalleutnant der Polizei und SS-Obergruppenführer. Globocnik, der später oft gerne als „Globus“ unterschrieb, wurde am 21. April 1904 als Sohn österreichisch-slowenischer Eltern im multinationalen Triest geboren. 1914 verließ die Familie Triest und übersiedelte nach Cseklesz. Ein Jahr später trat Globocnik in die Militär-Unterrealschule Sankt Pölten ein. Nach Ende des Ersten Weltkrieges zog er mit seiner Familie nach Klagenfurt. Dort besuchte er bis 1923 die Höhere Staatsgewerbeschule. Globocnik erhielt daraufhin seine erste Anstellung als Techniker bei der Kärntner-Wasserkraft-AG in Frantschach und war bis 1930 an mehreren Kraftwerkbaustellen tätig. Danach fand er eine Anstellung als Bauleiter bei einem Klagenfurter Bauunternehmen.
Politischer Aufstieg in Österreich
1920 beteiligte sich Odilo Globocnik am Kärntner Abwehrkampf und betätigte sich an den Vorbereitungen für die Volksabstimmung als illegaler Propagandist. Außerdem schloss er sich einer nationalsozialistisch geprägten Sturmabteilung, die aus dem „Heimatschutz“ entstand, an. Bis zum NSDAP-Verbot im Juni 1933 war Odilo Globocnik als Propagandaleiter der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation tätig. Im Ganzen wurde Globocnik fünfmal wegen politischer Vergehen verhaftet, dreimal resultierten daraus Gefängnisstrafen. 1931 trat Globocnik der NSDAP bei und wurde 1934 Mitglied bei der SS (Mitgliedsnummer 292.776). Für diese Organisation baute er einen illegalen Nachrichtendienst für Kärnten auf. Odilo Globocnik wurde nun zum wichtigsten Verbindungsmann zwischen Adolf Hitler und den Nationalsozialisten in Österreich. Im Juli 1936, nach Abschluss des Juliabkommens, bestellte der Führer Globocnik zu sich auf den Berghof ein, um ihm Anweisungen für das weitere Vorgehen der NSDAP in Österreich zu geben. Odilo Globocnik sah sich selbst als bedeutender Akteur beim „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich; In seiner Position als Gauleiter versagte er allerdings kläglich: Globocnik hinterließ ein organisatorisches und finanzielles Chaos, als er im Januar 1939 wegen Geheimkonten für erpresstes jüdisches Geld, dubioser Devisengeschäfte und wegen Unterschlagung von Parteigeldern aus dem Amt entlassen wurde. Innerhalb von einem halben Jahr hatte er praktisch alle seine wichtigsten Verbündeten in Wien gegen sich aufgebracht.
SS- und Polizeiführer in Lublin
Nach seiner Ablösung in Wien wurde Odilo Globocnik zur Bewährung zur Waffen-SS versetzt, um seinen Militärdienst abzuleisten. Er blieb dort bis er im November 1939 von Himmler zum SS- und Polizeiführer (SSPF) des Distriktes Lublin im besetzten Generalgouvernement ernannt wurde. Als SSPF war er von Himmler bemächtigt, als Repräsentant der SS im Distrikt aufzutreten, eingeschlossen derjenigen die aus der „Reichskanzlei des Führers“ stammten. Seine Amtsführung war bestimmt durch besondere Brutalität gegenüber der polnischen Zivilbevölkerung. Er war es auch, der als erster SS- und Polizeiführer Zwangsarbeiterlager für Juden einrichten ließ und sogenannte „wilde“ Razzien in Betrieben durchführte. Im Zuge der „Außerordentlichen Befriedungsaktion“ („AB-Aktion“), einer Mordkampagne der nationalsozialistischen Besatzer auf polnischem Gebiet, bezeichnete sogar der Generalgouverneur Hans Frank Globocniks Truppe als „Mörderbande“. Obwohl Odilo Globocnik Kompetenzstreitigkeiten provozierte, für Unregelmäßigkeiten bei der Abwicklung von beschlagnahmtem jüdischen Eigentum sorgte und für – selbst nach NS-Maßstäben – übertrieben harte Vergeltungsaktionen gegen die polnische Bevölkerung verantwortlich war, nahm er in Himmlers Zukunftsvisionen einen prominenten Part ein. Der SSPF Lublin erhielt von Heinrich Himmler den Befehl zur Vernichtung der Juden im Generalgouvernement und wurde zum Leiter der „Aktion Reinhardt“ ernannt. Globocnik wurde auch zum Manager der Ostindustrie GmbH bestimmt; einer Organisation, die allein das Ziel verfolgte, die SS-Industrien zu expandieren und die Arbeitskraft derjenigen Juden auszunutzen, die in den Vernichtungslagern nicht sofort vergast wurden. Globocnik überwachte außerdem die Errichtung des Konzentrationslagers Majdanek und organisierte später die Vernichtungslager Treblinka, Sobibor und Belzec.
Bislang wurde Odilo Globocnik als Befehlsempfänger und Intimus von Heinrich Himmler und vor allem als Leiter der „Aktion Reinhardt“ angesehen. Dabei wird jedoch übersehen, dass er mit einem enormen volkstumspolitischen Aktivismus und mit seinen Einfällen maßgeblich die Besatzungspolitik und auch die Entscheidung, die jüdische Bevölkerung aus dem Generalgouvernement zu ermorden, beeinflusste. Gerade Odilo Globocnik entfaltete bei der Entwicklung der Pläne zur Germanisierung des Ostens eine bemerkenswerte Initiative. Im Juli 1941 wurde er mit der Konzeption eines weiteren gigantischen Planes beauftragt. Er sollte als „Beauftragter für die Errichtung der SS- und Polizeistützpunkte im neuen Ostraum“ den Generalplan Ost umsetzen. Darunter war ein Programm zur „rassischen Neuordnung“ bis zum Ural zu verstehen. In diesem Zeitraum gab Globocnik in der „Judensache“ ein immer schnelleres und rücksichtsloseres Tempo an. Daraus könnte man schlussfolgern, dass er in dieser Zeit zu einem der Initiatoren der „Endlösung“ heranwuchs und diesem Streben eine grundsätzliche Dynamik gab. Es dürfte also kaum angezweifelt werden, dass Globocnik und sein Stab die psychologische Schwelle zum Genozid im Herbst 1941 längst überschritten hatten.
Operationszone Adriatisches Küstenland
Da die „Aktion Reinhardt“ 1943 praktisch abgeschlossen war und sich der Distrikt Lublin aufgrund der Umsiedlungsmaßnahmen des SSPF in einem chaotischen Zustand befand, entschloss sich Heinrich Himmler, Globocnik im Sommer aus Lublin abzuberufen. Er wurde nun zum Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) in der „Operationszone Adriatisches Küstenland“ mit Sitz in Triest befördert. Da Globocnik hoffte, seine Vernichtungs- und Umsiedlungspolitik dort weiterführen zu können, nahm er einen Großteil seines Stabes aus der „Aktion Reinhardt“ mit nach Triest. Trotz mangelnder Entfaltung versuchte Globocnik auch in Triest möglichst frei von anderen Dienststellen der SS und der deutschen Wehrmacht zu handeln. Auch in Italien verfolgte er die jüdische Bevölkerung, die im Durchgangslager Risiere di San Sabba bei Triest vor ihrer Deportation nach Auschwitz-Birkenau eingesperrt war. Globocnik sorgte dafür, dass zwischen Dezember 1943 und Februar 1945 insgesamt 22 Transporte mit mehr als 1.100 Juden Triest Richtung Auschwitz-Birkenau verließen. Ende Mai 1945 wurde Globocnik von einem britischen Kommando festgesetzt und nach Paternion verfrachtet. Hier vergiftete sich Odilo Globocnik nach einem ersten Verhör mit einer Zyankalikapsel.
Odilo Globocnik kann sicherlich als Schlüsselfigur der Judenpolitik im Generalgouvernement bezeichnet werden. Seine Persönlichkeit, seine Initiativkraft und seine Beziehungen zu Himmler, der ihn kumpelhaft mit „Globus“ ansprach, ermöglichten ihm, den Lubliner Distrikt als ein „Spielfeld“ für antijüdische Maßnahmen zu nutzen. Globocnik zog es vor, seine teils stümperhaften Aktionen mit Prahlerei zu kaschieren und versuchte umso stärker sich mit immer brutaleren Maßnahmen innerhalb der SS beliebt zu machen: je radikaler, desto besser. Im Lubliner Distrikt entfaltete er eine rastlose Tätigkeit und bewies bei der Ermordung von Angehörigen der polnischen Elite gewissenlose Grausamkeit. Dass seine Vorgesetzten den Aktivismus durchaus als schwierig befanden, ihn im Interesse der Aktion jedoch billigend in Kauf nahmen, verdeutlicht auch eine Beurteilung Globocniks von SS-Gruppenführer von Herff im Mai 1943:
„Vollnatur mit all ihren großen Licht- und Schattenseiten. Wenig auf das Äußerliche geben, fanatisch von der Aufgabe besessen, bin ins Letzte für die einsetzend ohne Rücksicht auf Gesundheit oder äußerlichen Dank. Einer der besten und stärksten Pioniere im GG. Verantwortungsbewusst, mutig. Tatsachenmensch. Sein Draufgängertum lässt ihn oft die gegebenen Grenzen vergessen, jedoch nicht aus persönlichem Ehrgeiz, sonder vielmehr um der Sache wegen. Der Erfolg spricht unbedingt für ihn. […] Wichtig ist, dass SS-Gruf. Globocnik bald heiratet, um in diesem ruhelosen, ihn zermürbenden Pionierleben einen festen Pol in Heim und Frau zu haben. Dies würde unbedingt dazu beitragen, dass SS-Gruf. Globocnik mehr haushält mit seinen Kräften und damit heranreift für größere Aufgaben, zu denen er unbedingt das Zeug hat.“(1)
Diese Beurteilung zeigt ein durchgehendes Muster in der Karriere dieses SS-Offiziers, der seine Verstöße gegen den NS-Verhaltenskodex durch die immer fanatischere Verfolgung und Durchsetzung der nationalsozialistischen Politik wettmachte. Der Aufstieg Odilo Globocniks im SS-Apparat beruhte auf seinem weltanschaulichen Engagement für die nationalsozialistische Ideologie, auf seiner persönlichen Ergebenheit gegenüber Himmler und Hitler und auf seiner rücksichtslosen Durchsetzung ihrer rassenpolitischen Vorstellungen. In diesem „ideologischen Klientelismus“ spiegelte sich aber auch ein persönliches Bedürfnis wider: demonstrativ nachzuweisen, dass er mit Recht jener mythischen Welt angehörte, die das Dritte Reich seinen Anhängern bot. Globocnik ist als einer der aktivsten Funktionäre des Massenmordes einzustufen, der weitreichende Pläne entwickelte und zusammen mit der NS-Führung auch verwirklichte. Seine nicht zu bremsenden Aktivitäten auf dem Gebiet der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und der Zwangsarbeit waren auch ausschlaggebend dafür, dass sich der Distrikt Lublin zum Schwerpunkt der Sklavenarbeit im Generalgouvernement entwickelte. Wenn er auch nur auf lokaler Ebene die Vorreiterrolle einnahm, so trug Globocnik dennoch ergiebig zur „Endlösung“ bei und kann als treibende Kraft des Massenmordes im Generalgouvernement gelten.
Autorin: Anna-Raphaela Schmitz
Literatur
Black, Peter: Odilo Globocnik – Himmlers Vorposten im Osten. In: Smelser, Roland u. a. (Hrsg.): Die braune Elite II. 21 weitere biographische Skizzen. Darmstadt 1993. S. 103-115.
Musial, Bogdan: Ursprünge der „Aktion Reinhardt“. Planung des Massenmordes an den Juden im Generalgouvernement. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941-1944. Osnabrück 2004. S. 49-85.
Musial, Bogdan: Die „Aktion Reinhardt“. Der Völkermord an den Juden im Generalgouvernement 1941-1944. Osnabrück 2004.
Pohl, Dieter: Von der „Judenpolitik“ zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939-1944. Frankfurt a. M. 1993.
Poprzeczny, Joseph: Odilo Globocnik. Hitler’s man in the East. London u. a. 2004.
Pucher, Siegfried J.: „… in der Bewegung führend tätig“. Odilo Globocnik. Kämpfer für den „Anschluß“. Vollstrecker des Holocaust. Klagenfurt 1997.
Rieger, Berndt: Creator of Nazi Death Camps. The Life of Odilo Globocnik. London 2007.